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Eine kurze Pause herrschte in dem Prunkgemache des Maibaums, als Herr Haredale das Schloß untersucht, um sich zu überzeugen, daß die Thüre wirklich zu war; dann schritt er durch das dunkle Zimmer nach dem Orte; wo die spanische Wand einen kleinen Fleck von Licht und Wärme einschloß, und stellte sich plötzlich, ohne zu sprechen, dem lächelnden Gast vor.
Wenn in den Gedanken der Beiden nicht eine größere Sympathie lag, als in ihrer äußeren Erscheinung und Haltung, so mochte wohl ihre Zusammenkunft keineswegs eine sehr ruhige und angenehme seyn. Sie waren so ziemlich von gleichem Alter, in jedem anderen Betracht aber so unähnlich und verschieden, als nur möglicherweise zwei Menschen seyn konnten. Der Eine war ein sanftsprechender, zartgebauter, pünktlicher und eleganter Mann, der Andere derb und vierschrötig, nachlässig gekleidet, rauh und abgebrochen in seinem Benehmen, streng, und in seiner gegenwärtigen Stimmung abstoßend, sowohl in Blick, als in Sprache. Der Eine behielt ein ruhiges und gefälliges Lächeln bei, während ein finsteres Mißtrauen die Miene des Andern beschattete. Der neue Ankömmling schien in der That geneigt, in jedem Ton und jeder Geberde seinen entschiedenen Widerwillen und seine Feindseligkeit gegen den Mann an den Tag zu legen, den er zu besuchen gekommen war. Der Gast, welcher ihm empfing, mochte seinerseits empfinden, daß der Contrast zwischen ihnen ganz zu seinen Gunsten ausfiel, und sich heimlich darüber freuen, denn er benahm sich mit größerer Leichtigkeit, als je.
»Haredale,« sagte dieser Gentleman, ohne im mindesten Verlegenheit oder Rückhaltung blicken zu lassen, »ich bin sehr erfreut, Euch zu sehen.«
»Verschont mich mit Complimenten, die zwischen uns nicht am Orte sind,« versetzte der Andere mit der Hand abwehrend, »und sprechen wir uns unumwunden über das aus; was wir uns zu sagen haben. Ihr habt eine Zusammenkunft mit mir gewünscht. Hier bin ich. Warum stehen wir uns noch einmal Angesicht in Angesicht gegenüber?«
»Noch immer derselbe freie und trotzige Charakter, wie ich sehe!«
»Gut oder schlecht, Sir,« entgegnete der Andere, den Arm auf den Kaminsims stützend und einen stolzen Blick auf den im Armstuhl Sitzenden werfend, »ich bin derselbe, der ich immer war. Ich habe keine meiner alten Neigungen oder Abneigungen verloren, und mein Gedächtniß ist nicht um ein Haar breit schwächer geworden. Ihr habt um diese Zusammenkunft nachgesucht. Ich sage noch einmal, hier bin ich.«
»Unsere Zusammenkunft, Haredale,« sagte Herr Chester, indem er auf seine Schnupftabaksdose klopfte und lächelnd der ungeduldigen Bewegung folgte, welche der Andere – vielleicht unwillkührlich – gegen sein Schwert machte, »trägt hoffentlich den Charakter einer freundlichen Besprechung?«
»Ich bin Eurem Verlangen gemäß hieher gekommen,« erwiederte der Andere, »weil ich mich für verpflichtet halte, Euch entgegenzutreten, wann und wo Ihr wollt. Meine Absicht ist nicht, glatte Worte und hohle Erklärungen auszutauschen. Ihr seyd ein geschmeidiger Weltmann, Sir, und in einem solchen Spiele bin ich im Nachtheil. Ich versichere Euch, Herr Chester wäre der letzte Mann auf Erden, gegen den ich einen Kampf mit höfischen Complimenten und maskirten Gesichtern beginnen möchte. Solchen Waffen bin ich nicht gewachsen und glaube jedenfalls, daß es wenige Menschen sind.«
»Ihr erweist mir viele Ehre, Haredale,« versetzte der Andere in ruhiger Fassung, »und ich danke Euch. Ich will offen gegen Euch seyn –«
»Ich bitte um Verzeihung – was wollt Ihr seyn?«
»Offen – frei – vollkommen aufrichtig.«
»Ha!« rief Herr Haredale; mit einem sarkastischen Lächeln auffahrend. »Doch ich will Euch nicht unterbrechen.«
»Ich bin so entschlossen, diesen Weg einzuhalten,« entgegnete Herr Chester, mit großer Bedächtlichkeit seinen Wein kostend, »daß ich mir fest vorgenommen habe, keinen Streit mit Euch anzufangen, und eben so wenig mich durch einen warmen Ausdruck oder ein vorschnelles Wort hinreißen zu lassen.«
»Da habt Ihr ebenfalls wieder einen großen Vortheil vor mir,« sagte Herr Haredale. »Eure Selbstbeherrschung –«
»Ist nicht zu bewältigen, wenn sie meinen Zwecken dienen soll, wollt Ihr sagen« – entgegnete der Andere, ihn mit der gleichen Selbstgefälligkeit unterbrechend.
»Zugegeben. Ich räume es ein.«
»Und sie soll jetzt meinen Zwecken dienen. Auch bei Euch ist es der Fall. Ich bin überzeugt, Eure Absicht ist die gleiche. Verfolgen wir sie, wie verständige Männer, die schon geraume Zeit aufgehört haben, Knaben zu seyn. – Mögt Ihr trinken?«
»Mit meinen Freunden,« antwortete der Andere.
»Wenigstens werdet Ihr doch Platz nehmen wollen?« sagte Herr Chester.
»Ich will an diesem verfallenen und zum Bettler gewordenen Herde stehen,« erwiederte Herr Haredale ungeduldig, »und so gesunken er auch ist, ihn nicht durch Possen beflecken. Fahrt fort!«
»Ihr habt Unrecht, Haredale,« sagte der Andere, indem er seine Beine kreuzte und lächelnd sein Glas gegen die helle Flamme hielt. »Ihr habt in der That sehr Unrecht. Die Welt ist ein gehörig lebhafter Ort; in welchem wir uns nach den Umständen fügen – so glatt als möglich mit dem Strome schwimmen und uns begnügen müssen, den Schaum für Wesen, die Oberfläche für die Tiefe und die falsche Münze für ächte zu nehmen. Es wundert mich, daß noch kein Philosoph den Satz aufgestellt hat, unsere Erde selbst sey hohl. Sie sollte es seyn, wenn anders die Natur in ihren Werken consequent bleiben will.«
»So meint Ihr vielleicht?«
»Ich möchte sagen, daß da kaum ein Zweifel obwalten kann,« entgegnete Herr Chester, seinen Wein schlürfend. »Gut; wir in unserem Spielen mit diesem klingenden Tande haben das Unglück gehabt, an einander anzustoßen und uns zu verfeinden. Wir sind nicht, was die Welt Freunde nennt; demungeachtet aber sind wir so gute, treue und liebevolle Freunde, als im Durchschnitt neun oder zehn von denen, welchen man diesen Titel beilegt. Ihr habt eine Nichte und ich einen Sohn – einen hübschen Jungen, Haredale, aber thöricht. Sie verlieben sich in einander und gehen, wie es dieselbe Welt nennt, ein gegenseitiges Verhältniß ein, indem sie sich dabei etwas ebenso Geträumtes und Unwahres denken, wie alles Uebrige, das, wenn man ihm Zeit läßt, wie eine Wasserblase platzt. Aber für sie wird die Zeit vielleicht, oder wohl gar sicherlich nicht kommen, wenn man sie gewähren läßt – und nun frägt sich's, sollen wir Zwei, weil uns die Welt Feinde nennt, von Ferne zusehen, wie sie sich in die Arme fliegen; wenn wir durch eine gegenseitige vernünftige Verständigung, die ich jetzt herbeiführen möchte, es verhindern und das Pärchen trennen können?«
»Ich liebe meine Nichte,« sagte Herr Haredale nach einem kurzen Schweigen, »Es klingt vielleicht seltsam in Euren Ohren, aber ich liebe sie.«
»Seltsam, mein Bester?« rief Herr Chester, langsam sein Glas wieder füllend und seinen Zahnstocher herausnehmend. »Nicht im Geringsten. Ich finde auch Gefallen an meinem Ned – oder, wie Ihr sagt, ich liebe ihn – denn so nennt man's unter so nahen Verwandten. Ich habe Ned sehr lieb. Er ist ein erstaunlich guter Junge, und ein hübscher Junge – freilich noch schwach und thöricht, aber das ist alles. Doch jetzt handelt sich's darum; Haredale, – denn ich will offen seyn, wie ich gleich anfangs sagte – abgesehen von dem Widerwillen, den wir Beide gegen eine wechselseitige Verwandtschaft haben mögen; und unabhängig von unserer religiösen Meinungsverschiedenheit – und hol' mich der Henker, das ist wichtig genug – in keinem Falle kann ich eine solche Marriage zugeben. Sie paßt weder für Ned, noch für mich. Eine reine Unmöglichkeit!«
»Bei Gott; Ihr müßt Eure Zunge zügeln, wenn diese Unterhaltung fortdauern soll,« entgegnete Herr Haredale finster. »Ich habe gesagt, daß ich meine Nichte liebe. Glaubt Ihr, daß ein Mann, der sie liebt, ihr Herz an einen Menschen wegwerfen kann, in dessen Adern Euer Blut fließt?«
»Ihr seht,« sagte der Andere, ohne sich im mindesten stören zu lassen, »welche Vortheile ein freier und offener Ansichtentausch mit sich führt. Auf Ehre; ganz dasselbe, was ich noch beifügen wollte! Ich bin meinem Ned erstaunlich zugethan. In Wahrheit, ganz vernarrt in ihn – und selbst, wenn wir es über uns gewinnen könnten, uns wegzuwerfen, so fände sich schon hierin ein ganz unübersteigliches Hinderniß. – Ihr solltet aber doch etwas Wein trinken.«
»Merkt auf mich,« entgegnete Herr Haredale, herantretend und die Hand schwer auf den Tisch pressend, »wenn Jemand glaubt – oder nur zu denken wagt, daß ich in Wort oder That, oder auch nur im wildesten Traume, je die entfernteste Idee unterhielt, Emma Haredale begünstige die Bewerbung eines Mannes, der mit Euch verwandt ist – in irgend einer Weise – was frage ich darnach – so lügt er. Er lügt, und thut mir schon durch den Gedanken das schwerste Unrecht.«
»Haredale,« erwiederte der Andere; indem er gleichsam beifällig hin- und herrückte und gegen das Feuer nickte, »es ist außerordentlich männlich und in der That sehr großmüthig von Euch, daß Ihr Euch so schön und rückhaltlos gegen mich aussprecht. Auf mein Wort, dieß sind ganz meine Gefühle, nur mit mehr Kraft und Energie ausgesprochen, als ich es auszudrücken im Stande wäre. Ihr kennt meine träge Natur und werdet mir daher zuverlässig vergeben.«
»Zwar möchte ich auf die Gefahr hin, daß es meiner Nichte den Tod brächte, alle Gemeinschaft und jeden Verkehr zwischen ihr und Eurem Sohne schnell abschneiden,« sagte Haredale, der inzwischen im Zimmer auf- und abgegangen war; »aber doch wäre es mir lieber; wenn es mit Güte und Zartheit geschehen könnte. Ich habe mich einer Pflicht zu entledigen, die nicht recht im Einklange mit meinem Charakter steht, und aus diesen Grunde kömmt mir die unverholene Nachricht, daß ein Liebesverhältniß zwischen ihnen bestehe, von dem ich bis jetzt kaum eine Ahnung hatte, wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel.«
»Ich freue mich, mehr als ich aussprechen kann,« entgegnete Herr Chester äußerst geschmeidig, »einen so schönen Einklang mit meinen eigenen Gefühlen zu finden. Ihr erkennt also die Vortheile unserer Zusammenkunft. Wir verstehen einander und sind ganz einen Sinnes. Die Sache ist klar und vollständig erörtert, und wir wissen, welchen Weg wir einzuschlagen haben. – Warum wollt Ihr nicht den Wein Eures Nachbars kosten? Er ist in der That sehr gut.«
»Entschuldigt,« sagte Herr Haredale, »wer hat Emma oder Eurem Sohne Beihülfe geleistet? Wer sind ihre Zwischenträger und Agenten – kennt Ihr sie?«
»Alle die guten Leute hier herum – die ganze Nachbarschaft, glaube ich« erwiederte der Andere mit dem freundlichsten Lächeln. »Namentlich aber der Bote, den ich Euch heute sandte.«
»Der Verrückte? Barnaby?«
»Das überrascht Euch? Freut mich, denn mir ging es ebenso. Ja. Ich habe es von seiner Mutter – einer sehr anständigen Frau – von ihr habe ich in der That hauptsächlich erfahren; wie ernst die Sachen stünden; und so entschloß ich mich, heute herauszureiten und mich auf diesem neutralen Grunde mit Euch zu besprechen. – Ihr habt etwas an Körpermasse zugelegt; Haredale, aber Ihr seht ungemein gut aus.«
»Unser Geschäft wird jetzt, glaube ich; wohl zu Ende seyn,« sagte Herr Haredale mit dem Ausdrucke der Ungeduld, den er zu verbergen nicht der Mühe werth hielt; »verlaßt Euch auf mich; Herr Chester, es soll von Stunde an anders mit meiner Nichte werden. Ich will sie,« fügte er in dumpferem Tone bei, »bei ihrem weiblichen Herzen, ihrer Würde; ihrem Stolze, ihrer Pflicht fassen –«
»Das Gleiche will ich bei Ned thun,« entgegnete Herr Chester, indem er mit der Fußspitze einige abgesprungene Reißer in den Kamin zurückschob. »Wenn es noch irgend etwas Reelles in der Welt gibt; so muß man es in jenen ungemein schönen Gefühlen und in den natürlichen Pflichten finden, die zwischen Vater und Sohn bestehen. Ich will ihm mit allen moralischen und religiösen Gründen zusetzen. Ich werde ihm vorstellen, daß wir es unmöglich thun können – daß ich immer hoffte, ihn gut verheirathet zu sehen, um selbst für den Herbst meines Lebens anständig versorgt zu seyn – daß es einen großen Haufen bellender Hunde zu bezahlen gibt, deren Ansprüche vollkommen gerecht und billig sind, und die von dem Vermögen seines Weibes befriedigt werden müssen; – kurz, daß die höchsten und ehrenvollsten Gefühle unserer Natur, mit besonderer Rücksicht auf kindliche Pflicht und Liebe, und was dergleichen alles ist, gebieterisch die Entführung einer Erbin von ihm verlangen.«
»Damit ihr so schnell als möglich das Herz breche?« entgegnete Herr Haredale, seine Handschuhe anziehend.
»Das steht ganz zu Ned's Belieben,« erwiederte der Andere, seinen Wein schlürfend, »es ist ganz seine Sache. Bis auf einen gewissen Punkt möchte ich mich um keine Welt in die Angelegenheiten meines Sohnes mengen, Haredale. Ihr wißt, Verwandtschaft zwischen Vater und Sohn ist ein entschieden heiliges Band. Wollt Ihr Euch denn gar nicht überreden lassen, ein Glas Wein anzunehmen? Nun, nach Belieben, nach Belieben,« fügte er bei; indem er sich selbst zu einem neuen verhalf.
»Chester,« sagte Herr Haredale nach einem kurzen Schweigen, während dessen er von Zeit zu Zeit das lächelnde Gesicht seines Gefährten aufmerksam betrachtet hatte, »Ihr habt den Kopf und das Herz eines bösen Geistes in allem, wo es sich um Hinterlist handelt.«
»Eure Gesundheit,« entgegnete der Andere mit einem Kopfnicken. »Aber ich habe Euch unterbrochen.«
»Wenn wir nun Schwierigkeiten finden sollten,« fuhr Herr Haredale fort, »diese jungen Leute zu trennen und ihren Verkehr abzubrechen – wenn Ihr zum Beispiel Eurerseits Schwierigkeiten finden solltet, welchen Weg gedenkt Ihr einzuschlagen?«
»Nichts ist klarer, mein Bester, nichts leichter,« antwortete der Andere, die Achseln zuckend und sich gemächlich vor dem Feuer ausstreckend. »Ich werde dann diejenigen Gaben anwenden, deren Ihr eben so schmeichelhaft erwähnt habt – obgleich ich, auf mein Wort, Eure Complimente nicht in dieser vollen Ausdehnung verdiene – und zu einigen kleinen, ordinären Nothbehelfen meine Zuflucht nehmen, um Eifersucht und Groll zu wecken. Begreift Ihr?«
»Mit einem Worte, um die Mittel durch den Zweck zu rechtfertigen, sollen wir als letzten Ausweg, um sie auseinander zu reißen, unsere Zuflucht zu Verrath und Lüge nehmen?« sagte Herr Haredale.
»O mein Gott; nein. Pfui, pfui!« entgegnete der Andere, indem er sich eine Prise Schnupftabak außerordentlich schmecken ließ. »Keine Lüge. Nur ein Bischen Schlauheit, ein Bischen Diplomatik, ein Bischen Intrigue, das ist das rechte Wort.«
»Es wäre mir lieb,« sagte Herr Haredale, der im Zimmer auf- und abging, dann Halt machte und wieder zu gehen anfing, wie ein Mann, dem nicht wohl bei einer Sache zu Muth ist; »wenn man all' dieß hätte voraussehen und verhindern können. Aber nun es so weit gekommen und die Nothwendigkeit des Handelns eingetreten ist, so führt es zu Nichts, zurückzubeben oder zu bedauern. Wohlan, ich will Euch in Euren Bemühungen nach Kräften unterstützen. So gibt es doch wenigstens Einen Punkt in dem ganzen weiten Bereiche menschlicher Gedanken, über den wir einig sind. Wir wollen für einen gemeinsamen Zweck, aber Jeder für sich, thätig seyn. Hoffentlich ist es nicht nöthig, daß wir uns wiedersehen.«
»Ihr wollt gehen?« entgegnete Ehesten mit graziöser Gleichgültigkeit aufstehend. »Erlaubt, daß ich Euch die Treppe hinunter leuchte.«
»Bitte, behaltet Euren Sitz,« erwiederte der Andere trocken; »ich kenne den Weg.«
So mit der Hand leicht abwehrend und den Hut aufsetzend, wandte er sich um, ging klirrend, wie er gekommen war, fort, drückte die Thüre hinter sich zu und polterte die wiederhallenden Treppen hinunter.
»Pah! in der That ein sehr ungehobeltes Thier!« sagte Herr Chester, indem er sich's in seinem Armstuhl wieder bequem machte. »Ein grobes Vieh. Ein wahrer Dachshund in Menschengestalt.«
John Willet und seine Freunde, die in größter Spannung dem Schwertergeklirr und dem Knallen der Pistolen in dem großen Zimmer entgegenharrten und sich in der That schon in der Ordnung aufgestellt hatten, in welcher sie bei dem ersten Hülferuf hinaufeilen wollten – der alte John hatte sich vorsichtig die letzte Stelle in dieser Prozession vorbehalten – waren insgemein erstaunt, als sie sahen, wie Herr Haredale unzerfetzt herunterkam, nach seinem Pferde rief und gedankenvoll auf einem Fußpfade von hinnen ritt. Nach einiger Ueberlegung kam man zu dem Schlusse, er habe den Herrn oben für todt liegen lassen und diese Kriegslist benützt, um Argwohn oder Verfolgung abzuwenden.
Da jedoch diese Folgerung die Nothwendigkeit in sich schloß; sich unverzüglich hinauf zu begeben, so waren sie eben im Begriffe, in der früher festgesetzten Ordnung ihre Prozession zu beginnen, als plötzlich ein rasches Klingeln, als würde heftig an der Glocke für die Gäste gezerrt, ihre Spekulationen über den Haufen warf und sie in große Ungewißheit und Zweifel versetzte. Endlich ließ sich Herr Willet bewegen, unter dem Geleite von Hugh und Barnaby, die dem Ansehen nach die Stärksten und Kräftigsten waren und vorwenden sollten, sie kämen, um die Gläser abzuräumen, die Treppe hinauf zu gehen.
Unter dieser Bedeckung trat der tapfere, breitwangige John kühn in die Stube und nahm ohne Zittern den Befehl, einen Stiefelknecht beizuschaffen, entgegen. Als dieser jedoch gebracht war und Herr Willet dem Gaste seine breite Schulter zur Unterstützung lieh, konnte man bemerken, wie der Wirth sehr genau in die Stiefel, die er abziehen half, guckte und seine Augen viel weiter als gewöhnlich aufriß, offenbar, um dadurch seine Ueberraschung und Täuschung auszudrücken, weil er sie nicht voll Blut fand. Auch ersah er die Gelegenheit, den Herrn so genau als möglich zu untersuchen, in der Hoffnung; unterschiedliche Schießscharten an dessen Person zu entdecken, welche der Gegner hineingebohrt haben möchte. Da er jedoch nichts fand und im Laufe der Zeit bemerkte, daß sein Gast eben so ruhig und unverstört in der Stimmung sowohl, als im Anzuge war, wie den ganzen Tag über, so entsandte er endlich einen schweren Seufzer und begann zu glauben, daß diesen Abend kein Duell ausgefochten worden sey.
»Und nun, Willet,« sagte Herr Chester, »wenn das Zimmer wohl gelüstet ist, so will ich die Verdienste Eures berühmten Bettes versuchen.«
»Das Zimmer, Sir,« entgegnete John, das Licht aufnehmend, indem er Barnaby und Hugh zuwinkte, sie zu begleiten, falls der Herr unerwartet in Folge einer innerlichen Wunde ohnmächtig oder todt niedersinken sollte; »das Zimmer ist so warm, wie eine geröstete Brodschnitte in einer Kanne. Barnaby, nimm das andere Licht und gehe voran. Hugh, folge dem Herrn mit dem Armstuhl.«
In dieser Ordnung führte John – der noch immer in angelegentlicher Untersuchung das Licht ganz dicht an seinen Gast hielt, so daß er ihm bald außerordentlich warm um die Beine machte, bald seine Perücke in Brand zu stecken drohte, wobei er ohne Unterlaß sehr linkisch und verlegen um Verzeihung bat – die Gesellschaft nach dem besten Schlafgemache, welches beinahe eben so groß war, als das Zimmer, aus welchem sie so eben kamen. Hier stand – um der Wärme willen in der Nähe des Feuers aufgeschlagen – eine große, alte, gespenstige Bettstelle, mit verblichenem Brocatzeug behangen, während die geschnitzten Bettpfosten oben einen Federbusch zur Zierde hatten, der ehemals weiß gewesen war, jetzt aber wie ein Bahrtuch- und Leichenwagenschmuck aussah.
»Gute Nacht, meine Freunde,« sagte Herr Chester, der sich, nachdem er das Gemach von einem Ende zum andern betrachtet hatte, lächelnd in dem von seinen Begleitern an's Feuer gerückten Armstuhle niederließ. »Gute Nacht! – Barnaby; mein guter Bursche; du sprichst doch hoffentlich dein Nachtgebet, ehe du zu Bette gehst.«
Barnaby nickte mit dem Kopfe.
»Er schwatzt wohl einigen Unsinn, den er beten heißt, Sir,« erwiederte der alte John dienstfertig. »Ich fürchte aber, es ist nicht viel Gutes dahinter.«
»Und Hugh?« sagte Herr Chester, sich an diesen wendend.
»Ich nicht,« antwortete er. »Ich kenne das seinige« – auf Barnaby deutend – »es ist gut genug. Er singt es bisweilen im Stroh. Ich höre zu.«
»Er ist ganz ein Vieh, Sir,« flüsterte ihm John mit Würde in's Ohr. »Ihr müßt's ihm zu gut halten, Sir. Wenn er überhaupt eine Seele hat, so muß sie jedenfalls sehr klein seyn, so daß nicht viel daran liegt, was er in dieser Hinsicht thut oder unterläßt. Gute Nacht, Sir.«
Der Gast erwiederte mit einer Wärme– die eigentlich rührend war: »Gott behüte Euch!« John aber winkte seinen Garden, voranzugehen, kratzfußte sich aus dem Zimmer und überließ Herrn Chester der Ruhe in dem alterthümlichen Bette des Maibaums.