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Sobald Herr Chester das Haus des Schlossers verlassen hatte, begab er sich nach einem Kaffeehause in Covent-Garden, wo er ein spätes Mahl einnahm, sich dabei behaglich die Posse seines kürzlichen Sieges in's Gedächtniß rufend und seiner großen Gewandtheit geheime Glückwünsche spendend. Unter dem Einflusse solcher Gedanken gewann sein Gesicht einen so wohlwollenden und ruhigen Ausdruck, daß der Kellner, der ihn bediente, für ihn fast in den Tod gegangen wäre und sich überzeugt hielt, ein solcher apostolischer Kunde sey mehr werth, als ein halbes Dutzend der gewöhnlichen Gäste, bis ihm endlich die Bezahlung der Rechnung und das sehr kleine Trinkgeld für die viele Mühe diesen Glauben benahm.
Auch den Spieltisch besuchte er nicht als ein erhitzter, ängstlicher Spieler, sondern als ein Mann, der sich darin gefällt, etliche Stücke Geld einzusetzen, um den Thorheiten der Gesellschaft zu huldigen, und mit gleichem Wohlwollen auf Gewinnende und Verlierende niederlächelt – und dieß war Ursache, daß er ziemlich spät zu Hause anlangte. Er pflegte seinen Diener zur gewöhnlichen Zeit zu Bette gehen zu lassen, wenn er ihm nicht bestimmte Gegenordre ertheilte, und verlangte dann nur, daß man ein Licht auf die gemeinschaftliche Treppe stellen solle. Auch befand sich eine Lampe in dem Stiegenhause, an welchem er, wenn er spät nach Hause kam, die Kerze anzünden konnte, und da er stets den Hausschlüssel bei sich trug, so konnte er heimkommen und zu Bette gehen, wie es ihm gerade beliebte.
Er nahm das Glas von der düstern Lampe ab, deren abgebrannter und wie die Nase eines Trunkenbolds aufgeschwollener Docht, sobald er mit der Kerze berührt wurde, in kleinen Karfunkeln abflog und glühende Funken umherstreute, so daß es etwas schwierig wurde, das dünne Wachslicht anzuzünden; und wie er noch damit beschäftigt war, vernahm er noch einige Stufen weiter oben ein Geräusch ähnlich dem tiefen Schnarchen eines Menschen, was ihn veranlaßte, Halt zu machen und zu horchen. Es war wirklich der schwere Athem eines ganz in der Nähe schlafenden Mannes – irgend eines Kerls, der sich auf der Treppe niedergelegt hatte und fest eingeschlummert war. Nachdem Herr Chester endlich die Kerze zum Brennen gebracht und seine eigene Thüre geöffnet hatte, stieg er sachte hinan, das Licht hoch über seinen Kopf haltend und sich vorsichtig umschauend, um zu sehen, wer sich wohl eine so unbehagliche Stelle zum Obdach auserlesen hätte.
Den Kopf auf den obersten Tritt gelegt und die langen Gliedmaßen über ein halbes Dutzend Stufen hinstreckend, so regungslos, als wäre es ein Todter, den betrunkene Träger haben fallen lassen – lag Hugh da, das Gesicht nach oben gerichtet, sein langes Haar wie Unkraut auf dem hölzernen Kissen hingestreut, während seine breite Brust sich bei jedem der Töne hob, die zu so ungewohnter Stunde die Ruhe des Ortes störten.
Herr Chester war eben im Begriffe, den Schläfer mit einem Fußtritte zu wecken, als er noch durch einen Blick nach dem in die Höhe gerichteten Gesichte aufgehalten wurde; er hielt die Hand vor das Licht, beugte sich nieder und betrachtete sich genau die Züge des Hingestreckten. So genau auch diese erste Besichtigung war, so schien sie ihm doch nicht zu genügen, denn er fuhr mit dem noch immer sorgfältig beschatteten Lichte etlichemal über das Gesicht des Schläfers, dasselbe mit spähendem Auge betrachtend.
Während er noch damit beschäftigt war, erwachte der Mann, ohne jedoch zusammenzufahren oder sich umzuwenden. Der plötzliche, feste Blick desselben trug etwas so Bannendes in sich, daß Herr Chester in seiner Verblüffung unmöglich die Augen abwenden konnte, sondern gleichsam gezwungen wurde, Hugh in's Gesicht zu sehen. So stierten sie sich gegenseitig eine Weile an, bis endlich Herr Chester das Schweigen unterbrach und den Andern mit gedämpfter Stimme fragte, warum er hier liege und schlafe.
»Ich meinte,« entgegnete Hugh, indem er sich zum Sitzen aufrichtete und noch immer nach ihm hinglotzte, »Ihr wäret ein Theil meines Traumes. Ich träumte von wunderlichen Dingen und hoffe, daß sie nie eintreffen werden, Herr.«
»Warum schauderst du?«
»Die – die Kälte, glaube ich« brummte er, indem er sich schüttelte und aufstand. »Ich weiß kaum, wo ich bin.«
»Kennst du mich?« fragte Herr Chester,
»Ah, freilich kenne ich Euch,« antwortete er. »Ich träumte von Euch – wir sind nicht, wo ich zu seyn glaubte. Das ist ein Trost.«
Er sah sich bei diesen Worten um, namentlich aber auch in die Höhe, als erwarte er halb, unter einem Gegenstande zu stehen, der ihm in seinem Traume vorgekommen war; dann rieb er sich die Augen aus, schüttelte sich abermal und folgte seinem Führer nach dessen Gemache.
Herr Chester zündete die Kerzen an, welche auf seinem Toilettentische standen, rückte seinen Armstuhl an das noch brennende Feuer, schürte es an, bis es luftig aufloderte, setzte sich vor demselben nieder und befahl seinem ungeschlachten Gaste heranzukommen und ihm die Stiefel auszuziehen.
»Du hast wieder einmal getrunken, mein feiner Bursche,« sagte er, als Hugh sich auf ein Knie niederließ und that, wie ihm geheißen worden.
»So wahr ich lebe, Meister, ich bin die zwölf langen Meilen gegangen und habe hier, weiß nicht wie lange gewartet, ohne seit dem Mittagessen auch nur einen Tropfen über die Lippen gebracht zu haben.«
»Und weißt du nichts Besseres zu thun, mein angenehmer Freund, als hier einzuschlafen und das ganze Gebäude mit deinem Schnarchen zu erschüttern?« entgegnete Herr Chester. »Kannst du nicht zu Hause auf deinem Stroh träumen, du dummer Hund, und mußt du zu diesem Ende hierher kommen? – Gib mir die Pantoffeln herüber und tritt leise auf.«
Hugh gehorchte schweigend.
»Und höre, mein artiger, junger Gentleman,« fuhr Herr Chester fort, als er sie angezogen hatte, »wenn du das nächstemal träumst, so träume nicht von mir, sondern allenfalls von einem Hund, oder einem Pferde, die eine bessere Bekanntschaft für dich sind. Fülle dir einmal das Glas – du wirst es nebst der Bouteille an dem bewußten Ort finden – und trink es aus, um dich wach zu erhalten.«
Hugh gehorchte abermals – sogar noch eifriger als zuvor und sobald er damit fertig war, stellte er sich vor seinen Gönner hin.
»Nun,« sagte Herr Chester, »was ist dein Begehr?«
»Es hat Neuigkeiten gegeben,« antwortete Hugh. »Euer Sohn war in unserem Hause – er ist hinausgeritten – und versuchte, das Frauenzimmer zu sehen, ohne ihr jedoch nahe kommen zu können. Er ließ einen Brief oder sonst einen Auftrag da, welchen unser Joe besorgen sollte; aber als Euer Sohn fort war, kriegten er und der Alte Streit miteinander, weil der Alte nicht wollte, daß die Sache besorgt werde. Er sagte (nämlich der Alte), daß Niemand von seinen Leuten sich darein mengen und ihn in Ungelegenheiten bringen solle. Er sey ein Wirth, sagte er, und müsse von Jedermanns Zuspruch leben.«
»Er ist ein Juwel,« lächelte Herr Chester, »und nur um so besser, weil er dumm genug ist, – Nun?«
»Vardens Tochter – das Mädchen, welches ich küßte –«
»– und der du auf des Königs Landstraße das Armband stahlst,« entgegnete Herr Chester gefaßt, »ja. Was ist mit ihr?«
»Sie schrieb in unserem Hause ein Billet an das junge Frauenzimmer, in welchem sie ihr sagte, sie habe den Brief (den ich Euch brachte, und den Ihr verbrannt habt) verloren. Unser Joe sollte es abgeben; und der Alte ließ ihn den ganzen nächsten Tag nicht aus dem Hause, so daß er es nicht besorgen konnte. Des andern Morgens sollte ich das Billet hintragen, und hier ist es.«
»Du hast es also nicht überliefert, mein guter Freund,« sagte Herr Chester, indem er Dolly's Billet zwischen seinen Fingern drehte und dabei sich ganz überrascht anstellte.
»Ich dachte, Ihr könntet es haben wollen,« versetzte Hugh. »Verbrennt man das Eine, so verbrennt man Alles, meinte ich.«
»Ei, mein verteufelter Freund,« entgegnete Herr Chester, »– in der That, wenn du nicht besser zu unterscheiden verstehst, so wird deine Laufbahn ein überraschend schnelles Ende nehmen. Weißt du nicht, daß der Brief, den du mir gebracht hast, an meinen Sohn gerichtet war, der hier wohnt? Und kannst du keinen Unterschied machen zwischen Briefen an ihn und Briefen an andere Leute?«
»Wenn Ihr ihn nicht wollt,« sagte Hugh, durch diesen Beweis außer Fassung gebracht, da er statt dessen hohes Lob zu ärnten hoffte, »so gebt ihn nur wieder her, daß ich ihn abliefern kann. Ich weiß nicht, wie man's Euch zu Gefallen machen kann, Herr.«
»Ich will ihn selbst abgeben,« entgegnete sein Gönner, indem er ihn nach kurzer Erwägung bei Seite legte. »Geht die junge Dame an schönen Morgen spazieren?«
»Meistens – Mittags ist so ihre gewöhnliche Zeit.«
»Allein?«
»Ja, allein.«
»Wo?«
»Auf den Grundstücken vor dem Hause, über welche der Fußweg führt.«
»Wenn das Wetter morgen gut ist, so stelle ich mich vielleicht selbst ihr in den Weg,« sagte Herr Chester so kaltblütig, als gehöre sie ganz zu seiner gewöhnlichen Bekanntschaft. »Meister Hugh, wenn ich vor dem Maibaum anreiten sollte, magst du gefälligst darauf Bedacht nehmen, daß du mich nur ein einzigesmal gesehen hast. Du mußt deine Dankbarkeit unterdrücken und dir Mühe geben, zu vergessen, wie nachsichtig ich mich wegen des Armbandes gegen dich benommen habe. Es ist natürlich, daß du ein solches Gefühl zum Ausbruch kommen lässest, und es macht dir Ehre; aber wenn andere Leute dabei sind, so mußt du um deiner eigenen Sicherheit willen ganz dergleichen thun, als ob du mir durchaus keine Verbindlichkeit schuldest und nie im Bereiche dieser Mauern gewesen seyst. Du verstehst mich?«
Hugh verstand ihn vollkommen. Nach einer Pause murmelte er, sein Gönner werde ihn wegen dieses letzten Briefes nicht in Ungelegenheit bringen, da er ihn blos zurückbehalten habe, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Er machte noch in diesem Zuge fort, als ihm Herr Chester mit einer höchst wohlwollenden Beschützersmiene rasch in's Wort fiel.
»Mein guter Bursche, du hast mein Versprechen, mein Wort und Siegel darauf (denn eine mündliche Verpflichtung gilt bei mir so gut, als eine Verbriefung), daß ich dich immer schirmen werde, so lange du es verdienst. Gib dich daher ganz zufrieden. Bitte, nimm es ganz auf die leichte Achsel. Wenn sich ein Mensch so ganz in meine Macht gibt, wie du es gethan hast, so sagt mir zuverlässig mein Gefühl, daß er eine Art Ansprüche hat. Unter solchen Umständen bin ich mehr zu Erbarmen und Nachsicht geneigt, als ich dir sagen kann, Hugh. Betrachte mich als deinen Beschützer, und ich bitte dich, sey versichert, daß du wegen jener Unbesonnenheit für die Dauer unserer Freundschaft so leichten Sinnes sein kannst als irgend ein anderes lebendes Wesen. Füll dir dein Glas noch einmal, damit du dich auf den Heimweg stärkest – ich bin in der That ganz beschämt, wenn ich daran denke, wie weit du zu gehen hast – und dann, Gott befohlen für heute Nacht.«
»Sie meinen,« entgegnete Hugh, nachdem er den Branntwein hinuntergegossen hatte, »ich sey im Stalle fest eingeschlafen. Ha, ha, ha! Die Stallthüre ist zwar geschlossen, aber die Mähre ist fort, Herr.«
»Du bist ein höchst lustiger Cumpan,« entgegnete sein Freund, »und dein Humor gefällt mir ausnehmend. Gute Nacht! Thu mir den Gefallen, ja die größtmögliche Sorge für dich zu haben.«
Es war merkwürdig, daß während des ganzen Gespräches Jeder sich Mühe gegeben hatte, nach dem Gesichte des Andern verstohlene Blicke zu entsenden, ohne daß sie sich auch dabei nur ein einzigesmal voll anschauten. Als Hugh sich entfernte, tauschten sie nur einen einzigen hastigen Blick aus, wandten dann gleich ihre Augen wieder ab, und so schieden sie. Hugh drückte die doppelte Thüre lautlos und sorgfältig hinter sich zu, und Herr Chester blieb in seinem Armstuhl, die Augen nachdenkend auf das Feuer geheftet.
»Gut,« sagte er nach einem langen Besinnen, indem er einen tiefen Seufzer beifügte und etwas unruhig hin und her rückte, als gäbe er irgend einen Gedanken auf und kehrte er wieder zu denen zurück welche ihn den ganzen Tag über beschäftigt hatten.
»Das Complott verdichtet sich und die Bombe ist geworfen. Sie wird, denke ich, in achtundvierzig Stunden explodiren und diese guten Leute erstaunlich auseinander wettern. Wir werden sehen.«
Er ging zu Bette und schlief ein; aber bald fuhr er wieder auf, und es war ihm, als hätte Hugh mit einer sonderbaren Stimme, die gar keine Aehnlichkeit mit seiner sonstigen hatte, an der äußeren Thüre um Einlaß gerufen. Die Täuschung war so lebhaft und hatte ihn so ganz mit jenem unbestimmten Entsetzen erfüllt, welches derartige nächtliche Visionen in ihrem Gefolge haben, daß er aufstand, den in der Scheide steckenden Degen ergriff, die Thüre öffnete, sich in dem Stiegenhause umsah, nach der Stelle hinging wo Hugh geschlafen hatte, und ihn sogar beim Namen rief. Aber Alles war finster und ruhig, weßhalb er wieder in sein Bett kroch und nach einer Stunde unruhigen Wachens in einen zweiten Schlaf fiel, aus dem er erst am Morgen wieder erwachte.