E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Der ästhetische Tee. Stickhusten eines tragischen Dichters. Die Geschichte nimmt einen ernsten Schwung, und spricht von blutigen Schlachten, Selbstmord u. dgl.

Der geneigte Leser muß es sich schon gefallen lassen, den beiden Freunden, Ludwig und Euchar, zu folgen in den ästhetischen Tee, der nun bei der Frau Konsistorial-Präsidentin Veehs wirklich angegangen. Ungefähr ein Dutzend hinlänglich geputzter Damen sitzen in einem Halbkreis. Eine lächelt gedankenlos, die andere ist vertieft in den Anblick ihrer Schuhspitzen, mit denen sie geschickt die neuesten Pas irgendeiner Françoise ganz in der Stille zu probieren weiß, die dritte scheint süß zu schlafen, noch süßer zu träumen, die vierte läßt den Feuerblick ihrer Augen umherstreifen, damit er nicht einen sondern wo möglich alle jungen Männer treffe, die im Saal versammelt, die fünfte lispelt: »Göttlich – herrlich – sublim« – diese Ausrufungen gelten aber dem jungen Dichter, der eben mit allem nur möglichen Pathos eine neue Schicksalstragödie vorliest, die langweilig und abgeschmackt genug ist, um sich ganz zu solcher Vorlesung zu eignen. Hübsch war es, daß man oft ein Brummen vernahm, fernem Donner zu vergleichen. Dies war aber die Stimme des Konsistorial-Präsidenten, der in einem entfernten Zimmer mit dem Grafen Walther Puck Pikett spielte, und sich auf jene Weise grollend, murrend vernehmen ließ. Der Dichter las mit dem süßesten Ton, dessen er mächtig:

»Nur noch einmal, nur noch einmal
Laß dich hören, holde Stimme,
Ja o Stimme, süße Stimme,
Stimme aus dem tiefen Grunde,
Stimme aus den Himmelslüften.
Horch, o horch –«

Da schlug aber der Donner los, der längst bedrohlich gemurmelt. »Himmel tausend Sapperment!« dröhnte des Konsistorial-Präsidenten Stimme durch das Zimmer, so daß alles erschrocken von den Sitzen aufsprang. Wieder war es hübsch, daß der Dichter sich gar nicht stören ließ, sondern fortfuhr:

»Ja es ist sein Liebesatem,
Ist sein Ton, den Honiglippen
Ist der süße Laut entflohen –«

Ein höheres Schicksal als das, was in des Dichters Tragödie waltete, litt es aber nicht, daß der Dichter seine Vorlesung ende. Gerade, als er bei einem gräßlichen Fluch, den der Held des Stücks ausspricht, seine Stimme erheben wollte zur höchsten tragischen Kraft, kam ihm, der Himmel weiß was, in den Hals, so daß er in einen fürchterlichen, nicht zu beschwichtigenden Husten ausbrach, und halb tot weggetragen wurde.

Der Präsidentin, der man längst Überdruß und Langweile angemerkt, schien die plötzliche Unterbrechung nicht ungelegen. Sobald die Ruhe der Gesellschaft wiederhergestellt, erinnerte sie, wie es nun an der Zeit sei, daß irgend etwas nicht vorgelesen sondern recht lebendig erzählt werde, und meinte, daß Euchar recht eigentlich der Gesellschaft dazu verpflichtet, da er sonst bei seiner hartnäckigen Schweigsamkeit wenig zur Unterhaltung beitrage.

Euchar erklärte bescheiden, daß er ein sehr schlechter Erzähler sei, und daß das, was er vielleicht zum besten geben könne, sehr ernsten, vielleicht gar greulichen Inhalts sein, so aber der Gesellschaft wenig Lust erregen werde. Da riefen aber vier blutjunge Fräuleins mit einer Stimme: »O graulich! nur recht graulich, o was ich mich gar zu gern graue!«

Euchar nahm den Rednerstuhl ein, und begann: »Wir haben eine Zeit gesehen, die wie ein wütender Orkan über die Erde dahinbrauste. Die menschliche Natur, in ihrer tiefsten Tiefe erschüttert, gebar das Ungeheure, wie das sturmbewegte Meer die entsetzlichen Wunder des Abgrunds emporschleudert auf den tosenden Wellen. Alles was Löwenmut, unbezwingbare Tapferkeit, Haß, Rache, Wut, Verzweiflung im mörderischen Todeskampf vollbringen können, geschah im spanischen Freiheitskriege. Es sei mir erlaubt von den Abenteuern meines Freundes – ich will ihn Edgar nennen – zu erzählen, der dort unter Wellingtons Fahnen mitfocht. Edgar hatte im tiefen schneidenden Gram über die Schmach seines deutschen Vaterlandes, seine Vaterstadt verlassen, und war nach Hamburg gezogen, wo er in einem kleinen Stübchen, das er in einer entlegenen Gegend gemietet, einsam lebte. Von dem Nachbar, mit dem er Wand an Wand wohnte, wußte er eben nichts weiter, als daß es ein alter kranker Mann sei, der niemals ausgehe. Er hörte ihn öfters stöhnen, und in sanfte rührende Klagen ausbrechen, ohne die Worte zu verstehen. Später ging der Nachbar fleißig in der Stube auf und ab, und ein Zeichen wiedergekehrter Genesung schien es, als er eines Tages eine Chitarre stimmte, und dann leise Lieder begann, die Edgar für spanische Romanzen erkannte.

Auf näheres Befragen vertraute ihm die Wirtin, daß der Alte ein krankheitshalber von dem Romanaschen Korps zurückgebliebener spanischer Offizier sei, der freilich nun insgeheim bewacht werde, und sich nicht viel hinauswagen dürfe.

Mitten in der Nacht hörte Edgar den Spanier die Chitarre stärker anschlagen als sonst. Er begann in mächtiger, seltsam wechselnder Melodie, die Profecia del Pirineo des Don Juan Bautista de Arriaza. Es kamen die Strophen:

›Y oye que el gran rugido
Es ya trueno en los campos de Castilla,
En las Asturias bèlico alarido,
Voz de venganza en la imperial Sevilla,
Junto a Valencia es rayo,
Y terremoto horrisono en Moncàyo.

Mira en haces guerreras,
La España toda hiriviendo hasta sus fines,
Batir tambores, tremolar banderas,
Estallar bronçes, resonar clarines,
Y aun las antiguas lanzas,
Salir del polvo à renovar venganzas.‹«

»Möge«, unterbrach die Präsidentin den Redner, »möge es doch unserm Freunde, bevor er weitererzählt, gefallen, uns die mächtigen Verse deutsch zu wiederholen, da ich mit mehreren meiner lieben Gäste, die ästhetische Unart teile, kein Spanisch zu verstehen.« »Der mächtige Klang«, erwiderte Euchar, »den jene Verse haben, geht in der Übersetzung verloren, doch wurden sie gut genug also verdeutschtDurch S. H. Friedländer. :

Horch, wie des Leuen Töne,
Zum Donner in Kastiliens Regionen,
Zum Heulen werden für Asturias Söhne,
Rachschrei für die, die in Sevilla wohnen.
Valencia ist erschüttert,
Indes Moncayos Boden dröhnt und zittert.

Sieh bis an seine Grenzen
Das ganze Land in Kriegesglut sich röten,
Die Trommeln wirbeln und die Fahnen glänzen,
Die Erze krachen, schmettern die Trompeten,
Selbst die im Staube lagen,
Die Lanzen braucht man in den Rachetagen. –

Edgars Innerstes entzündete die Glut der Begeistrung, die aus dem Gesange des Alten strömte. Eine neue Welt ging ihm auf, er wußte nun, wie er sich aufraffen von seiner Siechheit, wie er ermannt zu kühner Tat, den Kampf, der seine Brust zerfleischte, auskämpfen konnte im regen Leben. ›Ja, nach Spanien – nach Spanien!‹ so rief er überlaut, aber in demselben Augenblick verstummte Gesang und Spiel des Alten. Edgar konnte der Begierde nicht widerstehen, den zu kennen, der ihm neues Leben eingehaucht. Die Türe wich dem Druck seiner Hand. Doch in dem Moment, als er hineintrat in des Alten Zimmer, sprang dieser mit dem Schrei: ›Traidor!‹ (Verräter) vom Bette auf, und stürzte mit gezogenem Dolch los auf Edgar.

Diesem gelang es indessen durch eine geschickte Wendung dem gutgezielten Stoß auszuweichen, dann aber den Alten fest zu packen und niederzudrücken auf das Bett.

Während er nun den kraftlosen Alten festhielt, beschwor er ihn in den rührendsten Ausdrücken sein stürmisches Einbrechen ihm zu verzeihen. Kein Verräter sei er, vielmehr habe das Lied des Alten allen Gram, allen trostlosen Schmerz, der seine Brust zerrissen entflammt zu glühender Begeisterung, zu unerschütterlichem Kampfesmut. Er wolle hin nach Spanien, und freudig fechten für die Freiheit des Landes. Der Alte blickte ihn starr an, sprach leise: ›Wär es möglich?‹ drückte Edgarn, der nicht nachließ auf das eindringendste zu beteuern, daß ihn nichts abhalten werde, seinen Entschluß auszuführen, heftig an die Brust, indem er den Dolch, den er noch in der Faust hielt, weit von sich schleuderte.

Edgar erfuhr nun, daß der Alte Baldassare de Luna geheißen, und aus einem der edelsten Geschlechter Spaniens entsprossen war. Hülflos, ohne Freunde, ohne die geringste Unterstützung bei der drückendsten Bedürftigkeit hatte er die trostlose Aussicht, fern von seinem Vaterlande ein elendes Leben zu verschmachten. Nicht gelingen wollt es Edgarn den bedaurenswürdigen Alten zu beschwichtigen, als er aber zuletzt auf das heiligste versprach, beider Flucht nach England möglich zu machen, da schien neues belebendes Feuer durch alle Glieder des Spaniers zu strömen. Er war nicht mehr der sieche Alte, nein, ein begeisterter Jüngling, der Hohn sprach der Ohnmacht seiner Unterdrücker.

Edgar hielt, was er versprochen. Es gelang ihm die Wachsamkeit der arglistigen Hüter zu täuschen, und mit Baldassare de Luna zu entfliehen nach England. Das Schicksal vergönnte aber nicht dem wackern, vom Unglück verfolgten Mann, daß er sein Vaterland wiedersehe. Aufs neue erkrankt, starb er in London in Edgars Armen. Ein prophetischer Geist ließ ihn die Glorie des geretteten Vaterlandes schauen. In den letzten Seufzern des Gebets, das sich den zum Tode erstarrten Lippen mühsam entrang, vernahm Edgar den Namen: Vittoria! und die Verklärung des Himmels leuchtete auf de Lunas lächelndem Antlitz.

Gerade in dem Zeitraum, als Suchets siegreiche Heere allen Widerstand niederzuschmettern, das schmachvolle fremde Joch auf ewige Zeit zu befestigen drohten, langte Edgar mit der Brigade des englischen Obristen Sterret vor Tarragona an. Es ist bekannt, daß der Obrist die Lage des Platzes zu bedenklich fand, um die Truppen auszuschiffen. Das vermochte der nach kühnen Waffentaten dürstende Jüngling nicht zu ertragen. Er verließ die Engländer und begab sich zu dem spanischen General Contreras, der mit achttausend der besten spanischen Truppen in der Festung lag. Man weiß, daß des heftigsten Widerstandes unerachtet, Suchets Truppen Tarragona mit Sturm nahmen, daß Contreras selbst durch einen Bajonettstich verwundet den Feinden in die Hände fiel.

Alles furchtbare Entsetzen der Hölle bieten die greuelvollen Szenen dar, die vor Edgars Augen sich auftaten. War es schändliche Verräterei, war es unbegreifliche Nachlässigkeit der Befehlshaber – genug, den zur Verteidigung des Hauptwalls aufgestellten Truppen fehlte es bald an Munition. Lange widerstanden sie mit dem Bajonett dem durch das erbrochne Tor einstürmenden Feinde, als sie aber endlich seinem wütenden Feuer weichen mußten, da ging es fort in wilder Verwirrung nach dem Tore gegenüber, in das, da es zu klein für die durchdringenden Massen, eingekeilt sie Stich halten mußten dem fürchterlichen Gemetzel. Doch gelang es etwa viertausend Spaniern, das Regiment Almeira war dabei und mit ihm Edgar, hinauszukommen. Mit der Wut der Verzweiflung durchbrachen sie die dort aufgestellten feindlichen Bataillone, und setzten ihre Flucht fort auf dem Wege nach Barcelona. Schon glaubten sie sich gerettet, als ein fürchterliches Feuer aus Feldstücken, die der Feind hinter einem tiefen Graben, der den Weg durchschnitt, aufgestellt hatte, unentrinnbaren Tod in ihre Reihen brachte. Edgar stürzte getroffen nieder.

Ein wütender Kopfschmerz war das Gefühl, indem er zur Besinnung erwachte. Es war tiefe Nacht, alle Schauer des Todes durchbebten ihn, als er das dumpfe Ächzen, den herzzerschneidenden Jammer vernahm. Es gelang ihm sich aufzuraffen, und fortzuschleichen. Als endlich die Morgendämmerung anbrach, befand er sich in der Nähe einer tiefen Schlucht. Eben im Begriff hinabzusteigen, kam ein Trupp feindlicher Reiter langsam hinauf. Nun der Gefangenschaft zu entgehen, schien unmöglich, doch wie ward ihm, als plötzlich aus dem dicksten Gebüsch Schüsse fielen, die einige der Reiter niederstreckten, und nun ein Trupp Guerillas auf die übriggebliebenen losstürzte. Laut rief er seinen Befreiern auf spanisch zu, die ihn freudig aufnahmen. Nur ein Streifschuß hatte ihn getroffen, von dem er bald genas, so daß er vermochte sich Don Joachim Blakes Truppen anzuschließen, und nach vielen Gefechten mit ihm einzuziehen in Valencia.

Wer weiß es nicht, daß die vom Guadalaviar durchströmte Ebene, in der das schöne Valencia mit seinen stolzen Türmen gelegen, das Paradies der Erde zu nennen ist. Alle Götterlust eines ewig heitern Himmels strahlt hinein in das Gemüt der Bewohner, denen das Leben ein ununterbrochener Festtag wird. Und dies Valencia war nun der Waffenplatz des mörderischen Krieges! Statt der süßen Liebesklänge, die sonst in der stillen Nacht hinaufgirrten zu den Gitterfenstern, hörte man nur das dumpfe Gerassel des Geschützes, der Pulverkarren, die wilden Rufe der Wachen, das unheimliche Murmeln der durch die Straßen ziehenden Truppen. Alle Freude war verstummt, die Ahnung des Entsetzlichen, was sich begeben werde, lag auf den bleichen von Gram und Wut verstörten Gesichtern, der fürchterlichste Ingrimm brach aus in tausend gräßlichen Verwünschungen des Feindes. Die Alameda (ein reizender Spaziergang in Valencia), sonst der Tummelplatz der schönen Welt, diente jetzt zur Musterung eines Teils der Truppen. Hier war es, wo Edgar, als er eines Tages einsam an einen Baum gelehnt stand, und nachsann über das dunkle feindliche Verhängnis, das über Spanien zu walten schien, einen hochbejahrten Mann von hohem stolzen Wuchs bemerkte, der langsam auf und ab schritt, und bei ihm vorübergehend jedesmal einen Augenblick stehenblieb und ihn scharf ins Auge faßte. Edgar trat endlich auf ihn zu, und fragte mit bescheidenem Ton, wodurch er des Mannes besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. ›So habe‹, sprach der Mann, indem ein düstres Feuer unter den buschichten schwarzen Brauen hervorblitzte, ›so habe ich mich doch nicht getäuscht, Ihr seid kein Spanier, und doch muß ich, lügt nicht Euer Rock, Euch für einen unserer Mitkämpfer halten. Das kommt mir aber etwas wunderlich vor.‹ Edgar zwar ein wenig verletzt durch des Alten barsche Anrede, erzählte doch gelassen genug, was ihn nach Spanien gebracht.

Kaum hatte er indessen den Namen Baldassare de Luna genannt, als der Alte in voller Begeistrung laut rief: ›Was sagt Ihr? – Baldassare de Luna – Baldassare de Luna? mein würdiger Vetter! ach mein innigster einziger Freund, der mir hienieden noch übriggeblieben!‹ Edgar wiederholte, wie sich alles begeben, und unterließ nicht zu erwähnen, mit welchen Himmelshoffnungen Baldassare de Luna gestorben.

Der Alte faltete die Hände, schlug die Augen voller Tränen auf zum Himmel, seine Lippen bebten, er schien mit dem dahingeschiedenen Freunde zu reden! ›Verzeiht‹, wandte er sich dann zu Edgar, ›verzeiht, wenn mich ein düstres Mißtrauen zu einem Betragen gegen Euch zwang, das mir sonst nicht eigen. Man wollte vor einiger Zeit ahnen, daß die verruchte Arglist des Feindes so weit gehe, fremde Offiziere sich in unsere Heere schleichen zu lassen, um verderblichen Verrat zu bereiten. Die Vorfälle in Tarragona haben diese Ahnung nur zu sehr bestätigt, und schon hat die Junta beschlossen alle fremde Offiziere zu entfernen. Don Joachim Blake hat indessen erklärt, daß vorzüglich fremde Ingenieure ihm unentbehrlich wären, dagegen aber feierlich versprochen, jeden Fremden, auf den der leiseste Verdacht des Verrats kommen werde, augenblicklich niederschießen zu lassen. Seid Ihr wirklich ein Freund meines Baldassare, so meint Ihr es gewiß tapfer und ehrlich – ich habe Euch indessen alles gesagt, und Ihr möget Euch darnach achten.‹ Damit ließ ihn der Alte stehen.

Alles Waffenglück schien von den Spaniern gewichen, der Todesmut der Verzweiflung vermochte nichts auszurichten gegen den immer näher andringenden Feind. Enger und enger wurde Valencia von allen Seiten umzingelt, so daß Blake, auf das äußerste gebracht, beschloß, sich mit zwölftausend Mann der auserlesensten Truppen durchzuschlagen. Es ist bekannt, daß nur wenige durchkamen, daß die übrigen zum Teil getötet, zum Teil zurückgedrängt wurden in die Stadt. Hier war es, wo Edgar an der Spitze des tapfern Jägerregiments Ovihuela noch dem Feinde einige Momente Trotz zu bieten vermochte, so daß die wilde Verwirrung der Flucht weniger verderblich wurde. Aber wie bei Tarragona streckte ihn in dem Moment des wütendsten Kampfes eine Gewehrkugel nieder. – Den Zustand von diesem Augenblick an bis zum klaren Bewußtsein beschrieb mir Edgar als unerklärlich seltsam. Oft war es ihm, als sei er in wilder Schlacht, er hörte den Donner des Geschützes, das wilde Geschrei der Kämpfenden, die Spanier rückten siegreich vor, aber als er von freudiger Kampfeslust entflammt, sein Bataillon ins Feuer führen wollte, war er plötzlich gelähmt, und versank in bewußtlose Betäubung; dann fühlte er wieder deutlich, daß er auf weichem Lager liege, daß man ihm kühles Getränk einflöße, er hörte sanfte Stimmen sprechen, und konnte sich doch nicht aufraffen aus den Träumen. Einmal, als er wieder in dem dicksten Getümmel der Schlacht zu sein wähnte, war es ihm, als packe man ihn fest bei der Schulter, während ein feindlicher Jäger sein Gewehr auf ihn abschoß, so daß die Kugel seine Brust traf, und sich auf unglaubliche Weise langsam einwühlte in das Fleisch unter den unsäglichsten Schmerzen, bis alles Gefühl unterging im tiefen Todesschlaf.

Aus diesem Todesschlaf erwachte Edgar plötzlich zu vollem Bewußtsein, doch in solcher seltsamer Umgebung, daß er durchaus nicht ahnen konnte, wo er sich befinde. Zu dem weichen und üppigen Lager mit seidenen Decken paßte nämlich gar schlecht das niedrige, kleine, gefängnisartige Gewölbe von rohen Steinen, in dem es stand. Eine düstere Lampe verbreitete nur ein sparsames Licht ringsumher, weder Türe noch Fenster war bemerkbar. Edgar richtete sich mühsam in die Höhe, da gewahrte er einen Franziskaner, der in einer Ecke des Gewölbes auf einem Lehnstuhl saß, und zu schlafen schien. ›Wo bin ich?‹ rief Edgar mit aller Kraftanstrengung, deren er nur fähig.

Der Mönch fuhr auf aus dem Schlafe, schürte den Docht der Lampe, nahm sie, leuchtete Edgarn ins Gesicht, fühlte seinen Puls und murmelte etwas, das Edgar nicht verstand. Edgar war im Begriff den Mönch zu befragen um alles, was sich mit ihm begeben, als geräuschlos sich die Wand zu öffnen schien, und ein Mann hereintrat, den Edgar augenblicklich für den Alten von der Alameda her erkannte. Der Mönch rief ihm zu, daß die Krisis vorüber sei, und nun alles gut gehen werde. ›Gelobt sei Gott!‹ erwiderte der Alte, und näherte sich Edgars Lager.

Edgar wollte sprechen, der Alte bat ihn aber zu schweigen, weil die mindeste Anstrengung zur Zeit ihm noch gefährlich sei. Zu denken sei es, daß es ihm unerklärlich sein müsse, sich in solchen Umgebungen wiederzufinden, wenig Worte würden aber hinreichen, ihn nicht nur ganz zu beruhigen, sondern ihm auch die Notwendigkeit zu zeigen, daß man ihn in diesen traurigen Kerker lagern müssen.

Edgar erfuhr nun alles. Als er von einer Kugel in die Brust getroffen niedersank, hatten ihn die unerschrockenen Kampfesbrüder, des fürchterlichsten Feuers ungeachtet, aufgerafft, und in die Stadt hineingetragen. Es begab sich, daß hier im dicksten Getümmel Don Rafaele Marchez (so war der Alte geheißen) den verwundeten Edgar gewahrte, und ihn, statt nach dem Spital, sogleich in sein Haus tragen ließ, um dem Freunde seines Baldassare alle nur mögliche Hülfe und Pflege angedeihen zu lassen. Die Wunde war zwar gefährlich genug, was aber Edgars Zustand besonders bedenklich machte, war das hitzige Nervenfieber, dessen Spuren sich schon früher gezeigt, und das nun in voller Wut ausbrach. Man weiß daß Valencia drei Tage und drei Nächte hindurch mit dem gräßlichsten Erfolg beschossen wurde, daß alles Schrecken, alles Entsetzen der furchtbarsten Belagerung, sich in der von Menschen überfüllten Stadt verbreitete, daß derselbe Pöbel, der von der Junta zur Wut aufgereizt, unter den fürchterlichsten Drohungen verlangte, Blake solle sich aufs äußerste verteidigen, nun bewaffnet den General zur augenblicklichen Übergabe zwingen wollte; daß Blake mit der Fassung eines Helden den zusammengerotteten Haufen durch wallonische Garden auseinandertreiben ließ, dann aber mit Suchet ehrenvoll genug kapitulierte. Don Rafaele Marchez wollte nicht, daß der todkranke Edgar dem Feinde in die Hände fallen sollte. Sowie die Kapitulation geschlossen, und der Feind einrückte in Valencias Mauern, schaffte er Edgarn hinab in das entlegene, jedem Fremden unentdeckbare Gewölbe. ›Freund meines verklärten Baldassare‹ (so schloß Don Rafaele Marchez seine Erzählung), ›seid auch der meinige, Euer Blut ist geflossen für mein Vaterland, jeder Tropfen fiel siedend heiß in meine Brust, und vertilgte jede Spur des Mißtrauens, das in dieser verhängnisvollen Zeit sich nur zu leicht erzeugen muß. Dieselbe Glut, die den Spanier entflammt zum wütendsten Haß, lodert auch auf in seiner Freundschaft, und macht ihn jeder Tat, jedes Opfers fähig für den Verbundenen. In meinem Hause wirtschaften die Feinde, doch Ihr seid in Sicherheit, denn ich schwöre Euch, geschieht Entsetzliches, so lasse ich mich eher unter den Trümmern von Valencia begraben, als daß ich Euch verriete. Glaubt mir das!‹

Zur Tageszeit herrschte rings um Edgars verborgenes Gemach die tiefste Grabesstille, nachts dagegen war es Edgar oft, als höre er aus der Ferne den Widerhall leiser Tritte, das dumpfe Murmeln mehrerer Stimmen durcheinander, das Öffnen und Schließen von Türen, das Geklirre von Waffen. Ein unterirdisches Treiben schien zum Leben erwacht in den Stunden des Schlafes. Edgar befragte darum den Franziskaner, der ihn sehr selten nur auf Augenblicke verließ, und ihn mit der unermüdlichsten Sorgfalt pflegte. Der meinte aber, sei er nur erst mehr genesen, so würde er wohl durch Don Rafaele Marchez erfahren, was in seiner Nachbarschaft sich begebe. Das geschah denn auch wirklich. Als nämlich Edgar so weit hergestellt, daß er sein Lager verlassen konnte, kam eines Nachts Don Rafaele mit einer angezündeten Fackel, und lud Edgar ein sich anzukleiden, und ihm nebst dem Pater Eusebio, so hieß der Franziskaner, der sein Arzt und Krankenwärter, zu folgen.

Don Rafaele führte ihn durch einen schmalen ziemlich langen Gang, bis sie an eine verschlossene Tür kamen, die auf Don Rafaeles Klopfen geöffnet wurde.

Wie erstaunte Edgar, als er in ein geräumiges, hell erleuchtetes Gewölbe trat, in dem sich eine zahlreiche Gesellschaft von Leuten befand, die größtenteils ein schmutziges, wildes, trotziges Ansehen hatten. Mitten stand ein Mann, der, wie der gemeinste Bauer gekleidet, mit verwildertem Haar, alle Spuren eines heimatlosen Nomadenlebens an sich tragend, doch in seinem ganzen Wesen etwas Kühnes, Ehrfurchtgebietendes hatte. Die Züge seines Gesichtes waren dabei edel, und aus seinen Augen blitzte jenes kriegerische Feuer, das den Helden verrät. Zu diesem Mann führte Don Rafaele seinen Freund hin, und kündigte ihn als den jungen tapferen Deutschen an, den er dem Feinde entrissen, und der bereit sei, den großen Kampf für die Freiheit von Spanien mitzukämpfen. Dann sprach Don Rafaele sich zu Edgar wendend: ›Ihr seht hier im Herzen von Valencia von Feinden umlagert den Herd, auf dem ewig das Feuer geschürt wird, dessen unlöschbare Flammen immer mit verdoppelter Kraft auflodernd, den verruchten Feind vertilgen sollen, in der Zeit, wenn er, durch sein trügerisches Waffenglück kühn und sicher geworden, schwelgen wird in trotzigem Übermut. Ihr befindet Euch in den unterirdischen Gewölben des Franziskaner-Klosters. Auf hundert, jeder Arglist verborgenen Schleichwegen kommen hier die Häupter der Tapfern zusammen, und ziehen dann wie aus einem Brennpunkt schießende Strahlen hinaus nach allen Enden, um den verräterischen Fremdlingen, selbst nach durch Übermacht erzwungenen Siegen, Tod und Verderben zu bereiten. Wir betrachten Euch, Don Edgar, als der Unsrigen einen. Nehmt teil an der Glorie unserer Unternehmungen!‹

Empecinado – niemand anders als das berühmte Haupt der Guerillas war jener Mann in Bauerntracht, Empecinado, dessen unerschrockene Kühnheit bis zum märchenhaften Wunder stieg, der wie der unvernichtbare Geist der Rache selbst allen Anstrengungen der Feinde Trotz bot, und plötzlich, wenn er spurlos verschwunden schien, mit verdoppelter Stärke hervorbrach, der in dem Augenblick, als die Feinde die vollkommene Niederlage seiner Haufen verkündeten, vor den Toren von Madrid erschien, und den Afterkönig in Todesschrecken setzte – also Empecinado reichte Edgarn die Hand, und redete zu ihm mit begeisterten Worten.

Man führte jetzt einen Jüngling gebunden herbei. Auf seinem todbleichen Antlitz lagen alle Spuren trostloser Verzweiflung, er schien zu beben, nur mit Mühe sich aufrecht zu erhalten, als man ihn hinstellte vor Empecinado. Der durchbohrte ihn schweigend mit seinem Flammenblick, und begann endlich mit einer fürchterlichen, herzzermalmenden Ruhe: ›Antonio! Ihr steht in Eintracht mit dem Feinde, Ihr wart mehrmals zu ungewöhnlichen Stunden bei Suchet, Ihr habt unsre Waffenplätze in der Provinz Cuenca verraten wollen!‹ ›Es ist so‹, erwiderte Antonio mit einem schmerzlichen Seufzer, ohne das gesenkte Haupt emporzurichten. ›Ist es möglich?‹ rief nun Empecinado in wildem Zorn aufbrausend, ›ist es möglich, daß du ein Spanier bist, daß das Blut deiner Vorfahren dir in den Adern rinnt? War deine Mutter nicht die Tugend selbst? wäre der leiseste Gedanke, daß sie die Ehre ihres Hauses hätte beflecken können, nicht verruchter Frevel; ich würde glauben du seist ein Bastard aus dem Samen des verworrensten Volks der Erde entsprossen! Du hast den Tod verdient. Mache dich gefaßt zu sterben!‹ Da stürzte Antonio ganz Jammer und Verzweiflung hin zu Empecinados Füßen, indem er laut schrie: ›Oheim – Oheim! glaubt Ihr denn nicht, daß alle Furien der Hölle meine Brust zerfleischen? Habt Barmherzigkeit, habt Mitleiden! Bedenkt, daß die Arglist des Teufels oft alles vermag! – Ja, Oheim, ich bin ein Spanier, laßt mich das beweisen! – Seid barmherzig, vergönnt, daß ich die Schande, die Schmach, die die verruchtesten Künste der Hölle über mich gebracht, tilge, daß ich Euch, daß ich den Brüdern gereinigt erscheinen möge! – Oheim, Ihr versteht mich, Ihr wißt, warum ich Euch anflehe!‹

Empecinado schien durch des Jünglings Flehen erweicht. Er hob ihn auf, und sprach sanft: ›Du hast recht, die Arglist des Teufels vermag viel. Deine Reue ist wahr, muß wahr sein. Ich weiß, warum du flehst, ich verzeihe dir, Sohn der geliebten Schwester! komm an meine Brust.‹ Empecinado löste selbst die Bande des Jünglings, schloß ihn in seine Arme, und reichte ihm dann den Dolch, den er am Gürtel trug. ›Habe Dank‹, schrie der Jüngling, küßte Empecinados Hände, benetzte sie mit Tränen, hob den Blick betend gen Himmel, stieß sich den Dolch tief in die Brust, und sank lautlos zusammen. Den kranken Edgar erschütterte der Auftritt dermaßen, daß er sich der Ohnmacht nahe fühlte. Pater Eusebio brachte ihn zurück in sein Gewölbe.

Als einige Wochen vergangen, glaubte Don Rafaele Marchez seinen Freund ohne Gefahr aus seinem Kerker, in dem er nicht genesen konnte, befreien zu dürfen. Er brachte ihn zur Nachtzeit herauf, in ein einsames Zimmer, dessen Fenster in eine ziemlich entlegene Straße hinausgingen, und warnte ihn, wenigstens den Tag über nicht aus der Tür zu treten, der Franzosen halber, die im Hause einquartiert seien.

Selbst wußte Edgar nicht, woher die Lust kam, die ihn eines Tages anwandelte, auf den Korridor hinauszugehen. In demselben Augenblick, als er aus dem Zimmer trat, öffnete sich aber die Tür gegenüber, und ein französischer Offizier trat ihm entgegen.

›Freund Edgar, welches Geschick bringt Euch hieher? Seid tausendmal willkommen!‹ so rief der Franzose, stürzte auf ihn zu, umarmte ihn voller Freude. Edgar hatte augenblicklich den Obrist La Combe von der kaiserlichen Garde erkannt. Der Zufall hatte den Obristen gerade in der verhängnisvollsten Zeit der tiefen Erniedrigung des deutschen Vaterlandes in das Haus des Oheims geführt, bei dem Edgar, als er die Waffen ablegen müssen, sich aufhielt. La Combe war im südlichen Frankreich geboren. Durch seine unzweideutige Gutmütigkeit, durch die, seiner Nation sonst eben nicht eigene Zartheit, womit er die tief Verletzten zu behandeln wußte, gelang es ihm den Widerwillen, ja den unversöhnlichen Haß, der in Edgars Innerm gegen die übermütigen Feinde festgewurzelt, zu überwinden, und zuletzt durch einige Züge, die La Combes wahrhaft edlen Sinn außer Zweifel setzten, seine Freundschaft zu gewinnen. ›Edgar, wie kommst du hieher nach Valencia?‹ rief der Obrist. Man kann denken wie sehr Edgar in Verlegenheit geriet; er vermochte nicht zu antworten. Der Obrist sah ihn starr an, und sprach dann ernst: ›Ha! ich weiß, was dich hergebracht. Du hast deinem Haß Luft gemacht, du hast das Schwert der Rache gezückt für die vermeintliche Freiheit eines wahnsinnigen Volks – und – ich kann dir das nicht verdenken. Ich müßte deine Freundschaft nicht für echt halten, wenn du etwa glauben solltest, ich könnte dich verraten. Nein, mein Freund! nun ich dich gefunden, bist du erst in voller Sicherheit. Denn wisse, du sollst von nun an kein anderer sein, als der reisende Geschäftsführer eines deutschen Handelshauses in Marseille, den ich längst gekannt, und damit gut!‹ Sosehr es Edgarn peinigte, La Combe ruhte nicht, bis er seine Klause verließ, und mit ihm die bessern Zimmer bezog, die Don Rafaele Marchez ihm eingeräumt.

Edgar eilte den mißtrauischen Spanier von dem ganzen Hergang der Sache, von dem Verhältnis mit La Combe, zu unterrichten. Don Rafaele begnügte sich ernst und trocken zu erwidern: ›In der Tat, das ist ein sonderbarer Zufall!‹

Der Obrist fühlte Edgars Lage ganz; indessen konnte er doch den seiner Nation eigentümlichen Sinn, dem lebendiges Bewegen in Lust und zerstreuendem Vergnügen als die tiefste Herzenswunde heilend erscheint, nicht verleugnen. So kam es, daß der Obrist mit dem Marseiller Kaufmann Arm in Arm täglich in der Alameda spazierte, ihn fortriß in die lustigen Gelage der bis zum tollen Übermut leichtsinnigen Kameraden.

Edgar bemerkte wohl, wie ihn manche seltsame Gestalten mit mißtrauischen Blicken verfolgten, und es fiel ihm nicht wenig aufs Herz, als er, mit dem Obristen in eine Posada eintretend, ganz deutlich hinter sich zischeln hörte: ›Aqui esta el traidor!‹ (da ist der Verräter).

Don Rafaele wurde immer kälter und einsilbiger gegen Edgar, bis er zuletzt sich gar nicht mehr sehen, und ihm sagen ließ, er könne von nun an, statt daß er sonst mit ihm allein gegessen, mit dem Obristen La Combe speisen.

Eines Tages, als der Dienst den Obristen abgerufen, und Edgar sich allein in dem Zimmer befand, klopfte es leise an der Tür, und Pater Eusebio trat herein. Eusebio fragte nach Edgars Gesundheit, und sprach dann von allerlei gleichgültigen Dingen, bis er plötzlich innehielt, und Edgarn tief ins Auge blickte, dann rief er tief bewegt: ›Nein Don Edgar! Ihr seid kein Verräter! Es ist des Menschen Natur, daß er im wachen Traum, im betörenden Wahnsinn des Fiebers, wenn der Lebensgeist im harten Kampf begriffen mit der irdischen Hülle, wenn die stärker und stärker gespannten Fibern nicht mehr den fortbrausenden Gedanken zu hemmen vermögen – ja – daß er dann sein Innerstes zu erschließen gezwungen! Wie oft hab ich, Don Edgar, an Eurem Lager Nächte durchwacht, wie oft habt Ihr mich unbewußt in Eure tiefste Seele blicken lassen! Nein, Don Edgar, Ihr könnt kein Verräter sein. Aber seht Euch vor – seht Euch vor!‹ Edgar beschwor Eusebio ihm zu sagen, welcher Verdacht auf ihm laste, welche Gefahr ihm drohe. ›Nicht verhehlen‹, sprach Eusebio, ›nicht verhehlen will ich Euch, daß Euer Umgang mit dem Obristen La Combe und seinen Gefährten Euch verdächtig gemacht hat, daß man fürchtet, Ihr könntet, wenn auch nicht aus bösem Willen, doch im fröhlichen Übermut bei irgendeinem lustigen Gelage, wenn Ihr zu viel des starken spanischen Weins genossen, die Geheimnisse dieses Hauses verraten, in die Euch Don Rafaele eingeweiht. Ihr seid allerdings in einiger Gefahr! Doch‹, fuhr Eusebio, da Edgar nachdenklich schwieg, nach einer Weile mit niedergesenktem Blicke fort, ›doch gibt es ein Mittel Euch aller Gefahr zu entreißen, Ihr dürft Euch nur dem Franzosen ganz in die Arme werfen, er wird Euch fortschaffen aus Valencia.‹ ›Was sagt Ihr?‹ fuhr Edgar heftig auf, ›Ihr vergeßt, daß ich ein Deutscher bin! Nein, lieber vorwurfsfrei sterben, als Rettung suchen in elender Schmach!‹ ›Don Edgar!‹ rief der Mönch begeistert, ›Don Edgar, Ihr seid kein Verräter!‹ Dann drückte er Edgarn an die Brust, und verließ mit Tränen in den Augen das Zimmer.

Noch in derselben Nacht, Edgar war einsam geblieben, der Obrist nicht zurückgekehrt, hörte Edgar Tritte sich nähern, und Don Rafaeles Stimme rief: ›Macht auf, Don Edgar, macht auf!‹ Als Edgar öffnete, stand Don Rafaele vor ihm, mit einer Fackel in der Hand, neben ihm Pater Eusebio. Don Rafaele lud Edgarn ein ihm zu folgen, da er einer wichtigen Beratung im Gewölbe des Franziskaner-Klosters beiwohnen müsse. Schon waren sie im unterirdischen Gange, Don Rafaele schritt mit der Fackel voraus, als Eusebio Edgarn leise zuflisterte: ›O Gott, Don Edgar, Ihr geht zum Tode, Ihr könnet nicht mehr entrinnen!‹

Edgar hatte in manchem mörderischen Kampf sich fröhlichen Todesmut erhalten, doch hier mußte ihn wohl alle Bangigkeit, aller Schrecken des Meuchelmords, der auf ihn wartete, durchbeben, so daß ihn Eusebio mit Mühe aufrecht erhielt. Und doch gelang es ihm, da der Gang noch weit, nicht allein Fassung zu gewinnen, sondern auch zum festen Entschluß zu kommen, der ihn zum gefährlichen Spiel bestimmte. Als die Türen des Gewölbes sich öffneten, erblickte Edgar den furchtbaren Empecinado, aus dessen Augen Wut und Rache blitzten. Hinter ihm standen mehrere Guerillas und einige Franziskaner-Mönche. Nun ganz ermutigt, trat Edgar keck und fest dem Haupt der Guerillas entgegen, und sprach ernst und ruhig: ›Es schickt sich sehr gut, daß ich Euch heute zu Gesicht bekomme, Don Empecinado, schon wollt ich Don Rafaele ein Gesuch vortragen, dessen Gewährung ich nun von Euch selbst einholen kann. Ich bin – Vater Eusebio, mein Arzt und treuer Pfleger wird es mir bezeugen – nun ganz genesen, ich fühle mich ganz erkräftigt, und vermag die langweilige Ruhe meines Aufenthalts unter verhaßten Feinden nicht länger zu ertragen. Ich bitte Euch, Don Empecinado, laßt mich auf den Euch bekannten Schleichwegen hinausbringen, damit ich zu Euern Haufen stoße, und Taten vollbringe, nach denen meine ganze Seele dürstet.‹ ›Hm‹, erwiderte Empecinado, mit beinahe hämischem Ton, ›haltet Ihr es denn noch mit dem wahnsinnigen Volke, das lieber in den Tod gehen, als der großen Nation huldigen will? haben Euch Eure Freunde nicht eines Bessern belehrt?‹ ›Euch ist‹, sprach Edgar gefaßt, ›Euch ist der deutsche Sinn fremd, Don Empecinado, Ihr wißt nicht, daß der deutsche Mut, der in heller reiner Naphthaflamme unauslöschbar fortbrennt, daß die deutsche felsenfeste Treue der undurchdringliche Harnisch ist, von dem alle vergifteten Pfeile der Arglist und Bosheit wirkungslos abprallen. Ich bitte Euch nochmals, Don Empecinado, laßt mich hinaus ins Freie, damit ich die gute Meinung bewähre, die ich wohl schon verdient zu haben glaube.‹ Empecinado blickte Edgarn verwundert an, während ein dumpfes Murmeln durch die Versammlung lief. Don Rafaele wollte mit Empecinado sprechen, er wies ihn zurück, näherte sich Edgarn, faßte seine Hand und sprach bewegt: ›Ihr waret wohl heute zu etwas anderm berufen – doch – Don Edgar! denkt an Euer Vaterland! die Feinde, die es in Schmach versenkten, stehen auch hier vor Euch; denkt daran, daß zu dem Phönix, der mit leuchtendem Gefieder aus den Flammen emporsteigen wird, die hier gen Himmel lodern, auch Eure deutschen Brüder aufblicken werden, so daß dann die Verzweiflung glühende Sehnsucht werden muß, Todesmut und Todeskampf gebärend.‹ ›Ich habe‹, erwiderte Edgar sanft, ›ich habe das alles bedacht, ehe ich mein Vaterland verließ, um mein Blut für Eure Freiheit zu verspritzen, mein ganzes Wesen löste sich auf in Rachedurst, als Don Baldassare de Luna sterbend in meinen Armen lag.‹ ›Ist es Euch‹, rief nun Empecinado wie plötzlich in Zorn auflodernd, ›ist es Euch Ernst, so müßt Ihr noch in dieser Nacht fort – in diesem Augenblick – Ihr dürft nicht mehr zurück in Don Rafaeles Haus.‹ Edgar erklärte, daß dies eben sein Wunsch sei, und sogleich wurde er von einem Mann, der Isidor Mirr geheißen, später sich zu einem Haupt der Guerillas emporschwang, und dem Pater Eusebio fortgebracht.

Nicht herzlich genug konnte auf dem Wege der gute Eusebio Edgarn seine Teilnahme an seiner Rettung versichern. ›Der Himmel‹, sprach er, ›nahm sich Eurer Tugend an, und senkte den Mut in Eure Brust, der mir als ein göttliches Wunder erschien.‹ Viel näher vor Valencia, als geahnt worden, als der Feind wohl träumen mochte, fand Edgar den ersten Haufen Guerillas, dem er sich anschloß.

Ich schweige von Edgars kriegerischen Abenteuern, die manchmal einem ritterhaften Fabelbuch entlehnt scheinen möchten, und komme gleich zu dem Augenblick, als Edgar ganz unverhofft den Don Rafaele Marchez unter den Guerillas erblickte. ›Man hat Euch wirklich Unrecht getan, Don Edgar‹, sprach Don Rafaele. Edgar drehte ihm den Rücken.

Sowie die Dämmerung einbrach, geriet Don Rafaele in eine Unruhe, die immer mehr und mehr stieg, bis zur qualvollsten Angst. Er lief hin und her, stöhnte, seufzte, hob die Hände gen Himmel, betete. ›Was ist dem Alten?‹ fragte Edgar. ›Es ist ihm gelungen‹, erwiderte Isidor Mirr, ›nachdem er selbst sich fortgeschlichen, seine besten Habseligkeiten aus Valencia zu retten, und auf Maultiere laden zu lassen, die erwartet er in dieser Nacht und mag wohl Böses fürchten.‹ Edgar wunderte sich über Don Rafaeles Geiz, der ihn alles übrige vergessen zu lassen schien. Es war Mitternacht, der Mond leuchtete hell durch das Gebirge, als man aus der Schlucht herauf ein starkes Schießen vernahm. Bald hinkten schwerverwundete Guerillas hinan, welche verkündeten, daß der Trupp, der Don Rafaeles Maultiere geführt, ganz unerwartet von französischen Jägern überfallen worden sei. Beinahe alle Kameraden wären niedergemacht, die Maultiere schon in des Feindes Gewalt. ›Heiliger Gott, mein Kind, mein armes unglückliches Kind!‹ So kreischte Don Rafaele auf, und sank besinnungslos zu Boden.

›Was ist da zu tun?‹ rief Edgar laut, ›auf – auf – Brüder, hinab in die Schlucht – hinab, den Tod unserer Tapfern zu rächen, den Hunden die gute Beute aus den Zähnen zu reißen.‹ ›Der brave Deutsche hat recht!‹ rief Isidor Mirr, ›der brave Deutsche hat recht!‹ erscholl es ringsumher, und hinab in die Schlucht ging es wie brausender Gewittersturm!

Nur noch wenige Guerillas wehrten sich im Todesmut der Verzweiflung. Mit dem Schrei: ›Valencia!‹ stürzte sich Edgar in den dicksten Haufen der Feinde, und mit dem todverkündenden Gebrüll blutdürstiger Tiger stürzten die Guerillas ihm nach, stießen den von jähem Todesschreck gelähmten Feinden ihre Dolche in die Brust, schlugen sie nieder mit den Büchsenkolben. Die schnell Entrinnenden trafen wohlgezielte Schüsse. Das waren die Valencier, die die Kürassiere des General Moncey auf dem Marsche einholten, ihnen in die Flanke sprangen, sie, ehe ihnen die Besinnung kam, mit Dolchstößen niedermachten, und Meister der Waffen und Pferde zurückkehrten in ihre Schlupfwinkel.

Schon war alles entschieden, als Edgar aus dem tiefsten Dickicht heraus ein durchdringendes Geschrei vernahm; schnell eilte er hin, und gewahrte, wie ein kleiner Mensch den Zügel des Maultiers, das hinter ihm stand, zwischen den Zähnen, mit einem Franzosen rang. In demselben Augenblick, ehe noch Edgar hervorgekommen, stieß der Franzose den Kleinen mit einem Dolch, den er ihm wahrscheinlich entwunden, nieder, und wollte nun das Maultier fortzerren, tiefer in den Wald hinein. Edgar schrie laut auf, der Franzose schoß, fehlte, Edgar rannte ihm sein Bajonett durch den Leib. Der Kleine winselte. Edgar hob ihn auf, machte mit Mühe den Zügel los, in den er krampfhaft gebissen, und wurde nun erst, als er ihn auf das Maultier legen wollte, gewahr, daß eine verhüllte Gestalt darauf saß, die niedergebeugt den Hals des Tieres umklammert hatte, und leise wimmerte. Hinter dem Mädchen, das war die Gestalt, der Stimme nach zu urteilen, legte nun Edgar den kleinen wunden Menschen, faßte die Zügel des Maultiers, und so ging's hinauf zu dem Waffenplatz, wo Isidor Mirr, da sich kein Feind mehr spüren lassen, mit den Kameraden schon angekommen.

Man hob den Kleinen, der ohnmächtig geworden vom Blutverlust, unerachtet die Wunde nicht tödlich schien, und dann das Mädchen hinab von dem Maultiere. Aber in dem Augenblick stürzte Don Rafaele ganz außer sich, laut schreiend: ›Mein Kind – mein süßes Kind!‹ herbei. Er wollte die Kleine, kaum acht bis zehn Jahre schien das Mädchen alt zu sein, in seine Arme schließen, doch als nun der helle Fackelglanz Edgarn ins Gesicht leuchtete, fiel er plötzlich diesem zu Füßen, und rief: ›O Don Edgar, Don Edgar, vor keinem Sterblichen hat sich dieses Knie gebeugt, aber Ihr seid kein Mensch, Ihr seid ein Engel des Lichts, gesandt mich zu retten vor tötendem Gram, trostloser Verzweiflung! O Don Edgar, hämisches Mißtrauen wurzelte in dieser unheilbrütenden Brust! O fluchwürdiges Unternehmen, Euch, den Edelsten der Menschen, Ehre und Mut im treuesten Herzen, stürzen zu wollen in schmachvollen Tod! Stoßt mich nieder, Don Edgar, nehmt blutige Rache an mir Elenden! Niemals könnt Ihr vergeben, was ich tat.‹

Edgar im vollen Bewußtsein nichts mehr vollbracht zu haben, als was Pflicht und Ehre geboten, fühlte sich gepeinigt von Don Rafaeles Betragen. Er suchte ihn auf alle nur mögliche Weise zu beschwichtigen, welches ihm endlich mit Mühe gelang.

Don Rafaele erzählte, daß der Obrist La Combe ganz außer sich gewesen über Edgars Verschwinden, daß er geschehenes Unheil ahnend im Begriff gestanden, das ganze Haus durchwühlen, und ihn, den Don Rafaele, selbst zur Haft bringen zu lassen. Dies habe ihn genötigt zu fliehen, und nur den Bemühungen der Franziskaner sei es gelungen auch die Tochter, den Diener, und manches dessen er bedurfte herauszuschaffen aus Valencia.

Man hatte unterdessen den wunden Diener sowie auch Don Rafaeles Tochter weiter fortgeschafft; Don Rafaele zu alt, die kühnen Züge der Guerillas mitzumachen, sollte ihnen folgen. Beim wehmütigen Scheiden von Edgar händigte er ihm einen Talisman ein, der ihn aus mancher dringenden Gefahr rettete.« – – So endigte Euchar seine Erzählung, die die Teilnahme der ganzen Gesellschaft erregt zu haben schien.

Der Dichter, der sich von seinem Stickhusten erholt hatte, und wieder hereingetreten war, meinte, daß in Edgars spanischen Abenteuern viel guter Tragödienstoff enthalten, nur wünsche er einen geziemlichen Zusatz von Liebe und einen tüchtigen Schluß, einen honetten Mord, hinlänglichen Wahnsinn, Schlagfluß oder sonst dergleichen. »Ach ja, Lieber« sprach ein Fräulein, indem sie verschämt errötete; »ein hübsches Liebesabenteuer fehlte Ihrer sonst sehr artigen Erzählung, lieber Baron.« »Habe ich«, erwiderte Euchar lächelnd, »habe ich denn aber, meine Gnädige, einen Roman auftischen wollen? waren es nicht die Schicksale meines Freundes Edgar, von denen ich sprach, und dessen Leben in den wilden Gebirgen Spaniens war leider ganz arm an Abenteuern der Art.« »Ich glaube«, murmelte Viktorine dumpf vor sich hin, »ich glaube diesen Edgar zu kennen, der arm geblieben, weil er die reichste Gabe verschmähte.«

Keiner war aber so in Enthusiasmus geraten, als Ludwig. Der rief überlaut: »Ja ich kenne sie, die verhängnisvolle Profecia del Pirineo des göttlichen Don Juan Bautista de Arriaza! Oh – sie goß Flammen in mein Inneres, ich wollte hin nach Spanien, wollte in den heißen Kampf treten, hätt es nur im Zusammenhange der Dinge gelegen. Hat ich kann mich ganz in Edgars Lage versetzen, wie hätte ich in dem fatalen Augenblick im Franziskaner-Gewölbe zu dem furchtbaren Empecinado gesprochen!« Ludwig begann nun eine Rede, die so pathetisch war, daß alles in Erstaunen geriet, und nicht genug Ludwigs Mut, seine heroische Entschlossenheit bewundern konnte. »Aber es lag nicht im Zusammenhange der Dinge«, unterbrach ihn die Präsidentin, »doch mag es in diesem Zusammenhange liegen, oder vielmehr sich wohl schicken, daß ich eben heute meinen lieben Gästen eine Unterhaltung zugedacht, die der Erzählung unsers Euchar einen ganz charakteristischen erheiternden Schluß gibt.«

Die Türen öffneten sich, herein trat Emanuela, und hinter ihr der kleine verwachsene Biagio Cubas, mit der Chitarre in den Händen, sich auf seltsame Weise verbeugend. Doch mit jener unbeschreiblichen Anmut, die die Freunde Ludwig und Euchar schon im Park bewundert, trat Emanuela in den Kreis, verbeugte sich, und sprach mit holder süßer Stimme, daß sie gekommen, vor der Gesellschaft ein Talent zu zeigen, das vielleicht nur durch seine Fremdartigkeit ergötze.

Das Mädchen schien seit den wenigen Tagen, da die Freunde sie sahen, größer, reizender, vollendeter im Wuchs geworden zu sein, auch war sie sehr sauber, beinahe reich gekleidet. »Nun kannst du«, zischelte Ludwig dem Freunde ins Ohr, während Cubas unter hundert sehr possierlichen Gebärden die Anstalten zum Fandango zwischen neun Eiern traf, »nun kannst du ja deinen Ring wiederfordern, Euchar!« »Hasenfuß«, erwiderte dieser, »du siehst ihn ja an meinem Finger, ich hatte ihn mit dem Handschuh abgestreift, und fand ihn eben in dem Handschuh noch denselben Abend wieder.« Emanuelas Tanz riß alles hin, denn niemand hatte Ähnliches jemals gesehen. Während Euchar den ernsten Blick unabgewandt auf die Tänzerin richtete, brach Ludwig los in laute Ausrufe des höchsten Entzückens. Da sprach Viktorine, neben der er saß, ihm ins Ohr: »Heuchler, Sie wagen es, mir von Liebe vorzureden, und sind verliebt in das kleine trotzige Ding, in die spanische Seiltänzerin? Wagen Sie es nicht mehr sie anzuschauen.« Ludwig wurde nicht wenig verlegen über Viktorinens ungeheure Liebe zu ihm, die so ohne alle vernünftige Ursache aufflammen konnte in Eifersucht. »Ich bin sehr glücklich«, lispelte er vor sich selbst hin, »aber es geniert.«

Nachdem der Tanz geendigt, nahm Emanuela die Chitarre und begann spanische Romanzen heitern Inhalts. Ludwig bat, ob es ihr nicht gefallen wolle, jenes hübsche Lied zu wiederholen, das sie seinem Freunde Euchar vorgesungen; Emanuela begann sogleich:

»Laure l'immortal al gran Palafox« etc.

Immer glühender wurde ihre Begeisterung, immer mächtiger ihrer Stimme Klang, immer stärker rauschten die Akkorde. Endlich kam die Strophe, die des Vaterlandes Befreiung verkündet, da fiel ihr strahlender Blick auf Euchar, ein Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen, sie sank nieder auf die Knie. Schnell sprang die Präsidentin hinzu, hob das Mädchen auf, sprach: »Nicht weiter, nicht weiter, mein süßes holdes Kind!« führte sie zum Sofa, küßte sie auf die Stirne, streichelte ihr die Wangen.

»Sie ist wahnsinnig, sie ist wahnsinnig!« rief Viktorine Ludwigen, ins Ohr; »du liebst keine Wahnsinnige – nein! – sag es mir, sag es mir gleich auf der Stelle, daß du keine Wahnsinnige zu lieben vermagst!« »Ach Gott, nein nein!« erwiderte Ludwig ganz erschrocken. Er konnte sich in den Ausbruch der heftigsten Liebe Viktorinens gar nicht recht finden.

Während die Präsidentin Emanuelen süßen Wein und Biskuit einnötigte, damit sie sich nur erhole, wurde auch der wackre Chitarrist Biagio Cubas, der in einer Ecke des Zimmers niedergesunken war, und sehr geschluchzt hatte, mit einem tüchtigen Glase echten Xeres bedient, das er mit einem fröhlichen: »Doña, viva usted mil años!« bis auf den letzten Tropfen leerte.

Man kann denken, daß die Frauen nun herfielen über Emanuele, und sie mit Fragen bestürmten, nach ihrem Vaterlande, ihren Verhältnissen u. s. w. Die Präsidentin fühlte die peinliche Lage des Mädchens zu sehr, um sie nicht gleich daraus zu befreien, dadurch, daß sie den festgeschlossenen Kreis in mancherlei Wirbel aufzulösen wußte, in denen sich nun alle, selbst die Pikettspieler drehten. Der Konsistorial-Präsident meinte, die kleine Spanierin sei ein schmuckes allerliebstes Ding, nur ihr verwünschtes Tanzen sei ihm in die Beine gefahren, und ihm manchmal so schwindlig zumute geworden, als ländre mit ihm der leidige Satan. Das Singen sei dagegen ganz was Apartes gewesen, und habe ihn sehr ergötzt.

Graf Walther Puck war andrer Meinung. Er verachtete Emanuelens Gesang, da ihm das Trillo gemangelt, und rühmte dagegen höchlich ihren Tanz, den er, wie er sich ausdrückte, ganz deliziös gefunden. Er bezog sich darauf, daß er sich auf so etwas sehr gut verstehe, da er sonst es dem besten Ballettmeister gleichgetan. »Kannst du«, sprach Graf Walther Puck, »kannst du es dir vorstellen, Bruder Konsistorial-Präsident, daß ich, als ein juveniler Ausbund aller Geschwindigkeit und Stärke, den Fiocco sprang, und mit dem zartesten der Beine ein neun Fuß über meiner Nasenspitze aufgehängtes Tamburin hinabschlug? Und was den Fandango zwischen Eiern betrifft, so hab ich tanzend oft mehr Eier zerstampft, als sieben Hennen des Tages legen konnten.« »Alle Teufel, das waren Kunststücke!« schrie der Konsistorial-Präsident. »Und da«, fuhr der Graf fort, »der gute Cochenille sehr amön das Flageolet bläst, so tanze ich noch zuweilen ausgelassen nach seinem Pfeiflein, wiewohl nur in meinem Zimmer ganz insgeheim.« »Das glaub ich«, rief der Konsistorial-Präsident laut lachend, »das glaub ich, Bruder Graf!« Unterdessen war Emanuele mit ihrem Cubas verschwunden.

Als die Gesellschaft sich trennen wollte, sprach die Präsidentin: »Freund Euchar! ich wette, Sie wissen noch mehr Interessantes von Ihrem Freunde Edgar! Ihre Erzählung war ein Bruchstück, das uns alle so gespannt hat, daß wir eine schlaflose Nacht haben werden. Nicht länger als bis morgen abend gönne ich Ihnen Frist uns zu beruhigen. Wir müssen mehr erfahren von Don Rafaele, Empecinado, den Guerillas, und ist es möglich, daß Edgar sich verlieben kann, so halten Sie damit nicht zurück.« »Das wäre herrlich!« rief es von allen Seiten, und Euchar mußte versprechen, sich am folgenden Abend mit dem zur Ergänzung seines Bruchstücks nötigen Material einzufinden.

Auf dem Heimwege konnte Ludwig nicht genug von Viktorinens bis an Wahnsinn grenzender Liebe zu ihm sprechen. »Aber«, rief er, »sie hat mir durch ihre Eifersucht mein eignes Innres aufgeschlossen, ich habe einen tiefen Blick hineingetan, und gefunden, daß ich Emanuelen unaussprechlich liebe. Ich werde sie aufsuchen, ihr meine Liebe gestehen – sie an mein Herz drücken!« »Tue das, mein Kind«, erwiderte Euchar gelassen.

Als am andern Abend die Gesellschaft bei der Präsidentin versammelt, verkündigte sie mit Bedauern, daß Baron Euchar ihr geschrieben, wie ihn ein unvorhergesehenes Ereignis genötigt plötzlich abzureisen, weshalb er die Ergänzung des Bruchstücks bis zu seiner Rückkunft verschieben müsse.


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