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Es war einer von jenen im Frühlinge so gewöhnlichen Morgen, wo das Jahr, in seiner Jugend eben so wankelmüthig als alle anderen geschaffenen Dinge, unschlüssig ist, ob es sich rückwärts gegen den Winter oder vorwärts gegen den Sommer neigen soll und in seiner Unentschlossenheit sich bald dem Einen, bald dem Andern, bald Beiden zumal zuwendet – im Sonnenschein mit dem Sommer buhlend und im Schatten noch den Winter festhaltend – kurz, es war einer jener Morgen, wo es in den engen Grenzen einer Stunde heiß und kalt, naß und trocken, hell und düster, heiter und traurig, welkend und blühend ist. – als der alte John Willet, der über dem Kupferkessel eingeschlafen war, durch den Huftritt eines Pferdes aufgeweckt wurde. Er trat an das Fenster und erblickte einen Reisenden von viel versprechendem Aeußern, der sein Roß an der Thüre des Maibaums anhielt. Er gehörte nicht zu den leichtfertigen jungen Burschen, die etwa einen Becher heißen Ales bestellen und dabei so wie zu Hause thun, als hätten sie ein Oxhoft Wein befohlen; nicht zu den kecken jungen Renomisten, die selbst in das feierliche Heiligthum des Schenkstübchens eindringen, den alten John auf den Rücken klopfen und Fragen stellen, ob es denn gar keine hübsche Dirne im Hause gebe und wo er seine kleinen Kammerjungfern versteckt habe, mit hundert anderen derartigen Ungebührlichkeiten; nicht zu den ungenirten Gesellen, welche ihre Stiefeln in der Gaststube am Kaminrost abkratzen und es mit den Spucknäpfen nicht sonderlich genau nehmen; nicht zu den gewissenlosen Kunden, die Hammelsrippchen von ungewöhnlicher Größe verlangen und unerhörter Weise das Eingepöckelte als Gratiszugabe betrachten; – sondern er war ein gesetzter, ernster, friedfertiger Gentleman, etwas über die Blüthe des Lebens hinaus, aber demungeachtet noch bolzgerade in seiner Haltung und so schlank wie ein Windspiel. Er saß auf einem kräftigen kastanienbraunen Hengste mit dem Anstand eines erfahrenen Reiters, und sein Sattelzeug war schön und gewählt, ohne jedoch etwas von dem Flitterprunke, der damals in der Mode war, an sich zu haben. Sein Reitkleid war von etwas hellerem Grün, als man von dem Geschmacke eines Herrn in seinen Jahren hätte erwarten sollen, und hatte einen niedrigen schwarzen Sammetkragen, deßgleichen auch Borten an den Taschen und Aufschlägen – alles nach der neuesten Mode. Seine Wäsche war von der feinsten Art, mit reichen Spitzen an den Handgelenken und dem Halse versehen, und von der sorgsamsten Reinlichkeit. Obgleich er, dem Schmutze nach zu urtheilen, den er auf dem Wege aufgelesen, von London zu kommen schien, so war doch sein Pferd so glatt und kühl, als seine eisengraue Zopfperücke. Weder an dem Manne, noch an dem Thiere war auch nur ein einziges Härchen in Unordnung; und wenn man von den bespritzten Rocksäumen und Gamaschen absah, so konnte man wohl denken, dieser Herr mit seinem blühenden Gesichte, seinen weißen Zähnen, dem sorgfältig geordneten Anzug und seiner vollkommenen Ruhe habe eben gemächlich und sorgfältig seine Toilette gemacht, um an dem Thore des alten John Willet zu einem Reiterporträt zu sitzen.
Man glaube übrigens nicht, daß John diese verschiedenen Merkmale anders als nur sehr allmälig auffaßte, oder daß er überhaupt nur mehr als ein halbes auf einmal, und auch dieses nicht ohne sehr ernste und bedächtige Ueberlegung gewahr wurde. In der That, wäre er gleich anfangs durch Anfragen und Aufträge verwirrt worden, so würde er wenigstens vierzehn Tage gebraucht haben, um das hier Aufgeführte zu bemerken. Zufällig verwunderte sich aber der Herr so sehr, entweder über das alte Haus, oder über die fetten Tauben, die da umherflogen und knixsten, oder über den hohen Maibaum, auf dessen Spitze ein Wetterhahn, welcher vielleicht fünfzehn Jahre keine Dienste mehr geleistet hatte, zu seiner eigenen krächzenden Musik sich drehte. – daß er sich eine kleine Weile schweigend umsah. John stand daher, die Zügel des Pferdes in der Hand, da und heftete seine großen Augen auf den Reiter; da ihn also weiter nichts in seinen Gedanken beunruhigte, so konnte er wohl in der Zwischenzeit, bis er zu sprechen aufgefordert wurde, Einiges von diesen Einzelheiten seinem Gehirne einprägen.
»Ein wunderliches Haus das,« begann der Herr – und seine Stimme tönte eben so reich, als sein Anzug war. »Seyd Ihr der Wirth?«
»Zu dienen, Sir,« versetzte John Willet.
»Ihr könnt doch meinem Pferde einen guten Stall und mir in Bälde etwas zu essen geben? Ich bin in dem letzteren Punkte nicht sehr eigen, wenn ich nur reinlich bedient werde. Auch brauche ich ein anständiges Zimmer – woran es in diesem Hause keinen Mangel zu haben scheint,« sagte der Fremde, abermals das Aeußere überschauend.
»Ihr könnt Alles haben, was Euch beliebt, Sir,« antwortete John mit einer überraschenden Schnelligkeit.
»Gut; ich bin leicht zufrieden gestellt,« entgegnete der Andere mit einem Lächeln, »sonst dürfte es Euch schwer werden, Eurem Versprechen Ehre zu machen, mein Freund.« Und in einem Nu war er mit Beihülfe des Blockes an der Thüre abgestiegen.
»Hollah da! Hugh!« schrie John. »Ich bitte um Verzeihung, Sir, daß ich Euch vor dem Portale stehen lasse, aber mein Sohn ist Geschäfte halber nach der Stadt gegangen, und da mir der Junge, wie ich wohl sagen darf, gewissermaßen nützlich ist, so spüre ich seine Abwesenheit sehr. Hugh! – Ein schrecklich fauler, landstreicherischer Schuft, Sir – ein halber Zigeuner, glaube ich – schläft immer Sommers in der Sonne und Winters im Stroh – Hugh! Lieber Gott, muß der Herr da um seinetwillen warten! – Hugh! Ich wollte, der Schlingel wäre todt; 's ist mir in der That ernst.«
»Vielleicht ist er's auch,« entgegnete der Andere. »Ich sollte fast meinen, wenn er noch am Leben wäre, so müßte er Euch gehört haben.«
»Wenn seine Faulheit über ihn kömmt, so schläft er verzweifelt hart,« sagte der verwirrte Gastwirth. »Er würde nicht aufwachen, wenn Ihr ihm Kanonenkugeln in's Ohr schösset, Sir.«
Der Gast bemerkte nichts auf diese neue Methode, die Schlafsucht zu kuriren und die Leute lebendig zu machen, sondern stand, die Hände auf dem Rücken, in dem Portale, augenscheinlich sehr amüsirt, den alten John zu sehen, wie er, den Zügel in der Hand, nicht wußte, ob er das Thier los und seinem Schicksale überlassen, oder es in das Haus führen und in die Gaststube sperren sollte, während er den Herrn warten ließ.
»An den Pranger mit dem Burschen, da ist er endlich,« rief John im Zenit seiner Verzweiflung. »Hast du mich nicht rufen hören, du Schuft?«
Die angeredete Person gab keine Antwort, sondern legte die Hand auf den Sattel, sprang mit einem Satze hinein, drehte den Kopf des Pferdes dem Stalle zu und war in einem Nu fort.
»Rasch genug, wenn er wach ist,« bemerkte der Gast.
»Rasch genug, Sir?« versetzte John, nach dem Platze schauend, wo das Pferd gestanden hatte, als begreife er nicht ganz, was daraus geworden sey. »Er thaut auf, glaube ich. Es geht mit ihm, wie mit einem Flöcklein Reif. Ihr seht hin, und da ist es. Ihr seht wieder hin, und – was ist daraus geworden?«
In Ermanglung weiterer Worte mit diesem Climax schließend, womit eigentlich eine lange Erklärung des ganzen Lebens und Charakters seines Dieners gegeben werden sollte, führte der orakelsprechende John Willet den Fremden über die breite, verfallene Treppe nach dem besten Zimmer im Maibaum.
Dieses war jedenfalls geräumig genug, da es die ganze Tiefe des Hauses einnahm und an jedem Ende ein großes Erkerfenster, so groß, als manches moderne Gemach, besaß. Einige Scheiben waren von gefärbtem Glas und zeigten die Spuren von matten Verzierungen, zwar zerbrochen und geflickt, aber doch immerhin durch ihre Anwesenheit bezeugend, daß der frühere Eigenthümer auch das Licht seiner Prunkliebe dienstbar gemacht, und sogar die Sonne der Liste seiner Schmeichler einverleibt hatte, indem er ihr befahl, wenn sie in sein Zimmer leuchten wollte, ihren Weg durch die Abzeichen seiner alten Familie zu nehmen und von dem Stolze derselben ihren Glanz und ihre Farben zu borgen.
Doch dieß war in alten Tagen, und nun konnte sogar der kleinste Strahl kommen und gehen, wie er wollte, die rein nackte Wahrheit zeigend. Das Zimmer, obgleich das beste im Hause, hatte ganz den melancholischen Anblick zerfallener Größe und war auch viel zu groß, um behaglich zu seyn. Reiche, rauschende Vorhänge an den Wänden, und was noch besser, die rauschenden Gewänder der Jugend und Schönheit, das Licht aus schönen Augen, welches das der Kerzen und der reichen Juwelen verdunkelte, die Laute lieblicher Zungen, die Musik, und der Tritt von Mädchenfüßen waren einmal da gewesen und hatten den Raum mit Wonne erfüllt. Aber alles dieß war dahin, und mit ihm die frühere Heiterkeit. Es war nicht länger ein heimischer Herd; keine Kinder wurden mehr hier geboren und erzogen; die Feuerseite war feil geworden – ein Ding, das man kaufen oder verkaufen kann – eine wahre Buhlerin; mochte Jemand sterben, bei ihr seyn oder sie verlassen, sie blieb stets dieselbe, vermißte Niemand, kümmerte sich um Niemand, und hatte für Alle die gleiche Wärme, das gleiche Lächeln. Gott helfe dem Manne, dessen Herz sich in dem Treiben der Welt je so verändert, wie eine alte Wohnung, die ein Wirthshaus wird!
Man hatte sich nicht die Mühe genommen, diese ertödtende Oede zu möbliren – eine Kolonie von Stühlen und Tischen ausgenommen, die auf einem viereckigen Teppich aufgepflanzt war und eine gespenstige spanische Wand zur Seite hatte, von der groteske Figuren heruntergrinsten. Nachdem der alte John eigenhändig die auf dem Herde aufgehäuften Reisbündel angezündet hatte, entfernte er sich, um wegen des Mahles für den Fremden mit der Köchin ernsten Rathes zu pflegen, während der Gast selbst, der an dem nicht zündenden Holze wenig Behagen fand, in dem fernen Fenster einen Schieber öffnete und sich in den matten Strahlen einer kalten Märzsonne wärmte.
Er verließ hin und wieder das Fenster, um das prasselnde Holz übereinander zu werfen oder in dem wiederhallenden Zimmer auf und abzugehen, schloß dasselbe, als das Feuer ganz aufgebrannt war, rückte den behaglichsten Stuhl in den wärmsten Winkel und rief John Willet.
»Sir!« sagte John.
Er verlangte Feder, Tinte und Papier. Auf dem hohen Kaminmantel stand ein alter Schreibzeug, der für die verlangten drei Gegenstände eine staubige Entschädigung bot. Nachdem der Wirth das Schreibzeug vor den Gast hingestellt hatte, wollte er sich entfernen, wurde aber durch einen Wink zum Bleiben aufgefordert.
»In der Nähe von hier liegt ein Haus,« sagte der Gast, als er einige Zeilen geschrieben hatte, »das man, wie ich glaube, den Kaninchenhag nennt?«
Da diese Frage in einem Tone gestellt wurde, als sey der Fremde bereits mit der Thatsache bekannt, und als frage er nur so nebenzu, so begnügte sich John mit einem einfachen bejahenden Kopfnicken; zu gleicher Zeit nahm er eine Hand aus seiner Tasche, um dahinter zu husten, und steckte sie dann wieder ein.
»Ich wünschte,« sagte der Gast, sein Schreiben überlesend und es zusammenlegend, »daß dieses Billet ohne Zeitverlust hinüber und eine Antwort zurückgebracht wird. Habt Ihr einen Boten zur Hand?«
John besann sich eine Minute oder darüber, und antwortete dann mit Ja.
»Ich möchte ihn sehen,« sagte der Gast.
Dieß brachte den Wirth in Verwirrung; denn da Joe nicht zu Hause und Hugh mit dem Striegeln des kastanienbraunen Hengstes beschäftigt war, so war er Willens, den Auftrag Barnaby zu übertragen, der eben von einem seiner Streifzüge angelangt und überall hinzugehen bereit war, wenn er glaubte, daß ihm eine ernste Sendung anvertraut worden sey.
»Je nun, die Sache verhält sich so,« sagte John nach einer langen Pause; »die Person, auf deren Schnelligkeit man sich am besten verlassen kann, ist eine Art Naturmensch, wie man zu sagen pflegt, Sir; er ist zwar rasch auf den Beinen und so zuverlässig als die Post selbst, aber mit dem Sprechen will's nicht recht fort bei ihm, da er etwas flüchtig und unter dem Hut nicht ganz richtig ist, Sir.«
»Ihr meint doch nicht« – sagte der Gast, seine Augen auf Johns Gesicht heftend, »– wie heißt doch der Bursche – Ihr meint doch nicht Barnaby?«
»Ja, freilich,« entgegnete der Wirth mit der sprechendsten Miene der Ueberraschung.
»Wie kömmt der hieher?« fragte der Gast, sich in seinem Stuhle zurücklehnend, indem er mit derselben weichen und gleichförmigen Stimme, die nie wechselte, und dem nämlichen sanften, höflichen, unabänderlichen Lächeln auf seinem Gesichte sprach: »Ich sah ihn gestern Abend in London.«
»Er streift immer umher und ist die eine Stunde da, die andere dort,« erwiederte der alte John nach der gewöhnlichen Pause, deren er benöthigt war, eine Frage zu fassen. »Bisweilen geht er, bisweilen läuft er. Alle Welt kennt ihn in dieser Gegend; und hin und wieder kömmt er auch in einem Karren oder einer Chaise, bisweilen auch auf einem Gaule selbander. Er kömmt und geht durch Wind und Regen, Schnee und Hagel, sogar in den dunkelsten Nächten. Ihm kann nichts schaden.«
»Er geht auch oft nach diesem Kaninchenhag?« fragte der Gast gleichgültig. »Ich meine, seine Mutter hat mir gestern etwas der Art gesagt; aber ich gab nicht sonderlich auf die gute Frau Acht.«
»Ihr habt Recht, Sir,« lautete Johns Antwort. »Es ist so. Sein Vater wurde in jenem Hause ermordet, Sir.«
»So habe ich gehört,« versetzte der Gast mit demselben geschmeidigen Lächeln, einen goldenen Zahnstocher aus der Tasche ziehend. »Ein unangenehmer Umstand für die Familie.«
»Allerdings,« sagte John mit einem verblüfften Blicke, als fiele ihm unbestimmt und von weitem ein, daß dieß die möglichst kühle Weise sey, den Gegenstand zu behandeln.
»Das Treiben nach einem Mord,« sagte der Gast vor sich hin. »muß schrecklich belästigend seyn. – so viel Störung und Lärm – keine Ruhe – das beständige Schwatzen über Einen Gegenstand – das ewige Rennen aus und ein, auf und ab – unerträglich! Ich möchte um keinen Preis, daß Einem, für den ich mich interessire, etwas der Art begegnete. Es könnte Einem das ganze Leben verleiden. – Ihr wolltet sagen, Freund« – fügte er, sich wieder an John wendend, bei.
»Weiter nichts, als daß Frau Rudge von einer kleinen Pension, welche ihr die Familie ausgeworfen hat, lebt, und daß Barnaby so frei wie eine Katze oder ein Hund aus und ein geht,« antwortete John. »Soll er Euren Auftrag besorgen, Sir?«
»O ja,« versetzte der Gast. »Gewiß. Er kann's ohne Anstand thun. Seyd so gut, ihn herauf zu bringen, damit ich ihm selber Schnelligkeit empfehlen kann. Sollte er nicht kommen wollen, so sagt ihm, es wäre Herr Chester. Ich denke wohl, daß er sich meines Namens erinnern wird.«
John war über diese Nachricht, wer sein Gast wäre, so sehr erstaunt, daß er sein Erstaunen überhaupt gar nicht – weder durch Blicke noch sonst etwas – auszudrücken vermochte, sondern einfach das Zimmer verließ, als wäre er in der möglichst ruhigen und unzerstörlichen Gemüthsstimmung. Man erzählt jedoch, daß er, als er unten anlangte, zehn Minuten lang unablässig den Kupferkessel ansah und die ganze Zeit über nicht ein einzigesmal aufhörte, den Kopf zu schütteln. Diese Angabe scheint auch in dem Umstande eine Bestätigung zu finden, daß wenigstens so viel Zeit verfloß, ehe er mit Barnaby nach dem Zimmer seines Gastes zurückkehrte.«
»Komm her, Junge,« sagte Herr Chester. »Du kennst Herrn Geoffrey Haredale?«
Barnaby lachte und sah auf den Wirth, als wolle er sagen: »da höre man nur!« John aber, der sich über diese Verletzung des Anstandes höchlichst entsetzte, klopfte mit dem Zeigefinger gegen seine Nase und schüttelte in stummem Verweise seinen Kopf.
»Er kennt ihn, Sir,« sagte John mit einem zornigen Seitenblick auf Barnaby, »so gut als Ihr oder ich ihn kenne.«
»Ich habe nicht das Vergnügen, mit dem Herrn besonders bekannt zu seyn,« entgegnete sein Gast. »Bei Euch mag es vielleicht der Fall seyn; beschränkt daher Eure Vergleichung auf Eure eigene Person, mein Freund.
Obgleich dieß mit derselben Leutseligkeit und demselben Lächeln gesprochen wurde, so fühlte sich doch John wie aus den Wolken gefallen; er legte übrigens die Schmach Barnaby zur Last, und nahm sich vor, bei der nächsten besten Gelegenheit seinem Raben einen Fußtritt zu geben.
»Uebergib dieß,« sagte der Gast, der inzwischen das Billet gesiegelt und nun dem Boten näher gewinkt hatte, »zu Herrn Haredale's eigenen Händen. Warte auf Antwort und bringe sie hierher zurück. Findest du, daß Herr Haredale gerade beschäftigt ist, so sage ihm – kann Er sich einen mündlichen Auftrag merken, Herr Wirth?«
»Wenn er will, Sir,« antwortete John. »Ich denke, er wird diesen einzigen nicht vergessen.«
»Wie könnt Ihr das wissen?«
John zeigte blos auf Barnaby, der mit vorwärts gebeugtem Kopfe da stand und den Blick angelegentlich auf das Gesicht des Fragers heftete: dann nickte er schlau.
»Wenn er also beschäftigt ist, Barnaby, so sage ihm,« fuhr Herr Chester fort,« daß ich gerne hier warten wolle, falls es ihm belieben sollte, mich im Laufe des Tages mit einem Besuche zu beehren. – Im schlimmsten Fall kann ich hier wohl ein Bett haben, Willet?«
Der alte John, ungemein geschmeichelt durch diese vertrauliche Anrede, welche bekundete, daß seine Person dem Fremden bekannt sey, antwortete mit einem Blicke, der schlau seyn sollte. »Möcht's doch meinen, Sir,« und sann eben über verschiedene Formen von Lobeserhebungen, in der Absicht, eine passende für die Qualitäten seines besten Bettes auszulesen, als seine Ideen dadurch in die Flucht geschlagen wurden, daß Herr Chester Barnaby den Brief gab und ihm befahl, sich möglichst zu sputen.
»Sputen?« entgegnete Barnaby, das Schreiben in seiner Brust verbergend. »Sputen? Wenn Ihr Geschwindigkeit und Heimlichkeit sehen wollt, so kommt her.«
Mit diesen Worten legte er zu John Willets großem Entsetzen die Hand auf den feintuchenen Aermel des Gastes und führte ihn verstohlen nach dem Hinterfenster.
»Seht da hinunter,« sagte er mit weicher Stimme; »bemerkt Ihr, wie sie sich in die Ohren flüstern, dann hüpfen und tanzen, um Einem glauben zu machen, es sey nur ein Scherz? Seht Ihr, wie sie einen Augenblick inne halten, wenn sie glauben, daß Niemand zusieht, und wieder unter sich murmeln; und dann, wie sie springen und sich kugeln vor Freude über das Unheil, das sie angestiftet haben? Schaut nur darnach hin. Seht, wie sie wirbeln und umherstürzen. Und nun machen sie wieder Halt und flüstern vorsichtig mit einander – gebt nur Acht, ohne daran zu denken, wie oft ich im Grase gelegen und ihnen zugeschaut habe. Ich sage – was ist's wohl, was sie miteinander abmachen und aushecken? Wißt Ihr es?«
»Das sind ja nur Kleider,« entgegnete der Gast, »wie wir sie tragen; sie hängen zum Trocknen an den Schnüren und flattern im Winde.«
»Kleider?« wiederholte Barnaby, angelegentlich ihm in's Gesicht sehend und dann schnell zurückweichend. »Ha, ha! Ei, wie viel besser ist es, thöricht zu seyn, als so weise wie Ihr! Ihr seht nicht die schattenhaften Leute dort, gerade wie die, welche im Schlaf leben – nein, Ihr nicht. Auch keine Augen in den Knoten der Glasscheiben, keine schnellen Geister, wenn es scharf windet; auch hört Ihr keine Stimme in der Luft und seht keine Männer an dem Himmel fortschreiten – Ihr nicht! Da führe ich doch ein lustigeres Leben, als Ihr, so gescheidt Ihr auch seyn möget. Ihr seyd die Dunkelmänner, während wir im Lichte sind. Ha! ha! Ich möchte nicht mit Euch tauschen, so gescheidt Ihr auch seyd – ich nicht!«
Mit diesen Worten schwenkte er den Hut über seinem Kopfe und schoß davon.
»Ein sonderbares Geschöpf, auf Ehre!« sagte der Gast, eine schöne Dose herausziehend und eine Prise Schnupftabak nehmend.
»Es fehlt ihm an Einbildungskraft,« sagte Herr Willet sehr langsam und nach einem langen Schweigen; »da liegt der Fehler. Ich habe oft und vielmals versucht, ihm etwas davon einzutrichtern, aber« – fügte John im Vertrauen bei – »er ist nicht dafür geschaffen, kann ich Euch sagen.«
Es würde von der Wahrheit abweichen, wenn wir sagen wollten, daß Herr Chester über Johns Bemerkung lächelte, denn er bewahrte stets die gleiche gewinnende und angenehme Miene. Uebrigens rückte er jetzt seinen Stuhl näher an's Feuer, gewissermaßen um damit anzudeuten, daß er gerne allein wäre, und John, der keinen vernünftigen Grund sah, um da zu bleiben, entfernte sich.
Während der Bereitung des Mahls erging sich der alte John Willet in tiefsinnigen Gedanken, und wenn sein Gehirn weniger klar war, als sonst, so kann man ziemlich mit Grund annehmen, daß es daher rührte, weil er heute schon so oft und viel den Kopf geschüttelt und deßhalb den Inhalt desselben in einige Verwirrung gebracht hatte. Es war in der ganzen Nachbarschaft bekannt, daß Herr Chester mit Herrn Haredale in tiefer Feindschaft lebte, weßhalb es ein gewaltiger Stein des Anstoßes war, über den John nicht wegkommen konnte, daß der Erstere, wie es schien, blos zum Zweck eines Besuches herauskommen, den Maibaum zum Versammlungsort wählen und einen Expressen an Letzteren abschicken sollte. Dem guten Gastwirth blieb indessen keine andere Wahl, als den Kessel zu Rathe zu ziehen und ungeduldig auf Barnaby's Rückkehr zu warten.
Aber Barnaby zögerte, wie nie. Dem Gast war seine Tafel servirt und wieder abgeräumt, der Wein aufgestellt, das Feuer nachgeschürt und der Herd rein gefegt worden; der Tag neigte sich zu Ende; es wurde dunkel und endlich ganz Nacht, ohne daß Barnaby zurückkam. Obgleich nun John Willet voller Verwunderung und schlimmer Besorgnisse war, so saß doch sein Gast mit gekreuzten Beinen in dem Armstuhle, allem Anscheine nach eben so wenig verwirrt in seinen Gedanken als in seinem Anzuge – derselbe ruhige, gelassene, kaltblütige Herr, der sich durchaus um nichts als um seinen goldenen Zahnstocher zu kümmern schien.
»Barnaby bleibt lange aus,« wagte John zu bemerken, als er ein paar rostige Leuchter von etwa drei Fuß Höhe auf den Tisch setzte und die Lichter schneuzte.
»So ziemlich,« versetzte der Gast, seinen Wein schlürfend,« doch denke ich, daß er jetzt bald kommen muß.«
John hustete und schürte das Holz zusammen.
»Da Eure Wege nicht im besten Rufe stehen, wenn ich anders aus dem Unfalle, der meinem Sohn begegnet ist, schließen darf,« sagte Herr Chester, »und da ich durchaus nicht Lust habe, mir eins über den Kopf versetzen zu lassen – was nicht nur für den Augenblick störend ist, sondern Einen auch in eine lächerliche Stellung gegen die Leute bringt, welche Einen zufällig aufheben – so werde ich hier über Nacht bleiben. Ich glaube, Ihr sagtet, daß ein Bett zu haben sey?«
»Und was für ein Bett, Sir,« entgegnete John Willet; »ein Bett, wie man es sogar bei vornehmen Leuten nur selten trifft. Es ist ein wandfestes Hausgeräthe, Sir. Ich habe, mir sagen lassen, die Bettstatt sey schon an zweihundert Jahre alt. Euer edler Sohn – ein hübscher junger Herr – war der letzte, der darin schlief, Sir – vor ungefähr einem halben Jahre.«
»Bei meinem Leben, welch' eine Empfehlung!« sagte der Gast, achselzuckend und seinen Stuhl näher an's Feuer rädelnd. »Seht zu, daß es gut gelüstet wird, Herr Willet, und laßt hier noch ein gutes Feuer anzünden. Dieses Haus ist etwas feucht und kalt.«
John störte abermals in dem Reisholz, mehr aus Gewohnheit als in achtsamer Vollziehung dieses Auftrags, und war eben im Begriff, sich zu entfernen, als plötzlich ein hastiger Tritt auf der Treppe gehört wurde und Barnaby athemlos hereinkam.
»Er wird in einer Stunde den Fuß in die Bügel setzen,« rief er. »Er ist den ganzen Tag scharf geritten, eben erst nach Hause gekommen, will aber wieder im Sattel seyn, sobald er etwas zu sich genommen hat, um mit seinem lieben Freunde zusammen zu treffen.«
»War dieß sein Auftrag?« fragte der Gast aufblickend, aber ohne die geringste Verblüffung – oder wenigstens, ohne eine solche zur Schau zu stellen.
»Alles, bis auf die letzten Worte,« antwortete Barnaby. »Aber er meinte es so. Ich las dieß in seinem Gesichte.«
»Nimm das für deine Mühe,« sagte der Andere, indem er ihm Geld in die Hand drückte und ihn fest ansah. »Nimm das für deine Mühe, scharfsinniger Barnaby.«
»Es soll zwischen Greif, mir und Hugh getheilt werden,« entgegnete er, indem er es mit einem Kopfnicken auf der Hand zählte. »Greif eins, ich zwei, Hugh drei; der Hund, die Ziege, die Katzen – gut, ich stehe Euch dafür, wir werden bald damit fertig seyn. Halt! – schaut! seht ihr weisen Leute jetzt nichts hier?«
Er kauerte sich hastig auf ein Knie nieder und blickte aufmerksam in den Rauch, der in einer dicken, schwarzen Wolke den Schornstein hinaufwirbelte. John Willet, der augenscheinlich den Ausdruck »weisen Leute« vorzugsweise und hauptsächlich auf sich bezog, schaute ebenfalls mit äußerst gediegener Miene in dieselbe Richtung.
»Nun, wo gehen sie hin, wenn sie so schnell hier aufhüpfen?« fragte Barnaby; »he! warum treten sie einander so dicht auf die Fersen, und warum sind sie immer in Eile – was kann man mir zum Vorwurf machen, wenn ich mir dieses geschäftige Völkchen um mich zum Muster nehme. Noch mehrere, die sich an den Rockschößen fassen; und wie schnell sie auch gehen mögen. Andere kommen nach! Was das für ein lustiger Tanz ist! Ich wollte, Greif und ich könnten auch solche Luftsprünge machen!«
»Was hat er in dem Korb auf seinem Rücken?« fragte der Gast nach einer Weile, während welcher Barnaby immer niedergeduckt dagesessen hatte, um höher in den Schornstein hinaufsehen und den Rauch betrachten zu können.
»In diesem?« antwortete er aufspringend, ehe John Willet noch etwas erwiedern konnte. Dabei schüttelte er den Korb und senkte den Kopf, um zu horchen. »In diesem? was da drinnen ist? sag' es ihm!«
»Ein Teufel, ein Teufel, ein Teufel!« rief eine heisere Stimme.
»Da ist Geld!« sagte Barnaby, indem er es in seiner Hand klingeln ließ. »Geld zu einem Gelage, Greif!«
»Hurrah! Hurrah! Hurrah!« entgegnete der Rabe. »Nur getrost! Nichts da von Sterben! Wau, wau, wau!«
Herr Willet, der starke Zweifel zu unterhalten schien, ob ein Gast in einem Borten rocke und seiner Leinwand muthmaßlicherweise von dem Daseyn einer so unhöflichen Genossenschaft, welcher der Vogel anzugehören behauptete, Kunde haben könne, schob jetzt Barnaby zur Thüre hinaus, um weiteren unpassenden Erklärungen vorzubeugen, und verließ mit seinem besten Kratzfuß das Zimmer.