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4.

Dem Leib des Menschen gleicht des Staates Leben,
Daß nicht ein Glied das andere verletze,
Muß nur Ein Geist in allen Gliedern weben,
Es ist der Geist des Rechts, die Einheit der Gesetze.

Cl. Brentano.

Es war der gefürchtete Stadtschultheiß, Herr Heinrich von Praunheim selbst, der, in Begleitung seines Sohnes Volrad und einiger seiner Freunde, sich von dem damals in der Nähe des Dom's befindlichen Rathhause Dieses Rathhaus soll im Jahre 1346 oder 1349 durch einen Juden, Namens Stork, aus Bosheit in Brand gesteckt worden und gänzlich abgebrannt sein., nach seiner am Roßbühel Jetzt Liebfrauenberg. gelegenen Wohnung verfügte. Die Hellebardirer, welche vor und hinter dem Stadtschultheißen in ernster kriegerischer Haltung einhergingen, bildeten die Schutz- und Ehrenwache, die ihn auf seinen Amts- und Berufswegen stets umgab.

Während er und seine Begleiter stehen blieben und dem unsinnigen Betragen des Ralph Strichauer ihre Aufmerksamkeit widmeten, hatte Friedmann Muße und Gelegenheit, Beobachtungen über diejenigen anzustellen, die in einem so prunkvollen Aufzuge auf dem Schauplatze erschienen. Die Personen des Stadtschultheißen und seines Sohnes, der bereits die Stelle eines Schöffen bekleidete und dem hochbejahrten Vater in der Verwaltung seiner beschwerlichen Berufsgeschäfte thätig Hülfe leistete, waren dem Junker zwar unbekannt; allein Alles, was er über Heinrich von Praunheim gehört hatte, stimmte so sehr mit dem Aeußern des Mannes überein, der, sichtbar von seinen Begleitern geehrt, jetzt vor ihm stand, daß ihm kein Zweifel blieb, der mächtige Stadtschultheiß sei es selbst. Seine Gestalt war nicht groß, aber stark und gedrängt. Auf den beiden Schultern erhob sich, nur von einem kurzen kaum sichtbaren Halse getragen, das silbergelockte Haupt, dessen Antlitz in starren unbeweglichen Zügen den strengen Ernst des Mannes verkündigte. Dieses Auge mit dem finstern und stechenden Blicke war nie von Thränen des Mitleids getrübt worden; diese dunkel gefaltete Stirn hatte nie ein sanftes und zärtliches Gefühl geglättet; das ganze Angesicht war dem eines Steinbildes ähnlich, in das der Künstler, der es verfertigt, den bestimmten Ausdruck der Herrschsucht, der Unzugänglichkeit für milde Empfindungen, aber auch zugleich einer strengen Rechtlichkeit gelegt hat. Volrad von Praunheim war von höherer, aber minder kräftiger Gestalt als sein Vater. Seine Aehnlichkeit mit diesem war sprechend und Friedmann erkannte ihn ebensowohl an dieser, wie an dem höhnischen Lächeln, das ihm fortwährend um den Mund schwebte und welches er mit seiner Schwester Jutta gemein hatte. Die Klugheit des Vaters sprach auch aus den Augen des Sohnes, aber sie war hier mit Hinterlist und Tücke gepaart; der Ausdruck von Stolz und Selbstgefühl in den Zügen des Stadtschultheißen trat in denen des Schöffen als Hochmuth und Dünkel hervor. Der Alte blickte jedem scharf und gerade in's Auge; der Sohn sah auf Alles wegwerfend und verächtlich hinab. Die Erscheinung des Einen foderte zu unwillkürlicher Ehrfurcht auf, während die des Andern widerwärtige Empfindungen erregte. Neben dem Stadtschultheißen und seinem Sohne befanden sich noch zwei Männer, welche der Junker von Sonnenberg schon früher in der Umgebung des Kaisers, bei dessen Anwesenheit auf dem Schlosse seines Vaters, gesehen hatte. Es waren die Ritter Mainhard Schelm vom Berge und Günther von Nollingen. Beiden schenkte Kaiser Adolph sein besonderes Vertrauen; allein wenn man Herrn Mainhard Schelm im Allgemeinen dessen würdig hielt, so war dieses nicht der gleiche Fall mit Günther von Nollingen. Den ersten hatte Friedmann aus den Mittheilungen seines Vaters, dessen Waffenbruder er gewesen war und als dessen Freund er sich stets bewiesen hatte, ehren gelernt. Herr Schelm galt für einen untadelichen Ritter von offener Zunge und großer Tapferkeit. Er hatte das sechzigste Jahr bereits zurückgelegt und nach ritterlichen Gesetzen wäre es ihm daher vergönnt gewesen, dem beschwerlichen Waffenhandwerke zu entsagen und auf der Burg seiner Väter der Ruhe zu pflegen; allein er fühlte noch jugendliche Kräfte in sich, wich keinem im Turniere und war, wo es ernsten Kampf setzte, gewiß immer einer der Vordersten. Dabei lag ein scherzhaftes, bei Gelegenheit wohl auch ein spöttisches Wort immer bereit in seinem Munde, welchem Umstande es wohl zuzuschreiben sein mochte, daß er in der Nähe des Kaisers manche heimliche Feinde, unter diesen auch Herrn Günther von Nollingen, zählte. Der letzte, ein Mann von etwa vierzig Jahren, war lange in Frankreich gewesen und konnte für einen Stutzer seiner Zeit angesehen werden. Sein Haupthaar duftete von wohlriechendem Oele, sein Angesicht und seine Hände waren, wie es die damalige Mode beim Frauenzimmer beliebte, mit glänzenden Salben überzogen. Wenn Herr Mainhard über dem Panzerhemd einen kurzen einfachen Wappenrock trug und, als ein Feind aller Prunksucht und Eitelkeit, weder Gold noch Edelstein an sich litt, so war dagegen die Kleidung Herrn Günther's von den kostbarsten Stoffen in allen Farben zusammengesetzt und mit Edelsteinen, Gold und Perlen überladen. Sein Barett war rings mit Schwungfedern besetzt, und hinten und zu beiden Seiten hingen von diesem Kopfputze goldene Schellchen herab, die bei jeder seiner Bewegungen läuteten. Er war schlank und schmächtig von Gestalt und alle seine Bewegungen legten die Gewandtheit und Vorsicht eines Mannes an den Tag, der stets bedacht ist, seinen Körper in einem vortheilhaften Lichte zu zeigen. Auf seinem bloßen, aber fein gebildeten Antlitze schwebte immer ein gewinnendes Lächeln, die glatte Zunge ließ sich stets in Schmeichelworten vernehmen, und wenn Manche in seinem Auge etwas Lauerndes und Falsches bemerken wollten, so entging dieses doch demjenigen, dem eine genaue Kenntniß der ihm Nahestehenden am Nothwendigsten gewesen wäre, dem Kaiser selbst. Durch Günther von Nollingen war Adolph zum Ankaufe der Thüringischen und Meißnischen Länder beredet worden, wofür die Gelder weggegeben wurden, die zur Führung des Krieges gegen Frankreich bestimmt waren, so daß seit Jahren die Schmach einer erfolglosen Erklärung der Feindseligkeiten gegen König Philipp auf dem Kaiser ruhete. Wiederum war es Günther von Nollingen, der ihn bewog, die erkauften Länder mit Krieg zu überziehen, um sie mit Gewalt den rechtmäßigen Erben, den Markgrafen Friedrich und Dietzmann zu entreißen Diese beiden Markgrafen waren die Söhne Albrecht's des Unartigen, Landgrafen von Thüringen und Meißen, aus dessen erster Ehe mit Margaretha, einer Tochter Kaiser Friedrich's II. Der unnatürliche Vater verstieß seine Gattin und die mit ihr erzeugten Kinder, und vermählte sich, nachdem Tode der erstern, öffentlich mit Kunigunde von Eisenberg, der geheimen Anstifterin dieses Unheils. Um dem Sohne, welchen ihm diese geboren, ein reiches Erbe zuzuwenden und den verhaßten Kindern der Margaretha das ihrige zu entziehen, verkaufte er seine Länder für 12,000 Mark an den Kaiser Adolph, der ihm mächtig genug schien die Ansprüche Friedrichs und Dietzmanns zurückzuweisen, da er selbst bereits in den Fehden mit den eigenen Söhnen meistens den Kürzern gezogen hatte. Die jungen Markgrafen aber fuhren fort, ihr Recht mit den Waffen in der Hand zu vertheidigen. Stand ihnen Adolph selbst gegenüber, so neigte sich der Sieg stets auf seine Seite; riefen ihn aber seine anderweitigen Streitigkeiten mit dem Erzbischofe von Mainz und dessen Verbündeten an den Rhein zurück, so war das Waffenglück den Markgrafen günstig.. Adolph glaubte in ihm seinen besten und treuesten Rathgeber zu besitzen. Auch konnte keine Warnung ihn von diesem Wahne abbringen. Mainhard's spöttische, oft scharf genug hindeutende Bemerkungen schrieb er der Gewohnheit des alten Mannes zu, seine Satyre über Alles zu ergießen; die Mittheilungen anderer glaubte er aus unlautern Quellen oder aus übertriebener Sorgfalt für sein Wohl entsprungen. Dem Statthalter Ludwig von Sonnenberg war es einmal gelungen, den Argwohn des Kaisers gegen Günther von Nollingen rege zu machen, aber bald hatte die Geschmeidigkeit des Günstlings das gestörte Vertrauen wieder hergestellt und Günther stand dem Kaiser nun näher als jemals. Im Uebrigen war er ein tapferer Ritter, der seinen Muth und seine Geschicklichkeit in Führung der Waffen bei Schimpf und Ernst erprobt hatte. Er stand in großer Gunst bei den Frauen und besonders schien Jutta von Praunheim ihm, der sich eifrig um ihre Gunst bewarb, nicht abgeneigt zu sein. Friedmann wußte jene Dinge, die dem Herrn von Nollingen zur Last gelegt wurden, aus dem Munde seines Vaters, der für gut gefunden, seinen Sohn vor der Reise an den Kaiserhof mit den nähern Verhältnissen desselben bekannt zu machen.

Was wir so eben von den vier genannten Männern berichtet, ging im Fluge weniger Augenblicke an dem Geiste unseres jungen Freundes vorüber. Noch stand der Stadtschultheiß, den tobenden Ralph aufmerksam betrachtend, ruhig an seiner Stelle; noch lächelte Volrad von Praunheim mit verächtlichem Hohne über den verwundeten Kriegsknecht; noch sahen die beiden Ritter verwundert dessen tolles Betragen an. Da gab der Gebietende den Hellebardirern einen leichten Wink mit der Hand und sogleich ward Ralph Strichauer von hinten ergriffen und ihm trotz seines Sträubens und Ringens das Schwert entwunden.

»Verrath! Uebermacht! Hinterlist!« rief der Entwaffnete, während er sich vergebens bemühete, sich derer zu erwehren, die ihn unerwartet angegriffen hatten. »Das ist wider Recht und Kampfgebrauch. Ein unerlaubtes Beginnen und Strategema, wie die Lateiner sagen!«

Er würde noch gar sehr gelärmt und mit unnützen Reden um sich geworfen haben, wenn ihn nicht die Hellebardirer mit kurzen Worten und durch verständliche fühlbare Geberden bedeutet hätten, vor wem er eigentlich stehe in diesem Augenblicke und daß ihm gezieme zu schweigen.

»Meinetwegen!« brummte er unwillig für sich hin, als er sich so fest gepackt fühlte, daß er kein Glied regen konnte. »Gegen den Stachel kann man nicht lecken. Bringt mir ein wenig Wasser herbei und wascht mir das Blut aus dem Gesichte, daß ich sehe, wer mich eigentlich hält, ob ich in ehrlicher oder schimpflicher Haft bin. Ante obitum nemo felix, sagen die Lateiner und sie haben Recht.«

Indessen war auf ein Zeichen des Stadtschultheißen der Bettelmönch, welcher in der Mysterie den König Ahasverus vorgestellt hatte, demüthig näher getreten und begann auf Heinrich von Praunheim's Frage, was sich eigentlich hier begeben und auf welche Weise der festgenommene Waffenknecht verwundet worden sei, einen umständlichen Bericht des ganzen Vorfalls. Das Angesicht des Stadtschultheißen zeigte nicht die mindeste Veränderung, während er der Erzählung des Bettelmönchs seine Aufmerksamkeit schenkte. Nur aus den Mienen seiner Begleiter erkannte der Junker von Sonnenberg, daß in jener Mittheilung auch von ihm die Rede sei. Herrn Mainhard Schelm's Blicke ruheten zweifelhaft auf ihm, als sinne er nach, ob er den jungen Mann nicht bereits schon irgendwo gesehen habe und wo dieses gewesen sein könne? Mit einem Lächeln des Hohns blickte Volrad von Praunheim herüber und Herrn Günther's stechendes Auge weilte forschend auf dem zierlich gekleideten Edeljunker.

Mit gleichgültiger Gebehrde, als ginge der ganze Handel ihn nichts an, lehnte Friedmann in der Thüre der Bude. Er hatte gleich beim Erscheinen des Stadtschultheißen und seiner Begleiter sein Schwert wieder zur Ruhe gebracht. Bis jetzt war seine Aufmerksamkeit für einige Zeit an das gefesselt gewesen, was außerhalb der Bude sich ereignet hatte; nun aber trat zugleich mit aller Macht der Gedanke an die schöne Unbekannte, die sich im Innern der Bude befand und gewiß noch in großer Angst schwebte, wieder vor seine Seele. Er wendete sich um. Da stand Jutta von Praunheim, dicht hinter ihm und beugte so eben das stolze Haupt vor, um nach außen zu blicken; da sah er das reizende Wesen, das ihn entzückte und mit süßem Sehnsuchtsschmerze erfüllte, nahe bei sich, dicht neben jener, bleich und zitternd. Er konnte die Züge ihres Odems belauschen, er konnte ungestört in dem beseligenden Anblicke des zarten Frauenbildes schwelgen.

»Das ist mein Vater!« sagte das Fräulein von Praunheim, nachdem sie sich von dessen Gegenwart überzeugt hatte, und nahm den Arm ihrer Begleiterin. »Lasset uns hin zu ihm und unsere Klage anbringen, daß der Schuldige bestraft und uns eine rechtliche Genugthuung werde!«

»Lasset uns lieber seine Milde erflehn!« lispelte die andere mit einer Stimme, die wie Gesang in Friedmann's Ohr tönte.

Jutta trat aus der Bude, mit ihr die schöne Unbekannte. Das Kleid der letztern berührte den Junker von Sonnenberg; ihr mildes Auge tauchte in das seinige und sprach aus, was der reizende Mund verschwieg: Innigen Dank für den ritterlichen Dienst, den er mit ebensoviel Umsicht als Muth den zwei bedrängten Frauen geleistet hatte. Friedmann fühlte sich unendlich glücklich in diesem Augenblicke. Für alle Schätze der Welt hätte er diesen einzigen süßen Blick nicht missen mögen.



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