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Gashford verfügte sich mit lächelndem Gesichte, aber noch immer mit der Miene der tiefsten Unterwürfigkeit und Ergebenheit, nach dem Zimmer seines Gebieters, unterwegs die Haare glättend und einen Psalm summend. Als er sich der Thüre von Lord Georges Schlafgemach näherte, räusperte er sich und summte ein wenig kräftiger.
In diesem Augenblick sprach sich ein merkwürdiger Gegensatz in der Beschäftigung dieses Menschen und in dem eigenthümlich abstoßenden und malitiösen Zuge auf seinem Gesichte aus. Seine vorspringende Stirne bedeckte die Augen beinahe völlig; seine Lippe war verächtlich aufgeworfen, und sogar seine Schultern schienen höhnisch den großen, niederhängenden Ohren zuzuflüstern.
»Bst!« murmelte er leise, als er zur Thüre hineinschaute. »Er scheint zu schlafen. Gebe der Himmel, daß es so ist! Zu viel Wachen, zu viel Sorgen, zu viel Denken. – Ah! der Herr erhalte ihn für die Märtyrerkrone! Er ist ein Heiliger, wenn je ein Heiliger auf dieser schlimmen Erde geathmet hat.«
Er stellte das Licht auf den Tisch, ging auf den Zehen nach dem Feuer, setzte sich, den Rücken gegen das Bett gewandt, auf einen davor stehenden Stuhl und sprach in der Weise eines Lautdenkenden vor sich hin:
»Der Retter seines Vaterlandes und der Vaterlandsreligion, der Freund seiner armen Landsleute, der Feind der Stolzen und Hohmüthigen; geliebt von den Verstoßenen und Unterdrückten, angebetet von vierzigtausend kühnen und loyalen englischen Herzen – welch einen glücklichen Schlummer muß er haben!«
Dabei seufzte er, wärmte sich die Hände, schüttelte, wie in der Ueberfülle seines Herzens, den Kopf, seufzte abermals und wärmte sich aufs Neue die Hände.
»Ei, Gashford?« sagte Lord George, der in hellem Wachen, auf die Seite gedreht, da lag und ihn seit seinem Eintreten nicht aus dem Auge gelassen hatte.
»My – Mylord,« rief Gashford, zusammenfahrend und wie in großer Ueberraschung umschauend. »Ich habe Euch geweckt.«
»Ich schlief noch nicht.«
»Ihr schlieft nicht?« entgegnete er in erkünstelter Verwirrung. »Wie kann ich mich entschuldigen, daß ich in Eurer Anwesenheit Gedanken laut werden ließ – doch sie waren aufrichtig – sie waren aufrichtig!« rief der Sekretär, indem er mit seinem Aermel rasch über die Augen fuhr; »und warum sollte ich bedauern, daß Ihr zugehört habt?«
»Gashford,« versetzte der arme Lord, indem er in augenscheinlicher Rührung die Hand nach ihm ausstreckte. »Ihr braucht es nicht zu bedauern. Ich weiß, Ihr liebt mich – vielleicht nur zu sehr. Ich verdiene eine solche Verehrung nicht.«
Gashford antwortete nicht, sondern ergriff die dargebotene Hand und drückte sie an seine Lippen. Dann stand er auf, nahm aus dem Mantelsacke ein kleines Pult, das er auf einen neben dem Kamine stehenden Tisch setzte, schloß es mit einem Schlüssel, den er in seiner Tasche trug, auf, setzte sich davor nieder, nahm eine Feder heraus und saugte zuvor daran, ehe er sie in das Dintenfaß tauchte – vermuthlich, um seinen Mund in die gewöhnlichen Falten zu bringen, da noch immer ein Lächeln darauf lauerte.
»Wie steht es mit unserer Anzahl seit unserer letzten Werbenacht?« fragte George. »Sind wir wirklich vierzigtausend Mann stark, oder sprechen wir noch immer in runder Zahl, wenn wir die Association zu diesem Belauf annehmen?«
»Die Gesammtsumme übersteigt nunmehr die Vierzigtausend um dreiundzwanzig,« versetzte Gashford, einen Blick auf seine Papiere werfend.
»Die Fonds?«
»Haben sich nicht sehr vermehrt; aber doch ist's einiges Manna in der Wüste, Mylord. Hm! Am Freitag Abend liefen die Scherflein der Wittwen ein. ›Vierzig Gassenkehrer, drei Schillinge und vier Pence. Ein alter Kirchenstuhlöffner aus dem St. Martins-Sprengel, sechs Pence. Ein Glöckner der Staatskirche, sechs Pence. Ein neugeborenes protestantisches Kind, einen halben Penny. Die vereinigten Fackeljungen, drei Schillinge, darunter einen falschen. Die antipapistischen Gefangenen in Newgate, fünf Schillinge und vier Pence. Ein Freund in Bedlam, eine halbe Krone. Dennis, der Henker, einen Schilling.‹«
»Dieser Dennis,« sagte seine Herrlichkeit, »ist ein eifriger Mann. Ich bemerkte ihn letzten Freitag unter dem Gedränge in der Welbeckstraße.«
»Ein guter Mann,« versetzte der Sekretär; »kräftig, aufrichtig und wahrhaft eifrig.«
»Man muß ihn ermuthigen,« sagte Lord George. »Macht ein Notabene zu dem Namen Dennis. Ich will mit ihm sprechen.«
Gashford gehorchte und fuhr fort, seine Liste abzulesen:
»›Die Freunde der Vernunft, eine halbe Guinee. Die Freunde der Freiheit, eine halbe Guinee. Die Freunde des Friedens, eine halbe Guinee. Die Freunde der Barmherzigkeit, eine halbe Guinee. Die Freunde der christlichen Menschenliebe, eine halbe Guinee. Die verbündeten Zurückdenker an die blutige Maria, eine halbe Guinee. Die vereinigten Bullenbeißer, eine halbe Guinee.‹«
»Die vereinigten Bullenbeißer,« sagte Lord George, an den Nägeln beißend, »sind eine neue Gesellschaft – nicht wahr?«
»Vormals die Lehrlingsritter, Mylord. Da die Lehrbriefe der alten Mitglieder allmälig abgelaufen waren, so wechselten sie, scheint es, den Namen, obgleich sie noch immer Lehrlinge sowohl, als Arbeiter unter sich haben.«
»Kennt Ihr den Namen ihres Präsidenten?« fragte Lord George.
»Präsident ist –« fuhr Gashford, weiter lesend, fort – »Herr Simon Tappertit.«
»Ich entsinne mich seiner. Der kleine Mann, der hin und wieder eine ältliche Schwester in unsere Versammlungen bringt, bisweilen auch ein anderes Frauenzimmer, die ohne Zweifel auch zu den Gläubigen gehört, aber von der Natur etwas verwahrlost ist?«
»Derselbe, Mylord.«
»Tappertit ist ein eifriger Mann,« sprach Lord George nachdenkend. »Meint Ihr nicht, Gashford?«
»Gehört unter die allereifrigsten, Mylord. Er wittert den Kampf schon von ferne, wie ein Schlachtroß. Auf der Straße wirft er seinen Hut in die Höhe, als wäre der Geist über ihn gekommen, und außerdem hält er von den Schultern seiner Freunde aus höchst ergreifende Reden.«
»Macht ein Notabene zu Tappertit,«sagte Lord George Gordon. »Wir können ihn auf einen wichtigen Posten vorrücken lassen.«
»Dieß,« entgegnete der Sekretär, so bald er den Befehl erfüllt hatte, »ist alles – mit Ausnahme des Betrags von Frau Vardens Büchse (schon zum vierzehntenmal geöffnet), sieben Schillinge, sechs Pence in Silber und Kupfer, und eine halbe Guinee in Gold; auch von Miggs (als Ersparniß von dem Vierteljahrslohn), einen Schilling und drei Pence.«
»Miggs,« sagte Lord George. »Ist das eine Mannsperson?«
»Der Name ist in der Liste als der eines Weibes eingetragen,« versetzte der Sekretär. »Ich glaube, es ist die lange, magere Frauensperson, die Mylord eben als von der Natur verwahrlost bezeichnet hat, und die bisweilen in die Erbauungsstunden kömmt – mit Tappertit und Frau Varden.«
»So ist wohl Frau Varden die ältliche Dame, nicht wahr?«
Der Sekretär nickte und rieb sich die Nase mit der Fahnenwurzel seiner Feder.
»Sie ist eine eifrige Schwester,« sagte Lord George. »Ihre Kollecte geht gut von Statten und wird mit Nachdruck fortgesetzt. Hat sich ihr Mann angeschlossen?«
»Er ist ein Uebelgesinnter,« entgegnete der Sekretär, seine Papiere zusammenfaltend. »Unwürdig eines solchen Weibes. Er verharrt in der tiefsten Verstockung und weigert sich entschieden.«
»Mögen die Folgen über sein eigenes Haupt kommen. – Gashford!«
»Mylord!«
»Ihr glaubt doch nicht –« er wandte sich während dieser Worte in seinem Bette um,« daß mich diese Leute verlassen werden, wenn die Stunde kömmt? Ich habe kühn für sie gesprochen, viel gewagt, nichts unterdrückt. Sie werden doch nicht abfallen – was meint Ihr?«
»Steht durchaus nicht zu befürchten, Mylord,« sagte Gashford mit einem bedeutungsvollen Blicke, der eher einen unwillkürlichen Ausdruck seiner Gedanken, als eine Bestätigung seiner Worte in sich faßte, denn Lord George hatte sein Gesicht abgewandt. »Seyd versichert, so etwas ist nicht zu fürchten.«
»Auch nicht, daß sie« – seine Bewegungen wurden jetzt noch unruhiger, als zuvor – »doch es kann ihnen ja keinen Schaden bringen, daß sie sich zu diesem Zwecke vereinigen. Das Recht ist auf unserer Seite, obgleich wir die Macht gegen uns haben. Ihr seyd aber doch davon überzeugt, wie ich – ehrlich gesprochen, seyd Ihr's?«
Der Sekretär wollte eben mit einem: »Ihr zweifelt doch nicht« anfangen, als ihm der Lord in's Wort fiel und erwiederte:
»Zweifeln? Nein. Wer spricht von Zweifeln? Wenn ich zweifelte, könnte ich wohl Verwandte, Freunde und Alles für dieses unglückliche Land zum Opfer bringen? Für dieses unglückliche Land,« rief er, indem er im Bette aufsprang und, nachdem er die Phrase, »für dieses unglückliche Land,« für sich selbst mindestens ein dutzendmal wiederholt hatte, fortfuhr: »Verlassen von Gott und den Menschen, preisgegeben einer gefährlichen Verbindung von papistischen Mächten – ein Raub der Verderbniß, des Götzendienstes und des Despotismus! Wer sagt, ich zweifle? Bin ich nicht berufen, erwählt und treu? Sagt mir – bin ich es, oder bin ich es nicht?«
»Im Auge Gottes, des Vaterlandes und vor Euch selbst,« rief Gashford.
»Ich bin es. Ich will es seyn. Ich sage noch einmal, ich will es seyn – bis auf's Hochgericht. Wer kann das von sich behaupten? Etwa Ihr? Oder irgend ein anderer Lebender?«
Der Sekretär neigte mit einem Ausdrucke vollkommener Zustimmung zu Allem, was Jener gesagt hatte oder sagen könnte, den Kopf, und Lord George sank allmälig auf sein Kissen zurück, um einzuschlafen.
Obgleich in seinem ungestümen Wesen, wenn man es mit seinem hageren und ungraziösen Aussehen zusammenhielt, etwas ungemein Possirliches lag, so hätte es doch keinem Mann von Gefühl ein Lächeln entrungen, oder wäre es auch wirklich der Fall gewesen, so würde es ihm sicherlich im nächsten Augenblicke leid gethan, oder er sich sogar geärgert haben, daß er diesem Impulse nachgab. Dieser Lord war eben so aufrichtig in seiner Heftigkeit, als in seinem Schwanken. Falscher Enthusiasmus und die Eitelkeit, ein Führer des Volks zu seyn, waren die schlimmsten Züge in seinem Charakter. Alles Uebrige war Schwäche – reine Schwäche, und es ist das unglückliche Loos durchaus schwacher Menschen, daß sogar ihre Sympathien, ihre Liebe und ihre Offenheit – Eigenschaften, die bei kräftigen Geistern Tugenden heißen – in schwächere zusammenschrumpfen oder geradezu Fehler werden.
Gashford blieb, über die Thorheit seines Gebieters kichernd und manchen schlauen Blick nach dessen Bette werfend, sitzen, bis der tiefe Athem des Lords ihn belehrte, daß er sich jetzt entfernen konnte. Er schloß das Pult, steckte es wieder in den Mantelsack (nicht aber, ohne zuvor aus einer geheimen Verkleidung zwei gedruckte Zettel genommen zu haben) und entfernte sich vorsichtig, im Abgehen noch nach dem blassen Gesichte des Schlummernden zurücksehend, über dessen Haupte die staubigen Federkronen des Maibaumbettes traurig und wehmüthig nickten, als bildeten sie einen Sargschmuck.
Er machte auf der Treppe Halt, um zu horchen, ob Alles ruhig sey, worauf er seine Schuhe abnahm, damit seine Fußtritte nicht irgend einen Leichtschläfer in der Nähe stören möchten. Dann stieg er in die Flur zu ebener Erde hinunter und steckte einen seiner Zettel unter die Hauptthüre des Hauses. Sobald dieß geschehen war, kroch er sachte nach seinem eigenen Schlafgemach zurück und ließ den andern, sorgfältig um einen Stein gewickelt, damit ihn der Wind nicht entführe, in den Hof hinunter fallen.
Die Zettel trugen auf der Rückseite die Adresse: »An jeden Protestanten, dem dieß in die Hände fallen sollte,« und lautete innen folgendermaßen:
»Männer und Brüder! Wer auch immer dieses Schreiben finden mag, der nehme es als einen Wink hin, sich ohne Verzug den Freunden des Lord George Gordon anzuschließen. Es sind große Dinge im Werden und die Zeit ist unruhig und gefahrvoll. Leset dieß mit Bedacht, haltet es rein und lasset es anderswo fallen. Für König und Vaterland. Die Union.«
»Weiterer Samen, weiterer Samen,« sagte Gashford, als er das Fenster schloß. »Wann wird die Ernte kommen!«