Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 23. Verchristlichung der Sage.

Die Sage vom Gral, Parzivals und Schionatulanders Geschichten sind uns in Wolframs beiden Werken in der echtesten und zugleich schönsten Gestalt erhalten; alle übrigen Bearbeitungen derselben sind mehr oder weniger Entstellungen, wie Eschenbach selbst schon Chrestiens Werk dafür erklärte.

Nach unserer Ausführung §. 11 und 12 hatten sich an die Verehrung einer Reliquie uralte heidnische Vorstellungen von deren wundertätiger, ja schöpferischer Kraft geknüpft. Im Mabinogi ist aber der Name des Johannes schon vergeßen, wenn gleich noch nicht von der Schüßel, sondern von dem Haupte darauf die schöpferische Kraft auszugehen scheint. Diese sehen wir aber weiterhin an der Schüßel haften, und nun muste man deren Heiligkeit sich zu erklären suchen. In der Meldung über Flegetanis §. 10 ist sie nun theils mit dem geheimen Einfluß der Gestirne, theils mit dem Falle Lucifers in Verbindung gebracht. Näher sucht Letzteres die Meldung des Wartburgkrieges zu begründen, wonach der Gral ein Stein war, der aus der Krone Lucifers sprang, als sie ihm der Erzengel Michael vom Haupte brach. Hiemit war ein neuer Weg zur Verchristlichung der Sage angebahnt. Doch kann schon bei Wolfram der Gral, wäre es auch nur wegen der Taube, die sich alljährlich am Karfreitag vom Himmel schwingt, als ein Symbol des christlichen Glaubens aufgefaßt werden, weshalb er auch den Heiden unsichtbar bleibt. Vgl. die Legende von St. Brandan bei Bruns. Die völlige Christianisierung, womit aber auch schon das Verderbnis der Sage beginnt, vollbrachten erst die spätern Nordfranzosen. Nach ihnen ist der Gral die Schüßel, aus welcher Christus mit seinen Jüngern das Abendmal genoßen, und worin dann Joseph von Arimathia sein Blut aufgefangen hat, wovon Wolfram nicht wuste, vielleicht auch Chrestien nicht. Vgl. jedoch St. Marte Wolfr. 413 und §. 19. Von Joseph von Arimathia, als dem Begleiter Philipps, des Apostels von Brittannien, weiß aber schon Wilhelm von Malmesbury (um 1143), ohne jedoch der Abendmalsschüßel zu gedenken. So wird auch die blutende Lanze, bei Wolfram noch nichts als der vergiftete Sper des Heiden, der den Anfortas verwundet hatte, bei ihnen zu der Lanze, womit Longinus Christi Seite durchbohrte, und das Schwert, das der Fischerkönig dem Parzival verehrt, soll einst Judas Maccabäus getragen haben. Der jüngere Titurel endlich geräth mit sich selber und mit Wolfram in Widerspruch, indem er Anfangs diesem folgt, gegen den Schluß aber Manches von jenen Meldungen der nordfranzösischen Dichter aufnimmt.

Hier endlich ist es an der Zeit den §. 9 angedeuteten zweiten Grund anzugeben, durch welchen sich Wolfram zur Angabe über Kiot gedrängt sah. Die Meldung des Flegetanis über den Gral konnte nur zu einer Zeit erfunden werden, wo dieser nichts weiter mehr als eine Schüßel war, weil man das ursprünglich darauf liegende blutige Haupt, vielleicht des grausenhaften Eindrucks willen, bereits aus der Erzählung getilgt hatte. Hier wird es nun wahrscheinlich, daß es Wolfram selber war, der die Meldung über Flegetanis, der dem Zabulon gleicht, in das Gedicht brachte, weil er dem Verlangen seiner Hörer, sich die Wunderkraft des Grals erklären zu können, genügen wollte. Aber hätte er sie auch irgendwo schon vorgefunden, immer kam ihm dazu Kiot, den er für einen Provenzalen ausgeben konnte, gelegen, weil einem solchen, bei der Lage des provenzalischen Sprachgebiets zu beiden Seiten der Pyrenäen, allenfalls zuzutrauen war, daß er das in arabischer Sprache geschriebene Buch des Flegetanis, auf das er sich wegen des Grals in letzter Instanz beruft, in Toledo gefunden habe, während er auch, da die Provenze dießseits bis an die Loire reicht, mit der Chronik von Anjou bekannt sein konnte.


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