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Dreizehntes Kapitel.

Wenn Joseph Willet, der von den Lehrlingen Angeklagte und Geächtete, zufällig zu Hause gewesen wäre, als sich seines Vaters höflicher Gast vor der Thüre des Maibaums zeigte – das heißt, wenn nicht, ungeschickt genug, dieser Besuch gerade auf einen der halbdutzend Tage im ganzen Jahre gefallen wäre, an welchem es ihm gestattet war, ohne Verhör oder Verweis eine ziemliche Anzahl von Stunden auszubleiben – so würde es ihm wohl auf die eine oder die andere Weise gelungen seyn, Herrn Chester's Geheimniß auf den Grund zu kommen und dessen Zweck so gewiß zu erkunden, als ob er mit im Rathe gesessen hätte. In einem solchen glücklichen Falle würden die Liebenden wohl einen raschen Wink über das drohende Unheil und noch manchen zeitigen und klugen Rath obendrein erhalten haben; denn Joe's ganze Klugheit und Thatkraft, alle seine Sympathien und guten Wünsche standen auf der Seite des jungen Paares, wie er denn auch den Liebesleutchen aufrichtige Ergebenheit zollte. Ob diese Gesinnung in einer alten Vorliebe für die junge Dame ihren Grund hatte, deren Geschichte er sich fast von seiner Wiege an mit Umständen von ungewöhnlichem Interesse ausgemalt, oder in seiner Anhänglichkeit an den jungen Herrn, in dessen Vertrauen er sich durch seine Schlauheit und Behendigkeit, wie auch durch manche wichtige Dienste, die er ihm als Spion oder Bote geleistet hatte, fast unmerklich festgesetzt; ob der Grund in einer dieser beiden Quellen lag, oder in einer der Jugend natürlichen Sympathie, oder in den beharrlichen Plackereien seines verehrlichen Vaters, oder in irgend einer eigenen geheimen Liebesangelegenheit, die ihm verwandte Gefühle einflößte – wir brauchen dieß nicht zu untersuchen, um so weniger, da Joe nicht um den Weg war und daher keine Gelegenheit hatte, bei diesem besonderen Anlasse seine Gesinnungen im Interesse der einen oder andern Partei zu erproben.

Es war nämlich der fünfundzwanzigste März, der, wie die meisten Leute aus leidiger Erfahrung wissen, seit unfürdenklichen Zeiten zu den unangenehmen Zeitabschnitten gehört, welche man Quartaltage nennt. John Willet setzte einen Stolz darein, an diesem fünfundzwanzigsten März seine Jahresrechnung mit einem gewissen Weinhändler und Destillateur in der City von London mit klingender Münze abzuschließen; und keinen Tag früher oder später war es Joe's Geschäft, mit einem Leinwandsack, der keinen Penny mehr oder weniger als gerade den Belauf der schuldigen Summe enthielt, an Ort und Stelle zu reisen, um denselben genanntem Geschäftsmanne einzuhändigen.

Diese Reise wurde auf einer alten, grauen Mähre gemacht, mit der John unterschiedliche unbestimmte Ideen in Verbindung brachte, des Inhalts, daß sie beim Wettrennen wohl eine Platte oder Schale gewinnen könnte, wenn sie's nur einmal versuchte. Sie hatte es jedoch nie versucht und kam auch wahrscheinlich nicht mehr dazu, denn sie war ihre vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, kurzathmig, langbeinig und, was Mähne und Schwanz betraf, nicht sonderlich ansehnlich. Aber ungeachtet dieser kleinen Mängel that sich John doch ungemein viel auf das Thier zu gut, und so oft es von Hugh vor die Hausthüre gebracht wurde, zog er sich alsbald nach dem Schenkverschlag zurück, um in diesem geheimen Citronenhaine dem Stolze und der Freude seines Herzens durch ein behagliches Lachen Luft zu machen.

»Das ist einmal ein Stückchen Pferdefleisch, Hugh,« sagte John, als er wieder hinreichend Selbstbeherrschung gewonnen hatte, um wieder an der Thüre zu erscheinen. »Ein stattliches Geschöpf! Da ist Feuer! da sind Knochen!«

Die Knochen konnte man nun allerdings nicht beanstanden; und so schien auch Hugh zu denken, wenn er lässig seitwärts im Sattel saß und das Kinn fast bis auf seine Kniee herunterhängen ließ, während die Steigbügel und Zügel achtlos niederbaumelten und er auf dem kleinen Rasen vor der Thüre auf- und abritt.

»Vergiß nicht, auf das Thier sorgfältig Acht zu haben, Bürschlein,« sagte John, indem er sich von dieser unempfindlichen Person an seinen Sohn und Erben wandte, der nun in vollem Reisezeug erschien. »Reite nicht zu stark.«

»Ich wüßte kaum, wie ich das angreifen müßte,« versetzte Joe mit einem trostlosen Blicke auf das Thier.

»Ich verbitte mir alle Unverschämtheiten, Bursche,« entgegnete der alte John. »Was möchtest du wohl reiten? Dir wäre wohl ein wilder Esel oder ein Zebra noch zu zahm – etwa nicht? Du möchtest wohl gerne einen brüllenden Löwen reiten, nicht wahr? Halt dein Maul, Junge!«

So oft Herr Willet bei Gelegenheit eines Ergusses über seinen Sohn die ihm zu Sinne kommenden Fragen erschöpft hatte, ohne daß dieser eine Antwort gab, schloß er gewöhnlich damit, daß er ihn das Maul halten hieß.

»Und was meint wohl der Knabe damit,« fügte Herr Willet bei, nachdem er seinen Sprößling eine Weile in einer Art Betäubung angestiert hatte, »daß er seinen Hut also aufgestutzt hat? Willst du etwa den Weinhändler todtschlagen, Bürschlein?«

»Das fällt mir nicht entfernt ein. Ihr dürft Euch beruhigen« entgegnete Joe.

»Dazu noch das militärische Wesen!« fuhr Herr Willet fort, ihn vom Scheitel bis zur Zehe betrachtend. »Stolziert er nicht einher, als könnte er Eisen fressen und kochendes Wasser saufen! Und was sollen diese Krokusse und Schneeglöckchen, Junge?«

»Es ist nur ein kleiner Blumenstrauß,« erwiederte Joe erröthend. »Da ist doch hoffentlich nichts Unrechtes daran?«

»Du bist mir ein feiner Kerl in's Geschäft,« sagte Herr Willet verächtlich. »Meinst du, Weinhändler kümmerten sich um Blumensträuße?«

»Nein, das meine ich nicht,« versetzte Joe. »Für ihre rothe Nasen mögen Flaschen und Gläser passen, aber dieß hier wandert in Herrn Varden's Haus.«

»Und glaubst du, er mache sich etwas aus deinen Krokussen?« fragte John.

»Ich weiß es nicht und, aufrichtig gestanden, mache mir auch nicht viel daraus,« entgegnete Joe. »So gebt mir einmal das Geld, Vater, und laßt mich in Gottes Namen ziehen.«

»Da ist es, Junge,« erwiederte John. »Gib sorgfältig Acht darauf und vergiß nicht, den Gaul auch ordentlich ausruhen zu lassen. Nicht nöthig, daß du mit dem Heimkommen allzusehr eilst – hörst du?«

»Wohl,« entgegnete Joe. »Der Himmel weiß, die Bestie wird's brauchen können.«

»Und laß nicht zu viel im schwarzen Löwen ankreiden,« sagte John. »Auch dieß merke dir.«

»Warum gebt Ihr mir aber nicht lieber etwas Geld in die Tasche?« entgegnete Joe bekümmert; »warum nicht, Vater? Muß ich da nach London und darf mir blos im schwarzen Löwen ein Mittagessen geben lassen, das Ihr bezahlt, wenn Ihr das nächste Mal hinkommt, als ob man mir nicht ein paar Schillinge anvertrauen dürfte! Warum geht Ihr so mit mir um? Es ist nicht recht von Euch. Ihr könnt nicht erwarten, daß ich mich damit zufriedengeben soll.«

»Geld möchte er also haben!« rief John in einer Art von schläfrigem Träumen. »Was nennt denn der Junge Geld – Guineen? hat er nicht Geld erhalten? Habe ich ihm nicht außer dem Zollbetrag einen Schilling und sechs Pence gegeben?«

»Einen Schilling und sechs Pence?« wiederholte der Sohn verächtlich.

»Ja, Musje,« entgegnete John. »einen Schilling und sechs Pence. Als ich so alt wie du war, hatte ich noch nie so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Einen Schilling für den Fall, daß dir etwas zustößt – der Gaul ein Hufeisen verliert, oder sonst etwas der Art. Die andern sechs Pence kannst du auf den Unterhaltungsplätzen Londons verthun, und da rathe ich dir namentlich, die Spitze des Monuments zu besteigen und dort sitzen zu bleiben. 's gibt keine Versuchung dort, Bürschlein – nichts zu trinken – kein junges Weibsvolk – keine schlechte Gesellschaft – nichts als die Einbildungskraft. So habe ich mich vergnügt, als ich in deinem Alter war, Bürschlein.«

Joe gab hierauf keine Antwort, sondern winkte Hugh, schwang sich in den Sattel und ritt von hinnen. Man darf indeß sagen, daß er recht stattlich zu Pferde saß und wohl ein besseres Roß verdiente, als ihm das Geschick zugewiesen hatte. John sah ihm – oder vielmehr der grauen Mähre nach (denn er hatte kein Auge für den Reiter), bis Mann und Thier etliche und zwanzig Minuten seinen Blicken entschwunden waren; dann erst fing er an, zu denken, daß sie fort seyen, und zog sich nun langsam nach dem Hause zurück, wo er sich einem sanften Schläfchen hingab.

Die unglückselige graue Mähre, Joe's bitteres Leidwesen, trottete nach eigenem Willen und Behagen weiter, bis der Maibaum nicht mehr sichtbar war; dann beredete sie ihre Beine zu einem Gange, der im Puppenspiele wie eine plumpe und linkische Nachahmung eines Galopps ausgesehen haben würde, und holperte aus eigenem Antriebe rascher weiter. Die Bekanntschaft mit ihres Reiters gewöhnlicher Reiseweise, welche zu der vorgenannten Besserung Anlaß gegeben hatte, bewog sie auch, auf einen Nebenweg einzubiegen – nicht nach London, sondern durch Feldwege, die parallel mit der Straße, auf welcher sie hergekommen, liefen und auf etliche hundert Ellen an dem Maibaume vorbeiführten, bis sie zuletzt in eine Verzäunung einmündeten, die ein großes, aus rothen Ziegeln gebautes, altes Haus umgab – dasselbe, das in dem ersten Kapitel dieser Geschichte mit dem Namen Kaninchenhag bezeichnet wurde. In einem kleinen, daneben liegenden Gebüsche wurde Halt gemacht, worauf das Thier gutwillig den Reiter absteigen und sich an den Stamm eines Baumes binden ließ.

»Bleib' da stehen, alte Katze,« sagte Joe; »wir wollen sehen, ob's nicht heute einen kleinen Auftrag gibt.«

Mit diesen Worten überließ er es dem Thiere, das Gras in dem Bereiche seines Strickes abzuweiden, öffnete ein Pförtchen und ging zu Fuß über die zum Hause gehörigen Grundstücke.

Der Pfad führte ihn nach wenigen Minuten dicht vor das Haus, nach welchem er – namentlich einem besondern Fenster desselben – viele verstohlene Blicke sandte. Es war ein trauriges, ödes Gebäude, mit wiederhallenden Höfen, verödeten Erkerstuben und ganzen Reihen von größeren Gelassen, die verschlossen waren und dem Verfalle entgegengingen.

Der terrassenförmig angelegte Garten war von überhängenden Bäumen verdunkelt und hatte ein gar unheimliches und melancholisches Aussehen. Große, rostrothe Eisengitter, die seit Jahren nicht mehr benützt wurden und mit langem Gras umwachsen waren, schienen in den Boden sinken zu wollen, um ihren hinfälligen Zustand unter dem befreundeten Unkraut zu verbergen. Die phantastischen, ungeheuerlichen Figuren an den Wänden, grün von Alter und Feuchtigkeit und hin und wieder mit Moos bewachsen, sahen grimmig und verstört hernieder; selbst der bewohnte und in gutem Stand erhaltene Theil des Gebäudes hatte eine so düstere Außenseite, daß jeder Beschauer sich eines Gefühls von Trauer über diese Verödung, welche keinem heitern Gedanken Raum gab, nicht erwehren konnte. Es wäre schwer gewesen, sich ein helles, prasselndes Feuer in den finstern Räumen, oder das Bild eines frohen Herzens, oder eines lebenslustigen Sinnes in diesen zürnenden Mauern vorzustellen. Der Ort schien wohl vordem solche Dinge geborgen zu, haben, jetzt aber nichts mehr zu seyn, als der Geist eines Hauses, der noch die alte Stelle in seiner frühern äußern Gestalt umspuckte.

Viel von diesem verfallenen und finsteren Aussehen war ohne Zweifel dem Tode des früheren und dem Charakter des jetzigen Besitzers beizumessen; wenn man sich indeß der Geschichte, welche sich an das Gebäude knüpfte, erinnerte, so schien es ganz der Ort für eine solche Unthat zu seyn, und die Bestimmung, einer Schreckensscene zum Schauplatz zu dienen, viele Jahre zuvor in sich getragen zu haben. Der Hinblick auf diese düstere Geschichte mußte dem Wasserbecken, wo die Leiche des Hausmeisters gefunden worden, einen schwarzen und unheimlichen Charakter verleihen, wie man ihn bei keinem andern Teiche fand; die Glocke auf dem Dache, die dem mitternächtlichen Winde den Mord erzählt hatte, wurde zu einem wahren Gespenst, vor dessen Stimme dem Hörer die Haare zu Berge standen, und jeder laublose Zweig, der dem andern zunickte, flüsterte verstohlen die Sage von dem Verbrechen.

Joe ging den Pfad auf und nieder, bisweilen Halt machend, als betrachte er das Gebäude oder die Aussicht, bisweilen mit der erkünstelten Miene müßiger Gleichgültigkeit an einen Baum lehnend, aber stets den Blick nach dem Fenster heftend, das er sich gleich Anfangs auserlesen hatte. Nach viertelstündigem Harren kam eine kleine weiße Hand zum Vorschein, die ihm für einen Augenblick zuwinkte, und der junge Mann entfernte sich mit einer achtungsvollen Verbeugung, auf dem Wege zu seinem Pferde vor sich hinmurmelnd: »Heute kein Auftrag für mich!«

Aber das schmucke Wesen, der aufgestutzte Hut, ob dem John Willet schon ungehalten gewesen, und der Frühlingsstrauß – alles dieses bekundete ein kleines Geschäftchen für eigene Rechnung, das einen weit interessanteren Gegenstand zum Zwecke haben mußte, als etwa einen Weinhändler oder auch einen Schlosser. Es wies sich auch in der That so aus, denn als er mit dem Weinhändler – einem so purpurgesichtigen alten Herrn, als hätte er sein ganzes Lebenlang das gewölbte Dach seiner tiefen Keller in der Nähe der Themsestraße auf dem Kopfe getragen – die Rechnung abgeschlossen, Zahlung geleistet, die Quittung in Empfang genommen und wohl mehr als drei Gläser alten Xeres zu kosten abgelehnt hatte – zum unbegrenzten Erstaunen des purpurgesichtigen Weinhändlers, der, mit dem Bohrer in der Hand, einen Angriff auf wenigstens zwei Dutzend staubige Fässer machen wollte und nun wie gebannt, oder moralisch an seinen eigenen Wänden angebohrt, da stand – als er alles dieß gethan und außerdem im schwarzen Löwen zu Whitechapel über ein spärliches Mittagsmahl verfügt hatte, lenkte er, uneingedenk des väterlichen Rathes hinsichtlich des Monumentes, seine Schritte nach dem Hause des Schlossers, wohin ihn die Augensterne der blühenden Dolly Varden zogen.

Joe war keineswegs ein scheuer Bursche, demungeachtet konnte er es aber, als er um die Ecke der Straße kam, worin der Schlosser wohnte, um keinen Preis über sich gewinnen, geraden Weges auf das Haus zuzugehen. Anfangs schlenderte er fünf Minuten durch eine andere Straße, dann abermals fünf Minuten durch eine zweite, und so fort, bis er eine volle halbe Stunde damit zugebracht hatte; endlich aber wagte er einen kühnen Anlauf und befand sich mit glühendem Gesichte und klopfendem Herzen in der rauchigen Werkstatt.

»Joe Willet, oder sein Geist!« sagte Varden, indem er von dem Pulte, an welchem er mit seinen Büchern beschäftigt war, aufstand und den Besuch unter seiner Brille weg betrachtete. »Welcher ist es? Joe im Fleisch – he? Nun, das ist freundlich. Und, was macht die Chigwell-Gesellschaft, Joe?«

»Was sonst auch, Sir – wir kommen so gut als nur je mit einander aus.«

»Nun, nun!« entgegnete der Schlosser. »Wir müssen uns gedulde, Joe, und mit alter Leute Schwächen Nachsicht haben. Wie steht's mit der Mähre, Joe? Geht sie noch immer mit Leichtigkeit ihre vier Meilen in der Stunde? Ha, ha, ha! Ist's so, Joe – he? – Aber was haben wir da, Joe – einen Blumenstrauß?«

»O, nur eine Kleinigkeit, Sir – ich dachte – Miß Dolly –«

»Nein, nein,« entgegnete Gabriel, seine Stimme dämpfend und den Kopf schüttelnd. »nicht Dolly; gib es ihrer Mutter, Joe. 's ist viel besser, wenn du's ihrer Mutter gibst. Du hast doch nichts dagegen, es Frau Varden zu geben, Joe?«

»O nein, Sir, nein,« antwortete Joe, der, freilich nicht mit dem besten Erfolge, seinen Verdruß über die fehlgeschlagene Hoffnung zu verbergen bemüht war. »Ich werde mir's jedenfalls zur Ehre rechnen.«

»Recht so,« sagte der Schlosser, indem er den jungen Menschen auf den Rücken klopfte. »Es liegt nichts daran, wer es hat, Joe?«

»Nicht das Geringste, Sir.« – Armer Junge! Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken.

»Komm jetzt herein,« sagte Gabriel. »Man hat mich eben zum Thee abgerufen. Sie ist in dem Wohnzimmer!«

»Sie?« dachte Joe. »Ich bin doch begierig, welche es ist – die Frau oder die Jungfer.«

Der Schlosser brachte die Frage so exakt in Erledigung, als ob sie laut ausgesprochen worden wäre, indem er seinen Gast nach der Thüre führte und mit den Worten anmeldete: »Martha, meine Liebe, da ist der junge Herr Willet.«

Nun aber betrachtete Frau Varden den Maibaum als eine Art von Männerfalle, oder als einen Köder für Hausväter, und den Eigenthümer desselben sammt Allen, die ihm Beihilfe und Vorschub thaten, als eben so viele Wilddiebe, die auf Christenmenschen Jagd machten. Da sie noch außerdem glaubte, die Publicanen Publicanen, Zöllner – Publican (englisch) Schenkwirth., welche die heilige Schrift mit den Sünden in Verbindung bringt, wären nichts anderes, als patentisirte Schenkwirthe gewesen, so war sie weit entfernt, gegen ihren Gast besonders wohlwollend gestimmt zu seyn. Sie fühlte sich deßhalb auch augenblicklich unwohl, und meinte, als ihr die Crokusse und Schneeglöckchen gebührend dargeboten waren, daß ihr unbehagliches Gefühl von diesen Blumen herrühren müsse.

»Ich fürchte, daß ich's keine Minute länger in diesem Zimmer aushalten kann,« sagte die Dame, »wenn sie hier bleiben. Ihr werdet mich wohl entschuldigen, wenn ich sie vor das Fenster hinausstelle.«

Joe bat, sie möchte doch ja der Sache nicht erwähnen, und lächelte wehmüthig, als er sie auf den Sims außen niedersetzen sah. Hätte doch Jemand gewußt, welche Mühe es ihm gekostet, das verachtete und mißhandelte Sträußchen zusammen zu bringen!

»Gewiß, es ist mir eine wahre Erleichterung, daß ich ihrer los bin,« sagte Frau Varden. »Ich fühle mich bereits besser.«

Und in der That schien sie ihre Lebensgeister wieder gesammelt zu haben.

Joe dankte dem Himmel für diese günstige Aenderung, und versuchte, sich eine Miene zu geben, als ob er sich gar nicht wundere, wo Dolly bliebe.

»Ihr seyd ein betrübtes Volk zu Chigwell draußen, Herr Joseph,« sagte Frau Varden.

»Das hoffe ich doch nicht, Ma'am,« versetzte Joe.

»Ihr seyd die grausamsten und rücksichtslosesten Leute von der Welt,« entgegnete Frau Varden, sich in die Brust werfend, »und es wundert mich nur, daß der alte Herr Willet, der doch selbst einmal verheirathet gewesen ist, nicht besser weiß, wie man sich zu benehmen hat. Daß er es seines Vortheils wegen thut, entschuldigt ihn nicht. Ich wollte ja lieber zwanzigmal das Geld bezahlen, wenn nur Varden wie ein achtbarer und nüchterner Gewerbsmann nach Hause käme. Nichts ist mir mehr in der Seele zuwider, als ein Trunkenbold,« fügte Frau Varden mit großem Nachdruck bei.

»Ach, liebe Martha,« entgegnete der Schlosser aufgeräumt, »laß uns den Thee trinken und reden wir nicht von Trunkenbolden. Hier ist keiner, und ich darf wohl sagen, daß Joe auch nichts davon hören mag.«

In diesem kritischen Augenblicke erschien Miggs mit Röstschnitten.

»Ich getraue mich, das zu unterschreiben, und von dir auch, Varden,« erwiederte Frau Varden. »Ohne Zweifel ist's kein sehr angenehmer Gegenstand, obgleich ich keine Persönlichkeiten im Auge habe« – Miggs hustete – »was ich auch immer zu denken genöthigt seyn mag« – Miggs niesete nachdrücklich. »Du weißt natürlich nicht, Varden, und eben so wenig kann von einem Menschen in dem Alter des jungen Herrn – Ihr entschuldigt mich, Sir – erwartet werden, daß er wissen solle, was eine Frau auszustehen hat, wenn sie unter solchen Umständen zu Hause warten muß. Wenn du mir nicht glauben willst (und ich weiß, daß es der Fall ist), so ist hier Miggs, die es nur zu oft mit eigenen Augen angesehen hat – frage sie.«

»Oh! sie hat letzthin eine sehr schlimme Nacht gehabt, Sir – ganz gewiß,« sagte Miggs. »Wenn Ihr nicht die Sanftmuth eines Engels in Euch hättet, Ma'am, so glaube ich in der That nicht, daß Ihr es hättet ertragen können.«

»Miggs,« sagte Frau Varden. »Sie ist profan.«

»Bitt' um Verzeihung, Ma'am,« versetzte Miggs mit schriller Hastigkeit,« das war nicht meine Absicht und liegt auch hoffentlich nicht in meinem Charakter, obgleich ich nur eine dienende Person bin.«

»Antwort und Dienstaufkündigung ist eins und dasselbe,« entgegnete die Gebieterin, indem sie mit Würde umherschaute. »Wie kann Sie sich unterstehen, in einem Athem von Engeln und sündigen Nebenmenschen zu sprechen? –« fuhr Frau Varden fort, indem sie sich in dem Spiegel besah und das Band auf ihrer Haube modischer ordnete. – »Sind wir doch nichts weiter, als blos Würmer, die im Staube kriechen.«

»Entschuldigt, Ma'am, ich wollte Euch nicht beleidigen,« sagte Miggs, auf die Stärke ihres Complimentes bauend und ihren Kehlknorpel wie gewöhnlich vorstreckend; »auch meinte ich nicht, daß Ihr es so nehmen würdet. Ich hoffe, daß ich meinen eigenen Unwerth erkenne, und daß ich mich und alle meine Nebenmenschen hasse und verachte, wie es jeder gute Christ thun muß.«

»Sie wird wohl so gut seyn,« sprach Frau Varden in hohem Tone, »hinaufzugehen und nachzusehen, ob Dolly mit ihrem Anzug fertig ist. Sie kann ihr auch sagen, daß die Sänfte, die ich für sie bestellt habe, im Augenblick ankommen wird, und wenn sie auf sich warten läßt, so schicke ich sie im Augenblick wieder fort. Ich bedaure, sehen zu müssen, daß du deinen Thee nicht nimmst, Varden, und daß auch Ihr nicht zugreift, Herr Joseph, obgleich es natürlich thöricht von mir wäre, zu erwarten, daß Euch etwas behagen sollte, was zu Hause und in Gesellschaft von Frauen zu haben ist.«

Das Wörtchen »Euch« sollte beiden Herren gelten, war aber jedenfalls etwas hart und unverdient, denn Gabriel hatte sich mit einem sehr viel versprechenden Appetit zu Tisch gesetzt, bis er ihm von Frau Varden selbst verdorben wurde, und Joe fand so großes Behagen an der weiblichen Gesellschaft in des Schlossers Hause oder doch jedenfalls an einem Theil derselben, als nur ein Mann finden konnte.

Letzterer hatte jedoch keine Gelegenheit, etwas zu seiner Vertheidigung zu sagen, denn in demselben Augenblicke erschien Dolly und brachte ihn durch ihre Schönheit ganz und gar zum Verstummen. Noch nie hatte Dolly so anmuthig ausgesehen, als jetzt, in dem vollen Glanz und der Blüthe der Jugend, ihre Reize hundertfältig erhöht durch einen höchst zierlichen Anzug, durch tausend kleine Coquetterien, die Niemand besser ließen, als ihr, und durch alle die glühende Erwartung auf die verwünschte Abendgesellschaft. Es ist unmöglich, auszudrücken, wie Joe diese Partie haßte, wo sie auch immer abgehalten werden mochte, und einen gleichen Groll warf er auf die dabei betheiligten Personen.

Und sie sah ihn kaum an – nein, sah ihn kaum an. Und als die Sänfte durch die offene Thüre in die Werkstatt hineinpolterte, klatschte sie in die Hände und schien sich zu freuen, daß sie gehen konnte. Doch Joe bot ihr den Arm – es lag doch einiger Trost darin – und half ihr hinein. Sie dann drinnen auf ihrem Sitze zu sehen mit ihren lachenden Augen, die heller strahlten, als Diamanten, und ihre Hand – gewißlich die schönste Hand auf der Welt – auf dem Rahmen des offenen Fensters, und ihr kleiner Finger herausfordernd und neckisch erhoben, als wundere er sich, warum Joe ihn nicht küsse oder drücke! Zu denken, wie gut eines oder zwei von den bescheidenen Schneeglöckchen dem zarten Miederchen gelassen hätten, und wie vernachlässigt sie jetzt vor dem Fenster lagen! Zeuge zu seyn, wie Miggs zusah, mit einem Gesichte, das auszudrücken schien, sie wisse wohl, wie alle diese Liebenswürdigkeit zusammengebracht sey, und kenne das Geheimniß jeder Schnur und Nadel, jedes Häkchens und Häftchens, dabei sich selbst sagend, es sey nicht halb so arg, als man meine, und ich könnte genau eben so aussehen, wenn ich mir die Mühe geben wollte! Den köstlichen kleinen Schrei zu hören, als die Sänfte aufgehoben wurde, und den flüchtigen, aber unvergeßlichen Anblick des glücklichen Gesichtchens drinnen aufzufangen – was lag nicht für eine Qual und Folter, und doch so viel Wonne in all' diesem! Sogar die Sänftenträger, die sie die Straße hinabtrugen, schienen ihm beneidenswerthe Nebenbuhler!

Wohl nie war in einem kleinen Zimmer und in so kurzer Zeit eine solche Veränderung vorgegangen, wie in dieser Wohnstube, als sie zurückkehrten, um den Thee vollends zu trinken. Wie düster, wie verödet, wie so ganz entzaubert war Alles. Es schien heller Unsinn, ruhig hier zu sitzen, während sie beim Tanze war, wo sie zahllose Liebhaber umkreisten – mitten in einer Gesellschaft, die sie verehrte und anbetete, und wo Alle sie heirathen wollten. Auch Miggs spuckte umher; und die Thatsache ihres Daseyns, der bloße Umstand, daß sie je geboren wurde, schien, nach Doll, ein unerklärlicher, aber doch ein Kapitalspaß. Es war rein unmöglich, noch ein Wort zu sprechen. Es ging durchaus nicht. Was sollte er da weiter thun, als in seinem Thee rühren, herum, herum, und wieder herum, und dabei sich all' den Zauber der lieblichen Schlosserstochter vergegenwärtigen.

Gabriel war gleichfalls verdrießlich, und es bildete einen Theil von Frau Varden's wetterwendischem Charakter, daß sie bei einer solchen Stimmung gerade recht heiter und lebhaft war.

»Es gehört doch gewiß ein von Natur aus recht heiteres Gemüth dazu,« sagte die Hausfrau lächelnd, »hier überhaupt guter Laune zu seyn, und ich weiß in der That nicht, wie ich es angreife.«

»Ach, Ma'am,« seufzte Miggs, »ich bitte um Verzeihung, daß ich unterbreche, aber es gibt nicht Viele Eures Gleichen.«

»Räume Sie ab, Miggs,« sagte Madame Varden, indem sie aufstand, »räume Sie ab. Ich weiß, ich bin hier zur Last, und da ich wünsche, Jeder möchte so heiter seyn, als er kann, so wird's wohl am besten seyn, wenn ich gehe.«

»Nein, nein, Martha,« rief der Schlosser. »Bleibe immerhin hier. Gewiß, wir würden es recht bedauern, wenn du gingest – nicht wahr, Joe?«

Joe fuhr zusammen und entgegnete:

»Gewiß!«

»Schönen Dank, lieber Varden,« entgegnete seine Gattin; »aber ich kenne dich besser. Tabak und Bier, oder Branntwein haben weit größere Anziehungskräfte, als ich mich deren rühmen kann; ich will daher hinaufgehen und zum Fenster hinaussehen, mein Bester. Gute Nacht, Herr Joseph. Es hat mich sehr gefreut, Euch gesehen zu haben, und ich hätte nur gewünscht, Euch mit etwas bedienen zu können, was Eurem Geschmack anständiger gewesen wäre. Einen recht schönen Gruß, wenn ich bitten darf, an den alten Herrn Willet, und sagt ihm, daß ich ihm auf die Nähte gehen will, wenn er einmal herkömmt. Gute Nacht!«

Nachdem die gute Dame dieß mit ihrem süßesten Wesen gesprochen hatte, machte sie einen merkwürdig herablassenden Knicks und entfernte sich wohlgemuth.

Und deßhalb hatte also Joe Woche für Woche dem fünfundzwanzigsten März entgegengeharrt – deßhalb hatte er die Blumen mit so viel Sorgfalt gesammelt, seinen Hut aufgestutzt und sich selbst so blank herausstaffirt! Dieß war das Ende seines kühnen, wohl hundertmal gefaßten Entschlusses, sich gegen Dolly auszusprechen und ihr zu sagen, wie sehr er sie liebe! Sie eine Minute zu sehen – nur eine einzige Minute – zu finden, daß sie zu einer Abendgesellschaft ging, und zwar mit freudigem Herzen ging; für einen gemeinen Tabakraucher, Bierschlucker, Branntweinsäufer und Topfgucker angesehen zu werden! Er verabschiedete sich von seinem Freunde, dem Schlosser, und eilte nach dem schwarzen Löwen, um sein Pferd herauszuholen, auf dem Heimritte (wie so mancher andere Joe vor und nach ihm) nicht anders denkend, als daß es mit allen seinen Hoffnungen aus sey – daß die Sache unmöglich und nimmermehr gehen könne – daß sie sich nicht um ihn kümmere – daß er unglücklich sey für sein ganzes Leben – und daß ihm nur die einzige entsprechende Aussicht bleibe, unter die Soldaten oder Matrosen zu gehen, und irgend einen wohlwollenden Feind aufzusuchen, der ihm sobald als möglich den Schädel einschlüge.



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