Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Hüllt man eine noch so ungeheuerliche oder lächerliche Sache in den Schleier des Geheimnisses, so begleitet man sie mit einem geheimen Zauber und einer Anziehungskraft, welcher die Menge nicht zu widerstehen vermag. Afterpriester, Afterpropheten, Afterdoctoren, falsche Patrioten und falsche Wunder aller Art haben, so lange sie geheimnißvoll fortschlichen, die Leichtgläubigkeit des Volks stets auf's Kläglichste ausgebeutet, und verdankten es vielleicht mehr diesem Umstande, als sonst einem Halbdutzend Items in der großen Liste der Betrügereien, daß sie eine Zeitlang über Wahrheit und gefunden Menschenverstand triumphirten. Neugierde ist und war seit der Schöpfung der Welt eine Hauptleidenschaft des Menschen. Sie zu wecken, sie nur ganz allmälig zu befriedigen und doch stets sich etwas vorzubehalten, dieß ist der sicherste Hebel, mit dem man bei dem nicht denkenden Theile der Menschheit schlechte Zwecke verfolgen kann.

Hätte Jemand auf der Londonbrücke gestanden und den Vorübergehenden, bis er heiser gewesen, zugerufen, sie sollten sich Lord George Gordon anschließen – namentlich für einen Zweck, den Niemand verstand, weil gerade hierin ein Hauptreiz liegt – so würde er vielleicht in einem Monat ein paar Dutzend Leute gewonnen haben. Wären alle eifrigen Protestanten öffentlich aufgefordert worden, einer Verbindung beizutreten, welche den ostensibeln Zweck hätte, etliche Psalmen zu singen, einige gleichgültige Reden anzuhören und schließlich eine Petition an das Parlament zu unterzeichnen, daß es keine Bill erlassen möge für Aufhebung der Strafgesetze gegen die katholischen Priester, der lebenslänglichen Gefängnißstrafe gegen Solche, welche Kinder in diesem Glaubensbekenntniß erzögen, der Unbefähigung aller Angehörigen der römischen Kirche, in dem vereinigten Königreich durch Kauf oder Vererbung Grundbesitz zu erwerben – lauter Dinge, an die sonst die Masse gar nicht denken würde – so hätte man vielleicht hundert Unterschriften zusammengebracht. Aber wenn unbestimmte Gerüchte gingen, daß in dieser protestantischen Association eine geheime Macht zu nicht näher bestimmten Zwecken gegen die Regierung aufträte; wenn man sich allenthalben von einer Verbindung und papistischen Gewalten zuflüsterte, die sich zum Ziele steckten, England herabzuwürdigen und in Fesseln zu schlagen, in London eine Inquisition einzuführen und die Hürden des Smithfieldmarktes in Marterpfähle und Feuerkessel umzuwandeln; wenn ein Schwärmer, der selbst nicht wußte, was er wollte, sowohl in, als außer dem Parlament unablässig Schrecken und Besorgnisse, die Niemand begreifen konnte, verbreitete und veraltete Popanze, die Jahrhunderte lang ruhig in ihren Gräbern gelegen hatten, heraufbeschwor, um den Unwissenden und Leichtgläubigen zu hetzen – wenn Alles dieß gewissermaßen im Dunkeln geschah und geheime Einladungen zum Anschluß an die protestantische Association für die Vertheidigung der Religion, des Lebens und des Eigenthums auf offener Straße gefunden, unter die Hausthüren gesteckt, zu den Fenstern hineingeworfen und bei nächtlicher Weile in die Hände einsamer Spaziergänger gesteckt wurden; wenn sie an jeder Mauer, an jedem Pfosten und Pfeiler klebten, so daß Stöcke und Steine von der allgemeinen Furcht angesteckt zu seyn schienen und alle Welt aufforderten, sich blindlings zum Widerstand gegen Etwas (sie wußten weder was noch warum) zu vereinigen – da griff der Wahnsinn allerdings um sich, und die Masse, die noch mit jedem Tag anschwoll, konnte auf vierzigtausend Mann erstarken.

So sagte wenigstens in diesem Monat März 1780 Lord George Gordon, der Präsident der Association. Ob es Thatsache war oder nicht, das wußten, oder darum bekümmerten sich nur Wenige. Es hatte nie eine öffentliche Demonstration stattgefunden; man hatte von der Verbindung kaum von jemand Anderem, als von ihm, etwas gehört; nirgends ließ sich etwas blicken, und so betrachtete man die Sache meist als die bloße Ausgeburt eines verwirrten Gehirns. Er war gewöhnt, immer großartig von ungeheuern Streitkräften zu sprechen – vermuthlich gespornt durch gewisse erfolgreiche Ruhestörungen, die sich ein Jahr zuvor hinsichtlich derselben Frage entsponnen hatten – und wurde allgemein blos als ein überhirntes Mitglied des Unterhauses betrachtet, das alle Partien angriff, es mit keiner hielt und daher nur sehr wenig berücksichtigt wurde. Man wußte, daß allenthalben eine mißvergnügte Stimmung herrschte – aber das war etwas Alltägliches. Es war schon früher seine Gewohnheit gewesen, sich über andere Fragen in Plakaten, Reden und Flugschriften an die Massen zu wenden, aber England hatte auf seine früheren Bemühungen nicht geachtet, und so befürchtete man auch von seinem dermaligen nichts. Gerade so, wie er eben vor dem Leser auftauchte, zeigte er sich von Zeit zu Zeit im Publikum und war mit einem Tage wieder vergessen. So plötzlich, als er nach einem Zwischenraume von fünf langen Jahren auf diesen Blättern erscheint, drängte in dieser Periode auch er und sein Treiben sich der Beachtung von Tausenden auf, welche diese ganze Zeit über auch nicht unthätig gewesen waren und, ohne taub oder blind gegen die Zeitereignisse zu seyn, kaum je zuvor an ihn gedacht hatten.

»Mylord,« flüsterte ihm Gashford zu, als er des andern Morgens zeitig die Vorhänge von seiner Herrlichkeit Ruhestätte auseinanderschlug; »Mylord!«

»Ja – wer ist das? Was gibt es?«

»Die Glocke hat Neun geschlagen,« entgegnete der Secretär mit andächtig gefalteten Händen. »Ihr habt doch wohl geruht? Ich hoffe, Ihr habt einen gesunden Schlaf gehabt. Wenn mein Gebet erhört wurde, so müßt Ihr in der That sehr gestärkt seyn.«

»Aufrichtig gestanden, ich habe so fest geschlafen,« entgegnete Lord George, die Augen ausreibend und sich im Zimmer umhersehend,« daß ich mich nicht ganz mehr erinnere – doch wo sind wir eigentlich?«

»Mylord!« rief Gashford mit einem Lächeln.

»O!« erwiederte sein Gebieter. »Ja. Ihr seyd also kein Jude?«

»Ein Jude?« rief der fromme Secretär, zurückfahrend

»Mir träumte, daß wir Juden wären, Gashford. Ihr und ich – wir Beide – Juden mit langen Bärten.«

»Gott behüte, Mylord! Wir könnten eben so gut Papisten seyn.«

»Das meine ich auch,« entgegnete der Andere sehr rasch. »He? Glaubt Ihr's wirklich auch, Gashford?«

»Zuverlässig,« rief der Secretär mit überraschten Blicken.

»Hum!« murmelte er. »Ja, das scheint vernünftig.«

»Ich hoffe, Mylord –« begann der Secretär.

»Ihr hofft?« entgegnete der Mylord, ihn unterbrechend. »Warum sagt Ihr, Ihr hofft? Es liegt kein Arg darin, an solche Dinge zu denken.«

»Im Traume allerdings nicht,« versetzte der Secretär.

»Im Traume gewiß nicht – aber auch nicht im Wachen.«

»› Berufen, erwählt und treu,‹« sagte Gashford, indem er Lord George's auf einem Stuhle liegende Uhr aufnahm und in der Zerstreuung die Inschrift auf dem Petschaft zu lesen schien.

Dieß war die möglichst leichte Andeutung, nicht gewaltsam seiner Beachtung sich aufdringend und offenbar blos das Ergebniß einer augenblicklichen, nicht der Rede werthen Geistesabwesenheit. Die Worte waren jedoch kaum ausgesprochen, als Lord George, der eben ungestüm werden wollte, inne hielt, roth wurde und verstummte. Dem Anscheine nach nicht auf diese Veränderung in dem Benehmen seines Gebieters achtend, trat der schlaue Secretär ein wenig bei Seite, um die Fensterblenden aufzuziehen, eigentlich aber, um dem andern Zeit zu gönnen, sich zu fassen, worauf er dann wieder zurückkehrte und folgendermaßen fortfuhr:

»Die heilige Sache macht wackere Fortschritte, Mylord. Ich war sogar in der letzten Nacht nicht müßig, und ließ, ehe ich zu Bette ging, zwei von den Zetteln fallen, die diesen Morgen beide fort sind. Niemand im Hause erwähnte derselben, oder wollte sie gefunden haben, obgleich ich mich eine volle Stunde drunten umtrieb. Verlaßt Euch drauf, einer oder zwei Rekruten werden die erste Frucht davon seyn; und wer kann sagen, wie viele noch folgen mögen, wenn der Segen des Himmels Eure begeisterten Bemühungen begleitet.«

»Es war von Anfang an ein famoser Kunstgriff,« versetzte Lord George, »ein vortrefflicher Kunstgriff, der in Schottland gute Dienste leistete. Er war ganz Eurer würdig. Ihr erinnert mich, nicht träge zu seyn, Gashford, während der Weinberg von Verwüstung bedroht ist und vielleicht von den Füßen der Papisten niedergetreten wird. Laßt in einer halben Stunde die Pferde bereit seyn. Wir müssen aufbrechen und handeln!«

Er sagte dieß mit höherem Roth und in einem so begeisterten Tone, daß der Secretär weiteres Drängen für unnöthig hielt und sich entfernte –

– »Träumte, er sey ein Jude,« sagte er gedankenvoll, als er die Thüre des Schlafzimmers geschlossen hatte. »Er kann's vielleicht noch so weit bringen, ehe er stirbt. Es sähe ihm wenigstens gleich. Nun, mit der Zeit, und vorausgesetzt, daß nichts dabei verloren geht, sehe ich nicht ein, warum mir diese Religion nicht so gut als irgend eine andere zusagen sollte. Es gibt reiche Leute  unter den Juden; das Rasiren ist sehr unbequem; – ja, ich würde mich wohl darein finden können. Vor der Hand müssen wir indeß bis auf's Mark hinein Christen seyn. Unser prophetisches Motto wird der Reihe nach für alle Glaubensbekenntnisse passen – das ist ein Trost.«

Ueber diese Quelle der Beruhigung Betrachtungen anstellend, gelangte er nach dem großen Zimmer und läutete um das Frühstück.

Lord George war rasch angekleidet (denn seine einfache Toilette bedurfte keines großen Zeitaufwandes), und da er eben so mäßig in seinen Mahlzeiten, als puritanisch in seinem Anzug war, so hatte er über seinen Antheil am Frühstück bald verfügt. Der Secretär jedoch, der den Genüssen dieser Welt mehr zugethan, oder vielleicht eifriger bemüht war, seine Kräfte und seinen Muth um der protestantischen Sache willen aufrecht zu erhalten, aß und trank bis auf den letzten Augenblick, so daß er in der That etlicher Erinnerungen von Seiten John Grueby's bedurfte, ehe er sich entschließen konnte, sich von Herrn Willet's reichen Vorräthen zu trennen. Endlich kam er, sich das fette Maul abwischend, die Treppe herunter, zahlte John Willet's Rechnung und kletterte in den Sattel. Lord George, der inzwischen, mit ernster Geberde ein Selbstgespräch haltend, vor dem Hause auf und ab gegangen war, stieg gleichfalls in den Sattel, erwiederte des alten Herrn Willet's stattliche Verbeugung, wie auch den Abschiedsgruß von einem Dutzend Müßiggängern, welche das Gerücht, daß ein lebendiger Lord im Begriffe sey, den Maibaum zu verlassen, um das Portal versammelt hatte, und ritt an der Seite seines Secretärs von hinnen, während der stämmige John Grueby den Nachtrab bildete.

Wenn Lord George Gordon in der Nacht schon Herrn Willet's Augen als ein Edelmann von sonderbarem Aeußeren vorgekommen war, so wurde dieser Eindruck am Morgen noch bestärkt und hundertmal vervielfältigt. Er saß bolzgerade auf seinem magern Roß, während ihm das lange und schlichte Haar im Winde um das Gesicht flatterte; seine Glieder waren eckig und starr, seine Ellenbogen standen anmuthlos zu beiden Seiten hinaus, und seine ganze Gestalt schütterte und hüpfte auf bei jedem Hufschlag seines Pferdes, so daß man sich kaum eine groteskere und weniger einnehmende Figur denken konnte. Statt einer Peitsche hatte er ein großes Rohr mit einem goldenen Knopf, wie man es heut zu Tage bei den Portiers sieht, in der Hand, und die verschiedenen Methoden, wie er diese unbequeme Waffe führte – bald aufrecht vor dem Gesichte, wie den Säbel eines Reiters, bald über der Schulter, wie eine Muskete, dann wieder zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen, aber immer linkisch und unbeholfen – trugen nicht wenig dazu bei, das Barocke seines Aeußern zu erhöhen. Steif, hager und feierlich, in einem ungewöhnlichen Anzuge, und – sey es nun absichtlich oder aus Zufall – das ganze Eigenthümliche seiner Haltung, seiner Geberden und seines Benehmens (worin er sich so ganz vor andern Leuten auszeichnete) schroff zur Schau stellend – hätte sich bei diesem Anblicke selbst der ernsteste Zuschauer eines Lachens nicht erwehren können, weßhalb denn auch das Lächeln und die leisen Scherzreden, womit der Abzug Seiner Herrlichkeit von dem Maibaum begrüßt wurde, sehr natürlich waren.

Der hervorgebrachten Wirkung übrigens ganz unbewußt, trabte er an der Seite seines Secretärs weiter, sich fast auf dem ganzen Weg in Selbstgesprächen ergehend, bis sie in den Bereich einer oder zweier Meilen von London kamen, wo ihnen hin und wieder ein Fußgänger begegnete, der den Lord von Angesicht kannte, ihn allenfalls einem Andern zeigte, und vielleicht stehen blieb, um ihm nachzuschauen, oder, sey es nun im Scherze, oder im Ernste, in dem Ruf: »Hurrah Geordie! Kein Pabstthum!« ausbrach, worauf er gewöhnlich ganz gravitätisch seinen Hut abzog und sich verbeugte. Als sie endlich die Stadt erreichten und durch die Straßen ritten, wurden diese Aufmerksamkeitsbezeugungen häufiger; einige lachten, andere zischten, einige wandten die Köpfe ab und lächelten, andere hätten wissen mögen, wer es wäre, während etliche unter Jubelrufen auf dem Pflaster neben ihm herrannten. Wenn sich dieß in einem Gedränge von Karren, Sänften und Kutschen zutrug, so pflegte er Halt zu machen und mit dem Rufe: »Gentlemen, kein Pabstthum!« den Hut abzuziehen, worauf die Gentlemen mit kräftigen Stimmen den Ruf neunmal wiederhallen ließen. Dann ritt er wieder weiter, ein, paar Dutzend des zerlumptesten Gesindels hinter seinem Pferde her, die sich ganz heiser schrieen.

Und dann die alten Damen – es gab sehr viele alte Damen in den Straßen, und viele kannten ihn. Einige davon – nicht gerade vom höchsten Rang, sondern Obstverkäuferinnen und Lastträgerinnen, schlugen ihre runzeligen Hände zusammen und ließen ein kreischendes, zirpendes, schrilles »Hurrah, Mylord!« erschallen. Andere winkten mit den Händen und Schnupftüchern, oder schüttelten ihre Fächer und Sonnenschirme, oder rissen die Fenster auf und riefen denen in der Stube zu, eiligst zu kommen und zu sehen. Alle diese Beweise der öffentlichen Achtung nahm er mit vieler Würde und Herablassung entgegen, machte sehr tiefe Complimente und zog seinen Hut so oft ab, daß er ihn eigentlich mehr in den Händen als auf dem Kopfe hatte. Dabei sah er nach den Häusern hinauf mit der Miene eines Mannes, der sich bewußt ist, einen öffentlichen Einzug zu halten, ohne jedoch stolz oder aufgeblasen zu seyn.

So ging es, zum unaussprechlichen Aerger von John Grueby, durch ganz Whitechapel, Leadenhall-Street und Cheapside nach dem St. Pauls-Kirchhof. Bei dieser Kathedrale angelangt, machte er Halt, sprach mit Gashford und blickte dann kopfschüttelnd an dem hohen Dom hinauf, als wollte er sagen: »die Kirche ist in Gefahr!« Nach solchen Vorgängen mußten freilich die Umstehenden auf's Neue ihre Kehlen in Thätigkeit setzen; und weiter zog er unter gewaltigem Zuruf des Pöbels und unter tieferen Bücklingen als je.

So durch den Strand, Swallow-Street hinauf in die Oxford-Straße und dann nach seiner Wohnung in Welbeck-Street bei Cavendish-Square, wohin ihm etliche Dutzend Müßiggänger folgten. Diese redete er von der Hausthürtreppe aus mit folgenden kurzen Scheideworten an: »Gentlemen, kein Pabstthum. Guten Tag. Gott behüte Euch!« Da man keine so kurze Anrede erwartet hatte, so wurde sie mit einigem Mißvergnügen und mit dem Ruf: »eine Rede! eine Rede!« aufgenommen, dem sicherlich auch entsprochen worden wäre, hätte nicht John Grueby, der mit allen drei Pferden, als er sie nach dem Stalle führte, einen wüthenden Angriff auf die Bande machte, sie gezwungen, sich nach den angränzenden Feldern zu zerstreuen, wo sie sich alsbald mit Münzeaufwerfen, Grübchenspiel, Gerade oder Ungerade, Hundehatzen und andern protestantischen Erholungen ergingen.

Nachmittags kam Lord George wieder zum Vorschein, in einen schwarzen Sammtrock und in Beinkleider und Weste von Gordonzeug (alles nach dem gleichen Quäcker-Schnitt) gekleidet. In dieser Tracht, worin er noch zehnmal sonderbarer und auffallender aussah, begab er sich zu Fuße nach Westminster. Gashford betrieb inzwischen die Geschäfte, mit denen er noch beschäftigt war, als kaum nach der Dämmerung Grueby eintrat und einen Besuch anmeldete.

»Laßt ihn hereinkommen,« sagte Gashford.

»Nun, so tretet ein!« brummte John einem Außenstehenden zu. – »Ihr seyd ein Protestant, nicht wahr?«

»Will's doch meinen,« versetzte eine tiefe, rauhe Stimme.

»Ihr seht mir darnach aus,« sagte John Grueby. »Ich würde Euch für einen solchen erkannt haben, wo ich Euch auch getroffen hätte.«

Mit dieser Bemerkung ließ er den Besuch ein, drückte die Thüre zu und entfernte sich.

Der Mann, welcher sich jetzt Gashford vorstellte, war eine, stämmige, gedrungene Figur mit niederer, zurücktretender Stimme, grobem, buschigem Haar, und so kleinen, nahe bei einander stehenden Augen, daß nur die zusammengedrückte Nase ihr Zusammenschmelzen in Eines von der gewöhnlichen Größe zu verhindern schien. Um den Hals hatte er ein schmutziges Schnupftuch strickartig geschlungen, so daß man die großen Adern deutlich sehen konnte: das Hinunterwürgen von heftigen Leidenschaften, Groll und Bosheit schien sie zu Fingersdicke angeschwellt zu haben. Sein Anzug bestand aus einem fadenscheinigen Velpelrock – verblichen, rostfarbig und weißlich-schwarz, etwa wie die Asche aus einer Tabakspfeife, oder von einem Kohlenfeuer, das bereits einen Tag erloschen ist, mit den Spuren mancher übernächtigen Schlemmerei besudelt und nach den Wohlgerüchen eines Bierhauses duftend. Statt der Beinkleiderschnallen trug er ungleiche Maschen von Packschnüren, und in den schmierigen Händen trug er einen Knotenstock, in dessen Knopf ein rauhes Abbild seines eigenen gemeinen Gesichtes geschnitten war. Dieß war der Besuch, der jetzt seinen dreieckigen Hut vor Gashford abzog und mit einem schielenden Seitenblicke der Anrede entgegensah.

»Ah! Dennis!« rief der Sekretär. »Setzt Euch.«

»Ich sehe Mylord da drunten –« rief der Mann, mit seinem Daumen nach der Richtung deutend, welche er meinte, »und er sagt mir, ›wenn Ihr gerade nichts zu thun habt, Dennis, so geht in mein Haus und discurirt mit Herrn Gashford.‹ Nun wißt Ihr wohl, daß ich natürlich jetzt nichts zu thun habe, denn dieß sind nicht meine Arbeitsstunden. Ha, ha! Ich erlustirte mich nur ein Bischen in der frischen Luft, wie mir Mylord begegnete; das war mein ganzes Geschäfte. Ich mache bei Nacht meine Prumnaden, wie die Eulen, Herr Gashford.«

»Und bisweilen auch bei Tage, he?« entgegnete der Sekretär – »wenn Ihr von Staatswegen ausgeht, meine ich.«

»Ha, ha!« brüllte der Kerl, sich auf das Bein schlagend; »das ist 'mal ein Schindelmän, der 'was Angenehmes auf 'ne angenehme Weise sagen kann. Da lob' ich mir Herrn Gashford vor allen andern in ganz London und Westminster! Mylord ist zwar auch nicht übel in diesem Stück, aber er ist nur ein Narr gegen Euch. Ha, gewiß – wenn ich von Staatswegen ausgehe.«

»Und Euren Wagen habt,« sagte der Sekretär; »und Euren Kaplan, he? und all das Uebrige?«

»Ihr seyd noch mein Tod,« rief Dennis, mit einem zweiten Gelächter, »wahrhaftig. Doch was gibt's jetzt im Hinterhalt, Herr Gashford, he?« fragte er mit heiserer Stimme. »Kriegen wir 'mal Auftrag, eine von denen papistischen Kapellen niederzureißen – oder was sonst?«

»Bst!« sagte der Sekretär, ein ganz leises Lächeln auf seinen Lippen spielen lassend. »Bst! Gott behüte uns, Dennis! Ihr wißt ja, wir verbinden uns zu ganz friedlichen und gesetzlichen Zwecken.«

»Der Tausend auch, warum sollt' ich's nicht wissen?« entgegnete der Mann, die Zunge in die Backen steckend; »ich bin doch zu 'nem Zwecke beigetreten – etwa nicht?«

»Ohne Zweifel,« sagte Gashford, mit seinem früheren Lächeln.

Und bei diesen Worten brüllte Dennis abermals hinaus, klopfte noch ungestümer auf sein Bein, und wollte vor Lachen fast ersticken; dann wischte er sich die Augen mit dem Zipfel seines Halstuches und rief :

»Herr Gashford gegen ganz England – halloh!«

»Lord George und ich, wir sprachen gestern Nacht von Euch,« sagte Gashford nach einer Pause. »Er meinte. Ihr wäret ein sehr eifriger Mann.«

»Na, das bin ich auch,« entgegnete der Henker.

»Und trüget einen aufrichtigen Haß gegen die Papisten?«

»Ja, das thu' ich,« und er bekräftigte diese Versicherung mit einem derben Fluche. »Schaut 'mal her, Herr Gashford,« fuhr der Kerl fort, indem er Hut und Stock auf den Boden legte und langsam mit den Fingern der einen Hand auf die Fläche der andern klopfte; »man muß bedenken, daß ich ein konstuzneller Beamter bin, der für seinen Lebensunterhalt arbeitet und seinem Beruf Ehre macht. Ist's so, oder nicht?«

»Ohne Frage.«

»Recht also. Haltet noch 'ne Minute. Meine Arbeit ist 'n' ächtes, protestantisches, konstuzuelles, englisches Geschäft. Hab' ich Recht, oder nicht?«

»Kein lebendiger Mensch kann das bezweifeln.«

»Und auch kein Todter nicht. Da sagt das Parlament – ›wenn irgend ein Mann, Weib oder Kind,‹ – sagt das Parlament, ›etwas thut, was gegen eine gewisse Zahl unserer Parlamentsakten geht‹ – wie viele Galgengesetze mag es wohl dermaleinst geben, Herr Gashford? Fünfzig?«

»Ich weiß nicht genau, wie viele,« versetzte Gashford, indem er sich gähnend in seinem Stuhle zurücklehnte; »jedenfalls ist die Zahl eine ziemlich große.«

»Nun, nehmen wir an, fünfzig. Das Parlament sagt: ›wenn irgend ein Mann, Weib oder Kind etwas thut gegen diese fünfzig Akten, so soll dieser Mann, dieses Weib oder dieses Kind von Dennis abgethan werden.‹ Ist dann am Ende der Sitzungen die Anzahl sehr groß, so kommt Georg der Dritte dazwischen und sagt: ›Die sind zu viel für Dennis. Ich will die Hälfte für mich behalten, und Dennis mag die andere Hälfte haben;‹ und manchmal wirft er auch einen zu mir herüber, den ich nicht erwartete, wie's vor drei Jahren war, als ich die Marie Toms kriegte, eine junge Weibsperson von neunzehn, die mit ihrem Kind an ihrer Brust nach Tyburn kam und abgethan wurde, weil sie ein Stück Tuch von einem Ladentisch in Ludgate-Hill nahm, und es wieder niederlegte, als es der Kaufmann sah; sie hatte vorher Niemand kein Leids nicht gethan und es nur ein einziges Mal probirt, weil ihr Mann drei Wochen vorher gepreßt wurde und ihr mit ihren zwei Kindern nichts übrig geblieben war, als zu betteln – wie sich's beim Verhör gezeigt hat. Ha, ha! – Nun! Da's einmal so Gesetz und Landesbrauch ist in England, so gereicht's auch zum Ruhm von England – oder nicht, Herr Gashford?«

»Allerdings,« sagte der Sekretär.

»Und in künftigen Zeiten,« fuhr der Henker fort, »wenn unsere Enkel 'mal an die ihrer Großväter zurückdenken und finden, daß es so ganz anders geworden, so werden sie sagen: ›das waren doch noch Zeiten, und wir seyn seitdem immer bergab gegangen.‹ – Werden sie nicht so sagen, Herr Gashford?«

»Ich zweifle nicht daran, daß es der Fall seyn wird,« entgegnete der Sekretär.

»Wohlan denn, schaut 'mal her,« sagte der Henker. »Wenn diese Papisten die Gewalt kriegen und fangen an zu sieden und zu braten, statt zu henken, was wird aus meinem Geschäft? Wenn sie meinem Geschäft Eintrag thun, das eine Hauptportion von so vielen Gesetzen ist, was wird aus den Gesetzen im Allgemeinen, was aus der Religion und was aus dem Vaterland werden? Seyd Ihr je in die Kirche gegangen, Herr Gashford?«

»Je?« wiederholte der Sekretär mit Unwillen; »natürlich.«

»Gut,« sagte der Schuft; »ich bin einmal – zweimal, wenn ich meine Taufe mitzähle – darin gewesen, und als ich hörte, daß man für das Parlament betete, und dran dachte, wie viele Hängegesetze es in seinen Sitzungen macht, so mußte ich wohl auch annehmen, daß man für mich betete. Merkt Euch also wohl, Herr Gashford,« fuhr der Kerl fort, indem er seinen Stock aufnahm und ihn mit wilder Geberde schüttelte, »mein protestantisches Geschäft darf nicht angerührt oder der jetzige protestantische Stand der Dinge auf irgend eine Weise geändert werden, wenn ich's hindern kann. Papisten sollen mit mir gar nichts zu thun haben, es sey denn, daß sie zu mir kommen, um sich auf gesetzlichem Wege abthun zu lassen. Es darf nichts da geben von Sieden, Rösten und Braten – nein, nichts als Hängen. Mylord kann mich wohl einen eifrigen Mann nennen. Um den großen protestantischen Grundsatz zu unterstützen, dem ich das Blühen meines Geschäfts verdanke, will ich« – und damit stieß er mit seinem Knittel auf den Boden – »Brand, Mord und Todtschlag begehen – Alles thun, was man mich heißt, wenn's nur recht keck und teuflisch ist – und ging's auch drauf hinaus, daß man mich selber henken thäte. – So, Herr Gashford!«

Auf eine gar geziemende Weise ließ er diesem häufigen Mißbrauche eines edlen Wortes zu den schnödesten Zwecken in einer Art von Wuth mindestens ein paar Dutzend der schrecklichsten Flüche folgen; dann wischte er sich das erhitzte Gesicht mit seinem Halstuch ab und rief: »Kein Pabstthum! ich bin ein religiöser Mann, bei Gott!«

Gashford hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und betrachtete den Andern mit so tief eingesunkenen und von den finstern Brauen beschatteten Augen, daß der Henker so wenig davon sehen konnte, als wäre er stockblind gewesen. Er verharrte noch eine Weile in einem lächelnden Schweigen und sagte dann langsam und nachdrücklich:

»Ihr seyd in der That ein eifriger Mann, Dennis – ein äußerst schätzbarer Bursche – der kräftigste in Euern Reihen. Aber Ihr müßt Euch beruhigen. Ihr müßt friedlich seyn, gesetzlich und mild, wie ein Lamm. Ich bin überzeugt, Ihr werdet Euch mäßigen können.«

»Ja, ja, wir werden sehen, Herr Gashford. Wir werden sehen. Ihr sollt nicht über mich zu klagen haben,« entgegnete der Andere, seinen Kopf schüttelnd.

»Ich bin überzeugt, daß dieß nicht der Fall seyn wird,« sagte der Sekretär in demselben milden Tone und mit dem gleichen Nachdruck. »Im nächsten Monat etwa, oder im Mai, wenn diese Papisten-Emancipations-Bill vor das Haus kommt, werden wir, glaube ich, zum ersten Mal unsere ganze Macht zusammenziehen müssen. Mylord gedenkt, uns in Procession durch die Straßen zu führen – nur als eine unschuldige Zurschaustellung unserer Streitkräfte – und so die Petition an der Thüre des Hauses der Gemeinen abzugeben.«

»Je bälder, desto besser,« entgegnete Dennis mit einem weiteren Fluche.

»Da unsere Zahl so groß ist, werden wir wohl in Abtheilungen aufziehen müssen; und ich glaube, behaupten zu dürfen,« fügte Gashford bei, indem er that, als hätte er die Unterbrechung nicht gehört, »obgleich mir hierüber noch keine bestimmten Instruktionen zugegangen sind – daß Lord George Euch als einen trefflichen Führer für einen dieser Haufen hält. Ich zweifle nicht, daß Ihr ausgezeichnet dazu passen würdet.«

»Stellt mich auf die Probe,« sagte der Kerl mit einem häßlichen Blinzeln.

»Ich weiß, Ihr würdet besonnen seyn,« fuhr der Sekretär fort, indem er noch immer lächelte und seine Augen in einer Weise hütete, daß er den Andern wohl beobachten, nicht aber wieder beobachtet werden konnte, »den Befehlen gehorsam und vollkommen gemäßigt. Ich bin überzeugt. Ihr möchtet Euren Trupp nicht in Gefahr stürzen.«

»Ich würde sie führen, Herr Gashford –« wollte der Henker eben frech anfangen, als sich Gashford vorwärts neigte, die Finger an seine Lippen legte und that, als ob er schriebe; dann aber wurde die Thüre von John Grueby geöffnet.

»Oh!« sagte John, hineinsehend. »Da ist wieder ein Protestant.«

»In ein anderes Gemach, John,« rief Gashford in seinem geschmeidigsten Tone. »Ich bin gegenwärtig beschäftigt.«

Aber John hatte den neuen Besuch bereits an die Thüre gebracht, und während der Sekretär also sprach, spazierte derselbe ungeheißen hinein, die Gestalt, das kecke Gesicht und den rauhen Anzug Hugh's unterscheiden lassend.



 << zurück weiter >>