E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Was sich weiter mit Heinrich von Ofterdingen begeben

Es geschieht wohl, daß der Liebesschmerz in unserer Brust, die er zu zerreißen drohte, heimisch wird, so daß wir ihn gar hegen und pflegen. Und die schneidenden Jammerlaute, sonst uns von unnennbarer Qual erpreßt, werden zu melodischen Klagen süßen Wehs, die tönen wie ein fernes Echo zurück in unser Inneres und legen sich lindernd und heilend an die blutende Wunde. So geschah es auch mit Heinrich von Ofterdingen. Er blieb in heißer sehnsüchtiger Liebe, aber er schaute nicht mehr in den schwarzen hoffnungslosen Abgrund, sondern er hob den Blick empor zu den schimmernden Frühlingswolken. Dann war es ihm, als blicke ihn die Geliebte aus ferner Höhe an mit ihren holdseligen Augen und entzünde in seiner Brust die herrlichsten Lieder, die er jemals gesungen. Er nahm die Laute herab von der Wand, bespannte sie mit neuen Saiten und trat hinaus in den schönen Frühling, der eben aufgegangen. Da zog es ihn denn nun freilich mit Gewalt hin nach der Gegend der Wartburg. Und wenn er dann in der Ferne die funkelnden Zinnen des Schlosses erblickte und daran dachte, daß er Mathilden niemals wiedersehen, daß sein Lieben nur ein trostloses Sehnen bleiben solle, daß Wolfframb von Eschinbach die Herrliche gewonnen durch die Macht des Gesanges, da gingen all die schönen Hoffnungsgebilde unter in düstere Nacht und alle Todesqualen der Eifersucht und Verzweiflung durchschnitten sein Inneres. Dann floh er wie von bösen Geistern getrieben zurück in sein einsames Zimmer, da vermochte er Lieder zu singen, die ihm süße Träume und in ihnen die Geliebte selbst zuführten.

Lange Zeit hindurch war es ihm gelungen, die Nähe der Wartburg zu vermeiden. Eines Tages geriet er aber doch, selbst wußte er nicht wie, in den Wald, der vor der Wartburg lag und aus dem heraustretend man das Schloß dicht vor Augen hatte. Er war zu dem Platz im Walde gekommen, wo zwischen dichtem Gesträuch und allerlei häßlichem stachlichten Gestrüpp sich seltsam geformtes mit bunten Moosen bewachsenes Gestein erhob. Mühsam kletterte er bis zur Mitte herauf, so daß er durch die Schlucht die Spitzen der Wartburg in der Ferne hervorragen sah. Da setzte er sich hin und verlor sich, alle Qual böser Gedanken bekämpfend, in süßen Hoffnungsträumen.

Längst war die Sonne untergegangen; aus den düstern Nebeln, die sich über die Berge gelagert, stieg in glühendem Rot die Mondesscheibe empor. Durch die hohen Bäume sauste der Nachtwind und von seinem eisigen Atem angehaucht rüttelte und schüttelte sich das Gebüsch wie in Fieberschauern. Die Nachtvögel schwangen sich kreischend auf aus dem Gestein und begannen ihren irren Flug. Stärker rauschten die Waldbäche, rieselten die fernen Quellen. Aber wie nun der Mond lichter durch den Wald funkelte, wogten die Töne eines fernen Gesanges daher. Heinrich fuhr empor. Er gedachte, wie nun die Meister auf der Wartburg ihre frommen Nachtlieder angestimmt. Er sah, wie Mathilde im Davonscheiden noch den geliebten Wolfframb anblickte. Alle Liebe und Seligkeit lag in diesem Blick, der den Zauber der süßesten Träume wecken mußte in der Seele des Geliebten. – Heinrich, dem das Herz zerspringen wollte vor Sehnsucht und Verlangen, ergriff die Laute und begann ein Lied, wie er vielleicht noch niemals eins gesungen. Der Nachtwind ruhte, Baum und Gebüsch schwiegen, durch die tiefe Stille des düstern Waldes leuchteten Heinrichs Töne wie mit den Mondesstrahlen verschlungen. Als nun sein Lied in bangen Liebesseufzern dahinsterben wollte, schlug dicht hinter ihm plötzlich ein gellendes schneidendes Gelächter auf. Entsetzt drehte er sich rasch um und erblickte eine große finstere Gestalt, die, ehe er sich noch besinnen konnte, mit recht häßlichem höhnenden Ton also begann: »Ei, habe ich doch hier schon eine ganze Weile herumgesucht, um den zu finden, der noch in tiefer Nacht solche herrliche Lieder singt. Also seid Ihr es, Heinrich von Ofterdingen? – Nun wohl hätte ich das wissen können, denn Ihr seid doch nun einmal der allerschlechteste von all den sogenannten Meistern dort auf der Wartburg, und das tolle Lied ohne Gedanken, ohne Klang, konnte wohl nur aus Euerm Munde kommen.« Halb noch in Entsetzen, halb in aufglühendem Zorn rief Heinrich: »Wer seid Ihr denn, daß Ihr mich kennt und glaubt, mich hier mit schnöden Worten necken zu können?« Dabei legte Ofterdingen die Hand an sein Schwert. Aber der Schwarze schlug nochmals ein gellendes Gelächter auf, und dabei fiel ein Strahl in sein leichenblasses Antlitz, daß Ofterdingen die wildfunkelnden Augen, die eingefallnen Wangen, den spitzigen rötlichen Bart, den zum grinsenden Lachen verzogenen Mund, die schwarze reiche Kleidung, das schwarzbefiederte Barett des Fremden recht deutlich gewahren konnte. »Ei«, sprach der Fremde: »ei, lieber junger Gesell, Ihr werdet doch keine Mordwaffen gegen mich gebrauchen wollen, weil ich Eure Lieder tadle? – Freilich möget ihr Sänger das nicht wohl leiden und verlanget wohl gar, daß man alles hoch preisen soll, was von euch berühmten Leuten kommt, sei es nun auch von Grund aus schlecht. Aber eben daran, daß ich das nicht achte, sondern Euch geradezu heraus sage, daß Ihr statt ein Meister, höchstens ein mittelmäßiger Schüler der edlen Kunst des Gesanges zu nennen seid, ja eben daran solltet Ihr erkennen, daß ich Euer wahrer Freund bin und es gut mit Euch meine.« »Wie könnt Ihr«, sprach Ofterdingen, von unheimlichen Schauern erfaßt, »wie könnt Ihr mein Freund sein und es gut mit mir meinen, da ich mich gar nicht erinnere, Euch jemals gesehen zu haben?« – Ohne auf diese Frage zu antworten, fuhr der Fremde fort: »Es ist hier ein wunderlich schöner Platz, die Nacht gar behaglich, ich werde mich im traulichen Mondesschimmer zu Euch setzen, und wir können, da Ihr doch jetzt nicht nach Eisenach zurückkehren werdet, noch ein wenig miteinander plaudern. Horcht auf meine Worte, sie können Euch lehrreich sein.« Damit ließ sich der Fremde auf den großen bemoosten Stein dicht neben Ofterdingen nieder. Dieser kämpfte mit den seltsamsten Gefühlen. Furchtlos wie er sonst wohl sein mochte, konnte er sich doch in der öden Einsamkeit der Nacht an diesem schaurigen Orte des tiefen Grauens nicht erwehren, das des Mannes Stimme und sein ganzes Wesen erweckte. Es war ihm, als müsse er ihn den jähen Abhang hinab in den Waldstrom stürzen, der unten brauste. Dann fühlte er sich aber wieder gelähmt an allen Gliedern. – Der Fremde rückte indessen dicht an Ofterdingen heran und sprach leise, beinahe ihm ins Ohr flüsternd: »Ich komme von der Wartburg – ich habe dort oben die gar schlechte schülermäßige Singerei der sogenannten Meister gehört; aber die Dame Mathilde ist von solch holdem und anmutigen Wesen wie vielleicht keine mehr auf Erden.« »Mathilde!« rief Ofterdingen mit dem Ton des schneidendsten Wehs.»Hoho!« – lachte der Fremde, »hoho junger Gesell, liegt es Euch daran? Doch laßt uns jetzt von ernsthaften, oder vielmehr von hohen Dingen reden: ich meine von der edlen Kunst des Gesanges. Mag es sein, daß ihr alle dort oben es recht gut meint mit euern Liedern, daß euch das alles so recht schlicht und natürlich herauskommt, aber von der eigentlichen tiefern Kunst des Sängers habt ihr wohl gar keinen Begriff. Ich will Euch nur einiges davon andeuten, dann werdet Ihr wohl selbst einsehen, wie Ihr auf dem Wege, den Ihr wandelt, niemals zu dem Ziel gelangen könnet, das Ihr Euch vorgesteckt habt.« Der Schwarze begann nun in ganz absonderlichen Reden, die beinahe anzuhören wie fremde seltsame Lieder, die wahre Kunst des Gesanges zu preisen. Indem der Fremde sprach, ging Bild auf Bild in Heinrichs Seele auf und verschwand wie vom Sturm verhaucht; es war als erschlösse sich ihm eine ganz neue Welt voll üppiger Gestalten. Jedes Wort des Fremden entzündete Blitze, die schnell aufloderten und ebenso schnell wieder erloschen. Nun stand der Vollmond hoch über dem Walde. Beide, der Fremde und Heinrich, saßen in vollstem Licht und dieser bemerkte nun wohl, daß des Fremden Antlitz gar nicht so abscheulich war, als es ihm erst vorgekommen. Funkelte auch aus seinen Augen ein ungewöhnliches Feuer, so spielte doch (wie Heinrich bemerken wollte) um den Mund ein liebliches Lächeln und die große Habichtsnase, die hohe Stirne dienten nur dazu, dem ganzen Gesicht den vollsten Ausdruck tüchtiger Kraft zu geben. »Ich weiß nicht«, sprach Ofterdingen, als der Fremde innehielt, »ich weiß nicht, welch ein wunderliches Gefühl Eure Reden in mir erwecken. Es ist mir, als erwache erst jetzt in mir die Ahnung des Gesanges, als wäre das alles, was ich bisher dafür gehalten, ganz schlecht und gemein, und nun erst werde mir die wahre Kunst aufgehen. Ihr seid gewiß selbst ein hoher Meister des Gesanges und werdet mich wohl als Euern fleißigen, wißbegierigen Schüler annehmen, warum ich Euch gar herzlich bitte.« Der Fremde schlug wieder seine häßliche Lache auf, erhob sich vom Sitze und stand so riesengroß mit wildverzerrtem Antlitz, vor Heinrich von Ofterdingen, daß diesem jenes Grauen wieder ankam, das er empfunden, als der Fremde auf ihn zutrat. Dieser sprach mit starker Stimme, die weit durch die Klüfte hallte: »Ihr meint, ich sei ein hoher Meister des Gesanges? – Nun zuzeiten mag ich's wohl sein, aber mit Lehrstunden kann ich mich ganz und gar nicht abgeben. Mit gutem Rat diene ich gern solchen wißbegierigen Leuten, wie Ihr einer zu sein scheint. Habt Ihr wohl von dem in aller Wissenschaft tief erfahrnen Meister des Gesanges, Klingsohr geheißen, reden hören? Die Leute sagen, er sei ein großer Negromant und habe sogar Umgang mit jemanden, der nicht überall gern gesehen. Laßt Euch das aber nicht irren, denn was die Leute nicht verstehen und handhaben können, das soll gleich was Übermenschliches sein, was dem Himmel angehört oder der Hölle. Nun! – Meister Klingsohr wird Euch den Weg zeigen, der Euch zum Ziele führt. Er hauset in Siebenbürgen, zieht hin zu ihm. Da werdet Ihr erfahren, wie die Wissenschaft und Kunst dem hohen Meister alles, was es Ergötzliches gibt auf Erden, gespendet hat in hohem Maße: Ehre – Reichtum – Gunst der Frauen. – Ja, junger Gesell! Wäre Klingsohr hier, was gält es, er brächte selbst den zärtlichen Wolfframb von Eschinbach, den seufzenden Schweizerhirten, um die schöne Gräfin Mathilde?« »Warum nennt Ihr den Namen?« – fuhr Heinrich von Ofterdingen zornig auf, »verlaßt mich, Eure Gegenwart erregt mir Schauer!« – »Hoho«, lachte der Fremde, »werdet nur nicht böse, kleiner Freund! – An den Schauern, die Euch schütteln, ist die kühle Nacht schuld und Euer dünnes Wams, aber nicht ich. War es Euch denn nicht wohl zumute, als ich erwärmend an Eurer Seite saß? – Was Schauer, was Erstarren! mit Glut und Blut kann ich Euch dienen: – Gräfin Mathilde! – ja ich meinte nur, daß die Gunst der Frauen erlangt wird durch den Gesang, wie ihn Meister Klingsohr zu üben vermag. Ich habe zuvor Eure Lieder verachtet, um Euch selbst auf Eure Stümperei aufmerksam zu machen. Aber daran, daß Ihr gleich das Wahre ahntet, als ich von der eigentlichen Kunst zu Euch sprach, habt Ihr mir Eure guten Anlagen hinlänglich bewiesen. Vielleicht seid Ihr bestimmt, in Meister Klingsohrs Fußtapfen zu treten und dann würdet Ihr Euch wohl mit gutem Glück um Mathildens Gunst bewerben können. Macht Euch auf! – zieht nach Siebenbürgen. – Aber wartet, ich will Euch, könnt Ihr nicht gleich nach Siebenbürgen ziehen, zum fleißigen Studium ein kleines Buch verehren, das Meister Klingsohr verfaßt hat und das nicht allein die Regeln des wahren Gesanges, sondern auch einige treffliche Lieder des Meisters enthält.«

Damit hatte der Fremde ein kleines Buch hervorgeholt, dessen blutroter Deckel hell im Mondenschein flimmerte. Das überreichte er Heinrich von Ofterdingen. Sowie dieser es faßte trat der Fremde zurück und verschwand im Dickicht.

Heinrich versank in Schlaf. Als er erwachte, war die Sonne sehr hoch aufgestiegen. Lag das rote Buch nicht auf seinem Schoße, er hätte die ganze Begebenheit mit dem Fremden für einen lebhaften Traum gehalten.

 
Von der Gräfin Mathilde. Ereignisse auf der Wartburg

Gewiß, vielgeliebter Leser! befandest du dich einmal in einem Kreise, der, von holden Frauen, sinnvollen Männern gebildet, ein schöner, von den verschiedensten in Duft und Farbenglanz miteinander wetteifernden Blumen geflochtener Kranz zu nennen. Aber wie der süße Wohllaut der Musik über alle hinhauchend in jedes Brust die Freude weckt und das Entzücken, so war es auch die Holdseligkeit einer hochherrlichen Frau, die über alle hinstrahlte und die anmutige Harmonie schuf, in der sich alles bewegte. In dem Glanz ihrer Schönheit wandelnd, in die Musik ihrer Rede einstimmend erschienen die andern Frauen schöner, liebenswürdiger als sonst, und die Männer fühlten ihre Brust erweitert und vermochten mehr als jemals die Begeisterung, die sonst scheu sich im Innern verschloß, auszuströmen in Worten oder Tönen, wie es denn eben die Ordnung der Gesellschaft zuließ. Sosehr die Königin sich mit frommem kindlichen Wesen mühen mochte, ihre Huld jedem zuzuteilen in gleichem Maße, doch gewahrte man, wie ihr Himmelsblick länger ruhte auf jenem Jüngling, der schweigend ihr gegenüberstand und dessen vor süßer Rührung in Tränen glänzende Augen die Seligkeit der Liebe verkündeten, die ihm aufgegangen. Mancher mochte wohl den Glücklichen beneiden, aber keiner konnte ihn darum hassen, ja vielmehr jeder, der sonst mit ihm in Freundschaft verbunden, liebte ihn nun noch inniger, um seiner Liebe willen.

So geschah es, daß an dem Hofe Landgraf Hermanns von Thüringen in dem schönen Kranz der Frauen und Dichter die Gräfin Mathilde, Witwe des in hohem Alter verstorbenen Grafen Cuno von Falkenstein, die schönste Blume war, welche mit Duft und Glanz alle überstrahlte.

Wolfframb von Eschinbach, von ihrer hohen Anmut und Schönheit tief gerührt, sowie er sie erblickte, kam bald in heiße Liebe. Die andern Meister, wohl auch von der Holdseligkeit der Gräfin begeistert, priesen ihre Schönheit und Milde in vielen anmutigen Liedern. Reinhard von Zwekhstein nannte sie die Dame seiner Gedanken, für die er stehen wolle im Lustturnier und im ernsten Kampf; Walther von der Vogelweid ließ alle kecke Lust ritterlicher Liebe aufflammen, während Heinrich Schreiber und Johannes Bitterolff sich mühten in den wunderbarsten kunstvollsten Gleichnissen und Wendungen die Dame Mathilde zu erheben. Doch Wolfframbs Lieder kamen aus der Tiefe des liebenden Herzens und trafen, gleich funkelnden scharfgespitzten Pfeilen hervorblitzend, Mathildens Brust. Die anderen Meister gewahrten das wohl, aber es war ihnen als umstrahle Wolfframbs Liebesglück sie alle wie ein lieblicher Sonnenschimmer, und gäbe auch ihren Liedern besondere Stärke und Anmut.

Der erste finstre Schatten, der in Wolfframbs glanzvolles Leben fiel, war Ofterdingens unglückliches Geheimnis. Wenn er gedachte, wie die andern Meister ihn liebten, unerachtet gleich ihm auch ihnen Mathildens Schönheit hell aufgegangen, wie nur in Ofterdingens Gemüt sich mit der Liebe zugleich feindseliger Groll eingenistet und ihn fortgebannt in die öde freudenlose Einsamkeit, da konnte er sich des bittern Schmerzes nicht erwehren. Oft war es ihm, als sei Ofterdingen nur von einem verderblichen Wahnsinn befangen, der austoben werde, dann aber fühlte er wieder recht lebhaft, daß er selbst es ja auch nicht würde haben ertragen können, wenn er sich hoffnungslos um Mathildens Gunst beworben. »Und«, sprach er zu sich selbst, »und welche Macht hat denn meinem Anspruch größeres Recht gegeben? Gebührt mir denn irgendein Vorzug vor Ofterdingen? – Bin ich besser, verständiger, liebenswürdiger als er? Wo liegt der Abstand zwischen uns beiden? – Also nur die Macht eines feindlichen Verhängnisses, das mich so gut als ihn hätte treffen können, drückt ihn zu Boden und ich, der treue Freund, gehe unbekümmert vorüber, ohne ihm die Hand zu reichen.« – Solche Betrachtungen führten ihn endlich zu dem Entschluß, nach Eisenach zu gehen und alles nur Mögliche anzuwenden, Ofterdingen zur Rückkehr nach der Wartburg zu bewegen. Als er indessen nach Eisenach kam, war Heinrich von Ofterdingen verschwunden, niemand wußte, wohin er gegangen. Traurig kehrte Wolfframb von Eschinbach zurück nach der Wartburg und verkündete dem Landgrafen und den Meistern Ofterdingens Verlust. Nun erst zeigte sich recht, wie sehr sie ihn alle geliebt trotz seines zerrissenen oft bis zur höhnenden Bitterkeit mürrischen Wesens. Man betrauerte ihn wie einen Toten, und lange Zeit hindurch lag diese Trauer wie ein düstrer Schleier auf allen Gesängen der Meister und nahm ihnen allen Glanz und Klang, bis endlich das Bild des Verlornen immer mehr und mehr entwich in weite Ferne.

Der Frühling war gekommen und mit ihm alle Lust und Heiterkeit des neu erkräftigten Lebens. Auf einem anmutigen von schönen Bäumen eingeschlossenen Platz im Garten des Schlosses waren die Meister versammelt, um das junge Laub, die hervorsprießenden Blüten und Blumen mit freudigen Liedern zu begrüßen. Der Landgraf, Gräfin Mathilde, die andern Damen hatten sich ringsumher auf Sitzen niedergelassen, eben wollte Wolfframb von Eschinbach ein Lied beginnen, als ein junger Mann, die Laute in der Hand, hinter den Bäumen hervortrat. Mit freudigem Erschrecken erkannten alle in ihm den verloren geglaubten Heinrich von Ofterdingen. Die Meister gingen auf ihn zu mit freundlichen herzlichen Grüßen. Ohne das aber sonderlich zu beachten nahte er sich dem Landgrafen, vor dem, und dann vor der Gräfin Mathilde, er sich ehrfurchtsvoll neigte. Er sei, sprach er dann, von der bösen Krankheit, die ihn befallen, nun gänzlich genesen und bitte, wolle man ihn vielleicht aus besonderen Gründen nicht mehr in die Zahl der Meister aufnehmen, ihm doch zu erlauben, daß er so gut wie die andern seine Lieder absinge. Der Landgraf meinte dagegen, sei er auch eine Zeitlang abwesend gewesen, so sei er doch deshalb keinesweges aus der Reihe der Meister geschieden und er wisse nicht, wodurch er sich dem schönen Kreise, der hier versammelt, entfremdet glaube. Damit umarmte ihn der Landgraf und wies ihm selbst den Platz zwischen Walther von der Vogelweid und Wolfframb von Eschinbach an, wie er ihn sonst gehabt. Man merkte bald, daß Ofterdingens Wesen sich ganz und gar verändert. Statt daß er sonst den Kopf gebeugt, den Blick zu Boden gesenkt daherschlich, trat er jetzt, das Haupt emporgerichtet, starken Schrittes einher. So blaß als zuvor war das Antlitz, aber der Blick, sonst irr umherschweifend, fest und durchbohrend. Statt der tiefen Schwermut lag jetzt ein düstrer stolzer Ernst auf der Stirn und ein seltsames Muskelspiel um Mund und Wange sprach bisweilen recht unheimlichen Hohn aus. Er würdigte die Meister keines Wortes, sondern setzte sich schweigend auf seinen Platz. Während die andern sangen, sah er in die Wolken, schob sich auf dem Sitz hin und her, zählte an den Fingern, gähnte, kurz bezeigte auf alle nur mögliche Weise Unmut und Langeweile. Wolfframb von Eschinbach sang ein Lied zum Lobe des Landgrafen und kam dann auf die Rückkehr des verloren geglaubten Freundes, die er so recht aus dem tiefsten Gemüt schilderte, daß sich alle innig gerührt fühlten. Heinrich von Ofterdingen runzelte aber die Stirn und nahm, sich von Wolfframb abwendend, die Laute, auf ihr einige wunderbare Akkorde anschlagend. Er stellte sich in die Mitte des Kreises und begann ein Lied, dessen Weise so ganz anders als alles, was die andern gesungen, so unerhört war, daß alle in die größte Verwunderung, ja zuletzt in das höchste Erstaunen gerieten. Es war als schlüge er mit seinen gewaltigen Tönen an die dunklen Pforten eines fremden verhängnisvollen Reichs und beschwöre die Geheimnisse der unbekannten dort hausenden Macht herauf. Dann rief er die Gestirne an, und indem seine Lautentöne leiser lispelten, glaubte man der Sphären klingenden Reigen zu vernehmen. Nun rauschten die Akkorde stärker, und glühende Düfte wehten daher und Bilder üppigen Liebesglücks flammten in dem aufgegangenen Eden aller Lust. Jeder fühlte sein Inneres erbeben in seltsamen Schauern. Als Ofterdingen geendet, war alles in tiefem Schweigen verstummt, aber dann brach der jubelnde Beifall stürmisch hervor. Die Dame Mathilde erhob sich schnell von ihrem Sitz, trat auf Ofterdingen zu, und drückte ihm den Kranz auf die Stirne, den sie als Preis des Gesanges in der Hand getragen.

Eine flammende Röte fuhr über Ofterdingens Antlitz, er ließ sich nieder auf die Knie und drückte die Hände der schönen Frau mit Inbrunst an seine Brust. Als er aufstand, traf sein funkelnder stechender Blick den treuen Wolfframb von Eschinbach, der sich ihm nahen wollte, aber wie von einer bösen Macht feindlich berührt zurückwich. Nur ein einziger stimmte nicht ein in den begeisterten Beifall der übrigen und das war der Landgraf, welcher, als Ofterdingen sang, sehr ernst und nachdenklich geworden und kaum vermochte, etwas zum Lobe seines wunderbaren Liedes zu sagen. Ofterdingen schien sichtlich darüber erzürnt. Es begab sich, daß am späten Abend, als schon die tiefe Dämmerung eingebrochen, Wolfframb von Eschinbach den geliebten Freund, den er überall vergebens gesucht, in einem Lustgange des Schloßgartens traf. Er eilte auf ihn zu, er drückte ihn an seine Brust und sprach: »So bist du denn, mein herzlieber Bruder, der erste Meister des Gesanges worden, den es wohl auf Erden geben mag. Wie hast du es denn angefangen, das zu erfassen, was wir alle, was du selbst wohl nicht ahntest? – Welcher Geist stand dir zu Gebot, der dir die wunderbaren Weisen einer andern Welt lehrte? O du herrlicher hoher Meister, laß dich noch einmal umarmen.« »Es ist«, sprach Heinrich von Ofterdingen, indem er Wolfframbs Umarmung auswich, »es ist gut, daß du es erkennest, wie hoch ich mich über euch sogenannte Meister emporgeschwungen habe, oder vielmehr wie ich allein dort gelandet und heimisch worden, wohin ihr vergebens strebt auf irren Wegen. Du wirst es mir dann nicht verargen, wenn ich euch alle mit eurer schnöden Singerei recht albern und langweilig finde.« »So verachtest du uns«, erwiderte Wolfframb, »die du sonst hoch in Ehren hieltest, nunmehro ganz und gar, und magst nichts mehr mit uns insgemein haben? – Alle Freundschaft, alle Liebe ist aus deiner Seele gewichen, weil du ein höherer Meister bist als wir es sind! – Auch mich – mich hältst du deiner Liebe nicht mehr wert, weil ich vielleicht mich nicht so hoch hinaufzuschwingen vermag in meinen Liedern als du? – Ach Heinrich, wenn ich dir sagen sollte, wie es mir bei deinem Gesange ums Herz war.« – »Magst mir«, sprach Heinrich von Ofterdingen indem er höhnisch lachte, »magst mir das ja nicht verschweigen, es kann für mich lehrreich sein.« »Heinrich!« begann Wolfframb mit sehr ernstem und festen Ton, »Heinrich! es ist wahr, dein Lied hatte eine ganz wunderbare unerhörte Weise und die Gedanken stiegen hoch empor, bis über die Wolken, aber mein Inneres sprach, solch ein Gesang könne nicht herausströmen aus dem rein menschlichen Gemüt, sondern müsse das Erzeugnis fremder Kräfte sein, so wie der Negromant die heimische Erde düngt mit allerlei magischen Mitteln, daß sie die fremde Pflanze des fernsten Landes hervorzutreiben vermag. – Heinrich, du bist gewiß ein großer Meister des Gesanges geworden und hast es mit gar hohen Dingen zu tun, aber! – verstehst du noch den süßen Gruß des Abendwindes, wenn du durch des Waldes tiefe Schatten wandelst? Geht dir noch das Herz auf in frohem Mut bei dem Rauschen der Bäume, dem Brausen des Waldstroms? Blicken dich noch die Blumen an mit frommen Kindesaugen? Willst du noch vergehen in Liebesschmerz bei den Klagen der Nachtigall? Wirft dich dann noch ein unendliches Sehnen an die Brust, die sich dir liebend aufgetan? – Ach, Heinrich, es war manches in deinem Liede, wobei mich ein unheimliches Grauen erfaßte. Ich mußte an jenes entsetzliche Bild von den am Ufer des Acheron herumschwankenden Schatten denken, das du einmal dem Landgrafen aufstelltest, als er dich um die Ursache deiner Schwermut befragte. Ich mußte glauben, aller Liebe habest du entsagt, und was du dafür gewonnen, wäre nur der trostlose Schatz des verirrten Wanderers in der Wüste. – Es ist mir – ich muß es dir geradezu heraussagen – es ist mir, als wenn du deine Meisterschaft mit aller Freude des Lebens, die nur dem frommen kindlichen Sinn zuteil wird, erkauft hättest. Eine düstre Ahnung befängt mich. Ich denke daran, was dich von der Wartburg forttrieb, und wie du hier wieder erschienen bist. Es kann dir nun manches gelingen – vielleicht geht der schöne Hoffnungsstern, zu dem ich bis jetzt emporblickte, auf ewig für mich unter – doch Heinrich! – hier! – fasse meine Hand, nie kann irgendein Groll gegen dich in meiner Seele Raum finden! – Alles Glücks unerachtet, das dich überströmt, findest du dich vielleicht einmal plötzlich an dem Rande eines tiefen bodenlosen Abgrundes und die Wirbel des Schwindels erfassen dich und du willst rettungslos hinabstürzen, dann stehe ich festen Mutes hinter dir und halte dich fest mit starken Armen.«

Heinrich von Ofterdingen hatte alles, was Wolfframb von Eschinbach sprach, in tiefem Schweigen angehört. Jetzt verhüllte er sein Gesicht im Mantel und sprang schnell hinein in das Dickicht der Bäume. Wolfframb hörte, wie er leise schluchzend und seufzend sich entfernte.


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