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Ja, mein Mann sagt auch, ich soll alles erzählen. Und so sei's. Bis auf die letzte Wurzel will ich ausgraben. Ich bekenne das Gute und das Schlechte, und das eine ist ebenso wahr wie das andere.
Man sagt mir nach, daß ich das schwerste Gebot geübt habe: Liebet eure Feinde – ich bin nicht so brav, wie die Menschen glauben; der eine gilt für braver, als er ist, der andere für weniger.
Mein Mann sieht gar nicht fein aus, aber wer ihn und unsere Geschichte ganz kennt, der muß sagen: Allen Respekt vor so einem Mann. Es mag Vornehmere geben, aber keinen Rechtschaffeneren und Besseren, und grundgescheit ist er auch, nur in einem Stück nicht; er sieht es noch jeden Tag als ein stolzes Glück an, daß ich, eine Großbauerntochter, ihn zum Mann genommen, und wenn er sich besonders Gutes anthun will, heißt er mich die Prinzeß vom Schlehenhof.
Ich bin auf dem Schlehenhof geboren, aber das Haus ist mit keinem Auge mehr zu sehen, da, wo es gestanden, wachsen jetzt Waldbäume.
Da droben auf der Bahn nach dem Bodensee, dort auf der Wasserscheide, ehe es thalab geht, da sieht man mitten im dunkeln Tannenholz einen hellen Laubbaum, das ist die hohle Linde an dem eingefallenen Brunnen, das ist die einzige Spur, daß da einmal Menschen gewohnt haben.
Ich bin vor zwei Jahren noch einmal dort gewesen, aber keine zehn Rosse bringen mich mehr hin. Freilich, Gedanken sind stärker als zehn Rosse, und die bringen mich noch oft von selbst hin, im Traum und im Wachen; und da sehe ich das Haus, breit und groß mit dem dicken Strohdach und den braunen Balken, aus denen es aufgebaut ist; an der Ecke auf der Morgenseite sind viele Fenster nebeneinander, und vom Berge herab kann man in die obere Scheune hineinfahren. Daneben sind die großen Ställe, drin die Rosse an ihren Ketten klirren und die große Schelle von der Vorkuh und die bimmelnde Schelle von dem schwarzen Geißbock klingelt, und ich höre die Stare in der Linde am Brunnen zwitschern.
Es hat geheißen, unser Haus sei eines der ältesten in der ganzen Gegend, eines der kältesten ist es sicherlich gewesen; wir haben aber nicht viel davon gespürt, die Stube war das ganze Jahr geheizt, und wir haben ja Holz genug: mehrere hundert Morgen Wald, ich weiß nicht mehr wie viel, gehören zu unserem Hof. Es war meiner Mutter Gut, der Vater war der ältere Sohn vom Oberbauer, der jüngere, der Ohm Donatus, hat das Vatergut bekommen, und mein Vater hat zu dem, was er erheiratet hat, noch ein Gut dazu erwerben wollen, und das war's eben . . .
Am Haus war ein Baumgarten und drum herum ein paar Aecker, aber nicht viel. Wir haben da oben nur Haber und Kartoffeln gepflanzt, Heu haben wir verkauft, Brotfrucht haben wir kaufen müssen; denn auch die paar Aecker, die wir drunten beim Dorf haben, reichen nicht aus für unsern Hausbrauch mit den vielen Dienstleuten und Taglöhnern. Wenn einmal eine Familie weggestorben oder aus dem Dorf weggezogen ist, da hat der Vater die feil gewordenen Aecker nicht gekauft; er hat gesagt, die armen Leute sollen auch einmal zu Grund und Boden kommen. Er hat's gut mit den Menschen gemeint, wenn er's auch nicht so im Wort hergegeben hat. Er ist zufrieden gewesen bis – ja, das werde ich schon erzählen, wenn ich dran komme.
Damals – die ganze Geschichte geht auf mehr als dreißig Jahre zurück – damals war vom Dorf aus eine Fahrstraße bis an unser Haus, jetzt ist nur noch ein Fußweg da; der Staat hat oben in halber Höhe des Waldes einen Holzweg durchschlagen lassen, und der Wald zieht sich in einem Schluß fort; stundenweit, sagt man, kann jetzt ein Eichhörnchen von einem Baum zum andern springen.
Einsam ist es gewesen auf dem Schlehenhof, aber wenn man's gewöhnt ist, braucht man keine Menschen.
Manchmal ist ein Metzger, ein Holzhändler oder ein Viehhändler gekommen und im Herbst der Krautschneider mit seinem Hobel, auch den Sattler haben wir ins Haus genommen; unser Kettenhund hat nicht zu bellen aufgehört, solang ein fremder Mensch da war.
Am Abend hat der Vater geraucht, und die Mutter hat gesponnen; wir haben auf einem der Aecker beim Dorf immer Hanf gepflanzt, und der ist im Haus versponnen worden. Wenn der Weber gekommen ist, um das Garn zu holen, war die Mutter immer besonders vergnügt; Nähgarn hat sie immer selber gedreht an einem Ring, der am Deckenbalken angebracht war.
Ich habe, als ich in die Schule ging, auch manchmal aus meinen Schulbüchern vorgelesen, ich hab' von jeher gern gelesen. Die Mutter hat sich auf Anempfehlung des Pfarrers auch eingeschrieben auf eine Geschichte der Heiligen, davon ist alle Monat ein gelbumschlagenes Heft gekommen, mit vielen Bildern drin. Ich habe daraus auch vorgelesen, aber nicht gern; ich hab's selber an mir gespürt, was die unschuldigen Gottesmänner für Qualen und Marter erleiden müssen, und habe dann oft aus dem Schlaf aufgeschrieen, denn was da so grausig abgebildet war, ist leibhaftig auf mich zugekommen, daß mir angst und bang geworden ist. Da hat der Vater verboten, daß künftighin derlei in der Nacht gelesen werde, und was der Vater gesagt hat, war ein für allemal gesagt. Er hat sonst nicht viel geredet und die Mutter Meister sein lassen, besonders über uns Kinder.
Der Vater hat Alexander geheißen, man sagt aber bei uns Xander; er hat bei den Feldjägern mit den großen Bärenmützen gedient, das Regiment ist schon lang nicht mehr, aber der Vater war stolz auf seinen ehrenvollen Abschied, der an der Wand hängt in einem goldenen Rahmen.
Ja, darauf hat sich der Vater viel eingebildet, und das ist sein Unglück geworden und das unsere.
Wir sind fünf Geschwister gewesen, drei sind früh gestorben, und die Mutter hat oft gesagt – aber nur zu Fremden und wenn der Vater nicht da war – der Hof sei zu rauh; in alten Zeiten mögen's die Menschen da leichter ausgehalten haben, jetzt seien eben die Menschen nicht mehr so stark. Sie hat auch viel gehustet.
Ich bin das jüngste Kind, bin im Wohlstand aufgewachsen und auch in Frieden bis in mein dreizehntes Jahr. Friede war in unserem Hause, Lustigkeit nicht; man hat gearbeitet, gebetet, gegessen und geschlafen.
Wir hatten sechs, manchmal auch acht Rosse im Stall, und wir haben selber Fohlen gezogen. Der Schmaje, ein Viehhändler, hat dem Vater gebracht, was nötig war, und hat mit fortgenommen, was unnötig und für uns nichts mehr nutz war.
Der Vater hat mit den Knechten geschafft wie einer von ihnen. Wir haben die Stämme in die Sägmühlen und das Brennholz auf den Markt mit unseren eigenen Rossen geführt.
Der Vater hat auch – ich glaub', der Förster Jorns, er war damals noch jung, hat ihm dazu geraten – einen Schälwald angelegt, droben auf der Hochebene, wo bis dahin Aecker waren, die aber nur wenig Frucht gebracht haben. Der Eichenschälwald hat gut Geld eingebracht, und die einzig lustige Zeit war, wenn im Frühling die Eichenschälerinnen gesungen haben. Die Bonifacia, die Frau des Wegers, war auch immer dabei, die wußte die meisten Lieder, und ich und meine ältere Schwester, wir haben auch geholfen; von da habe ich auch noch die vielen Lieder im Gedächtnis, sie gehen mir oft durch die Seele, und dann ist mir's allemal, wie wenn ich den Saft von den jungen Eichen rieche.
Sonntags sind wir in die Kirche gefahren – es ist fast eine Stunde weit – meine Schwester und ich auf dem Hintersitz, Vater und Mutter auf dem Vordersitz; unsere Schimmel mit dem schönen Geschirr waren angespannt, und stolz sind wir dahingefahren. Es ist kaum ein Wort geredet worden, man verlernt auch das Reden in der Einsamkeit.
Der Vater hat keine Kameradschaft, selten ist er in die Wirtsstube beim Engel gegangen, wo wir unsere Schimmel einstellten; wenn seine Pfeife im Stand war, war er zufrieden, und wenn ihn ein Kamerad vom Regiment ansprach, reichte er ihm seinen Tabaksbeutel hin, daß er sich auch stopfe, Zigarren hat's damals bei uns noch nicht gegeben.
Der Vater war Obmann beim Gemeindeausschuß, sie hätten ihn gern zum Bürgermeister gemacht, aber wir wohnten zu weit ab; man kann da nur einen Mann brauchen, der näher bei der Kirche, bei Rat- und Schulhaus wohnt, wo die Leute ihre Sachen leichter vorbringen können.
Wenn der Vater auf dem Rathause war, ist die Mutter mit uns zwei Mädchen zu armen Leuten gegangen, sie hat uns gern dabei gehabt, wenn sie Wohlthaten übte, und die Armen haben oft gesagt: »Ja, Kinder! Euch muß es gut gehen. Die Gutthaten von eurer Mutter müssen an euch vergolten werden.«
Da hat dann die Mutter uns angesehen, in ihren Augen ist's geschwommen, sie ist gar weichherzig gewesen.
Wer hat's ahnen können, daß es uns so ergehen wird und daß ich allein übrig bleibe und es nach Schwerem wieder so gut bekomme, wie ich's jetzt habe?