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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Das Kind wird doch nicht schon ans Heiraten denken und nun gar . . .

Ja, gestrenge Mutter im Neste, die Jungem sind ausgeflogen, dort am Schwarzdornhag steht deine älteste Tochter, pflückt einen Haselzweig ab und zerbeißt ihn, und wie sie jetzt den Pfiff der Lokomotive hört, sagt sie fast laut vor sich hin: Die zieht die Menschen fort in die weite Welt hinaus . . .

Sie sieht zu den Sternen auf und denkt daran, wie der Missionär ihr von den wunderbaren Sternbildern geredet hat, die man in Ostindien sehe.

Was hat er doch alles mit ihr geredet!

»Hätten Sie einen innern Trieb, für unsern heiligen Glauben auch etwas Besonderes zu thun?«

»Wenn ich was Besonderes thun kann, von Herzen gern. Aber ich wüßt' nicht.«

Seltsam! Er sagte auf dies erste Gespräch nichts weiter, er ging davon, wie wenn auf solche Reden keine Antwort nötig wäre.

Es muß die besondere Art der Missionäre sein, ein Gespräch so halbgar stehen zu lassen; just ungeschickt wäre das nicht, denn das stöbert das Innere des andern auf und macht ihn nachdenklich.

Bei Lena war dieser Zweck entschieden erreicht, denn sie dachte, er wird doch mein Sparkassenbuch nicht wollen? Das kann Gott nicht verlangen. Oder wär's vielleicht? . . .

Das war das erste Gespräch, das beim Bügeln der Feinwäsche im großen Hausflur geführt wurde. Das zweite Gespräch gab nicht gerade Antwort auf die stehen gebliebene Frage, aber man konnte sie doch drauf deuten, denn diesmal – es war beim Wringen der großen Wäsche im Garten – setzte er sich und fragte, ob sie gern Unterricht gebe in Handarbeiten, und als sie bejahte, schilderte er ihr, welch eine Gottseligkeit es sei, die Kinderseelen unter den Heiden einzusammeln und zu Gott zu führen.

Lena wusch ruhig weiter.

Wunderlich, daß der Mann für sie ganz allein so eine Predigt hält, oder hat das was zu bedeuten? Sie wrang einen Kissenüberzug aus, bis kein Tröpfchen mehr herauskam. Der Missionär schwieg lange still und fragte endlich, ob sie die älteste Tochter des Bahnwärters Maier kenne.

Auf bejahende Antwort fragte er wieder, was sie von ihr halte. Lena erklärte, daß sie schon als Kind ins Pfarrhaus gekommen sei, wenig Umgang habe und sich nicht getraue, über Menschen zu urteilen, die sie nicht genau kenne.

»Immer brav! Das gefällt mir,« sagte er wieder und ging abermals davon.

Ein drittes Gespräch war schon deutlicher. Er sagte ihr – diesmal war's in der Küche am Herde, sie hatte ihm Feuer gegeben für seine Zigarre – welch eine weise Einrichtung es sei, daß den Missionären von der Oberleitung die Ehefrauen zugewiesen werden, die den Beruf zum heiligen Werke fühlen, denn ohne diesen sei kein Segen der Gemeinschaft denkbar.

Er fügte hinzu, wie die unglücklichen Ehen davon stammen, weil man sie auf ein Gefallen, auf das, was man geheimen Zug nenne, baue, »wir aber,« schloß er, »wir fragen, wie liebst du unsern Gott und Vater.«

Lena antwortete nichts und legte ein frisches Scheit an das Feuer.

»Verstehen Sie mich? Hören Sie mich?« fragte der Missionär.

»Jawohl, ich höre.«

Er erklärte nun, daß es da keine schwärmerische sogenannte gute, aber auch keine zänkische und böse Ehe gebe, sondern eben eine fromm dienende.

»Wem das recht ist, für den mag das gut sein,« entgegnete Lena und dachte in sich hinein: dienende Ehe! Wenn ich lebenslang dienen soll, bleibe ich lieber da, wo ich bin, und bleibe ledig.

So dachte Lena zurück, während sie mit ihren scharfen Zähnen den Zweig zerbiß; da hörte sie die Stimme des Missionärs, der rief:

»Das ist mir lieb, daß ich Sie treffe.«

»Ich habe meine Mutter ein Stück Weges begleitet,« entgegnete Lena.

»Welch eine prächtige Frau! Und Ihr Bruder ein Herzmensch!«

»Es freut mich, daß sie Ihnen so gefallen.«

»Und Lena! Ahnen Sie nicht, welche Briefe ich abschickte und selber aufgab?«

Sie schüttelte den Kopf, und er fuhr fort:

»Ich habe meine Oberen gebeten, mir zu erlauben, eine Frau zu wählen, die durch die Gnade des Himmels mir begegnete. Ich zweifle nicht, daß ich bejahende Antwort erhalte, und dann –«

Er hielt inne und erst nach tiefem Atemholen fuhr er fort:

»Lena, willst du mir in die weite Welt folgen? Willst du?«

»Ich muß ja.«

»Du mußt?«

»Ja, ich kann ja nicht anders.«

Die beiden umarmten sich und hielten sich umschlungen. –

Schnell aber riß sich der junge Mann aus den Armen des Mädchens los, und nur leise sagte er: »Kniee mit mir!«

Die beiden knieten auf der Erde und mit zitternder Stimme sprach der Missionär: »Du Allvater! Lenke das Verlangen, das uns einander zuführt, zu deinen Gnaden. Gib uns Kraft, heilige uns zu deinem Dienste und stehe uns bei im Leben und Sterben. Amen.«

Lena weinte so heftig, daß sie ihren Kopf an seine Brust legen mußte, er aber hielt die Hände gefaltet.

Endlich richteten sie sich auf, und Lena sagte:

»Ich meine, ich dürfte dir keinen Kuß mehr geben, du bist so heilig.«

»Nein, ich bin auch ein schwacher, sündhafter Mensch.«

»Ja, sündhaft sind wir ja leider Gottes alle –« stimmte Lena bei. Sie gingen Hand in Hand einige Schritte, und das war ganz die Tochter Magdalenas, als sie stillestehend sagte: »Nicht wahr, man kann fromm und gottesfürchtig sein und doch die Schleife am Halstuch ordentlich binden? Komm, es ärgert mich schon lang, daß du dein weißes Halstuch umbindest wie einen Strick. Komm, laß mich's besser knüpfen.«

Demütig und schalkhaft zugleich ordnete sie ihm das Halstuch zierlich. Er preßte die Lippen und hielt den Atem an, und wie vor sich selbst fliehend, rief er Gut Nacht und eilte davon.

Einzeln kehrten sie ins Pfarrhaus zurück, noch sollte die Verlobung geheim bleiben.


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