E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Doge und Dogaresse

Mit diesem Namen war in dem Katalog der Kunstwerke, die die Akademie der Künste zu Berlin im September 1816 ausstellte, ein Bild bezeichnet, das der wackre tüchtige C. Kolbe, Mitglied der Akademie, gemalt hatte und das mit besonderm Zauber jeden anzog, so daß der Platz davor selten leer blieb. Ein Doge in reichen prächtigen Kleidern schreitet, die ebenso reich geschmückte Dogaresse an der Seite, auf einer Balustrade hervor, er ein Greis mit grauem Bart, sonderbar gemischte Züge, die bald auf Kraft, bald auf Schwäche, bald auf Stolz und Übermut, bald auf Gutmütigkeit deuten, im braunroten Gesicht; sie ein junges Weib, sehnsüchtige Trauer, träumerisches Verlangen im Blick, in der ganzen Haltung. Hinter ihnen eine ältliche Frau und ein Mann, der einen aufgespannten Sonnenschirm hält. Seitwärts an der Balustrade stößt ein junger Mensch in ein muschelförmig gewundenes Horn und vor derselben im Meer liegt eine reich verzierte mit der venezianischen Flagge geschmückte Gondel, auf der zwei Ruderer befindlich. Im Hintergrunde breitet sich das mit hundert und aber hundert Segeln bedeckte Meer aus, und man erblickt die Türme und Paläste des prächtigen Venedig, das aus den Fluten emporsteigt. Links unterscheidet man San Marco, rechts mehr im Vorgrunde San Giorgio Maggiore. In dem goldnen Rahmen des Bildes sind die Worte eingeschnitzt:

Ah senza amare
Andare sul mare
Col sposo del mare
Non può consolare.
 
Ach! gebricht der Liebe Leben,
Kann auf hohem Meer zu schweben
Mit dem Gatten selbst des Meeres
Doch nicht Trost dem Herzen geben.

Vor diesem Bilde entstand eines Tages ein unnützer Streit darüber, ob der Künstler durch das Bild nur ein Bild, das heißt, die durch die Verse hinlänglich angedeutete augenblickliche Situation eines alten abgelebten Mannes, der mit aller Pracht und Herrlichkeit nicht die Wünsche eines sehnsuchtsvollen Herzens zu befriedigen vermag, oder eine wirkliche geschichtliche Begebenheit habe darstellen wollen. Des Geschwätzes müde verließ einer nach dem andern den Platz, so daß zuletzt nur noch zwei der edlen Malerkunst gar holde Freunde übrigblieben. »Ich weiß nicht«, fing der eine an, »wie man sich selbst allen Genuß verderben mag mit dem ewigen Deuteln und Deuteln. Außerdem, daß ich ja genau zu ahnen glaube, was es mit diesem Dogen, mit dieser Dogaressa für eine Bewandtnis hat im Leben, so ergreift mich auch auf ganz besondere Weise der Schimmer des Reichtums und der Macht, der über das Ganze verbreitet ist. Sieh diese Flagge mit dem geflügelten Löwen, wie sie der Welt gebietend in den Lüften flattert – O herrliches Venedig!« Er fing an Turandots Rätsel von dem adriatischen Löwen herzusagen: »Dimmi, qual sia quelle terribil fera« etc. Kaum hatte er geendet, als eine wohltönende Männerstimme mit Kalafs Auflösung einfiel: »Tu quadrupede fera« etc. Von den Freunden unbemerkt hatte sich hinter ihnen ein Mann hingestellt von hohem edlen Ansehn, den grauen Mantel malerisch über die Schulter geworfen, das Bild mit funkelnden Augen betrachtend. – Man geriet ins Gespräch und der Fremde sagte mit beinahe feierlichem Tone: »Es ist ein eignes Geheimnis, daß in dem Gemüt des Künstlers oft ein Bild aufgeht, dessen Gestalten, zuvor unkennbare körperlose im leeren Luftraum treibende Nebel, eben in dem Gemüte des Künstlers erst sich zum Leben zu formen und ihre Heimat zu finden scheinen. Und plötzlich verknüpft sich das Bild mit der Vergangenheit oder auch wohl mit der Zukunft, und stellt nur dar, was wirklich geschah oder geschehen wird. Kolbe mag vielleicht selbst noch nicht wissen, daß er auf dem Bilde dort, niemanden anders darstellte, als den Dogen Marino Falieri und seine Gattin Annunziata.« – Der Fremde schwieg, aber beide Freunde drangen in ihn, dies Rätsel ihnen so zu lösen, wie das Rätsel vom adriatischen Löwen. Da sprach er: »Habt ihr Geduld, ihr neugierigen Herrn, so will ich euch auf der Stelle mit Falieris Geschichte die Erklärung des Bildes geben. Aber habt ihr auch Geduld? – Ich werde sehr umständlich sein, denn anders mag ich nicht von Dingen reden, die mir so lebendig vor Augen stehen, als habe ich sie selbst erschaut. – Das kann auch wohl der Fall sein, denn jeder Historiker, wie ich nun einmal einer bin, ist ja eine Art redendes Gespenst aus der Vorzeit.«

Die Freunde traten mit dem Fremden in ein entferntes Zimmer, wo er ohne weitere Vorrede in folgender Art begann.

 

Vor gar langer Zeit und, irr ich nicht, so war's im Monat August des Jahres eintausenddreihundertundvierundfünfzig, als der tapfere genuesische Feldherr, Paganino Doria geheißen, die Venezianer aufs Haupt geschlagen und ihre Stadt Parenzo erstürmt hatte. Im Golf, dicht vor Venedig, kreuzten nun seine wohlbemannten Galeeren hin und her wie hungrige Raubtiere, die in unruhiger Gier auf und nieder rennen, spähend, wo die Beute am sichersten zu haschen; und Todesschrecken erfaßte Volk und Signorie. Alle Mannschaft, jeder der nur vermochte die Arme zu rühren, griff zur Waffe oder zum Ruder. In dem Hafen von San Nicolo sammelte man die Haufen. Schiffe, Bäume wurden versenkt, Kett an Kette geschlossen, um dem Feinde den Eingang zu sperren. Während hier in wildem Getümmel die Waffen klirrten, die Lasten in das schäumende Meer niederdonnerten, sah man auf dem Rialto die Agenten der Signorie, wie sie den kalten Schweiß sich von der bleichen Stirn wegtrocknend, mit verstörtem Gesichte, mit heiserer Stimme Prozente über Prozente boten für bares Geld, denn auch daran mangelte es der bedrohten Republik. In dem unerforschlichen Ratschlusse der ewigen Macht lag es aber, daß gerade in dieser Zeit der höchsten Kümmernis und Not der bedrängten Herde der treue Hirte entrissen werden sollte. Ganz erdrückt von der Last des Ungemachs starb der Doge Andrea Dandulo, den das Volk sein liebes Gräfchen (il caro contino) nannte, weil er immer fromm und freundlich war und niemals über den Marcusplatz schritt, ohne für jeden des Geldes oder des guten Rats Bedürftigen, für diesen Trost im Munde, für jenen Zechinen in der Tasche zu führen. Wie es denn nun geschieht, daß den vom Unglück Entmuteten jeder Schlag, sonst kaum gefühlt, doppelt schmerzlich trifft, so war denn auch das Volk, als die Glocken von San Marco in dumpfen schauerlichen Klängen den Tod des Herzogs verkündeten, ganz außer sich vor Jammer und Betrübnis. Nun sei ihre Stütze, ihre Hoffnung dahin, nun müßten sie die Nacken beugen dem genuesischen Joch, so schrien sie laut, unerachtet, was die eben nötigen kriegerischen Operationen betraf, der Verlust des Dandulo eben nicht so verderblich schien. Das gute Gräfchen lebte gerne in Ruhe und Frieden, es verfolgte lieber den wunderbaren Gang der Gestirne als die rätselhaften Verschlingungen der Staatsklugheit, es verstand sich besser darauf am heiligen Osterfeste die Prozession zu ordnen als ein Kriegsheer zu führen. Nun kam es darauf an einen Doge zu wählen, der gleich begabt mit mutigem Feldherrnsinn und tüchtiger Staatsklugheit das in seinen Grundfesten erschütterte Venedig rette, von der bedrohlichen Gewalt des immer kühneren Feindes. Die Senatoren versammelten sich, aber da sah man nichts als trübe Gesichter, starre Blicke, zu Boden gesenkte in die Hand gestützte Häupter. Wo einen Mann finden, der jetzt mit kräftiger Hand das lose Steuer zu ergreifen und richtig zu lenken vermag? Der älteste Rat, Marino Bodoeri geheißen, erhob endlich seine Stimme. »Hier um uns, unter uns«, so sprach er, »hier werdet ihr ihn nicht finden, aber richtet eure Blicke nach Avignon, auf Marino Falieri, den wir hinschickten, um dem Papste Innozenz Glück zu wünschen zu seiner Erhebung, der kann jetzt was Besseres tun, der vermag es, wählen wir ihn zum Doge, allem Ungemach zu steuern. Ihr werdet einwenden, daß dieser Marino Falieri schon an die achtzig Jahre alt ist, daß Haupthaar und Bart reines Silber geworden, daß sein muntres Ansehen, sein brennendes Auge, das Glührot auf Nase und Wangen, wie Verleumder wollen, mehr dem guten Zyperwein als innerer Kraft zuzuschreiben ist, aber achtet das nicht. Erinnert euch, welche glänzende Tapferkeit dieser Marino Falieri als Proveditor der Flotte auf dem Schwarzen Meere zeigte, bedenkt, welche Verdienste es sein mußten, die die Prokuratoren von San Marco bewegen konnten, diesen Falieri mit der reichen Grafschaft Valdemarino zu belehnen?« – So strich Bodoeri Falieris Verdienste wacker heraus und wußte jedem Einwand im voraus zu begegnen, bis endlich alle Stimmen sich zu Falieris Wahl einten. Mancher sprach zwar noch viel von Falieris aufbrausendem Zorn, von seiner Herrschsucht, seinem Eigenwillen, aber da hieß es: Eben deshalb, weil das alles von dem Greise gewichen, wählen wir den Greis und nicht den Jüngling Falieri. Derlei tadelnde Stimmen verhallten nun auch vollends, als das Volk die Wahl des neuen Doge erfuhr und ausbrach in ungemessenen ausgelassenen Jubel. Weiß man nicht, daß in solch gefahrvoller Zeit, in solcher Unruhe und Spannung jeder Entschluß, ist es nur wirklich einer, wie eine Eingebung des Himmels erscheint? – So geschah es, daß das gute Gräfchen mit all seiner Frömmigkeit und Milde rein vergessen war, und daß jeder rief: »Beim heiligen Marcus, dieser Marino hätte längst unser Doge sein sollen und der übermütige Doria säße uns nicht in den Rippen!« – Und verkrüppelte Soldaten streckten mühsam die lahmen Arme hoch aus in die Lüfte und schrien: »Das ist der Falieri, der den Morbassan schlug – der tapfere Heerführer, dessen siegreiche Flaggen im Schwarzen Meere wehten.« Und wo das Volk zusammenstand, erzählte einer von des alten Falieri Heldentaten und, als sei Doria schon geschlagen, erhallten die Lüfte von wildem Jubelgeschrei. Hiezu kam, daß Nicolo Pisani, der, mag der Himmel wissen warum, statt dem Doria zu begegnen mit der Flotte, ruhig nach Sardinien gesegelt war, endlich zurückkehrte. Doria verließ den Golf, und was die Annäherung der Flotte des Pisani verursachte, wurde dem furchtbaren Namen: Marino Falieri zugeschrieben. Da ergriff Volk und Signorie eine Art fanatischer Verzückung über die glückliche Wahl und man beschloß, damit das Außerordentliche geschehe, den neuerwählten Dogen wie den Himmelsboten, der Ehre, Sieg, die Fülle des Reichtums bringt, zu empfangen. Zwölf Edle, jeder von zahlreicher glänzender Dienerschaft umgeben, hatte die Signorie bis nach Verona geschickt, wo die Gesandten der Republik dem Falieri, sowie er angekommen, nochmals seine Erhebung zum Oberhaupt des Staats feierlich ankündeten. Fünfzehn reichverzierte Staatsbarken, vom Podesta von Chioggia unter den Befehlen seines eignen Sohnes Taddeo Giustiniani ausgerüstet, nahmen darauf in Chiozza den Dogen mit seinem Gefolge auf, der nun wie im Triumphzuge des mächtigsten siegreichsten Monarchen nach St. Clemens ging, wo ihn der Bucentoro erwartete.

Gerade in diesem Augenblick, als nämlich Marino Falieri den Bucentoro zu besteigen im Begriff stand, und das war am dritten Oktober abends, da schon die Sonne zu sinken begann, lag vor den Säulen der Dogana, auf dem harten Marmorpflaster ausgestreckt, ein armer unglücklicher Mensch. Einige Lumpen gestreifter Leinwand, deren Farbe nicht mehr kenntlich und die sonst einem Schifferkleide, wie das gemeinste Volk der Lastträger und Ruderknechte es trägt, angehört zu haben schienen, hingen um den abgemagerten Körper. Von Hemde war nichts mehr zu sehen, als die eigne Haut des Armen, die überall durchblickte, aber so weiß und zart war, daß sie der Edelsten einer ohne Scheu und Scham hätte tragen können. So zeigte auch die Magerkeit nur desto besser das reinste Ebenmaß der wohlgebauten Glieder und betrachtete man nun vollends die hell-kastanienbraune Locken, die zerzaust und verworren die schönste Stirn umschatteten, die blauen nur von trostlosem Elend verdüsterten Augen, die Adlernase, den feingeformten Mund des Unglücklichen, der höchstens zwanzig Jahre zu zählen schien, so war es gewiß, daß irgendein feindseliges Schicksal den Fremdling von guter Geburt in die unterste Klasse des Volks geschleudert haben mußte.

Wie gesagt, vor den Säulen der Dogana lag der Jüngling und starrte, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, mit stierem gedankenlosen Blick ohne Regung und Bewegung hinein in das Meer. Man hätte denken sollen, das Leben sei von ihm gewichen, der Todeskampf habe ihn zur Bildsäule versteinert, hätte er nicht dann und wann tief wie im unsäglichsten Schmerz aufgeseufzt. Das war denn nun wohl der Schmerz des linken Arms, den er ausgestreckt hatte auf dem Pflaster und der mit blutigen Lumpen umwickelt, schwer verwundet zu sein schien.

Alle Arbeit ruhte, das Getöse des Gewerbes schwieg, ganz Venedig schwamm in tausend Barken und Gondeln dem hochgepriesenen Falieri entgegen. So kam es, daß auch der unglückliche junge Mensch in trostloser Hülflosigkeit seinen Schmerz verseufzte. Doch eben als sein mattes Haupt herabsank auf das Pflaster und er der Ohnmacht nahe schien, rief eine heisere Stimme recht kläglich mehrmals hintereinander: »Antonio – mein lieber Antonio!« – Antonio erhob sich endlich mühsam mit halbem Leibe, und indem er den Kopf nach den Säulen der Dogana hinter denen die Stimme hervorzukommen schien, hinrichtete, sprach er ganz matt und kaum vernehmbar: »Wer ist's, der mich ruft? – Wer kommt, meinen Leichnam ins Meer zu werfen, denn bald werde ich hier umgekommen sein!« – Da keuchte und hüstelte sich ein kleines steinaltes Mütterchen am Stabe heran zu dem wunden Jüngling und indem sie neben ihm hinkauerte, brach sie aus in ein widriges Kichern und Lachen. »Töricht Kind«, so lispelte dann die Alte, »töricht Kind, willst hier umkommen – willst hier sterben, weil das goldne Glück dir aufgeht? – Schau nur hin, schau nur hin dort im Abend die lodernden Flammen, das sind Zechinen für dich. – Aber du mußt essen, lieber Antonio, essen und trinken, denn der Hunger nur ist es, der dich zu Boden geworfen hat, hier auf dem kalten Pflaster! – Der Arm ist schon heil, schon wieder heil!« – Antonio erkannte in dem alten Mütterchen das seltsame Bettelweib, das auf den Stufen der Franziskanerkirche die Andächtigen immer kichernd und lachend, um Almosen anzusprechen pflegte und der er manchmal, von innerm unerklärlichem Hange getrieben, einen sauer verdienten Quattrino, den er selbst nicht übrig, hingeworfen. »Laß mich in Ruhe«, sprach er, »laß mich in Ruhe, altes wahnsinniges Weib, wohl ist es der Hunger mehr als die Wunde, der mich kraftlos und elend macht, seit drei Tagen hab ich keinen Quattrino verdient. Hinüber wollt ich nach dem Kloster und sehen ein paar Löffel Krankensuppe zu erhaschen, aber alle Kameraden sind fort – keiner, der mich aus Barmherzigkeit aufnimmt in die Barke, und da bin ich hier umgesunken und werde wohl niemals wieder aufstehen.« »Hi hi hi hi«, kicherte die Alte, »warum gleich verzweifeln? warum gleich verzagen, du bist durstig, du bist hungrig, dafür hab ich Rat. Hier sind schöne gedörrte Fischlein, erst heute auf der Zecca eingekauft, hier ist Limoniensaft, hier ein artig weißes Brötlein, iß mein Söhnlein, iß und trinke, mein Söhnlein, dann wollen wir nach dem wunden Arm schauen.« Die Alte hatte in der Tat aus dem Sack, der ihr wie eine Kapuze auf dem Rücken hing und hoch hinüberragte über das gebückte Haupt, Fische, Brot und Limoniensaft hervorgeholt. Sowie Antonio nur die brennenden verschrumpften Lippen genetzt hatte mit dem kühlen Getränke, erwachte der Hunger mit doppelter Gewalt und er verschlang gierig Fische und Brot. Die Alte war indessen drüber her, ihm die Lumpen von dem wunden Arm abzuwickeln und da fand es sich denn, daß der Arm zwar hart zerschlagen, die Wunde aber schon in voller Heilung war. Indem nun die Alte eine Salbe, die in einem kleinen Büchschen befindlich und die sie mit dem Hauch des Mundes erwärmt, daraufstrich, frug sie: »Aber wer hat dich denn so arg geschlagen, mein armes Söhnlein?« Antonio ganz erquickt, von neuem Lebensfeuer durchglüht, hatte sich ganz aufgerichtet; mit blitzenden Augen die geballte Rechte erhoben, rief er: »Ha! – Nicolo der Spitzbube der wollte mich lahm schlagen, weil er mich um jeden elenden Quattrino beneidet, den mir eine wohltätige Hand zuwirft! Du weißt Alte, daß ich mühsam mein Leben dadurch erhielt, daß ich die Lasten aus den Schiffen und Barken in das Kaufhaus der Deutschen, in den sogenannten Fontego, (du kennst es ja wohl das Gebäude), schleppen half.« – Sowie Antonio das Wort »Fontego« aussprach, kicherte und lachte die Alte recht abscheulich auf und plapperte immerfort: »Fontego – Fontego – Fontego.« – »Laß dein tolles Lachen, Alte wenn ich erzählen soll«, rief Antonio erzürnt; da wurde die Alte gleich still und Antonio fuhr fort: »Nun hatte ich einige Quattrinos verdient, mir ein neues Wams gekauft, sah ganz stattlich aus und kam in die Zahl der Gondolieres. Weil ich immer frohen Mutes war, wacker arbeitete und manch schönes Lied wußte, verdiente ich manchen Quattrino mehr als die andern. Aber da erwachte der Neid unter den Kameraden. Sie verschwärzten mich bei meinem Herrn, der mich fortjagte, überall wo ich ging und stand, riefen sie mir nach: ›Deutscher Hund! verfluchter Ketzer!‹ und vor drei Tagen, als ich bei San Sebastian eine Barke ans Land rollen half, überfielen sie mich mit Steinwürfen und Prügeln. Wacker wehrte ich mich meiner Haut, aber da traf mich der tückische Nicolo mit einem Ruderschlage, der mein Haupt streifend und den Arm schwer verletzend mich zu Boden warf. – Nun, du hast mich satt gemacht, Alte und in der Tat fühle ich, daß deine Salbe meinem wunden Arm auf wunderbare Weise wohltut. Sieh nur, wie ich den Arm schon zu schwingen vermag – nun will ich wieder tapfer rudern!« Antonio war vom Boden aufgestanden und schwang den wunden Arm kräftig hin und her, aber die Alte kicherte und lachte wieder laut auf, und rief, indem sie ganz wunderlich wie in kurzen Sprüngen tänzelnd hin und her trippelte: »Söhnlein, Söhnlein, mein Söhnlein, rudere tapfer – tapfer – er kommt – er kommt, das Gold glüht in lichten Flammen, rudere tapfer, tapfer! – aber nur noch einmal, nur noch einmal! – dann nicht wieder!«

Antonio achtete nicht auf der Alten Beginnen, denn vor ihm hatte sich das allerherrlichste Schauspiel aufgetan. Von San Clemens her schwamm der Bucentoro, den adriatischen Löwen in der flatternden Flagge, mit tönendem Ruderschlage daher, wie ein kräftigbeschwingter goldner Schwan. Umringt von tausend Barken und Gondeln schien er, sein fürstlich kühnes Haupt erhoben, zu gebieten über ein jubelndes Heer, das mit glänzenden Häuptern aufgetaucht war, aus dem tiefen Meeresgrunde. Die Abendsonne warf ihre glühenden Strahlen über das Meer, über Venedig hin, so, daß alles in lodernden Flammen stand, aber wie Antonio in Vergessenheit alles Kummers ganz entzückt hinschaute, wurde der Schein immer blutiger und blutiger. Ein dumpfes Sausen ging durch die Lüfte und wie ein furchtbares Echo hallte es wider aus der Tiefe des Meers. Der Sturm kam dahergefahren auf schwarzen Wolken und hüllte alles in dicke Finsternis ein, während aus dem brausenden Meere höher und höher die Wellen wie zischende schäumende Ungeheuer emporstiegen und alles zu verschlingen drohten. Gleich zerstäubtem Gefieder sah man Gondeln und Barken hier und dort auf dem Meere treiben. Der Bucentoro, mit seinem flachen Boden unfähig dem Sturme zu widerstehen, schwankte hin und her. Statt des fröhlichen Jubels der Zinken und Trompeten hörte man durch den Sturm das Angstgeschrei der Bedrängten.

Erstarrt schaute Antonio hin, dicht vor ihm rasselte es wie mit Ketten, er schaute hinab, ein kleiner Kahn, der an die Mauer angekettet, wurde von den Wellen geschaukelt, da fiel es wie ein Blitzstrahl in seine Seele. Er sprang in den Kahn, machte ihn frei, ergriff das Ruder, das er darinnen fand und stach kühn und mutvoll hinaus in die See, geradezu auf den Bucentoro. Je näher er kam, desto deutlicher vernahm er das Hülfsgeschrei auf dem Bucentoro: »Hinan! – hinan! – rettet den Doge! rettet den Doge!« – Es ist bekannt, daß kleine Fischerkähne im Golf, wenn er stürmt, gerade sicherer sind und besser zu handhaben als größere Barken, und so kam es denn, daß dergleichen von allen Seiten herbeieilten, um das teure Haupt des würdigen Marino Falieri zu retten. Aber im Leben geschieht es ja immer, daß die ewige Macht nur einem das tüchtige Gelingen einer kühnen Tat als sein Eigen zugeteilt hat, so daß alle andere sich ganz vergebens darum bemühen. So war es diesmal der arme Antonio, dem die Rettung des neuerwählten Doge zugedacht war und deshalb gelang es ihm ganz allein, sich mit seinem kleinen geringen Fischerkahn glücklich hinanzuarbeiten an den Bucentoro. Der alte Marino Falieri, mit solcher Gefahr vertraut, stieg, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, rüstig heraus aus dem prächtigen, aber verräterischen Bucentoro und hinein in den kleinen Kahn des armen Antonio, der ihn über die brausenden Wellen leicht weggleitend wie ein Delphin in wenigen Minuten hinüberruderte nach dem Platze des heiligen Marcus. Mit durchnäßten Kleidern, große Meerestropfen im grauen Bart, führte man den Alten in die Kirche, wo der Adel mit verbleichten Gesichtern die Zeremonien des Einzuges beendete. Das Volk ebenso wie die Signorie bestürzt über die Unfälle des Einzuges, zu denen es auch rechnete, daß der Doge in der Eil und Verwirrung durch die zwei Säulen geführt worden, wo gewöhnliche Missetäter hingerichtet zu werden pflegen, verstummte mitten im Jubel und so endete der festlich begonnene Tag traurig und düster.

An den Retter des Doge schien niemand zu denken, und Antonio selbst dachte nicht daran, sondern lag todmüde, halb ohnmächtig von Schmerz den ihm die neuaufgereizte Wunde verursachte, in dem Säulengange des herzoglichen Palastes. Desto verwunderlicher war es ihm, als, da beinahe die Nacht eingebrochen, ein herzoglicher Trabant ihn bei den Schultern packte, und mit den Worten: »Komm guter Freund«, in den Palast und in die Zimmer des Doge hineinstieß. Der Alte kam ihm freundlich entgegen und sprach, indem er auf ein paar Beutel wies, die auf dem Tische lagen: »Du hast dich wacker gehalten, mein guter Sohn, hier! – nimm diese dreitausend Zechinen, willst du mehr, so fordere, aber erzeige mir den Gefallen und lasse dich nie mehr vor meinem Angesicht sehen.« Bei den letzten Worten blitzten Funken aus den Augen des Alten und die Nasenspitze rötete sich höher. Antonio wußte nicht, was der Alte wollte, ließ sich das auch gar nicht zu Herzen gehn, sondern lastete mit Mühe die Beutel auf, die er mit Fug und Recht verdient zu haben glaubte.


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