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Siebentes Kapitel.

Frau Varden gehörte unter die Zahl der Damen, die man im gewöhnlichen Leben wetterwendisch nennt – ein Ausdruck, womit man sonst einen Charakter bezeichnet, bei dem man ziemlich sicher seyn darf, daß es in seiner Nähe Niemanden ganz wohl wird. So geschah es gewöhnlich, daß sich Frau Varden in einer verstimmten Laune befand, wenn andere Leute heiter waren, und waren andere Leute mißvergnügt, so beliebte es Frau Varden, ungemein aufgeräumt zu seyn. In der That war die würdige Hausfrau so capriciöser Natur, daß sie, was die Fähigkeit anbelangt, in demselben Augenblick weise und überrascht, gemäßigt und wüthend, loyal und neutral zu seyn, nicht nur das Genie eines Macbeth überflügelte, sondern bisweilen diese Wechsel vorwärts und rückwärts in allen nur erdenklichen Weisen und Wendungen in einer kurzen Viertelstunde durchzumachen vermochte, indem sie gewissermaßen mit dem musikalischen Apparate ihres weiblichen Glockenthurms ein Terzett läuten konnte, über dessen rasche und geschickte Ausführung alle Zuhörer in Erstaunen geriethen.

Man bemerkte an dieser guten Dame (welche übrigens der persönlichen Anziehungskräfte nicht entbehrte, da sie wohlbeleibt und stattlich anzusehen, obschon im Einklange mit ihrer schönen Tochter, von etwas kurzer Statur war), daß ihre wetterwendische Stimmung in dem gleichen Verhältnisse mit ihrem zeitlichen Wohlstande zunahm; und unterschiedliche kluge Männer und Frauen, welche mit dem Schlosser und seiner Familie befreundet waren, gingen sogar weit genug, um zu behaupten, daß ein Sturz um ein Halbdutzend Sprossen von der Leiter der Welt – allenfalls eine Zahlungsunfähigkeit der Bank, bei welcher ihr Gatte sein Geld angelegt habe, oder ein sonstiger kleiner Lapsus – gute Wirkung thun und kaum verfehlen würde, sie zu einer der angenehmsten Gesellschafterinnen, die es gab, zu machen. Mochten sie nun in dieser Muthmaßung Recht oder Unrecht haben, so viel ist gewiß, daß sowohl der Geist als der Körper aus reinem Uebermaße von Gemächlichkeit oft in einen kränklichen, pockenartigen Zustand geräth, und daß in beiden Fällen sich solche Heilmittel oft am wirksamsten erweisen, die an sich widerlich und unschmackhaft sind.

Frau Vardens Hauptfreundin und Aufhetzerin, zugleich aber auch das erste Opfer und Ziel ihres Zornes, war ihre einzige Dienerin. Miß Miggs, oder, wie sie im Einklange mit jenen Vorurtheilen der Gesellschaft, welche alle solche gentilen Auswüchse an Domestiken für unzulässig halten, genannt wurde – Miggs. Diese Miggs war eine schlanke, junge Dame, die in ihrem Privatleben den Ueberschuhen sehr zugethan war, schmächtig, zänkisch, von etwas ungefälligen Formen und, obgleich nicht absolut häßlich, von ziemlich scharfem und saurem Gesichte. Es war ein allgemeiner, abstrakter Grundsatz dieser Dame, daß das männliche Geschlecht durchaus verächtlich und jeder Beachtung unwürdig sey – wankelmüthig, falsch, schlecht, thöricht, zum Meineide geneigt und aller Verdienste baar. So oft sie gegen die Männer besonders im Harnisch war – was, wie die böse Welt sagte, besonders dann stattfand, wenn Herr Sim Tappertit ihr geringschätzig begegnete – so pflegte sie mit großem Nachdruck den Wunsch kund zu geben, das ganze weibliche Geschlecht möchte aussterben, damit der Männertrotz zur Erkenntniß des wahren Werths und der Segnungen käme, welche er so gering anschlage; ja, ihr Gefühl für die schönere Hälfte menschlicher Wesen ging so weit, daß sie bisweilen erklärte, wenn sie nur überzeugt seyn könnte, daß eine schöne runde Zahl – allenfalls zehntausend – jungfräulicher junger Damen ihrem Beispiele folgen würde, so wollte sie, dem ganzen andern Geschlechte zum Trotz, mit unbeschreiblicher Freude sich erhängen, ertränken, erdolchen oder vergiften.

Es war die Stimme dieser Miggs, welche den Schlosser, als er an seinem Hause klopfte, mit dem schrillen Rufe: »Wer da?« begrüßte.

»Ich bin's. Mädchen, ich,« antwortete Gabriel.

»Was, jetzt schon, Sir?« versetzte Miggs, indem sie mit einem Blicke der Ueberraschung die Thüre öffnete. »Wir setzen eben unsere Nachtmützen auf – ich und die Meisterin – um aufzubleiben. O, sie ist so gar schlimm gewesen!«

Miggs sagte dieß mit der Miene der größten Treuherzigkeit und Besorgtheit; aber da die Wohnzimmerthüre offen stand, und Gabriel gar wohl wußte, für welche Ohren dieß beabsichtigt war, so warf er ihr beim Eintreten einen keineswegs beifälligen Blick zu.

»Der Meister ist nach Hause gekommen, Madame,« rief Miggs, indem sie nach dem Zimmer voraneilte: »Ihr hattet Unrecht, Madame, und ich hatte Recht. Ich dachte mir's wohl, er würde uns nicht zwei Nächte so lange hinhalten, Madame. In so weit handelt der Meister immer mit Ueberlegung. Ich bin um Euretwillen so froh, Madame. Ich bin selbst ein Bischen« – hier zimperte Miggs – »ein klein Bischen schläfrig; jetzt darf ich's wohl gestehen, Madame, obgleich ich nichts sagte, als Ihr mich fragtet. Das hätte indeß natürlich nichts zu sagen gehabt, Madame.«

»Nun, da thäte Sie besser,« sagte der Schlosser, der im Innersten seines Herzens wünschte, daß Barnaby's Rabe der Jungfer auf den Knöcheln säße,« da thäte Sie besser, gleich in's Nest zu gehen.«

»Danke gehorsamst, Sir,« entgegnete Miggs. »Ich hätte heute die Leibesruhe nicht und könnte meine Gedanken nicht zum Nachtgebete sammeln, ehe ich die Meisterin behaglich in ihrem Bette wüßte. Von Rechtswegen sollte sie schon seit ein paar Stunden darin seyn.«

»Sie ist sehr redselig, Jungfer,« sagte Varden, der sie etwas scheel ansah, als er seinen Ueberrock auszog.

»Ich verstehe den Wink, Sir,« rief Miggs mit glühendem Gesichte, »und danke gehorsamst, nehme mir aber doch die Freiheit, zu sagen, daß ich Ihre Verzeihung gar nicht verlange, wenn mich die Besorgniß um meine Gebieterin etwas zu weit geführt hat, sondern zufrieden bin, wenn ich auch weiter nichts als Unlust und Aerger dafür ernte.«

Jetzt sah Frau Varden, welche inzwischen – ihr Gesicht in eine große Nachtmütze, wie in ein Leichentuch, gehüllt – über der protestantischen Hausandacht gesessen hatte, von ihrem Buche auf, und belohnte die Parteigängerschaft der ehrenwerthen Jungfer dadurch, daß sie ihr befahl, das Maul zu halten.

Jeder Knochen und Knorpel an dem Kehlkopfe und dem Halse der Jungfer Miggs entwickelte sich mit einem ganz beunruhigenden Hohne, als sie antwortete:

»Ja, Madame, das will ich.«

»Wie geht es dir jetzt, meine Liebe?« fragte der Schlosser, indem er sich neben seinem Weibe, die ihr Buch wieder aufgenommen hatte, auf einen Stuhl setzte und aus Leibeskräften an seinen Knieen rieb.

»O, daran ist dir natürlich sehr viel gelegen,« entgegnete Frau Varden, ohne ihre Augen von den Typen zu verwenden; »dir, der du den ganzen Tag nicht in meine Nähe kamst und nicht gekommen wärest, wenn ich im Sterben gelegen hätte.«

»Meine liebe Martha,« sagte Gabriel

Frau Varden drehte das Blatt um, dann sah sie noch einmal nach den Schlußworten der eben beendigten Seite und fuhr fort, mit der Miene des tiefsten Interesses und Nachdenkens zu lesen.

»Meine liebe Martha,« sagte der Schlosser, »wie magst du so reden, da du doch selber weißt, wie wenig es dir Ernst ist? Wenn du im Sterben gelegen hättest – ei, wenn dir etwas Ernstliches fehlte, Martha, würde ich nicht ohne Unterlaß an deiner Seite seyn?«

»Ja,« rief Frau Varden, in Thränen ausbrechend. »Ja, das würdest du thun; ich zweifle nicht daran, Varden. Gewiß würdest du es. Das heißt, du würdest mich wie ein Geier umschweben und warten, bis mir der Athem entflogen wäre, um hingehen und eine Andere heirathen zu können.«

Miggs stöhnte mitfühlend – ein kleines, kurzes Stöhnen, das in seiner Geburt erstickt und in einen Husten umgewandelt wurde. Es schien zu sagen: »Ich kann nicht anders. Die schreckliche Rohheit dieses Ungeheuers von einem Meister hat es mir abgepreßt.«

»Aber bald, nächster Tage wird mein Herz gebrochen seyn,« fügte Frau Varden mit viel Ergebung bei, »und dann sind wir Beide glücklich. Ich habe nur noch den Wunsch, Dolly gut versorgt zu sehen, und wenn dieß der Fall ist, so kannst du mich versorgen, sobald es dir beliebt.«

»Ah!« rief Miggs – und hustete abermals.

Der arme Gabriel zupfte eine geraume Weile schweigend an seiner Perücke und fragte dann sanft:

»Ist Dolly zu Bette gegangen?«

»Ihr Herr hat gefragt,« sagte Madame Varden, sich mit einem strengen Blicke nach Miß Miggs umsehend.

»Nein, meine Liebe, ich habe mit dir gesprochen,« entgegnete der Schlosser.

»Hat Sie gehört, Miggs?« rief die störrige Dame, mit dem Fuße auf den Boden stampfend. »Fängt auch Sie an, mich zu verachten? Hat man nicht an einem Exempel genug?«

Bei diesem grausamen Vorwurfe brach Miggs, welcher auf den kleinsten Wink und zu jeder Stunde große oder kleine Partien von Zähren zu Gebote standen, in einen Thränenstrom aus, wobei sie ihre Hände dicht an's Herz drückte, als ob dieß durchaus nöthig sey, um zu verhindern, daß es nicht in tausend kleine Stücke zerspringe. Frau Varden, welche das gleiche Vermögen in hoher Vollkommenheit besaß, weinte ebenfalls in Opposition zu Jungfer Miggs, und zwar mit solchem Nachdruck, daß Miggs nach einer Weile, ein gelegentliches Schluchzen ausgenommen, welches die entfernte Absicht anzudrohen schien, auf's Neue wieder auszubrechen, die Segel strich und ihre Gebieterin im Besitze des Schlachtfeldes ließ. Da dadurch die Ueberlegenheit der Dame des Hauses zur Genüge dargethan war, so ließ auch sie ab und verfiel in eine ruhige Melancholie.

Diese Erleichterung war so groß, und die ermüdenden Ereignisse der letzten Nacht hatten den Schlosser so ganz und gar überwältigt, daß er auf seinem Stuhl einnickend ohne Zweifel die ganze Nacht hier geschlafen hätte, wenn er nicht in Folge der weckenden Stimme von Frau Varden, welche nach einer Pause von etwa fünf Minuten erscholl, wieder aufgefahren wäre.

»Wenn ich je einmal guter Laune bin,« sagte Frau Varden – nicht schmählend, sondern in einer Art eintönigen Verweises – »wenn ich je einmal heiter bin, wenn ich je einmal mehr als gewöhnlich geneigt bin, gemüthlich zu plaudern, so werde ich in dieser Weise behandelt.«

»Und wie aufgeräumt Ihr noch vor einer halben Stunde waret, Madame,« rief Miggs. »Eine solche Geselligkeit sehe ich in meinem Leben nicht wieder.«

»Weil ich mir keine Einmengungen und Unterbrechungen erlaube,« sagte Frau Varden; »weil ich nie frage, ob Einer kommt oder geht; weil mein ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet ist, zu sparen, wo ich kann, und in diesem Hause zu arbeiten – deßhalb versucht man's, also mit mir umzugehen.«

»Martha,« entgegnete der Schlosser, der sich bemühte, so wach als möglich auszusehen, worüber hast du dich denn zu beklagen? Ich kam in der That mit dem Wunsche und dem Verlangen nach Hause, heiter zu seyn. Gewiß, du darfst es mir glauben.«

»Ueber was ich mich zu beklagen habe?« erwiederte sein Weib. »Ist es nicht etwas Herzbrechendes, einen Mann zu haben, der grämlich wird und einschläft, sobald er nach Hause kömmt – der Einem alle Warmherzigkeit zum Gefrieren bringt und kaltes Wasser über den häuslichen Herd gießt? Ist es nicht natürlich, wenn ich weiß, er geht wegen Angelegenheiten aus, für die ich mich eben so interessire, als irgend Einer, daß ich Alles wissen möchte, was vorgefallen ist, oder daß er es mir erzählen sollte, ohne mich vorher lange bitten und betteln zu lassen? Ist das natürlich oder nicht?«

»Es thut mir recht leid, Martha,« sagte der Schlosser. »Ich fürchtete in der That, du seyest nicht aufgelegt zu einem gemüthlichen Gespräche. Ich will dir ja Alles sagen – es kann mich nur freuen, meine Liebe.«

»Nein, Varden,« entgegnete sein Weib, mit Würde aufstehend. »Ich danke schönstens dafür. Ich bin kein Kind, das sich in dem einen Augenblick schlagen, in dem andern liebkosen läßt. Dafür bin ich ein wenig zu alt, Varden. Miggs, nehme Sie das Licht. Sie wenigstens kann heiter seyn, Miggs.«

Miggs, die sich bis auf diesen Augenblick in der tiefsten mitleidigen Trostlosigkeit befunden hatte, ging plötzlich in die möglichst denkbare Lebhaftigkeit über, warf dem Schlosser kopfschüttelnd einen Blick zu und leuchtete ihrer Gebieterin voran.

»Nun, wer würde es glauben,« dachte Varden, indem er achselzuckend seinen Stuhl näher an das Fenster schob,« daß dieses Weib je angenehm und lieblich seyn könnte? Und doch kann sie es. Aber meinetwegen; jeder Mensch hat seine Fehler, und ich will die ihrigen nicht zu strenge nehmen. Für so etwas hausen wir schon zu lange mit einander.

Er nickte wieder ein – nicht weniger angenehm vielleicht um seines verträglichen Temperamentes willen. Während seine Augen geschlossen waren, ging die Thüre, welche nach oben führte, theilweise auf, und ein Kopf kam zum Vorschein, der, als er des Schlummernden ansichtig wurde, hastig wieder zurückfuhr.

»Ich wollte,« murmelte Gabriel, der bei dem Geräusch erwachte und sich in dem Zimmer umsah; »ich wollte, daß Jemand die Miggs heirathete. Aber das ist unmöglich! Ich möchte doch wissen, ob es nicht irgend einen Tollhäusler gibt, der sie nähme.«

Dieß war jedoch eine so großartige Spekulation, daß er alsbald wieder eindosete und fortschlief, bis das Feuer ganz aufgezehrt war. Endlich raffte er sich auf, verschloß seiner Gewohnheit gemäß die Hausthüre doppelt, steckte den Schlüssel in seine Tasche und ging zu Bette.

Er hatte das dunkle Zimmer noch nicht lange verlassen, als der Kopf wieder zum Vorscheine kam und Sim Tappertit mit einer kleinen Lampe in der Hand eintrat.

»Was zum Teufel hatte er noch so spät hier zu thun?« murmelte Sim, in die Werkstatt tretend und sich auf der Esse niedersetzend. »Die halbe Nacht ist bereits um. Doch habe ich Ein Gutes diesem verwünschten, alten, rostigen Handwerke zu danken, und das ist, bei meiner Seele, dieses Stück Eisenwerk!«

Mit diesen Worten zog er aus der rechten Tasche seiner Kniehosen einen plumpen, großen Schlüssel, welchen er behutsam in das Schloß steckte, das sein Meister eben verwahrt hatte, und öffnete leise die Thüre. Sobald dieß geschehen war, steckte er dieses Produkt seiner geheimen Handwerksthätigkeit wieder in die Tasche, ließ die Lampe brennen, schloß die Thüre sorgfältig und geräuschlos, und schlich auf die Straße hinaus – eben so wenig beargwöhnt von dem Schlosser in seinem gesunden, tiefen Schlafe, als von Barnaby selbst in seinen gespenstigen Träumen.



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