Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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IV.
Kondwiramur.

Inhalt.

In Gedanken an die schöne Liaße überläßt sich Parzival seinem Pferde, das ihn in einem Tage von Graharz in das Königreich Brobarz trägt, dessen Hauptstadt Pelrapär von einem feindlichen Heere belagert und ausgehungert wird. Da er seine Dienste anbietet, wird er eingelaßen und der Königin Kondwiramur, der Tochter Tampentärs, vorgestellt, welcher er, nach Gurnemans Rath, unnützes Fragen zu meiden, stumm gegenüber sitzt, bis sie selber das Schweigen bricht. Ihre Oheime, Kiot und Manfilot, die nach Schoisianens Tod sich des Schwerts begeben haben und als Einsiedler befriedet im Gebirge wohnen, versprechen ihr einige Lebensmittel zu schicken. In der Nacht schleicht sich die Königin an Parzivals Bette, weckt ihn mit ihren Thränen und klagt ihm, wie Klamide, König von Brandigan und Iserterre, und sein Seneschall Kingron ihr Land verheert, ihr Volk erschlagen hätten, sie aber lieber sterben wolle als sein Weib werden, zumal Klamide auch Schenteflur, ihren Verlobten, Liaßens Bruder, getödtet habe. Am Morgen besiegt Parzival den Seneschall und nöthigt ihm das Versprechen ab, sich Kunnewaren, jener an Artusens Hof seinethalb von Keie gemisshandelten Jungfrau, als Gefangener zu gestellen. Der Sieger wird von den Belagerten, denen der Sturm nun auch Lebensmittel in den Hafen verschlägt, der Königin zugeführt, die ihn umarmt, und keines Andern Weib zu werden gelobt. Das Beilager wird vollzogen, er läßt sie aber Magd, obgleich sie sich sein Weib wähnt. Erst in der dritten Nacht gedenkt er der Lehren seiner Mutter und des alten Gurnemans und umfängt sie minniglich. Klamide vernimmt seines Seneschalls Besiegung und versucht, während Jener den König Artus in seinem Jagdhause Karminal antrifft, die Stadt mit Sturm zu nehmen. Die Bürger wehren sich mit niederstampfenden Baumstämmen und zerstören sein Belagerungswerkzeug durch griechisches Feuer. Als auch die Hoffnung verschwindet, Pelrapär durch Hunger zu zwingen, fordert Klamide den Gemahl der Königin zum Zweikampf, in welchem auch er gezwungen wird, sich als Kunnewarens Gefangener zu Artus zu begeben, den er zu Dianasdron beim Pfingstfeste findet. Nach einiger Zeit nimmt Parzival Urlaub von Kondwiramur, um nach seiner Mutter zu sehen, wohl auch um Abenteuer aufzusuchen.

 

        So schied von dannen Parzival,
Der mit Freuden nun zumal
15   Ritters Kleid und Sitte führte,
O weh, nur daß ihn rührte
Manche unsüße Strenge.
Ihm war die Weite zu enge,
Und auch die Breite gar zu schmal,
20   Alle Grüne daucht ihn fahl,
Sein rother Harnisch daucht ihn blant:
So thät sein Herz den Augen Zwang.
Seit er der Einfalt ledig ward,
Da wollt ihn Gachmuretens Art
25   Sehnens nicht erlaßen
Nach der schönen Liaßen,
Dieser tugendreichen Maid,
Die ihm mit Geselligkeit
Ehre geboten ohne Minne.
Wohin sein Ross zu laufen sinne,
180   Er kann den Zügel nicht gehaben
Vor Leid, mags springen oder traben.

Kreuzen und umhegter Flur,
Tiefer Wagengleise Spur

5   Blieb sein Waldweg ungesellt:
Er ritt auf ungebahntem Feld,
Wo wenig Wegerich stand.
Ihm war nicht Berg noch Thal bekannt.
Man hört den Spruch in Weit und Breite:
10   Wer irre geh oder reite,
Da wohl den Schlegel find er.
Schlegel fänd ein Blinder
In solchem Wald nicht selten,
Wenn für Schlegel Knorren gelten.180, 10–14. Das Sprichwort: Wer irre reite, werde den Schlegel finden, meint wohl die im Wald verlorne Baumart, die man vergebens wieder aufzufinden sich abmüht, während der verirrte Wanderer vielleicht von Ohngefähr darauf stößt. In einigen Gegenden Deutschlands, z. B. Oesterreich (nach einer Anmerkung zu N. Vogls Balladen und Romanzen), heißen aber noch jetzt gefällte Baumstämme Schlegel, und diese beiden Bedeutungen des Worts veranlaßen das Wortspiel in den drei letzten Zeilen.

15  

Dennoch ritt er wenig um.
Auf geradem Weg, nicht krumm,
Kam er des Tages von Graharz
In das Königreich Brobarz
Durch das Gebirge wild und hoch.

20   Da schon der Tag zum Abend bog,
Kam er an ein Waßer schnell
Und von Geplätscher laut und hell:
Die Felsen schickten es einander.
Er ritt daran herab. Da fand er
25   Die Stadt zu Pelrapäre,
Die König Tampentäre
Vererbt hatte seinem Kind,
Bei der viel Leute traurig sind.

Schnell fuhr das Waßer wie ein Bolz,
Der wohlgeschnitten ist von Holz,

181   Wenn ihn gespannter Sehne Drang
Gefiedert von der Armbrust schwang.
Eine Brücke drüber hing,
An die einst mancher Holzstoß ging;
5   Darunter floß der Strom ins Meer.
Pelrapär stand wohl zur Wehr.
Wie Kinder schaukelnd sich vergnügen,
Die sich auf Schaukeln dürfen wiegen,
So fuhr die Brück hinauf, hinunter;
10   Vor Jugend war sie nicht so munter.

Auf jener Seite stunden,
Die Helme aufgebunden,
Dreißig Ritter oder mehr.
Sie riefen: »Wags und komm hieher!«

15   Mit aufgehobnen Schwerten
Die Schwachen Kampf begehrten.
Sie wähnten, es wär Klamide,
Den sie oft gesehen eh,
Als so königlich der Held
20   Zur Brücke ritt auf breitem Feld.

Da sie so den jungen Mann
Mit lauten Stimmen riefen an,
Ob der dem Ross die Sporen gab,
Die Brücke scheut aus Furcht sein Trab.

25   Den Verzagtheit immer floh,
Der sprang herab und führte so
Sein Ross hin auf die Brücke schwank.
Eines Zagen Muth wär allzukrank,
Um in solche Fahr zu gehn;
Auch galt es wohl sich vorzusehn:
182   Er fürchtete des Rosses Fall.
Nun schwieg auch jenseits der Schall.
Die Ritter trugen wieder ein
Helm und Schild, der Schwerter Schein;
5   Auch verschloßen sie ihr Thor
Besorgt, es zög ein Heer davor.

So zog hinüber unser Held
Und kam geritten an ein Feld,
Wo Mancher seinen Tod erkor,

10   Der um Ruhm den Leib verlor,
Vor der Pforte bei dem Saal,
Der hoch und prächtig war zumal.
Einen Ring er an der Pforte fand,
Den rührt' er kräftig mit der Hand.
15   Seines Rufens nahm doch Niemand wahr
Als eine Jungfrau schön und klar:
Aus einem Fenster sah die Magd
Den Ritter halten unverzagt.

Da sprach das züchtge Mägdlein gut:

20   »Seid ihr mit feindlichem Muth
Gekommen, Herr, des ist nicht Noth,
Da uns Haß genug schon bot
Ohne euch zu Land und Meer
Ein ergrimmtes starkes Heer.«
25   Da sprach er: »Frau, hier hält ein Mann,
Der euch dient, wofern er kann.
Euer Gruß nur sei mein Sold;
Ich bin euch dienstbereit und hold.«
Da ging die Magd mit klugem Sinn
Hin vor ihre Königin
183   Und schuf, daß sie ihn ließen ein,
Der ihnen wandte hohe Pein.

So war er eingelaßen.
Rechts und links der Straßen

5   Stand das Volk in dichter Schar,
Das zur Wehr gekommen war:
Schleudrer und Fußsoldaten,
Die in langem Zuge nahten,
Wurfschützen auch in großer Zahl.
10   Bei ihnen sah er zumal
Viel verwegener Sarjande,
Der Besten aus dem Lande,
Mit langen starken Lanzen,
Geschliffenen und ganzen.
15   Da war auch, hat mir kund gethan
Die Märe, mancher Kaufmann
Mit Aexten und mit Gabilot,
Wie ihre Herrin gebot.

Das Volk war schlaff und schmächtig all.

20   Der Königstochter Marschall
Führt' ihn durch die dichte Schar
Auf den Hof, was mühsam war.
Der war zur Wehr berathen:
Thürm über Kemenaten,
25   Wichhäuser, Thürme, Erker auch
Waren da so viel im Brauch,
Er sah im Leben wohl nicht mehr.
Da kamen allwärts Ritter her,
Die ihn begrüßten und empfingen;
Einige ritten, andre gingen.
184   Auch war die jämmerliche Schar
All wie Asche grau fürwahr
Oder wie ein falber Leim.
Mein Herr, der Graf von Wertheim,184, 4. Vgl. Einl. §. 5.
5   War ungern Landsknecht da gewesen:
Wie möcht er bei dem Sold genesen?

Ihnen schuf der Mangel Hungersnoth.
Sie hatten Käse, Fleisch noch Brot:
Sie ließen Zähnstochern sein;

10   Sie schmalzten wohl auch selten Wein
Mit dem Munde, wenn sie tranken.
Die Wänste ihnen niedersanken;
Hochschlanke Hüften hatte Jeder;
Eingeschrumpft wie ungrisch Leder
15   Auf ihren Rippen lag die Haut;
Der Hunger hatt ihr Fleisch verdaut.
Dem Mangel waren sie befohlen,
Ihnen troff es selten in die Kohlen.
Sie zwang hiezu ein werther Mann,
20   Der stolze König von Brandigan,
Weil vergebens Klamide geworben.
Nicht oft verschüttet noch verdorben
War der Meth hier in der Kanne.
Keine Truhendinger Pfanne184, 24. Hohen- Alten- und Waßertruhdingen liegen in der Nähe von Eschenbach; in dem letztern sollen noch heute die Krapfen (ein Backwerk) berühmt sein.
25   Mit Krapfen hörte man erschrein,
Ihnen schuf der Misslaut selten Pein.

Wollt ich ihnen des verdenken,
Das hieße wohl mich selber kränken:
Denn wo ich oft bin eingekehrt
Und wo man mich als Herren ehrt,

185   Daheim in meinem eignen Haus
Freut auch sich selten eine Maus.
Die Maus muß ihre Speise stehlen;
Die braucht man nicht vor mir zu hehlen,
5   Ich finde keine offen.
Zu oft hat da betroffen
Mich Wolfram von Eschenbach,
Zu erdulden solch Gemach.

Meiner Klage ward genug vernommen;

10   Nun mag die Märe wieder kommen,
Wie Pelrapär stand Jammers voll:
Da gab das Volk von Freuden Zoll.
Die der Treue sich ergeben,
Die Helden musten spärlich leben.
15   Doch Mannheit wars, die das gebot.
Erbarmen sollt euch ihre Noth:
Denn ihr Leben steht zu Pfand,
Sie löse denn die höchste Hand.

Hört mehr noch von den Armen:

20   Sie sollten euch erbarmen.
Sie empfingen roth vor Scham
Den edeln Gast, der ihnen kam.
Sie sahn, er war so reich und werth:
Aus Nothdurft nicht hatt er begehrt
25   Herberge hier zu solcher Zeit:
Er kannte nicht ihr tiefes Leid.

Ein Teppich ward gespreitet,
Wo gestützt war und geleitet
Eine schattenreiche Linde.
Da entwappnete ihn das Gesinde.

186   Andre Farb er bald als sie gewann,
Da er des Eisens Rost hindann
Sich wusch mit klarem Bronnen.
Schier hätt er da der Sonnen
5   Ueberstralt den lichten Glast;
Drum daucht er sie ein werther Gast.
Man bot ihm einen Mantel gleich,
Geschnitten aus demselben Zeuch
Wie der Rock, den er zuvor getragen.
10   Wildneu roch der Pelz am Kragen.

Sie sprachen: »Wollt ihr schauen
Die Köngin, unsre Frauen?«
Da sprach der Ritter zu den Herrn,
Ja, er sähe sie wohl gern.

15   Sie gingen zu des Saales Thor
(Es führten Stufen viel empor),
Daß ihn ein lieblich Antlitz grüße,
Künftig seiner Augen Süße.
Von der Königstochter ging
20   Ein Lichtglanz, eh sie ihn empfing.

Von Katelangen Kiot186, 21. Die Ursache, warum Kiot von Katelangen und sein Bruder Menfilot ihr Schwert aufgegeben haben, ist in den Bruchstücken des Titurel Str. 19–23 gemeldet.
Und der werthe Manfilot
(Die beide Herzoge sind)
Brachten ihres Bruders Kind,

25   Dieses Landes Königin;
Sie hatten Gott zu Liebe hin
Gegeben Harnisch, Schild und Schwert.
Da gingen die Fürsten werth,
Blühend, ob von Haaren grau,
Und brachten ihm des Landes Frau
187   Mit Zucht bis an die Thür entgegen.
Da küsste sie der werthe Degen;
Die Munde waren beide roth.
Die Königin die Hand ihm bot:
5   Ein führte sie Herrn Parzival:
Sie setzten nieder sich zumal.

Die Frauen und die Ritterschaft
Hatten alle schwache Kraft,
Die da saßen oder stunden.

10   Die Freude war verschwunden
Dem Gesinde wie der Wirthin.
Kondwiramur die Königin
Hat zwar ihr Liebreiz ausgeschieden:
Denn Jeschuten und Eniden
15   Und Kunnewaren de Lalant
Und die man je preiswürdig fand,
Wo es Frauenschöne galt,
Die überschien sie mit Gewalt
Und der Isolden Lob, der beiden.187, 19. Die beiden Isolden, die schöne und weißhändige, sind uns aus Gottfried von Straßburgs Tristan bekannt.
20   Ja, ihr muß man den Preis bescheiden.
Ihr, Kondwiramor:
Die trug den wahren beau korps;
Das heißt im Deutschen: schöner Leib.
Jedwede war ein nutzes Weib,
25   Die uns die Zwei gebaren,
Die hier beisammen waren.
Da thaten Alle, Weib und Mann,
Nichts als daß sie spähend sahn
Auf die Zwei beieinander.
Viel guter Freunde fand er.

188  

Der Gast gedachte, höret wie:
»Liaße dort, Liaße hie.
Will Gott der Sorgen mich entbinden?
Soll ich Liaßen wiederfinden,

5   Das Kind des werthen Gurnemans?«
Doch war Liaßens Schönheitsglanz
Nichts gegen sie, die vor ihm saß,
An der Gott keinen Wunsch vergaß.
Also saß des Landes Frau,
10   Wie erquickt von süßem Thau
Die Ros aus zarter Hülle
Hebt frischen Schimmers Fülle,
Der zumal ist weiß und roth;
Das schuf dem Gaste große Noth.
15   Inne hatt er Zucht so ganz,
Seit der werthe Gurnemans
Ihn von seiner Einfalt schied
Und ihm Fragen widerrieth,
Außer wo es nöthig wär.
20   Bei der Königin hehr
Saß er stumm und ohne Wort
Und saß doch nah, nicht ferne dort.
Doch sieht man Manchen Rede sparen,
Der mehr zu Frauen ist gefahren.

25  

Da sprach die Königin bei sich:
»Dieser Mann verschmähet mich,
Ich bin ihm nicht mehr schön genug.
Nein, er thut daran wohl klug.
Er ist Gast, ich Wirthin hier:
Die erste Rede ziemet mir.

189   Er hat mich gütlich angeschaut,
Seit wir hier sitzen ohne Laut,
Und seine Zucht wohl offenbart.
Meine Red ist all zu lang gespart:
5   Hier soll nicht mehr geschwiegen sein.«
Zu dem Gaste sprach das Mägdelein:

»Weil ich als Wirthin reden muß –
Mir erwarb ein Kuss, Herr, euern Gruß:
Auch habt ihr Dienst mir angetragen,

10   So hört ich eine Jungfrau sagen:
Das that uns selten noch ein Gast;
Drum trägt mein Herz der Sorge Last.
Herr, ich hätte gern vernommen,
Von wannen ihr hieher gekommen?«
15   »Frau, ich ritt am frühen Tage
Von einem Mann, den ich in Klage
Ließ; der trägt der Treue Kranz;
Des Fürsten Nam ist Gurnemans:
Von Graharz ist er genannt.
20   Von dort heut ritt ich in dieß Land.«

Dawider sprach die werthe Magd:
»Herr, hätt es anders wer gesagt,
Ich würd ihm schwerlich zugestehn,
Es sei in Einem Tag geschehn.

25   Mein schnellster Bote mochte jagen,
Doch ritt ers nicht in zweien Tagen.
Seine Schwester war die Mutter mein,
Eures Wirthes. Seiner Tochter Schein
Bleicht sich wohl auch vor Ungemach.
Wir haben manchen sauern Tag
190   Mit naßen Augen verklagt,
Ich und Liaße die Magd.
Schenkt ihr euerm Wirthe Huld,
So nehmt vorlieb hier in Geduld,
5   Wie wir hier lange, Weib und Mann:
Ihr dienet ihm zugleich daran.
Ich will euch unsern Kummer klagen:
Wir müßen bittern Mangel tragen.«

Da sprach ihr Oheim Kiot:

10   »Frau, ich send euch zwölf Laib Brot,
Schultern und Schinken drei;
Acht Käse liegen auch dabei
Und zwei Legel mit Wein.
So soll euch auch der Bruder mein
15   Heute steuern; wohl ists Noth.«
Da sprach der Herzog Manfilot:
»Ich send euch, Frau, wie er gesagt.«
Da saß in Freuden da die Magd:
Sie dankte, die so viel gelitten.
20   Sie nahmen Urlaub und ritten
Zu ihrem Jägerhause.
In der Wildniss lag die Klause,
Wo die Alten saßen ohne Wehr;
Sie hatten Frieden vor dem Heer.

25  

Ihr Bote kam zurück getrabt:
Da ward das schwache Volk gelabt.
Verzehrt war all der Bürger Kost:
Nur diese Speise war ihr Trost.
Doch lag vor Hunger mancher todt,
Eh ihm ward von diesem Brot.

191   Das vertheilte nun das Mägdelein,
Dazu die Käse, Fleisch und Wein,
An ihr Volk, das hungersmatte,
Wie Parzival gerathen hatte.
5   Kaum ein Schnittchen blieb den Zwein
Sie theilten ohne Zank sich drein.

Der Vorrath war bald verzehrt
Und Manchem Tod damit gewehrt,
Den noch der Hunger leben ließ.

10   Dem Gaste man nun betten hieß
Sanft, wie ich wohl glauben will.
Wären die Bürger Federspiel,
So überkröpfte man es nicht:
Wohl bezeugts ihr Tischgericht.
15   Sie waren all von Hunger fahl
Bis auf den jungen Parzival.

Zum Schlafgang nahm er Urlaub.
Waren seine Kerzen Schaub?191, 18. Gewundenes Stroh, das zum Brennen bestimmt ist. J. Grimm.
Nein, beßer wars damit bestellt.

20   Da ging der junge blühnde Held
An ein Bette schön und reich,
Einem königlichen gleich,
Nicht nach der Armut Brauch bereitet;
Ein Teppich lag davor gespreitet.
25   Er bat die Ritter heimzugehn
Und ließ sie da nicht lange stehn.
Ihn entschuhten Kinde, er entschlief,
Bis ihn der wahre Jammer rief
Und lichter Augen Herzensregen:
Die weckten bald den werthen Degen.

192  

Das kam wie ich euch sagen will;
Es brach nicht der Weibheit Ziel.
Stäte Keuschheit trug die Magd,
Von der hier Manches wird gesagt.

5   Ihr zwang des langen Krieges Noth
Und der lieben Helfer Tod
Das Herz in solches Ungemach,
Daß ihre Augen blieben wach.
Da ging die reiche Königin
10   (Nicht zu solcher Lust Gewinn,
Die aus Mädchen Frauen macht
Unversehens in einer Nacht),
Sie suchte Hülf und Freundes Rath.
Sie trug auch wehrlichen Staat:
15   Ein Hemd von weißer Seide fein.
Wie könnte streitbarer sein,
Wenn sie zum Manne geht, ein Weib?
Auch schwang die Frau um ihren Leib
Von Sammet einen Mantel lang:
20   Sie ging, wie sie der Kummer zwang.
Jungfrauen und Geleiterinnen,
So viele bei ihr lagen drinnen,
Die ließ sie schlafen allzumal.
Da schlich sie leis, ohn allen Schall,
25   Zu einer Kemenaten.
Der Köngin war verrathen,
Daß Parzival alleine lag.
Von Kerzen hell wie der Tag
War es vor seiner Schlafstatt.
Zu seinem Bette geht ihr Pfad,
193   Auf den Teppich kniet sie sich.
Sie hatten beide sicherlich,
Er und auch die Königin,
Verbuhlte Minne nicht im Sinn.
5   Anders ward hier geworben:
An Freuden verdorben
War die Magd; sie zwang der Gram.
Ob er sie nicht zu sich nahm?
Leider das versteht er nicht:
10   Doch geschahs zuletzt nach Vorbericht
Und mit so bedungnem Frieden,
Daß sie im Bett geschieden,
Die Glieder nicht zusammen brachten;
Des sie auch wenig gedachten.

15  

Der Jungfrau Jammer war so groß,
Daß manche Zähre niederfloß
Auf den jungen Parzival.
Der hörte ihres Schluchzens Schall:
Da wacht' er auf: als er sie sah,

20   Lieb und Leid geschah ihm da.
Sich erhob der junge Mann,
Der zu der Königin begann:
»Herrin, bin ich euer Spott?
Knieen sollt ihr nur vor Gott.
25   Geruht, und setzt euch zu mir her
(Das war sein Bitten und Begehr)
Oder legt euch hieher, wo ich lag,
Und laßt mich bleiben, wo ich mag.«
Sie sprach: »Wollt ihr euch ehren,
Mir solche Zucht bewähren
194   Nicht zu rühren meine Glieder,
Leg ich mich zu euch nieder.«
Den Frieden gab er feierlich:
Da barg sie in das Bette sich.

5  

War es gleich schon späte,
Da war kein Hahn, der krähte.
Die Hahnenbalken standen ledig.
Keinem Huhne war der Mangel gnädig.
Das Fräulein unter Jammerslast

10   Frug mit Zucht den werthen Gast:
»Wollt ihr hören meine Klage?
Ich fürchte, wenn ichs sage,
Euch flieht der Schlaf: es thut euch weh.
Mir hat der König Klamide
15   Und Kingron sein Seneschant
Verwüstet Burgen und Land
Bis gen Pelrapäre.
Mein Vater Tampentäre
Ließ mich arme Wais im Tod
20   In einer schrecklichen Noth.
Vettern, Fürsten, mancher Mann,
Reich und Arm, mir unterthan
War ein kräftiges Heer:
Die sind erstorben in der Wehr
25   Halb, wo nicht die gröste Zahl.
Wes tröst ich Arme mich einmal?
Ich bin gekommen an das Ziel,
Daß ich mich selber tödten will,
Eh ich Magdtum und Leib
Ergebe und Klamides Weib
195   Werde: seine Hand erschlug
Mir Schentefluren, der da trug
Im Herzen ritterlichen Preis.
Der Mannesschön' ein blühend Reis,
5   Alle Falschheit mied er gar,
Der Liaßens Bruder war.«

Da Liaße ward genannt,
Neuer Kummer war gesandt
Dem dienstbereiten Parzival.

10   Sein hoher Muth fiel in ein Thal;
Liaße gab ihm den Gewinn.
Da sprach er zu der Königin:
»Sagt, Frau, wie man euch tröste.«
»Herr, wenn man mich erlöste
15   Von Kingron dem Seneschant.
Er fällte mir mit seiner Hand
In der Tjost viel Ritter nieder.
Nun kommt er morgen wieder
Und wähnt, sein Herr solle warm
20   Liegen in meinem Arm.
Ihr habt wohl meinen Saal geschaut:
Wie hoch der ist empor gebaut,
Lieber spräng ich in den Graben,
Eh Klamide sollt haben
25   Mit Gewalt mein Magdtum:
So wollt ich wehren seinem Ruhm.«

Da sprach er: »Herrin, sei Kingron
Franzose oder Breton,
Mir gilt gleichviel aus welchem Land,
Wehren soll euch meine Hand,

196   So gut ich es vollbringen mag.«
Die Nacht war hin, nun kam der Tag.
Auf stand die Königin mit Neigen;
Sie wollt ihm nicht den Dank verschweigen.
5   Hin schlich sie wieder leise.
Da war Niemand so weise,
Der ihres Gehens ward gewahr
Als Parzival der Degen klar.

Der schlief nicht länger mehr darnach.

10   Die Sonne klomm zur Höhe jach:
Ihr Schimmer durch die Wolken drang.
Da lud zum Münster Glockenklang,
Wo sich mit Gott das Volk berieth,
Das Klamide von Freude schied.

15  

Da erhob sich auch der junge Mann.
Der Königstochter Kappelan
Sang Gott und seiner Frauen.
Da durft ihr Gast sie schauen,
Bis gegeben ward der Segen.

20   Nach seiner Rüstung frug der Degen:
Darin er bald gewappnet stund.
Wohl that er Ritterstärke kund
Mit rechter mannlicher Wehr.
Da kam Klamides Heer
25   Mit manchem Banner gezogen.
Kingron war voran geflogen
All dem übrigen Heer
Auf einem Ross von Iserterre;
So hab ich vernommen.
Vors Thor war auch gekommen
197   Fils dü Roi Gachmuret;
Mit ihm der Bürger Gebet.

Dieß war sein erster Ritterstreit.
Er nahm den Anlauf wohl so weit,

5   Daß von seiner Tjoste Stoß
Beide Rosse wurden gürtellos.
Die Riemen brachen, nicht die Flechsen;
Die Rosse saßen auf den Hächsen.
Da durften, die darauf geseßen,
10   Ihrer Schwerter nicht vergeßen;
In den Scheiden wurden die gefunden.
Kingron trug schon Wunden
Durch den Arm und in der Brust.
Gelehrt hatt ihn die Tjost Verlust
15   Alles Preises, des er durfte pflegen,
Bis seine Hoffahrt schwand vor diesem Degen.
Hoch pries man seine Streitergaben:
Sechs sollt er abgeworfen haben,
Die zu ihm ritten auf ein Feld;
20   Doch so bezahlt' ihn unser Held
Mit seiner kraftreichen Hand,
Daß Kingron dem Seneschant
Zu Muthe ward in seinem Sinn,
Als ob ein Schleuderwerkzeug ihn
25   Mit schweren Würfen erreichte.
Ein andrer Streit wars, der ihn neigte:
Ein Schwert ihm durch den Helm erklang.
Parzival ihn niederzwang;
Er setzt' ihm auf die Brust ein Knie:
Da bot er ihm, was er noch nie
198   Einem Mann geboten, Sicherheit.
Die wollte nicht sein Herr im Streit:
Er gebot, daß er Fianze
Brächte Gurnemanze.

5  

»Nein, Herr, gieb lieber mir zum Lohn
Den Tod. Ich schlug ihm seinen Sohn,
Schenteflurn nahm ich das Leben.
Viele Ehre hat dir Gott gegeben,
Wenn man künftig sagt von dir,

10   Wie du Kraft erwiesen hast an mir.
Da du mich hast bezwungen,
So ist dir wohl gelungen.«

Da sprach der junge Parzival:
»Ich will dir laßen andre Wahl:

15   Bring der Köngin Sicherheit,
Der dein Herr so großes Leid
Hat gethan in seinem Zorn.«
»So wär ich sicherlich verlorn:
Mit Schwertern schnitten sie mich klein
20   Den Stäubchen gleich im Sonnenschein:
Solch Herzeleid hab ich gethan
Da drinnen manchem kühnen Mann.«

»So bringe denn von diesem Plan
Mit dir in das Land Bretan

25   Deine ritterliche Sicherheit
Einer Magd, die meinethalben Leid
Erlitt, das sie nicht hätt erlitten,
Wenn Kei bescheiden war von Sitten.
Sag ihr, was mir geschehe,
Daß sie mich nicht fröhlich sehe,
199   Bis ich ihm den Schild durchsteche
Und ihre Unbill räche.
Artus und seinem Ehgemahl
Melde meinen Dienst zumal
5   Und der ganzen Tafelrunde:
Nicht käm ich vor der Stunde,
Da ich der Schmach mich entschlage,
Die ich gesellig trage
Mit Jener, die mir Lachen bot;
10   Sie kam dadurch in große Noth.
Sag ihr, ich sei ihr Dienstmann,
Mit Dienst ihr dienstlich unterthan.«
Der Andre sprach zu Allem ja;
Die Helden man sich scheiden sah.

15  

Zu Fuß kam heimgegangen,
Da sein Ross war gefangen,
Der Bürger Trost im Streite,
Die er bald ganz befreite.
Muthlos war das äußre Heer,

20   Weil Kingron trotz seiner Wehr
So gekommen war zu Fall.
Die Innern führten Parzival
Zu ihrer jungen Königin.
Die empfing umarmend ihn:
25   Sie drückt ihn fest sich an den Leib
Und sprach: »Ich werde nimmer Weib
Eines Mannes auf der Welt,
Als den mein Arm umfangen hält.«
Sie half, daß er entwappnet ward:
Ihr Dienst blieb nicht dabei gespart.

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