E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Zweiter Abschnitt

Es schlug sieben Uhr. Mit Ungeduld erwartete Theodor die Freunde. Endlich trat Ottmar hinein. »Eben«, sprach er, »war Leander bei mir, er hielt mich auf bis jetzt. Ich versicherte, wie leid es mir täte, daß mich ein unaufschiebbares Geschäft abrufe. Er wollte mich begleiten bis an den Ort meiner Bestimmung, mit Mühe entschlüpfte ich ihm in der finstern Nacht. Recht gut mocht er wissen, daß ich zu dir ging, seine Absicht war mit herzukommen.« »Und«, fiel Theodor ein, »und du brachtest ihn nicht zu mir? Er wäre willkommen gewesen.« – »Nein«, erwiderte Ottmar, »nein mein lieber Freund Theodor, das ging nun ganz und gar nicht an. Fürs erste getraue ich mir nicht ohne die Zustimmung sämtlicher Serapions-Brüder einen Fremden, oder da Leander gerade kein Fremder zu nennen, überhaupt einen Fünften einzuführen. Dann ist es aber auch mit Leander eine mißliche Sache worden durch Lothars Schuld. – Lothar hat mit ihm, nach seiner gewöhnlichen Weise, mit Begeisterung von unserm herrlichen Serapions-Klub gesprochen. Er hat mit vollen Backen die vortreffliche Tendenz, das serapiontische Prinzip gerühmt, und nichts weniger versichert, als daß wir immer jenes Prinzip im Auge, an uns selbst untereinander bildende Hand legen und so uns zu allerlei sublimen Werken entzünden würden. Da fing nun Leander an, längst sei eine solche Verbindung mit literarischen Freunden sein innigster Wunsch gewesen, und er hoffe, wollten wir ihm den Beitritt nicht versagen, sich als höchst würdiger Serapions-Bruder zu beweisen. – Vieles vieles habe er in petto. – Bei diesen Worten machte er eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand nach der Rocktasche. Sie war dick aufgeschwollen, und zu meinem nicht geringen Schreck bemerkte ich, daß es mit der andern Tasche derselbe Fall war. Beide strotzten von Manuskripten, ja selbst aus der Busentasche ragten bedrohliche Papiere hervor.«

Ottmar wurde durch Lothar unterbrochen der geräuschvoll eintrat und dem Cyprian folgte. »Eben«, sprach Theodor, »zog eine kleine Gewitterwolke auf über unsern Serapions-Klub, Ottmar hat sie aber geschickt abgeleitet. Leander wollte uns heimsuchen, er ist dem armen Ottmar nicht von Leibe gegangen, bis dieser sich durch heimliche Flucht in der finstern Nacht gerettet.«

»Wie«, rief Lothar, »warum hat Ottmar meinen lieben Leander nicht hergebracht? Er ist verständig – geistreich – witzig – wer taugt besser zu uns Serapions-Brüdern?« – »So bist du nun einmal Lothar«, nahm Ottmar das Wort. »Du bleibst dir immer gleich, indem du ewig die Meinung wechselnd, immer die Opposition bildest. Hätte ich Leander wirklich hergebracht, von wem hätte ich bittrere Vorwürfe hören müssen, als eben von dir! – Du nennest Leander verständig, geistreich, witzig, er ist das alles, ja noch mehr! – Alles was er produziert, hat eine gewisse Ründe und Vollendung, die von gesunder Kritik, scharfsinnigem Urteil zeigt! – Aber! – Fürs erste, denk ich, kann niemanden weniger unser serapiontisches Prinzip inwohnen als eben unserm Leander. Alles was er schafft, hat er gedacht, reiflich überlegt, erwogen, aber nicht wirklich geschaut. Der Verstand beherrscht nicht die Fantasie, sondern drängt sich an ihre Stelle. Und dabei gefällt er sich in einer weitschichtigen Breite, die wenn auch nicht dem Leser, doch dem Zuhörer unerträglich wird. Werke von ihm denen man Geist und Verstand durchaus nicht absprechen kann, erregen, liest er sie vor, die tödlichste Langeweile.«

»Überhaupt«, unterbrach Cyprian den Freund, »überhaupt ist es mit dem Vorlesen ein eignes Ding. Ich meine rücksichtlich der Werke die dazu taugen. Es scheint, als ob außer dem lebendigsten Leben durchaus nur ein geringer Umfang des Werks dazu erfordert werde.«

»Dies kommt daher«, nahm Theodor das Wort, »weil der Vorleser durchaus nicht förmlich deklamieren darf, dies ist nach bekannter Erfahrung unausstehlich, sondern die wechselnden Empfindungen wie sie aus den verschiedenen Momenten der Handlung hervorgehen nur mäßig andeutend im ruhigen Ton bleiben muß, dieser Ton aber wieder auf die Länge eine unwiderstehliche narkotische Kraft übt.«

»Meines Bedünkens«, sprach Ottmar, »muß die Erzählung, das Gedicht, was im Vorlesen wirken soll, sich ganz dem Dramatischen nähern, oder vielmehr ganz dramatisch sein. Aber wie kommt es denn nun wieder, daß die mehresten Komödien und Tragödien sich durchaus gar nicht vorlesen lassen, ohne Widerwillen zu erregen und gräßliche Langeweile.«

»Eben«, erwiderte Lothar, »weil sie ganz undramatisch sind, oder weil auf den persönlichen Vortrag des Schauspielers auf dem Theater gerechnet worden und das Gedicht so kraftlos und schwächlich ist, daß es an und für sich selbst in dem Zuhörer kein farbicht Bild mit lebendigen Figuren hervorzurufen vermag, das ihm Theater und Schauspieler reichlich ersetzt. – Aber wir kommen ab von unserm Leander, von dem ich Ottmars Widerspruch unerachtet noch immer keck behaupte, daß er in unsern Kreis aufgenommen zu werden verdient.«

»Recht gut«, sprach Ottmar, »aber erinnere dich, liebster Lothar, doch nur gefälligst an alles das was dir schon mit Leander geschehen! – Wie er dich einmal mit einem dicken – dicken dramatischen Gedicht verfolgte und du ihm immer auswichst, bis er dich und mich zu sich einlud und uns bewirtete mit auserlesenen Speisen und köstlichem Wein, um uns nur sein Gedicht beizubringen. Wie ich zwei Akte treulich aushielt und mich rüstete zum dritten, wie du aber ungeduldig auffuhrst und schwurst, dir sei übel und weh, und den armen Leander sitzen ließest mitsamt seinen Speisen und seinem Wein. – Erinnere dich, wie Leander dich besuchte wenn mehrere Freunde zugegen. Wie er dann und wann mit Papieren in der Tasche rauschte und mit schlauen Blicken umhersah, damit nur einer sagen sollte: ›Ei Sie haben uns gewiß etwas Schönes mitgebracht lieber Herr Leander!‹ Wie du aber insgeheim uns alle um Gottes willen batest doch nur auf jenes bedrohliche Rauschen nicht zu achten und still zu schweigen. Erinnere dich, wie du den guten Leander, der immer ein Trauerspiel im Busen trug, immer bewaffnet, immer schlagfertig, wie du ihn verglichst mit Meros der zum Tyrannen schleicht, den Dolch im Busen! – Wie er einmal, als du ihn hattest einladen müssen, eintrat mit einem dicken Manuskript in der Hand, daß uns allen Mut und Laune sank. Wie er dann aber mit süßem Lächeln versicherte nur ein Stündchen könnte er bei uns bleiben, da er früher der und der Madam versprochen bei ihr Tee zu trinken und ihr sein neuestes Heldengedicht in zwölf Gesängen vorzulegen. Wie wir alle Atem schöpften einer schweren Last entnommen, wie wir, als er das Zimmer verlassen, einstimmig riefen: ›Ach die arme Madam! – die arme unglückliche Madam!‹«

»Höre auf«, rief Lothar, »höre auf Freund Ottmar, alles, dessen du erwähnst, hat sich in der Tat begeben, aber unter uns Serapions-Brüdern kann so etwas nicht geschehen. Bilden wir nicht eine tüchtige Opposition gegen alles was unserm Grundprinzip widerstrebt? – Ich wette, Leander würde sich diesem Prinzip fügen.«

»Glaube das ja nicht lieber Lothar«, sprach Ottmar. »Leander hat das mit vielen eitlen Dichtern und Schriftstellern gemein, daß er nicht hören mag, eben deshalb aber nur allein lesen, nur allein sprechen will. Mit aller Gewalt würde er dahin trachten unsere Abende ganz auszufüllen mit seinen endlosen Werken, jeden Widerstand sehr übel vermerken, so aber alle Gemütlichkeit zerstören die das schönste Band ist, das uns verknüpft. – Er sprach heute sogar von gemeinschaftlicher literarischer Arbeit, die wir zusammen unternehmen wollten! – Damit würd er uns nun vollends ganz entsetzlich plagen! –«

»Überhaupt«, nahm Cyprian das Wort, »ist es mit dem gemeinschaftlichen Arbeiten ein mißliches Ding. Vollends unausführbar scheint es, wenn mehrere sich vereinen wollen zu einem und demselben Werk. Gleiche Stimmung der Seele, tiefes Hineinschauen, Auffassen der Ideen wie sie sich aufeinander erzeugen scheint unerläßlich, soll nicht, selbst bei verabredetem Plan verworrenes barockes Zeug herauskommen. Ich denke eben an etwas sehr Lustiges in dieser Art. – Vor einiger Zeit beschlossen vier Freunde zu denen ich auch gehörte, einen Roman zu schreiben zu dem ein jeder nach der Reihe die einzelnen Kapitel liefern sollte. Der eine gab als Samenkorn, aus dem alles hervorschießen und hervorblühen sollte, den Sturz eines Dachdeckers vom Turme herab an, der den Hals bricht. In demselben Augenblick gebärt seine Frau vor Schreck drei Knaben. Das Schicksal dieser Drillinge, sich in Wuchs, Stellung, Gesicht u.s.w. völlig gleich sollte im Roman verhandelt werden. Ein weiterer Plan wurde nicht verabredet. Der andere fing nun an und ließ im ersten Kapitel vor dem einen der Helden des Romans von einer wandernden Schauspielergesellschaft ein Stück aufführen in dem er sehr geschickt und auf herrliche geniale Weise den ganzen Gang, den die Geschichte wohl nehmen könnte, angedeutet hatte. Hieran mußten sich nun alle halten und so wäre jenes Kapitel ein sinnreicher Prolog des Ganzen geworden. Statt dessen erschlug der erste (der Erfinder des Dachdeckers) im zweiten Kapitel die wichtigste Person, die der zweite eingeführt so daß sie wirkungslos ausschied, der dritte schickte die Schauspielergesellschaft nach Polen und der vierte ließ eine wahnsinnige Hexe mit einem weissagenden Raben auftreten und erregte Grauen ohne Not, ohne Beziehung. – Das Ganze blieb nun liegen!«

»Ich kenne«, sprach Theodor, »ich kenne ein Buch, das auch von mehreren Freunden unternommen aber nicht vollendet wurde. Es ist mit Unrecht nicht viel in die Welt gekommen, vielleicht weil der Titel nichts versprach oder weil nötige Empfehlung mangelte. Ich meine Carls Versuche und HindernisseEinen Roman der im Jahr 1808 im Verlage der Realschulbuchhandlung zu Berlin erschien. . Der erste Teil welcher nur ans Licht getreten, ist eins der witzigsten geistreichsten und lebendigsten Bücher die mir jemals vorgekommen. Merkwürdig ist es, daß darin nicht allein mehrere bekannte Schriftsteller, wie z. B. Johannes Müller, Jean Paul u. a. sondern auch von Dichtern geschaffene Personen, wie z. B. Wilhelm Meister nebst seinem Söhnlein u. a. in ihrer eigentümlichsten Eigentümlichkeit auftreten.«

»Ich kenne«, sprach Cyprian, »ich kenne das Buch von dem du sprichst, es hat mich gar sehr ergötzt und ich erinnere mich noch daraus, daß Jean Paul zu einem dicken Manne, den er auf einem Felde im Schweiß seines Angesichts Erdbeeren pflückend antrifft, spricht: ›Die Erdbeeren müssen recht süß sein, da Sie es sich so sauer darum werden lassen!‹ – Doch wie gesagt, das Zusammentreten zu einem Werk bleibt ein gewagtes Ding. Herrlich ist dagegen die wechselseitige Anregung wie sie wohl unter gleichgestimmten poetischen Freunden stattfinden mag und die zu diesem, jenem Werk begeistert.«

»Eine solche Anregung«, nahm Ottmar das Wort, »verdanke ich unserm Freunde Severin, der, ist er nur erst, wie zu erwarten steht, hier angekommen, ein viel besserer Serapions-Bruder sein wird als Leander. – Mit Severin saß ich im Berliner Tiergarten, als sich das vor unsern Augen zutrug was den Stoff hergab zu der Erzählung die ich unter dem Titel: Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde aufschrieb und die ich mitgebracht habe um sie euch vorzulesen. Als nämlich, wie ihr nachher vernehmen werdet, das schöne Mädchen das ihr heimlich zugesteckte Brieflein mit Tränen in den Augen las, warf mir Severin leuchtende Blicke zu und flüsterte: ›Das ist etwas für dich Ottmar! – Deine Fantasie muß die Fittiche regen! – schreibe nur gleich hin was es für eine Bewandtnis hat mit dem Mädchen, dem Brieflein und den Tränen!‹ – Ich tat das!«

Die Freunde setzten sich an den runden Tisch, Ottmar zog ein Manuskript hervor und las:


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