E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Ich war (so erzählte der Virtuose) damals, als der Baron von B. sich in Berlin befand, noch sehr jung, kaum sechzehn Jahre alt und im eifrigsten Studium meines Instruments begriffen, dem ich mich mit ganzer Seele, mit aller Kraft, wie sie nur in mir lebte, hingab. Der Konzertmeister Haak, mein würdiger, aber sehr strenger Lehrer, wurde immer zufriedener und zufriedener mit mir. Er rühmte die Fertigkeit meines Strichs, die Reinheit meiner Intonation, er ließ mich endlich in der Oper, ja sogar in den königlichen Kammerkonzerten mitgeigen. Bei dieser Gelegenheit hörte ich oft, daß Haak mit dem jüngern Duport, mit Ritter und anderen großen Meistern aus der Kapelle von den musikalischen Unterhaltungen sprach, die der Baron von B. in seinem Hause mit Einsicht und Geschmack anordne, so daß der König selbst nicht verschmähe, öfters daran teilzunehmen. Sie erwähnten der herrlichen Kompositionen alter, beinahe vergessener Meister, die man sonst nirgends zu hören bekomme, als bei dem Baron von B., der, was vorzüglich Musik für die Geige betreffe, wohl die vollständigste Sammlung von Kompositionen jeder Art, aus der ältesten bis zur neuesten Zeit, besitze, die irgendwo zu finden. Sie kamen dann auf die splendide Bewirtung in dem Hause des Barons, auf die würdige Art, auf die unglaubliche Liberalität, mit der der Baron die Künstler behandle, und waren zuletzt darin ganz einig, daß der Baron in Wahrheit ein leuchtender Stern zu nennen, der an dem musikalischen Himmel von Berlin aufgegangen.

Alles dieses machte meine Neugierde rege, noch mehr spannte es mich aber, wenn dann in solchem Gespräch die Meister näher zusammentrafen, und ich in dem geheimnisvollen Geflüster nur den Namen des Barons unterscheiden und aus einzelnen abgebrochenen Worten erraten konnte, daß vom Unterricht in der Musik – von Stundengeben die Rede. Es schien mir, als wenn dann vorzüglich auf Duports Gesicht ein sarkastisches Lächeln rege würde, und als wenn alle mit irgendeiner Neckerei wider den Konzertmeister zu Felde zögen, der seinerseits sich nur schwach verteidigend, auch das Lachen kaum unterdrücken konnte, bis er zuletzt sich schnell wegwendend und die Geige ergreifend zum Einstimmen laut rief: ›Es ist und bleibt doch ein herrlicher Mann!‹

Ich konnt es nicht lassen: der Gefahr unerachtet auf ziemlich derbe Weise abgefertigt zu werden, bat ich den Konzertmeister, mich doch, wenn's nur irgend möglich, bei dem Baron von B. einzuführen und mich mitzunehmen in seine Konzerte.

Haak maß mich mit großen Augen, ich fürchtete schon, ein kleines Donnerwetter werde losbrechen, statt dessen ging jedoch sein Ernst in ein seltsames Lächeln über und er sprach: ›Nun! – Du magst wohl recht haben mit deiner Bitte, du kannst viel lernen bei dem Baron. Ich will mit ihm von dir reden und glaube wohl, daß er dir den Zutritt verstatten wird, da er gar gern es mit jungen Zöglingen der Musik zu tun hat.‹

Nicht lange darauf hatte ich eben mit Haak einige sehr schwere Violinduetten gespielt. Da sprach er, die Geige aus der Hand legend: ›Nun Carl! heute abend ziehe deinen Sonntagsrock an und seidene Strümpfe. Komm dann zu mir, wir wollen zusammen hingehen zum Baron von B. Es sind nur wenige Leute da und das gibt gute Gelegenheit, dich vorzustellen.‹ – Das Herz bebte mir vor Freude, denn ich hoffte, selbst wußt ich nicht warum, Außerordentliches, Unerhörtes zu erfahren.

Wir gingen hin. Der Baron, ein nicht zu großer Mann, hoch in den Jahren, im altfränkisch buntgestickten Galakleide kam uns, als wir in das Zimmer traten, entgegen und schüttelte meinem Lehrer treuherzig die Hand.

Nie hatt ich bei dem Anblick irgendeines vornehmen Mannes mehr wahre Ehrfurcht, mehr inneres wohltuendes Hinneigen empfunden. Auf dem Gesicht des Barons lag der volle Ausdruck der herzlichsten Gutmütigkeit, während aus seinen Augen jenes dunkle Feuer blitzte, das so oft den von der Kunst wahrhaft durchdrungenen Künstler verrät. Alle Scheu, mit der ich sonst wohl als ein unerfahrener Jüngling zu kämpfen hatte, wich im Augenblick von mir.

›Wie geht es Euch‹, begann der Baron mit heller wohlklingender Stimme, ›wie geht es Euch, mein guter Haak, habt Ihr wohl mein Konzert wacker geübt? – Nun! – wir werden ja morgen hören! – Ha! das ist wohl der junge Mensch, der kleine wackre Virtuose, von dem Ihr mit mir spracht?‹

Ich schlug beschämt die Augen nieder, ich fühlte, daß ich über und über errötete.

Haak nannte meinen Namen, rühmte meine Anlagen, so wie die schnellen Fortschritte, die ich in kurzer Zeit gemacht.

›Also‹, wandte sich der Baron zu mir, ›also die Geige hast du zu deinem Instrument gewählt, mein Söhnchen? – Hast du auch wohl bedacht, daß die Geige das allerschwerste Instrument ist, das jemals erfunden? ja, daß dies Instrument, in dürftig scheinender Einfachheit den üppigsten Reichtum des Tons verschließend, ein wunderbares Geheimnis ist, das sich nur wenigen, von der Natur besonders dazu ausersehenen, Menschen erschließt? Weißt du gewiß, sagt es dir dein Geist mit Bestimmtheit, daß du Herr werden wirst des wunderbaren Geheimnisses? – Das haben schon viele geglaubt und sind erbärmliche Stümper geblieben ihr Leben lang. Ich wollte nicht, mein Söhnchen, daß du die Anzahl dieser Miserablen vermehrtest. – Nun: du magst immerhin mir etwas vorspielen, ich werde dir dann sagen, wie es mit dir steht und du wirst meinem Rat folgen. Es kann dir so gehen, wie dem Karl Stamitz, der wunder glaubte, was für ein entsetzlicher Virtuos auf der Violin aus ihm werden würde. Als ich dem das Verständnis eröffnet, warf er geschwinde, geschwinde die Geige hinter den Ofen, nahm dafür Bratsche und Viol d'Amour zur Hand und tat wohl daran. Auf diesen Instrumenten konnte er herumgreifen mit seinen breitgespannten Fingern und spielte ganz passabel. Nun – ich werde dich hören, mein Söhnchen!‹

Über diese erste, etwas besondere Anrede des Barons mußte ich wohl betreten werden. Seine Worte drangen mir tief in die Seele und ich fühlte mit innerm Unmut, daß ich, trotz meines Enthusiasmus vielleicht, indem ich mein Leben dem schwersten, geheimnisvollsten aller Instrumente zugewandt, ein Wagestück unternommen, dem ich gar nicht gewachsen.

Man schickte nun sich an, die drei neuen Quartetten von Haydn, welche damals gerade im Stich erschienen, durchzuspielen.

Mein Meister nahm die Geige aus dem Kasten; kaum strich er aber Stimmens halber die Saiten an, als der Baron sich beide Ohren mit den Händen zuhielt und wie außer sich schrie: ›Haak, Haak! – ich bitte Euch um Gottes willen, wie könnt Ihr nur mit Eurer erbärmlichen schnurrenden, knarrenden Strohfiedel Euer ganzes Spiel verderben!‹

Nun hatte aber der Konzertmeister eine der allerherrlichsten Geigen, die ich jemals gesehen und gehört, einen echten Antonio Stradivari, und nichts konnte ihn mehr entrüsten, als wenn irgend jemand seinem Liebling nicht die gehörige Ehre erwies. Wie nahm es mich daher wunder, als er lächelnd sogleich die Geige wieder einschloß. Er mochte schon wissen, wie es sich nun zutragen würde: Er zog eben den Schlüssel aus dem Schlosse des Violinkastens, als der Baron, der sich aus dem Zimmer entfernt, wieder eintrat, einen mit scharlachrotem Samt und goldnen Tressen überzogenen Kasten auf beiden Armen, wie ein Hochzeits-Carmen, oder einem Täufling, vor sich hertragend.

›Ich will‹, rief er, ›ich will Euch eine Ehre antun, Haak! Ihr sollt heute auf meiner ältesten schönsten Violine spielen. Es ist ein wahrhafter Granuelo und gegen den alten Meister ist sein Schüler, Euer Stradivari, nur ein Lump. Tartini mochte auf keinen andern Geigen spielen, als auf Granuelos. Nehmt Euch nur zusammen, damit der Granuelo sich willig finden läßt, alle seine Pracht aus dem Innern heraus aufzutun.‹

Der Baron öffnete den Kasten und ich erblickte ein Instrument, dessen Form von hohem Alter zeugte. Daneben lag aber solch ein ganz wunderlicher Bogen, der mit seiner übermäßigen Krümmung mehr dazu geeignet schien, Pfeile darauf abzuschießen, als damit zu geigen. Der Baron nahm mit feierlicher Behutsamkeit das Instrument aus dem Kasten und reichte es dem Konzertmeister hin, der es ebenso feierlich in die Hände nahm.

›Den Bogen‹, sprach der Baron, indem er anmutig lächelnd den Meister auf die Schulter klopfte, ›den Bogen geb ich Euch nicht, denn den versteht Ihr doch nun einmal nicht zu führen, und werdet daher auch in Eurem Leben zu keiner ordentlichen wahren Strichart gelangen.

Solchen Bogen‹, fuhr der Baron fort, den Bogen herausnehmend und ihn mit glänzendem verklärten Blick betrachtend, ›solchen Bogen führte der große unsterbliche Tartini und nach ihm gibt es auf der ganzen weiten Erde nur noch zwei seiner Schüler, denen es glückte, in das Geheimnis jener markichten, tonvollen, das ganze Gemüt ergreifenden Strichart zu dringen, die nur mit einem solchen Bogen möglich. Der eine ist Nardini, jetzt ein siebzigjähriger Greis, nur noch innerer Musik mächtig, der andere, wie Sie, meine Herren, wohl schon wissen werden, bin ich selbst. Ich bin also nun der einzige, in dem die Kunst des wahrhaften Violinspielers fortlebt, und an meinen eifrigen Bestrebungen fehlt es gewiß nicht, jene Kunst, die in Tartini ihren Schöpfer fand, fortzupflanzen. – Doch! – fangen wir an, meine Herren!‹

Die Haydnschen Quartetten wurden nun durchgespielt und, wie man es wohl denken kann, mit solch hoher Vollkommenheit, daß gar nichts zu wünschen übrigblieb.

Der Baron saß da, mit geschlossenen Augen sich hin und her wiegend. Dann sprang er auf, schritt näher heran an die Spieler, kuckte in die Notenblätter mit gerunzelter Stirn, dann trat er leise, leise wieder zurück, ließ sich nieder auf den Stuhl, stützte den Kopf in die Hand – stöhnte – ächzte! – ›Halt!‹ rief er plötzlich bei irgendeiner gesangreichen Stelle im Adagio! – ›Halt! bei den Göttern, das war Tartinischer Gesang, aber ihr habt ihn nicht verstanden. Noch einmal bitt ich!‹

Und die Meister wiederholten lächelnd die Stelle mit gezognerem Strich und der Baron schluchzte und weinte, wie ein Kind!

Als die Quartetten geendigt, sprach der Baron: ›Ein göttlicher Mensch, der Haydn, er weiß das Gemüt zu ergreifen, aber für die Violine versteht er nicht zu schreiben. Er will das vielleicht auch gar nicht, denn tät er es wirklich und schrieb er in der einzigen wahren Manier, wie Tartini, so würdet ihr es doch nicht spielen können.‹

Nun mußte ich einige Variationen vortragen, die Haak für mich aufgesetzt.

Der Baron stellte sich dicht neben mir hin und schaute in die Noten. Man kann denken, mit welcher Beklommenheit ich, den strengen Kritiker zur Seite, begann. Doch bald riß mich ein tüchtiger Allegrosatz ganz hin. Ich vergaß den Baron und vermochte, mich frei zu bewegen in dem Kreise aller Kraft, die mir damals zu Gebote stand.

Als ich geendet, klopfte mir der Baron auf die Achsel und sprach lächelnd: ›Du kannst bei der Violine bleiben, Söhnchen, aber von Strich und Vortrag verstehst du noch gar nichts, welches wohl daher kommen mag, daß es dir bis jetzt an einem tüchtigen Lehrer gemangelt.‹

Man ging zu Tische. In einem andern Zimmer war ein Mahl bereitet, das, besonders rücksichts der mannigfachen feinen Weine, die gespendet wurden, beinahe schwelgerisch zu nennen. Die Meister ließen es sich wacker schmecken. Das Gespräch, immer heller und heller aufsteigend, betraf ausschließlich die Musik. Der Baron entwickelte einen Schatz der herrlichsten Kenntnisse. Sein Urteil, scharf und durchgreifend, zeigte nicht nur den gebildetsten Kenner, nein, den vollendeten, geistreichen, geschmackvollen Künstler selbst. Vorzüglich merkwürdig war mir die Galerie der Violinspieler, die er aufstellte. – So viel ich davon noch weiß, will ich zusammenfassen.

›Corelli‹ (so sprach der Baron) ›bahnte zuerst den Weg. Seine Kompositionen können nur auf Tartinische Weise gespielt werden, und das ist hinlänglich, zu beweisen, wie er das Wesen des Violinspielens erkannt. Pugnani ist ein passabler Geiger. Er hat Ton und viel Verstand, doch ist sein Strich zu weichlich bei ziemlichem Appoggiamento. Was hatte man mir alles von Geminiani gesagt! Als ich ihn vor dreißig Jahren zum letztenmal in Paris hörte, spielte er wie ein Nachtwandler, der im Traume herumsteigt, und es wurde einem selbst zumute, als läg man im Traume. Lauter tempo rubato ohne Stil und Haltung. Das verdammte ewige tempo rubato verdirbt die besten Geiger, denn sie vernachlässigen darüber den Strich. Ich spielte ihm meine Sonaten vor, er sah seinen Irrtum ein und wollte Unterricht bei mir nehmen, wozu ich mich willig verstand. Doch der Knabe war schon zu vertieft in seine Methode, zu alt darüber worden. Er zählte damals einundneunzig Jahre. – Gott möge es dem Giardini verzeihen und es ihm nicht entgelten lassen in der Ewigkeit, aber er war es, der zuerst den Apfel vom Baum des Erkenntnisses fraß und alle nachfolgende Violinspieler zu sündigen Menschen machte. Er ist der erste Schwebler und Schnörkler. Er ist nur bedacht auf die linke Hand und auf die springfertigen Finger und weiß nichts davon, daß die Seele des Gesanges in der rechten Hand liegt, daß in ihren Pulsen alle Empfindungen, wie sie in der Brust erwacht sind, alle Herzschläge ausströmen. Jedem Schnörkler wünsch ich einen tapfern Jomelli zur Seite, der ihn aus seinem Wahnsinn weckt durch eine tüchtige Ohrfeige, wie es denn Jomelli wirklich tat, als Giardini in seiner Gegenwart einen herrlichen Gesang verdarb durch seine Sprünge, Läufe, närrische Triller und Mordenten. Ganz verrückt gebärdet sich Lolli. Der Kerl ist ein fataler Luftspringer, kann kein Adagio spielen und seine Fertigkeit ist allein das, weshalb ihn unwissende Maulaufsperrer ohne Gefühl und Verstand bewundern. Ich sage es, mit Nardini und mir stirbt die wahrhafte Kunst der Geiger aus. Der junge Viotti ist ein herrlicher Mensch voll Anlagen. Was er weiß, hat er mir zu verdanken, denn er war mein fleißiger Schüler. Doch was hilft's! Keine Ausdauer, keine Geduld! – Er lief mir aus der Schule. Den Kreuzer hoff ich noch anzuziehen. Er hat meinen Unterricht fleißig genützt und wird ihn nützen, wenn ich zurückgekehrt sein werde nach Paris. Mein Konzert, das Ihr jetzt mit mir einübt, Haak, spielte er neulich gar nicht übel. Doch zu meinem Bogen fehlt ihm immer noch die Faust. – Der Giarnovichi soll mir nicht mehr über die Schwelle, das ist ein unverständiger Hasenfuß, der sich erfrecht, über den großen Tartini, über den Meister aller Meister die Nase zu rümpfen und meinen Unterricht zu verschmähen. – Mich soll nur verlangen, was aus dem Knaben, aus dem Rhode werden wird, wenn er meinen Unterricht genossen. Er verspricht viel und es ist möglich, daß er Herr wird meines Bogens.

Er ist‹ (der Baron wandte sich zu mir) in deinem Alter, mein Söhnchen, aber ernsterer, tiefsinnigerer Natur. – Du scheinst mir, nimm's nicht übel, ein kleiner Springinsfeld zu sein. – Nun, das gibt sich. – Von Euch, mein lieber Haak! hoffe ich nun gar viel! Seit ich Euch unterrichte, seid Ihr schon ein ganz andrer worden. Fahrt nur fort in Eurem rastlosen Eifer und Fleiß, und versäumt ja keine Stunde: Ihr wißt, daß mich das ärgert.‹

Ich war erstarrt vor Verwunderung über alles das, was ich gehört. Nicht die Zeit konnte ich erwarten, den Konzertmeister zu fragen, ob es denn wahr sei, ob denn der Baron wirklich die größten Violonisten der Zeit ausgebildet, ob er, der Meister selbst, denn wirklich Unterricht nehme bei ihm!

Allerdings, erwiderte Haak, versäume er nicht, den wohltätigen Unterricht zu genießen, den ihm der Baron angeboten und ich würde sehr wohltun, an einem guten Morgen zu ihm hinzugehen und ihn anzuflehen, daß er auch mich seines Unterrichts würdige.

Auf alles, was ich noch sonst über den Baron und über sein Kunsttalent erfragen wollte, ließ Haak sich gar nicht ein, sondern wiederholte nur, daß ich tun möge, was er mir geheißen und das übrige denn wohl erfahren werde.

Mir entging das seltsame Lächeln nicht, das dabei Haaks Gesicht überflog und das, ohne den Grund davon nur zu ahnen, meine Neugierde im höchsten Grade reizte.

Als ich denn nun gar demütig dem Baron meinen Wunsch vortrug, als ich versicherte, daß der regste Eifer, ja der glühendste Enthusiasmus mich beseele für meine Kunst, sah er mich erst starr an, bald aber gewann sein ernster Blick den Ausdruck der wohltuendsten Gemütlichkeit. ›Söhnchen, Söhnchen‹, sprach er, ›daß du dich an mich, an den einzigen Violinspieler, den es noch gibt, wendest, das beweiset, wie in dir der echte Künstlertrieb rege worden, wie in deiner Seele das Ideal des wahrhaften Violinspielers aufgegangen. Wie gern wollt ich dir aufhelfen, aber wo Zeit hernehmen, wo Zeit hernehmen! – Der Haak macht mir viel zu schaffen und da ist jetzt der junge Mensch hier, der Durand, der will sich öffentlich hören lassen, und hat wohl eingesehen, daß das ganz und gar nicht angeht, bevor er nicht bei mir einen tüchtigen Kursus gemacht. – Nun! – warte, warte – zwischen Frühstück und Mittag, oder beim Frühstück – ja, da hab ich noch eine Stunde übrig! – Söhnchen, komme zu mir Punkt zwölf Uhr alle Tage, da geige ich mit dir bis ein Uhr; dann kommt Durand!‹

Sie können sich's vorstellen, wie ich schon andern Tages um die bestimmte Stunde hineilte zum Baron mit klopfendem Herzen.

Er litt nicht, daß ich auch nur einen einzigen Ton anstrich auf meiner Geige, die ich mitgebracht. Er gab mir ein uraltes Instrument von Antonio Amati in die Hände. Nie hatte ich auf einer solchen Geige gespielt. Der himmlische Ton, der den Saiten entquoll, begeisterte mich. Ich verlor mich in kunstreichen Passagen, ließ den Strom der Töne stärker aufsteigen in brausenden Wellen, verrauschen im murmelnden Geplätscher! – Ich glaube, ich spielte ganz gut, besser, als manchmal nachher. Der Baron schüttelte unmutig den Kopf und sprach, als ich endlich nachließ: ›Söhnchen, Söhnchen, das mußt du alles vergessen.. Fürs erste hältst du den Bogen ganz miserabel.‹ – Er wies mir praktisch, wie man nach Tartinis Art den Bogen halten müßte. Ich glaubte auf diese Weise keinen Ton herausbringen zu können. Doch nicht gering war mein Erstaunen, als ich, auf Geheiß des Barons meine Passagen wiederholend, in einigen Sekunden den großen Vorteil einsah, den mir die Art den Bogen zu führen gewährte.

›Nun‹, sprach der Baron, ›wollen wir den Unterricht beginnen. Streiche, mein Söhnchen, einmal das eingestrichene g an und halte den Ton aus, so lange du kannst. Spare den Bogen, spare den Bogen. Was der Atem dem Sänger, das ist der Bogen dem Violinspieler.‹

Ich tat wie mir geheißen, und freute mich selbst, daß es mir glückte, den Ton kraftvoll herauszuziehen, ihn vom Pianissimo zum Fortissimo steigen und wieder abnehmen zu lassen, mit gar langem, langem Bogen. ›Siehst du wohl, siehst du wohl, Söhnchen!‹ rief der Baron, ›schöne Passagen kannst du machen, Läufe, Sprünge und neumodische, einfältige Triller und Zieraten, aber keinen Ton ordentlich aushalten, wie es sich ziemt. Nun will ich dir zeigen, was es heißt, den Ton aushalten auf der Geige!‹ – Er nahm mir das Instrument aus der Hand, setzte den Bogen dicht am Frosch an! – Nein! – hier fehlen mir wahrlich die Worte, es auszusprechen, wie es sich nun begab.

Dicht am Stege rutschte er mit dem zitternden Bogen hinauf, schnarrend, pfeifend, quäkend, miauend – der Ton war dem zu vergleichen, wenn ein altes Weib, die Brille auf der Nase, sich abquält, den Ton irgendeines Liedes zu fassen.

Und dabei schaute er himmelwärts, wie in seliger Verzückung, und als er endlich aufhörte, mit dem Bogen auf den Saiten hin und her zu fahren und das Instrument aus der Hand legte, glänzten ihm die Augen und er sprach tief bewegt: ›Das ist Ton – das ist Ton!‹

Mir war ganz wunderlich zumute. Wollte sich auch der innere Trieb zum Lachen regen, so verschwand er wieder bei dem Anblick des ehrwürdigen Antlitzes, das die Begeisterung verklärte. Und dabei wirkte überdem das Ganze auf mich wie ein unheimlicher Spuk, so daß ich meine Brust bewegt fühlte und kein Wort herauszubringen vermochte.

›Nicht wahr‹, begann der Baron, ›nicht wahr, mein Söhnchen, das ging hinein in dein Inneres, das stelltest du dir nicht vor, daß solche zauberische Gewalt hinaufbeschworen werden könne aus dem kleinen Dinge da mit vier armseligen Saiten. Nun – trinke, trinke, mein Söhnchen!‹

Der Baron schenkte mir ein Glas Madera ein. Ich mußte trinken und von dem Backwerk genießen, das auf dem Tische stand. In dem Augenblick schlug es ein Uhr.

›Für heute mag's genug sein‹, rief der Baron, ›geh, geh, mein Söhnchen, komme bald wieder. – Da! – nimm, nimm!‹

Der Baron steckte mir ein Papierchen zu, in dem ich einen blanken, schön geränderten, holländischen Dukaten fand.

Ganz bestürzt rannte ich hin zum Konzertmeister und erzählte ihm, wie sich alles begeben. Der lachte aber laut auf und rief: ›Siehst du nun wohl, wie es mit unserm Baron beschaffen und mit seinem Unterricht? – Dich hält er für einen Anfänger, deshalb erhältst du nur einen Dukaten für die Stunde. So wie, nach des Barons Idee, die Meisterschaft steigt, erhöht er auch das Honorar. Ich bekomme jetzt einen Louis und Durand, wenn ich nicht irre, gar zwei Dukaten.‹

Nicht umhin konnte ich zu äußern, daß es doch ein eignes Ding sei, den guten alten Baron auf diese Weise zu mystifizieren, und ihm die Dukaten aus der Tasche zu ziehen.

›Du mußt wissen‹, erwiderte der Konzertmeister, ›du mußt wissen, daß des Barons ganze Glückseligkeit darin besteht, auf die Weise, die du nun kennst, Unterricht zu geben; daß er mich und andere Meister, wollten sie seinen Unterricht verschmähen, in der ganzen Welt, für die er kompetenter Kunstrichter ist und bleibt, als erbärmliche, unwissende Stümper ausschreien würde, daß endlich, den Wahn des Violinspiels abgerechnet, der Baron ein Mann ist, dessen kunstverständiges Urteil auch den Meister über manches zu seinem großen Nutzen aufklären kann. Urteile nun selbst, ob ich unrecht tue, mich trotz seiner Torheit an ihn zu halten und mir zuweilen meinen Louis zu holen. – Besuche ihn fleißig, höre nicht auf die alberne Gaukelei des Wahnsinnigen, sondern nur auf die verständigen Worte des mit dem innern Sinn die Kunst beherrschenden Mannes. Es wird dir wohltun!‹

Ich folgte dem Rat des Meisters. Manchmal wurde es mir doch schwer, das Lachen zu unterdrücken, wenn der Baron mit den Fingern, statt auf dem Griffbrett, auf dem Violindeckel herumtapste und dabei mit dem Bogen auf den Saiten querüber fuhr, versichernd, er spiele jetzt Tartinis allerherrlichstes Solo und er sei nun der einzige auf der Welt, der dieses Solo vorzutragen imstande.

Aber dann legte er die Geige aus der Hand und ergoß sich in Gesprächen, die mich mit tiefer Kenntnis bereicherten und meine Brust entflammten für die hochherrliche Kunst.

Spielte ich dann in einem seiner Konzerte mit allem Eifer und gelang mir dieses – jenes vorzüglich gut, so blickte der Baron stolz lächelnd umher und sprach: ›Das hat der Junge mir zu verdanken, mir, dem Schüler des großen Tartini!‹

So gewährten mir Nutzen und Freude des Barons Lehrstunden und auch wohl seine – geränderten holländischen Dukaten.«

 

»Nun«, sprach Theodor lachend, »nun in der Tat, ich sollte meinen, daß mancher unserer jetzigen Virtuosen, der sich weit erhaben über jegliche Lehre dünken möchte, sich doch noch einen Unterricht gefallen lassen würde auf die Weise, wie ihn der Baron von B. zu erteilen pflegte.«

»Dem Himmel sei es gedankt«, nahm Vinzenz das Wort, »daß unser Klub doch noch, was ich gar nicht mehr erwartete, heiter schließt und ich will hiermit meine würdigen Brüder ermahnt haben, künftig fein dafür zu sorgen, daß das Schauerliche mit dem Heitern wechsle, welches heute ganz und gar nicht geschehen.«

»Deine Ermahnung«, sprach Ottmar, »mag sehr gut sein, indessen lag es lediglich an dir, den Fehler, in den wir heute verfielen, gutzumachen, und uns etwas von dir mitzuteilen, das deiner humoristischen Laune würdig.«

»Überhaupt«, sprach Lothar weiter, »bist du mein vortrefflicher, wiewohl schreibefauler Vinzenz, das Aufnahmegeld in die Serapions-Brüderschaft, das eben in einer serapiontischen Erzählung bestehen mußte, noch schuldig.«

»Still, still«, erwiderte Vinzenz, »ihr wißt nicht, was meiner Brust entglommen und vorläufig in dieser Brusttasche verborgen ruhet! – Ein gar seltsames Ding von Märchen, das ich insbesondere der Gunst unseres Lothar empfehle, hätte ich euch schon heute mitgeteilt, aber habt ihr nicht des Wirts bleiches Antlitz gesehen, das durch das Fenster schon öfters mahnend hineinblickte, wie in Fouqués Undine der Spukgeist Kühleborn durch das Fenster in die Fischerhütte kuckt ? Habt ihr nicht das verdrießliche O-Jemines-Gesicht des Kellners bemerkt? Stand, wenn er uns die Lichter putzte, auf seiner Stirn nicht deutlich geschrieben: ›Werden sie denn hier ewig sitzen, und nicht endlich einmal einem ehrlichen Menschen die Ruhe gönnen?‹ – Die Leute haben recht, Mitternacht ist vorüber, unsere Scheidestunde hat geschlagen.«

Die Freunde gaben sich das Wort, in weniger Zeit sich wieder serapiontisch zu versammeln und brachen dann auf.

Ende des dritten Bandes


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