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16.

Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegt's:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen. –

Shakspeare.

Nach dem Unterrichte in seinen neu übernommenen Verpflichtungen, welchen der kaiserliche Oberkämmerer unserm jungen Freunde ertheilt hatte, wurde dieser den übrigen Junkern und den Personen des Hofgesindes, mit welchen ihn sein Amt in Berührung bringen konnte, in der Eigenschaft eines Leib- oder Ehrenjunkers ( ecuyer d'honneur) vorgestellt. Unter den vielen Menschen, welche ihn hier umgaben und für die er ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit war, fand er keinen, dessen Gesichtszüge und Betragen ihm Vertrauen eingeflößt hätten. Die Junker sahen mit finstern Blicken, aus denen Neid und Mißgunst sprachen, auf den Neuling, der ihnen vorgezogen worden war, obgleich sie die Ansprüche, welche ihm seine Tapferkeit und seine Geschicklichkeit in ritterlichen Dingen auf die ihm übertragene Stelle gaben, nicht verwerfen konnten. Sie waren aber meist Söhne aus fürstlichen und gräflichen Häusern, und glaubten den Zufall ihrer Geburt allein schon hinreichend, ihr größeres Recht auf ein Amt, wie es Friedmann erhalten hatte und welches ihm die Macht gab ihnen zu gebieten, darzuthun. Diesen waren die anwesenden Mitglieder des Hofgesindes größtentheils befreundet und es konnte deshalb kaum befremdend erscheinen, daß auch die letztern dem neuen Ehrenjunker, eben so wenig wie jene, auf irgend eine Weise ihre Geneigtheit an den Tag legten.

Friedmann war bereits durch die Schilderungen seines erfahrenen Vaters zu sehr in das Innere des Hoflebens eingeführt worden, als daß eine solche Aufnahme ihn hätte in einem hohen Grade überraschen oder gar bekümmern können. Er lächelte über die kindische Selbstsucht der jungen Leute, denen wahrscheinlich mehr, als alles Andere, die reicher geschmückte Kleidung eines kaiserlichen Ehrenjunkers als das höchste Ziel ihrer Wünsche vor Augen lag. Er rechnete darauf, die Freundschaft des wandelbaren Völkchens durch ein zuvorkommendes und gefälliges Betragen bald zu gewinnen, so wie er sich überzeugt hielt, die Achtung der Bessern bereits durch die von ihm abgelegten Proben in Führung der Waffen und körperlicher Gewandtheit, erworben zu haben. Die Kälte, welche ihm das Hofgesinde zeigte, schien ihm durchaus keiner Beachtung werth. Er wußte, daß diese Menschen immer nur nach dem Beispiele der höher Stehenden handelten und sah voraus, daß, sobald ihnen kein Zweifel mehr über die Gunst, mit welcher der Kaiser ihn auszeichnete, bliebe, sie ihm eine größere Ergebenheit beweisen würden, als seinem Wunsche, in keine zu nahe Beziehung mit ihnen zu treten, entsprechen dürfte. Die Stelle eines kaiserlichen Leibjunkers war in der letzten Zeit sehr wandelbar gewesen und in ihrer Besetzung hatte der Monarch fast immer mehr der Vorsprache der Großen, deren Freundschaft ihm wichtig war, als seinen eigenen Neigungen folgen müssen. Deshalb hatten die Hofdiener mehrere Ehrenjunker gesehn, welche das kaiserliche Vertrauen keineswegs besaßen, und aus dem nämlichen Grunde mochte es ihnen räthlich scheinen, erst sichere Proben, daß Adolph aus eigenem Antriebe dem Junker von Sonnenberg das Amt, welches dieser jetzt bekleidete, übertragen habe, zu erwarten, ehe sie durch offene Beweise einer freundlichen Theilnahme an diesem, das Wohlwollen der übrigen Junker auf ein unsicheres Spiel setzten.

Diese Zusammenkunft mit dem untergeordneten Theile der Individuen, in deren Nähe er von nun an leben sollte, dauerte nicht lange. Er gewann dann noch so viele Zeit, die kleine Habe, welche ein junger Kriegsmann damals mit sich zu führen pflegte, aus der Herberge zur Goldgrube in das Palatium zu schaffen, wohin ihm auch, nach dem Vorrechte, das dem kaiserlichen Ehrenjunker vor den übrigen Junkern zustand, sein Diener Stephan folgte.

Schon am nämlichen Abende trat er die Obliegenheiten seines Dienstes an. Dieser hielt ihn immer in der Nähe der kaiserlichen Person, von der er sich, ohne eine besondere Erlaubniß des Monarchen selbst, nicht entfernen durfte. Bei den Mahlzeiten, welche Adolph gewöhnlich in seinem Gemache, nur in Gesellschaft seiner vertrautesten Günstlinge, des Ritter Schelm vom Berge, des Herrn von Nollingen und des von ihm gleich einem Vater geachteten salernitanischen Arztes einnahm, kam dem Ehrenjunker die unmittelbare Bedienung des Kaisers selbst zu. Er überreichte ihm die Speisen, die er aus den Händen des Junker Vorschneiders, den gewürzten Wein, den er von dem Junker Mundschenk empfing. Beides mußte er dem Herkommen zufolge kredenzen, indem er ein silbernes Stäbchen in die Speise tauchte und diese versuchte, und mit dem Inhalte des gefüllten Pokals leicht die Lippen benetzte. Begab sich der Monarch zur Ruhe, so war außer dem Leibjunker nur der kaiserliche Oberkämmerer und ein Junker Kämmerer, der die unbedeutenden Handreichungen verrichtete, zugegen. Diese beiden letztern entfernten sich auf einen Wink des Kaisers und nur der Ehrenjunker, dessen Schlafgemach dicht an das seines hohen Gebieters stieß, blieb noch so lange zurück, bis er sich überzeugt hatte, alles Geräusch sei aus der Nähe des Monarchen entfernt und jede Veranstaltung, welche für die Nacht nöthig war, sei getroffen.

Als Friedmann am ersten Abende seiner Dienstverwaltung sich in sein Schlafzimmer zurückziehn wollte, trat der Kaiser, der, in ein leichtes Hausgewand gekleidet, mit allen Spuren einer tiefen Gemüthsbewegung auf- und niedergeschritten war, zu dem Jünglinge hin und sagte, indem er traulich eine Hand auf seine Schulter legte:

»Gib Dich sorglos der Ruhe hin, deren Dein Alter so sehr bedarf. Solltest Du auch in der Nacht mich reden hören oder irgend ein andres Geräusch vernehmen, das Dir seltsam dünken möchte, so laß Dich das nicht stören. Nur auf meinen lauten Ruf komm herbei. Für Andres habe keine Ohren. Zur rechten Zeit hören oder nicht hören, reden oder schweigen: darin besteht die große Kunst des Lebens mit Andern, die über oder neben uns stehn.«

Diese Lehre wohl erwägend verließ Friedmann seinen kaiserlichen Gebieter. Lange erwartete er vergebens den Schlummer, der ihn nach so mannichfachen, großen Theils für ihn ermüdenden Ereignissen, wie er am heutigen Tage erlebt hatte, unter andern Umständen nicht lange geflohen haben würde. Sein Schlafgemach war von dem des Monarchen nur durch eine dünne Bretterwand getrennt. Er hörte diesen noch lange auf- und niederschreiten, unverständlich mit sich selbst sprechen und zum öftern tief aufseufzen. Endlich konnte er der Gewalt des Schlafs, die mit einem Male über ihn einbrach, nicht mehr widerstehn. Er unterlag ihr, ohne jedoch sich so ganz ihr hinzugeben, daß er nicht auf den mindesten äußern Anlaß sich sogleich hätte ermuntern können.

In diesem unruhigen Schlummer hatte er einige Zeit hingebracht, als ihn die Mitternachtsglocke von dem Thurme der nahen Nicolai-Kapelle erweckte. Er fuhr hastig auf. In diesem Augenblicke erklang der letzte Glockenschlag, aber zugleich vernahm er auch ganz in der Nähe das Knarren einer Thüre und gleich darauf ein Flüstern mehrerer Stimmen im kaiserlichen Gemache. Der matte Schein, welchen bisher die in dem Zimmer Adolphs brennende Nachtlampe durch die Fenster auf die gegenüberliegende Mauerwand geworfen hatte, wurde plötzlich zu einem hellstrahlenden Lichte, in dessen Glanze er mehrere Schatten von Personen, die sich bei dem Kaiser befinden mußten, wahrnahm. Sein erster Gedanke war aufzuspringen, zu seinem Gebieter zu eilen und diesem seine Dienste anzubiethen, im Falle er deren bedürfte. Da fielen ihm die Worte ein, mit welchen ihn der Kaiser verlassen hatte. Er ahnete, daß hier ein Geheimniß verborgen sei, für das er weder Augen noch Ohren haben dürfe, und bemühte sich wieder einzuschlafen, was ihm um so mehr gelang, da das früher vernommene Flüstern aufgehört hatte. Aber es war nur ein unruhiger Halbschlummer, ein Schweben zwischen Wachen und Schlafen, in das er gerieth. Wie im Traume kam es ihm vor, als höre er die Stimme des Monarchen, des alten Arztes und der schönen Amalgundis ganz in seiner Nähe. Ja! einmal dünkte es ihn, als werde auch sein Name genannt. Nach und nach wurde sein Schlaf fester. Die unbestimmte Wahrnehmung gestaltete sich zu einem wirklichen Traume, in welchen sich die Begebenheiten des vergangenen Tages verflochten und der ihm bald das Bild der geliebten Amalgundis, bald das des büßenden Mönches, bald das des besiegten Waffenmeisters Ralph Strichauer und die Gestalten anderer ihm wichtig gewordener Personen vorführte.

Nachdem die Phantasie des Schlafenden lange, auf diese Weise ihr regelloses Spiel getrieben hatte, wurde er plötzlich durch einen Laut, dessen Natur und Beschaffenheit er sich im ersten Augenblicke nicht erklären konnte, aus seinem Schlummer emporgerissen. Der Laut erklang noch einmal. Jetzt blieb dem Junker von Sonnenberg kein Zweifel mehr: es war ein Schrei der Angst oder des Entsetzens aus dem Munde des Kaisers.

Wie ein Blitz fuhr es in Friedmanns Seele, daß nun keine Bedenklichkeit ihn zurückhalten dürfe, in das Zimmer des Monarchen zu eilen. Mit kaum hörbaren Schritten flog er zu der Thüre, welche aus dem einen Gemach in das andere führte. Ebenso leise öffnete er und stand im Augenblicke vor dem Lager des Kaisers, das von der düster brennenden Nachtlampe nur matt beleuchtet wurde. Adolph schlief; aber sein ganzes Aeußere zeigte, daß keinesweges der friedliche Schlummer bei ihm eingekehrt sei, der sich öfter in den Hütten des Landmanns, als in den Pallästen der Großen findet. Er lag auf dem Rücken, die rechte Hand geballt über seinem Haupte, die linke krampfhaft auf sein Herz gepreßt. Die dunkle Glut auf seinem sonst bleichen Antlitze, dessen schöne Züge verzerrt und entstellt waren, gab ihm ein fremdartiges, Grauen erregendes Ansehn. Gegen diese Röthe stach die Blässe seiner Lippen, aus denen jeder Blutstropfen gewichen zu sein schien, auffallend ab. Der Mund stand offen und die Zähne klappten zu unwillkürlicher Bewegung zusammen.

Friedmann hatte die Nachtlampe zur Hand genommen und beugte sich, indem er sich hütete das nahe Licht auf die Augen des Schlafenden fallen zu lassen, über diesen hin. Die schweren Odemzüge, welche sich mühesam der Brust entrangen, trafen seine Wange; er sah wie jetzt die Bewegung des Mundes ruhiger ward und endlich ganz aufhörte. Mit einemmale aber stieß der Monarch wieder einen so furchtbaren Schrei aus, wie derjenige gewesen war, der seinen Leibjunker herbeigerufen hatte. Dieser wich entsetzt zurück. Die Lampe bebte in seiner Hand. Er nahm jedoch seine ganze Besonnenheit zusammen, um nicht irgend ein Geräusch zu veranlassen, das den schwer Träumenden hätte erwecken und diesem seine Gegenwart verrathen können.

»Dietzmann! – Friedrich! – Was wollt Ihr von mir?« sprach jetzt der Kaiser mit ängstlich gepreßter Stimme, während seine Augen geschlossen blieben und ohne daß er durch die mindeste Bewegung seine Lage verändert hätte. »Euer Erbe verlangt Ihr von mir? – Geht zu Euerm Vater! Was kümmern mich Euere Ansprüche? Hallo auf!« rief er plötzlich laut. »Auf, Frankreich! Wir haben noch eins auszufechten mit einander. Doch was für ein schwarzer Geyer kommt da geflogen mit zähnefletschendem Menschenantlitze? Da gilt's Blut und Leben, Reich und Krone. Hinan! Hinein! Wir siegen, das Recht ist bei uns!«

Ein tiefer Seufzer folgte diesen lauten Ausbrüchen eines wilden Traums. Dann wurde der Schlaf des Monarchen ruhiger und die phantastischen Bilder, welche ihn gestört hatten, schienen entwichen zu sein.

»Armer Kaiser!« dachte der Junker von Sonnenberg, indem er mit theilnehmenden Blicken auf die schlafende Heldengestalt niedersah.

»Der Tag droht Dir mit Meuchelmord, die Nacht mit beängstigenden Wahnbildern. Bei Gott! Dein Loos ist nicht beneidenswerth.«

Langsam, wie er gekommen war, schlich er in sein Gemach zurück. Er konnte nicht mehr schlafen. Im Nachsinnen verloren über jenen seltsamen Halbschlummer, in dem er fast zu deutlich Amalgundis flüsternde Stimme gehört hatte, um sie für ein bloßes Spiel seiner Einbildungskraft halten zu können, und von beunruhigenden Gedanken über das unglückliche Schicksal des von ihm geliebten und bewunderten Monarchen ergriffen, erwartete er den Tag, der in die Kaiserpfalz ein geräuschvolles und regsames Leben zurückführte, welches die der Ruhe gewidmete Nacht daraus vertrieben hatte. Im Schlafzimmer des Kaisers blieb es, während der kurzen Zeit bis zum Morgen hin, still und ein kurzer Friede mochte dem von so vielen Bekümmernissen und Sorgen bestürmten Gemüthe vergönnt sein.



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