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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Hand in Hand gingen Albrecht und Theodora den Feldweg dahin, dem Walde zu.

Dort am Rande des Waldes setzten sie sich nieder. Sie hatten auf dem Wege kein Wort gesprochen und auch jetzt noch schwiegen sie, nur manchmal drückte eines dem andern fester die Hand, wie wenn es sagen wollte: ich weiß, was du in deiner Seele sprichst.

Nun aber umfaßten sie sich und küßten einander die schweigenden brennenden Lippen und weinten.

»Und nun genug Trauer,« faßte sich Theodora zuerst, »der herrliche Bibelspruch ging mir den ganzen Weg durch den Sinn. Sieh, dort überall arbeiten Sichel und Sense, und der Spruch ist unser: die mit Thränen säen, werden mit Freude ernten.«

Theodora erzählte, daß sie gestern in dem Hagelsturm auf dem Wege war, und Albrecht berichtete, wie er den Brief erhalten und mit dem Vater gereist sei.

Bald aber war alles Leid vergessen, und die Liebenden wanderten, als wäre das Gestern, das Heute, die letzte Stunde in fabelhafter Vergangenheit, und aller Kummer war nur ein Traum.

»Mir blutet das Herz, daß du so viel Leid durch mich auf dich nehmen mußt,« sagte Albrecht aus gepreßter Brust.

»Wir bezahlen alle Trauer voraus,« tröstete Theodora.

Die Mittagsglocke von der Sommerfrische läutete herauf. Jetzt gehen sie dort alle geputzt zu Tische und wie viel haben sie heut' zu reden, und doch konnten sie nicht ahnen, wie die beiden hier lebten.

Ein sanftes Säuseln zog durch die Wipfel der Tannen, keine Vogelstimme war laut. Im Wege lagen geknickte und entwurzelte Tannen, die Wandernden mußten oft Umwege machen.

Sie pflückten Erdbeeren und waren weltvergessen wie die Kinder. Albrecht fand die Stelle leicht, wo er einstmals als Knabe aus Schindeln sein kunstreiches Mühlwerk gebaut hatte. Er erzählte Theodora, wie er kaum sieben Jahre alt, keine Ruhe hatte, bis er zur Quelle des Baches hinaufkam; er wollte sehen, wie der Bach aus der Erde springt, und als er dort oben war, wo auf der Bergspitze die Waldwiese ist, da habe er die Quelle vergessen und zum erstenmal gesehen, wie wunderbar da sich die Berge ineinander schieben, wie weit das Thal und wie schön die Welt.

Sie kamen aus dem Wald, da war wieder der offene helle Tag und in der Ferne sah man den Eichhof. Sie schritten frohgemut darauf zu.

Der große Hund erkannte den Bruder der Bäuerin und leckte ihm die Hand. Es war niemand da, alle waren draußen bei der Ernte. Die Thüre war leicht zu entriegeln; die beiden saßen in der Stube und Theodora sagte: »Auch in solcher weltvergessenen Einsamkeit wäre ich glücklich mit dir allein, du Einziger.«

»Und ich nicht,« entgegnen Albrecht, »ich muß mit vielen Menschen sein und auf viele wirken.«

»Das ist wahr, das ist besser.«

Albrecht öffnete die Tischschublade, in der Brot lag, er schnitt ein Stück ab, da hörte er eine Kuh im Stalle schreien; in lustigem Tone sagte er:

»Die Kuh ruft, ich soll dir einen Topf Milch melken.«

Er ging nach dem Stall, da begegnete ihm die Schwester, die eben heimgekehrt war. Sie wurde schnell unterrichtet und Albrecht fragte, wo denn der Bauer sei; der war mit dem Förster in den Wald gegangen, wo ihm der Hagelsturm mehrere Hundert Stämme umgerissen hatte, aber glücklicherweise fast lauter schlagbare.

Rikele erzählte, daß ein Brief angekommen sei, Lena werde heute aus Ostindien eintreffen.


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