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Wo bist Du her, aus welchem Zauberland,
Du liebliches holdseliges Gebilde?
Schreiber.
»Wer ist sie? Wie nennt sie sich?« Mit diesen in einem Athem ausgestoßenen Fragen stürmte Junker Friedmann in die Bude des Lombarden.
Der Handelsmann, der bereits beschäftigt war, die zwanzig Mark Silbers abzuzählen, zu deren Straferlegung man ihn verurtheilt hatte, sah verdrießlich auf und erwiederte:
»Welche meint Ihr: die lange oder die kurze? Die lange ist eine Straußfeder, die kurze ist vom Reiher.«
»Wer spricht von Euern Federn!« brauste der Junker auf. Der Gedanke an die reizende Begleiterin des Fräuleins von Praunheim hatte sich so ganz seiner bemächtigt, daß er es dem Italiener sehr verübelte, ihn nicht gleich verstanden zu haben. In seiner Brust wogte es stürmisch auf und nieder, und noch niemals hatte er sich von so gewaltigen Empfindungen bewegt gefühlt, wie in diesem Augenblicke. Er ergriff den Kaufmann heftig bei der Schulter, und, indem er ihn durch ein starkes Rütteln dazu brachte, ihn gerade anzublicken und aufmerksam auf ihn zu hören, fuhr er fort. »Von den beiden Frauen spreche ich, die in Euerm Laden waren und sich mit dem Stadtschultheißen entfernten. Sagt schnell: wie nennt sich die schönere von ihnen, die mit den blauen Augen und dem hellen Lockenhaare? Gebt mir gute und genaue Auskunft, denn Ihr seid mir wohl eine solche Gefälligkeit schuldig dafür, daß ich Euch gegen Raub und Gewaltthätigkeit geschützt.«
»Ein schöner Schutz!« murmelte Bandini in sich hinein: »kostet mich zwanzig Mark Silbers und überdem noch sehr wahrscheinlich auch die Kundschaft des gestrengen Herrn Stadtschultheißen und seines Hauses. Edler Junker,« sprach er dann laut, aber immer noch mit verdrießlicher Miene zu Friedmann, »es kann Euch wenig nützen, den Namen dieser Jungfrau zu wissen? Ich habe wohl bemerkt, daß Euere Blicke mit besonderem Wohlgefallen auf Ihr verweilt, aber so Ihr einen guten Rath für Euere gute That annehmen wollt, so möchte ich Euch wohl ermahnen, alle Gedanken an sie aufzugeben und Euch nicht ferner um sie zu kümmern.«
»Unverschämter!« zürnte der Junker von Sonnenberg zu ihm hin: »Was soll diese Rede bedeuten? Soll sie eine Schmähung gegen jenes edle Fräulein enthalten, so wahret Eure Ohren, daß sie nicht zur Strafe des Verläumders am Galgen ihre Stelle finden! Doch was ereifere ich mich gegen Euch, der solche Huld und Schönheit nicht zu beleidigen vermag? Gebt Antwort auf meine Frage und behaltet Euere sonstigen Bemerkungen für Euch.«
» Per Dio!« erwiederte mit gleichgültigem Tone der Lombarde: »ich meinte es gut mit Euch. Gewiß werdet Ihr noch einstens erkennen, daß mein Rath der beste war, und es wird Euch gereuen, ihn nicht befolgt zu haben. Was nun diejenige betrifft, über welche Ihr Auskunft zu haben wünscht, so ist das Fräulein Amalgundis, von der Ihr gewiß schon gehört habt, und die so lange im Hause und unter der Obhut des Stadtschultheißen lebt, bis Kaiser Adolph selbst –«
Friedmann wollte nur den Schluß von der Rede des Cowertschen abwarten, um diesen zu versichern, daß ihm von Fräulein Amalgundis noch nie das Mindeste zu Ohren gekommen sei, und eine weitere Erklärung von ihm zu verlangen, als plötzlich mehrere Käufer in den Laden traten und den Meister Bandini so tief in Handelsgeschäfte verwickelten, daß dieser für alle weitere Fragen des Junkers unzugänglich war.
»Amalgundis nennt sie sich? Ich müßte schon von ihr wissen,« meinte der Junker, »und Kaiser Adolph selbst nähme Theil an ihr?« – Unter diesem stummen Selbstgespräche, das ihm in jeder Frage ein neues Räthsel bot, entfernte sich der Junker von Sonnenberg von der Stelle, wo mit einemmale sein Herz zu neuen mächtigen Empfindungen erwacht war, für die es bis jetzt geschlummert hatte. Er überließ sich den mannichfaltigen, seine Seele durchkreuzenden Gedanken ganz und besaß keine Augen für die vielen merkwürdigen Gegenstände, welche die Messe auf dem Wege, den er bewußtlos einschlug, versammelt hatte. Ohne daß er es wollte, trugen ihn seine Schritte in die weiten Gewölbe der großen Kaufhalle. Eine kalte Zugluft, die immer die hohen Bogengänge durchströmte, wehete ihn an und entriß ihn, indem sie sein glühendes Antlitz traf, seinen Träumen. Er sah um sich und konnte sich eines Erstaunens über die seltsame Umgebung, in der er sich plötzlich hier wieder fand, nicht erwehren.
Ringsum an den Wänden waren auf einigen Holzgestellen die Felle der wildesten Thiere aus allen damals bekannten Weltgegenden aufgehängt. Die Köpfe an den Fellen waren noch mit ihren Gebissen versehen und die gläsernen Augen, welche die Stelle der natürlichen vertraten, starrten wie dunkelglühende Lichter auf den Zuschauer hernieder. Mit vieler Geschicklichkeit hatte man die Thierhäute so hergerichtet und gestaltet, daß es schien, als seien die Thiere selbst hier versammelt, welche sie mit dem Verluste ihres Lebens hergegeben hatten. Da war es der königliche Löwe, der, den ungeheuern Rachen voll scharfer Zähne zeigend, zum mächtigen Sprunge ansetzte; da der bunt gefleckte Tiger, der mit wildem Blicke auf seine Beute zu lauern schien; da der Bär des Eispol's, der aufrecht stehend die Vorderbeine zur erdrückenden Umarmung geöffnet hielt; da der gefräßige Wolf; da der listige Fuchs und noch vielerlei andres, seltsam anzuschauendes Thiervolk, für das Friedmann keinen Namen wußte.
Mit finstern Mienen und von Kopf bis zu den Füßen schwarz gekleidet, betrieben die Männer, welche hier feil hielten, ihr Geschäft. Die Gehülfen standen mit demüthigen Geberden da, aufmerksam auf jeden Wink der Herrn achtend, ohne jedoch die bleichen Angesichter, die bei anhaltender Arbeit in dumpfer Zimmerluft ihre gesunde Farbe verloren haben mochten, zu erheben. Andere von ihnen schrieben emsig an kleinen Tischen, die mit einem nur wenig durchsichtigen Verschlage von hölzernem Gitterwerk umgeben waren, so daß die dahinter Sitzenden dem Junker als bedauernswerthe Gefangene erschienen. Die trüben und kümmerlichen Mienen der hagern und tief gebeugten Gestalten mußten einen solchen Gedanken begünstigen, und in der That waren die Diener auf den Schreibstuben der nordischen Hansa, deren Söhne hier die kostbaren Pelzwerke der entlegensten Länder ausboten, nicht viel besser daran als Sklaven, welche einem strengen Gebieter verfallen sind. Arbeit von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht war ihr Loos. Das geringste Versehen, die kleinste Nachläßigkeit wurde mit harter körperlicher Züchtigung bestraft. Bei dem Herrn, in dessen Dienste sie sich einmal begeben hatten, mußten sie ihr ganzes Leben hindurch bleiben, es sei dann, daß irgend ein glücklicher Fall sie in den Stand gesetzt hatte, ein eigenes Handelsgeschäft zu unternehmen. Bis dahin waren sie auch verbindlich im unehrlichen Stande zu leben, wozu sie sich gleich beim Austritte aus den Lehrjahren durch ein feierliches Gelübde verpflichteten. Selten blickte das Licht der Sonne in die niedrig gewölbten Schreibstuben, deren enge Fensteröffnungen meist auf abgelegene, hoch verbauete Höfe hinausgingen. Noch seltener ward ihnen gestattet in das Freie zu gehn und dieses dann nur in Begleitung ihres Herrn oder eines von diesem ernannten Stellvertreters, damit ihnen nicht Gelegenheit würde, die Geheimnisse des Hauses, dessen besondere Verbindungen und geheime Handelswege auszuplaudern. Das Leben eines Mönches, der nicht gerade zu den strengsten Orden gehörte, war ein frohes und glückliches Dasein gegen das eines Gehülfen auf den Schreibstuben der Hansa.
Der Junker von Sonnenberg hatte in der Burg seines Vaters von diesen Einrichtungen gehört. Mit aufrichtigem Bedauern wandte er seinen Blick von diesen unglücklichen Handlangern des Reichthums ab, zugleich aber konnte er sich nicht eines Gefühls der Achtung gegen die ernsten Handelsherrn erwehren, die in ihrem festen Verein sich schnell zu einer Macht emporgeschwungen hatten, die den Anmaßungen der Fürsten und Herrn, den Räubereien zur See und zu Land, einen erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen vermochte.
Sein Auge flog durch die weite Halle hin. Es forschte nach erfreulichern Gegenständen, als die, von denen es sich eben abwandte. Da bemerkte er in geringer Entfernung die liebliche Augsburgerin Beata, am Arme ihres sonnengebräunten Hochzeiters Gabriel, der eben im Begriff stand, kostbares Pelzwerk, vielleicht zum stattlichen Brautkleide Beatens bestimmt, zu erhandeln. Beata hatte auch ihn bereits gesehen. Kichernd zupfte sie den Bräutigam und sprach ihm in's Ohr, der dann auch die ruhigen Blicke auf den Junker heftete und hierauf, zu dessen Erstaunen, mit dem schalkhaft lächelnden Mädchen sich ihm näherte.
Gabriel war ein junger Mann von gutem Ansehn. Sein Antlitz trug den Ausdruck einer Ernsthaftigkeit, die nicht mit seinen Jahren übereinstimmte. Dabei sahen die großen braunen Augen offen und treuherzig unter der hoch gewölbten Stirn hervor und die starken Glieder, die sich mit einiger Unbeholfenheit bewegten, waren sonst regelmäßig gebildet und ließen eine ungewöhnliche Leibeskraft vermuthen. Er war nach seiner Art sehr stattlich gekleidet, trug ein sammetnes Wamms von silbernen Ketten zusammengehalten und darüber einen mit kostbarem Pelze verbrämten Mantel aus feinem walonischen Tuche. Seinen Kopf hatte er unbedeckt, so daß sein reiches braunes Haar in wallenden Locken auf beide Schultern hinabfiel.
»Edler Junker,« begann er, als er vor Friedmann stand, »Ihr habt meiner Braut eine große Güte und Freundlichkeit bewiesen. Verübelt es uns nicht, wenn uns diese Euere Leutseligkeit zu einer weitern Bitte an Euch den Muth gibt. Nächsten Sonntag ist unser Ehrentag, nach Vater Auffenthaler's freundlichem Willen. Er wird mit Lust und Tanz in der Herberge zum Rebstocke begangen. Da möchten wir nun gar gern auch Euch zum Zeugen unseres Glücks sehn und wünschen, Ihr nehmet gütig Theil an der Freude, die sich hoffentlich bei uns einlagern wird.«
Während Gabriel so sprach, suchten die Blicke der artigen Augsburgerin den Boden. Es lag ihr zwar sehr am Herzen, einen so stattlichen Edeljunker, wie den Junker von Sonnenberg, als Gast bei ihrer Hochzeit zu sehen, denn es galt als eine große Auszeichnung, wenn sich der Edelmann in solcher Weise zu dem Bürger herabließ; allein sie hegte auch einen ehrbaren und sittsamen Sinn, so daß sie um alles in der Welt nicht in den Verdacht hätte gerathen mögen, den Junker aus andern, als höchst rechtlichen Absichten in ihrer Nähe zu wissen. Friedmanns freundliches Betragen, das sehr im Widerspruche mit dem rauhen und herrischen Wesen andrer Ritter und Junker stand, hatte dem Mädchen gleich anfangs gar wohl gefallen. Als aber der Jüngling mit ungemeiner Großmuth dem armen Pfeffer-Rösel aus der Noth geholfen, die so schwer auf ihm lag, da war es heiß von Beatens Herzen heraufgequollen und hatte das sonst nur zu Freude und Schalkheit erglänzende Auge getrübt, so daß sie nur mit Mühe die Thränen verbergen konnte, die es anfeuchteten. Beata verstieg sich jedoch, bei dieser durch Friedmann bewirkten Rührung, zu keinem andern Wunsche, als dem, diesen freundlichen und außerdem auch in Gestalt und Kleidung gar ansehnlichen Edeljunker an ihrem Hochzeitsfeste zu bewirthen. Als sich Friedmann von ihrem Laden entfernt hatte, bildete sich dieser Gedanke in ihrem Köpfchen. Wie aber ihn verwirklichen? Sie wußte nicht einmal den Namen des Junkers, noch weniger wo er sich hingewendet habe und wo er zu finden sei? Da führte die Gunst des Zufalls ihr den Erwünschten in der Halle der Hanseatischen Handelsleute entgegen, als ihr Bräutigam sie hierher geleitet hatte, um ihr die Wahl des köstlichsten Pelzwerkes zu ihrem Hochzeitsstaate frei zu stellen. Wenige Worte reichten hin, den jungen Kaufmann, der ein unerschütterliches Vertrauen in seine Braut setzte, ihrem Wunsche geneigt zu machen und jene wohlgemeinte Einladung zu veranlassen.
Es ist uns bekannt, daß der Junker von Sonnenberg, ehe er die reizende Amalgundis gesehen, mit besonderm Wohlgefallen an dem muntern Wesen der zierlichen Augsburgerin, sich bei deren Laden verweilt hatte. War auch die freundliche Gestalt der letztern für einige Augenblicke in Friedmanns jugendlich reizbarem Herzen heimisch geworden, so hatte doch die bei Weitem strahlendere Schönheit der Freundin Jutta's von Praunheim sie bald siegreich daraus vertrieben. Ein wohlwollendes Gefühl aber für Beata, so rein, daß es sich auch auf ihren Bräutigam erstreckte, war zurückgeblieben und bewog ihn, dem von den bittenden Blicken des lieblichen Mädchens unterstützten Verlangen Gabriel's zu entsprechen. Er sagte seine Gegenwart beim Hochzeitsfeste zu. Der junge Kaufmann dankte treuherzig und wollte mit seiner Braut wieder zu den Läden der Pelzhändler zurückkehren, um dort seinen Handel zu Stande zu bringen, als ihn der Junker zurückhielt und hastig sprach:
»Noch eins, Meister Gabriel! Ihr seid als ein angesehener Handelsmann gewiß viel bekannt hier in der Stadt und in den Häusern der Großen. Was Ihr nicht wißt, hat vielleicht Euer Bräutlein in Erfahrung gebracht, und Eins von Euch Beiden kann mir die Auskunft geben, die ich wünsche. Sagt an: welche nähere Bewandtniß hat es mit Fräulein Amalgundis, die gegenwärtig im Hause des Stadtschultheißen weilt und in welcher besondern Beziehung mag sie zu Kaiser Adolph stehn?«
Da wurden im Antlitze des jungen Kaufmanns alle Zeichen der größten Verlegenheit sichtbar, da stieg ein glühendes Roth auf die Wangen der artigen Augsburgerin, da zog sie unruhig und ängstlich am Arm des Bräutigam's, daß er sich ohne Weiteres mit ihr entferne; Gabriel stammelte einige unverständliche Worte, denen Friedmann vergebens einen Sinn unterzulegen bemüht war. Er konnte sich das seltsame Betragen des Brautpaars nicht erklären. »Vielleicht sehen sie irgend etwas Unerwartetes, einen Gegenstand, der sie beunruhigt!« dachte er und wandte sich um, indem er die forschenden Blicke den Hintergrund der Halle durchirren ließ. Allein er gewahrte nichts was diese Vermuthung hätte bestätigen können. Mit den Worten: »was zögert Ihr doch und haltet mir eine genügende Antwort zurück?« wollte er sich eben nach den Brautleuten wieder umkehren, als er zu seinem Erstaunen bemerkte, daß diese die Zeit, in der er seine Blicke von ihnen abgerichtet, zu ihrer Entfernung benutzt hatten und verschwunden waren.
»Bei Gott, das ist doch seltsam!« sprach der überraschte Friedmann bei sich selbst. »Bandini's ausweichende Antwort, die unerklärliche Verlegenheit dieser Leute – fürwahr! Mit der herrlichen Amalgundis ist ein wunderliches Geheimniß verknüpft, das mir niemand enträthseln mag und bei aller ihrer Schönheit erinnert sie mich unwillkürlich an das fabelhafte Medusenhaupt, dessen Anblick den kühnen Beschauer in Stein verwandelte.«
Unmuthig verließ er die Kaufhalle. Er fühlte wahr und lebendig, daß er das Bild der schönen Jungfrau, die Anmuth und Milde auf die liebreizendste Weise vereinigte, nimmer aus seinem Herzen werde verbannen können. Die Tugend und Reinheit, welche ihr ganzes Wesen umflossen, schienen ihm über jeden Verdacht erhaben, und dennoch mußten durch die sonderbarsten Umstände beunruhigende Zweifel in seiner Seele erweckt werden. »Die Zukunft wird sie lösen!« Mit diesem Trostspruche suchte er sich zu beschwichtigen, ohne jedoch seinen Zweck ganz zu erreichen.