E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Wie die beiden jungen Gesellen, Friedrich und Reinhold, miteinander bekannt wurden

Auf einer schönen grasichten, von hohen Bäumen beschatteten Anhöhe, lag ein junger Gesell von stattlichem Ansehen, Friedrich geheißen. Die Sonne war schon herabgesunken und rosige Flammen leuchteten auf aus dem tiefen Himmelsgrunde. Ganz deutlich konnte man in der Ferne die berühmte Reichsstadt Nürnberg sehen, die sich im Tale ausbreitete und ihre stolzen Türme kühn in das Abendrot hinaufstreckte, das sein Gold ausströmte auf ihre Spitzen. Der junge Gesell hatte den Arm gestützt auf das Reisebündel, das neben ihm lag, und schaute mit sehnsuchtsvollen Blicken herab in das Tal. Dann pflückte er einige Blumen, die um ihn her in dem Grase standen, und warf sie in die Lüfte dem Abendrot zu, dann sah er wieder traurig vor sich hin und heiße Tränen perlten in seinen Augen. Endlich erhob er den Kopf, breitete beide Arme aus, als wolle er eine geliebte Gestalt umfangen und sang mit heller gar lieblicher Stimme folgendes Lied:

»Schau ich dich wieder,
O Heimat süß,
Nicht von dir ließ
Mein Herz getreu und bieder.
O rosiges Rot, geh mir auf,
Mag nur schauen Rosen,
Blühnde Liebesblüt,
Neig dem Gemüt
Dich zu mit wonnigem Kosen.
Willst du springen o schwellende Brust?
Halt dich fest in Schmerz und süßer Lust.
O goldnes Abendrot!
Schöner Strahl sei mein frommer Bot,
Seufzer – Tränen mußt
Treulich zu ihr tragen.
Und stürb ich nun,
Möchten Röslein dich fragen,
Sprich: – in Lieb verging sein Herz.«

Nachdem Friedrich dies Lied gesungen, zog er aus seinem Reisebündel ein Stücklein Wachs hervor, erwärmte es an seiner Brust und begann eine schöne Rose mit hundert feinen Blättern sauber und kunstvoll auszukneten. Während der Arbeit summte er einzelne Strophen aus dem Liede vor sich hin, das er gesungen, und so ganz in sich selbst vertieft, bemerkte er nicht den hübschen Jüngling, der schon lange hinter ihm stand und emsig seiner Arbeit zuschaute. »Ei mein Freund«, fing nun der Jüngling an, »ei mein Freund, das ist ein sauberes Stück, was Ihr da formt.« Friedrich schaute ganz erschrocken um sich, als er aber dem fremden Jüngling in die dunklen freundlicher Augen sah, war es ihm, als kenne er ihn schon lange; lächelnd erwiderte er: »Ach lieber Herr, wie möget Ihr nur eine Spielerei beachten, die mir zum Zeitvertreibe dient auf der Reise.« »Nun«, fuhr der fremde Jüngling fort, »nun wenn Ihr die so getreulich nach der Natur zart geformte Blume eine Spielerei nennt, so müßt Ihr ein gar wackrer geübter Bildner sein. Ihr ergötzt mich auf doppelte Art. Erst drang mir Euer Lied, das Ihr nach der zarten Buchstabenweis Martin Häschers so lieblich absanget, recht durch die Brust und jetzt muß ich Eure Kunstfertigkeit im Formen hoch bewundern . Wo gedenkt Ihr denn noch heute hinzuwandern?« »Das Ziel«, erwiderte Friedrich, »das Ziel meiner Reise liegt dort uns vor Augen. Ich will hin nach meiner Heimat, nach der berühmten Reichsstadt Nürnberg. Doch die Sonne ist schon tief hinabgesunken, deshalb will ich unten im Dorfe übernachten, morgen in aller Frühe geht's dann fort, und zu Mittag kann ich in Nürnberg sein.« »Ei«, rief der Jüngling freudig, »ei wie sich das so schön trifft, wir haben denselben Weg, auch ich will nach Nürnberg. Mit Euch übernachte ich auch hier im Dorfe, und dann ziehen wir morgen weiter. Nun laßt uns noch eins plaudern.« Der Jüngling, Reinhold geheißen, warf sich neben Friedrich ins Gras und fuhr dann fort: »Nicht wahr, ich irre mich nicht, Ihr seid ein tüchtiger Gießkünstler, das merk ich an der Art zu modellieren, oder Ihr arbeitet in Gold und Silber ?« Friedrich sah ganz traurig vor sich nieder und fing dann kleinmütig an: »Ach lieber Herr, Ihr haltet mich für etwas viel Besseres und Höheres, als ich wirklich bin. Ich will es Euch nur geradehin sagen, daß ich die Küperprofession erlernt habe und nach Nürnberg zu einem bekannten Meister in die Arbeit gehen will. Ihr werdet mich nun wohl verachten, da ich nicht herrliche Bilder zu modellieren und zu gießen vermag, sondern nur Reife um Fässer und Kufen schlage.« Reinhold lachte laut auf und rief: »Nun das ist in der Tat lustig. Ich soll Euch verachten, weil Ihr ein Küper seid, und ich – ich bin ja selbst gar nichts anderes, als das.« Friedrich blickte ihn starr an, er wußte nicht was er glauben sollte, denn Reinholds Aufzug paßte freilich zu nichts weniger, als zu einem reisenden Küpergesellen. Das Wams von feinem schwarzen Tuch mit gerissenem Samt besetzt, die zierliche Halskrause, das kurze breite Schwert, das Barett mit einer langen herabhängenden Feder, ließen eher auf einen wohlbegüterten Handelsmann schließen, und doch lag wieder in dem Antlitz, in der ganzen Gestalt des Jünglings ein wunderbares Etwas, das dem Gedanken an den Handelsmann nicht Raum gab. Reinhold merkte Friedrichs Zweifel, er riß sein Reisebündel auf, holte das Küperschurzfell, sein Messerbesteck hervor und rief: »Schau doch her mein Freund, schau doch nur her! – zweifelst du noch daran, daß ich dein Kamerad bin? – Ich weiß, dir ist mein Anzug befremdlich, aber ich komme von Straßburg, da gehen die Küper stattlich einher wie Edelleute. Freilich hatte ich sonst, gleich dir, auch wohl Lust zu etwas anderm, aber nun geht mir das Küperhandwerk über alles, und ich habe manch schöne Lebenshoffnung darauf gestellt. Geht's dir nicht auch so Kamerad? – Aber beinahe scheint es mir, als habe sich unversehens ein düstrer Wolkenschatten in dein heiteres Jugendleben hineingehängt, vor dem du nicht fröhlich um dich zu blicken vermagst. Das Lied, das du vorhin sangst, war voll Liebessehnsucht und Schmerz, aber es kamen Klänge darin vor, die wie aus meiner eignen Brust hervorleuchteten und es ist mir, als wisse ich schon alles, was in dir verschlossen. Um so mehr magst du mir alles vertrauen, werden wir denn nicht ohnedies in Nürnberg wackre Kumpane sein und bleiben?« Reinhold schlang einen Arm um den Friedrich und sah ihm freundlich ins Auge. Darauf sprach Friedrich: »Je mehr ich dich anschaue frommer Geselle, desto stärker zieht es mich zu dir hin, ich vernehme deutlich die wunderbare Stimme in meinem Innern, die wie ein treues Echo widerklingt vom Ruf des befreundeten Geistes. Ich muß dir alles sagen! – Nicht als ob ich armer Mensch dir wichtige Geheimnisse zu vertrauen hätte, aber weil nur die Brust des treuesten Freundes Raum gibt dem fremden Schmerz und ich in den ersten Augenblicken unsrer jungen Bekanntschaft dich eben für meinen treuesten Freund halte. – Ich bin nun ein Küper worden und darf mich rühmen mein Handwerk zu verstehen, aber einer andern wohl schönern Kunst war mein ganzer Sinn zugewandt von Kindheit auf. Ich wollte ein großer Meister im Bildergießen und in der Silberarbeit werden, wie Peter Vischer oder der italische Benvenuto Cellini. Mit glühendem Eifer arbeitete ich beim Herrn Johannes Holzschuer, dem berühmten Silberarbeiter in meiner Heimat, der ohne gerade selbst Bilder zu gießen mir doch alle Anleitung dazu zu geben wußte. In Herrn Holzschuers Haus kam nicht selten Herr Tobias Martin der Küpermeister mit seiner Tochter, der holdseligen Rosa. Ohne daß ich es selbst ahnete, kam ich in Liebe. Ich verließ die Heimat und ging nach Augsburg, um die Bildergießerei recht zu erlernen, aber nun schlugen erst recht die hellen Liebesflammen in meinem Innern auf. Ich sah und hörte nur Rosa; alles Streben, alles Mühen, das mich nicht zu ihrem Besitz führte, ekelte mich an. Den einzigen Weg dazu schlug ich ein. Meister Martin gibt seine Tochter nur dem Küper, der in seinem Hause das tüchtigste Meisterstück macht und übrigens der Tochter wohl ansteht. Ich warf meine Kunst beiseite und erlernte das Küperhandwerk. Ich will hin nach Nürnberg und bei Meister Martin in Arbeit gehen. Aber nun die Heimat vor mir liegt und Rosas Bild recht in lebendigem Glühen mir vor Augen steht, nun möcht ich vergehen in Zagen, Angst und Not. Nun seh ich klar das Törichte meines Beginnens. Weiß ich's denn, ob Rosa mich liebt, ob sie mich jemals lieben wird?« – Reinhold hatte Friedrichs Geschichte mit steigender Aufmerksamkeit angehört. Jetzt stützte er den Kopf auf den Arm und indem er die flache Hand vor die Augen hielt, fragte er dumpf und düster: »Hat Rosa Euch denn niemals Zeichen der Liebe gegeben?« »Ach«, erwiderte Friedrich, »ach Rosa war, als ich Nürnberg verließ, mehr Kind als Jungfrau. Sie mochte mich zwar gern leiden, sie lächelte mich gar holdselig an, wenn ich in Herrn Holzschuers Garten unermüdlich mit ihr Blumen pflückte und Kränze wand, aber –« »Nun so ist ja noch gar keine Hoffnung verloren«, rief auf einmal Reinhold so heftig und mit solch widrig gellender Stimme, daß Friedrich sich fast entsetzte. Dabei raffte er sich auf, das Schwert klirrte an seiner Seite und als er nun hoch aufgerichtet dastand, fielen die tiefen Nachtschatten auf sein verblaßtes Antlitz und verzerrten die milden Züge des Jünglings auf recht häßliche Weise, so daß Friedrich ganz ängstlich rief: »Was ist dir denn nun auf einmal geschehen?« dabei trat er ein paar Schritte zurück, und stieß mit dem Fuß an Reinholds Reisebündel. Da rauschte aber ein Saitenklang auf und Reinhold rief zornig: »Du böser Geselle, zerbrich mir nicht meine Laute.« Das Instrument war an dem Reisebündel befestigt, Reinhold schnallte es los und griff stürmisch hinein, als wolle er alle Saiten zersprengen. Bald wurde aber das Spiel sanft und melodisch. »Laß uns«, sprach er ganz in dem milden Ton, wie zuvor, »laß uns, lieber Bruder, nun hinabgehen in das Dorf. Hier trage ich ein gutes Mittel in den Händen, die bösen Geister zu bannen, die uns etwa in den Weg treten und vorzüglich mir was anhaben könnten.« »Ei lieber Bruder«, erwiderte Friedrich, »was sollten uns denn auf unserm Wege böse Geister anhaben. Aber dein Spiel ist gar lieblich, fahr nur damit fort.« – Die goldnen Sterne waren hinaufgezogen an des Himmels dunklem Azur. Der Nachtwind strich im dumpfen Gesäusel über die duftenden Wiesen. Lauter murmelten die Bäche, ringsumher rauschten die düstern Bäume des fernen Waldes. Da zogen Friedrich und Reinhold hinab, spielend und singend, und hell und klar wie auf leuchtenden Schwingen wogten die süßen Töne ihrer sehnsüchtigen Lieder durch die Lüfte. Im Nachtlager angekommen, warf Reinhold Laute und Reisebündel schnell ab und drückte Friedrich stürmisch an seine Brust, der auf seinen Wangen die brennenden Tränen fühlte, die Reinhold vergossen.

 
Wie die beiden jungen Gesellen, Reinhold und Friedrich, in Meister Martins Hause aufgenommen wurden

Als am andern Morgen Friedrich erwachte, vermißte er den neuerworbnen Freund, der ihm zur Seite sich auf das Strohlager geworfen hatte, und da er auch Laute und Reisebündel nicht mehr sah, so glaubte er nicht anders, als daß Reinhold aus ihm unbekannten Ursachen ihn verlassen und einen andern Weg eingeschlagen habe. Kaum trat Friedrich aber zum Hause heraus, als ihm Reinhold, Reisebündel auf dem Rücken, Laute unterm Arm, ganz anders gekleidet als gestern, entgegentrat. Er hatte die Feder vom Barett genommen, das Schwert abgelegt und statt des zierlichen Wamses mit dem Samtbesatz ein schlichtes Bürgerwams von unscheinbarer Farbe angezogen. »Nun«, rief er fröhlich lachend dem verwunderten Freunde entgegen, »nun, Bruder, hältst du mich doch gewiß für deinen wahren Kumpan und wackern Kameraden. – Aber höre, für einen, der in Liebe ist, hast du tüchtig genug geschlafen. Sieh nur, wie hoch schon die Sonne steht. Laß uns nur gleich fortwandern.« – Friedrich war still und in sich gekehrt, er antwortete kaum auf Reinholds Fragen, achtete kaum auf seine Scherze. Ganz ausgelassen sprang Reinhold hin und her, jauchzte und schwenkte das Barett in den Lüften. Doch auch er wurde stiller und stiller, je näher sie der Stadt kamen. »Ich kann vor Angst, vor Beklommenheit, vor süßem Weh nicht weiter, laß uns hier unter diesen Bäumen ein wenig ruhen.« So sprach Friedrich, als sie schon beinahe das Tor von Nürnberg erreicht hatten, und warf sich ganz erschöpft nieder in das Gras. Reinhold setzte sich zu ihm und fing nach einer Weile an: »Ich muß dir, mein herziger Bruder, gestern abend recht verwunderlich vorgekommen sein. Aber als du mir von deiner Liebe erzähltest, als du so trostlos warst, da ging mir allerlei einfältiges Zeug durch den Kopf, welches mich verwirrte und am Ende hätte toll machen können, vertrieb nicht dein schöner Gesang und meine Laute die bösen Geister. Heute als mich der erste Strahl der Morgensonne weckte, war nun vollends, da schon von Abend der schlimme Spuk gewichen, alle Lebenslust in mein Gemüt zurückgekehrt. Ich lief hinaus, und im Gebüsch umherkreuzend, kamen mir allerlei herrliche Dinge in den Sinn. Wie ich dich so gefunden, wie mein ganzes Gemüt sich dir zugewandt! – Eine anmutige Geschichte, die sich vor einiger Zeit in Italien zutrug, eben als ich dort war, fiel mir ein, ich will sie dir erzählen, da sie recht lebendig zeigt, was wahre Freundschaft vermag. Es begab sich, daß ein edler Fürst, eifriger Freund und Beschützer der schönen Künste, einen sehr hohen Preis ausgesetzt hatte, für ein Gemälde, dessen herrlicher, aber gar schwer zu behandelnder Gegenstand genau bestimmt war. Zwei junge Maler, die durch das engste Freundschaftsband verbunden, zusammen zu arbeiten pflegten, beschlossen um den Preis zu ringen. Sie teilten sich ihre Entwürfe mit und sprachen viel darüber, wie die Schwierigkeit des Gegenstandes zu überwinden. Der Ältere, im Zeichnen, im Ordnen der Gruppen erfahrner, hatte bald das Bild erfaßt und entworfen und stand nun bei dem Jüngern, der schon im Entwurf ganz verzagt von dem Bilde abgelassen, hätte der Ältere ihn nicht unablässig ermuntert und guten Rat erteilt. Als sie nun zu malen begannen, wußte der Jüngere, ein Meister in der Kunst der Farbe, dagegen dem Ältern manchen Wink zu geben, den dieser mit tüchtigem Erfolg benutzte, so daß der Jüngere nie ein Bild besser gezeichnet, der Ältere nie ein Bild besser gefärbt hatte. Als die Gemälde vollendet waren, fielen sich beide Meister in die Arme, jeder war innig erfreut – entzückt über die Arbeit des andern, jeder dem andern den wacker verdienten Preis zuerkennend. Es begab sich aber, daß der Jüngere den Preis erhielt, da rief er ganz beschämt: ›O wie konnte ich denn den Preis erringen, was ist mein Verdienst gegen das meines Freundes, wie hätte ich denn nur ohne seinen Rat, ohne seinen wackern Beistand etwas Tüchtiges hervorbringen können?‹ Da sprach aber der Ältere: ›Und hast du mir denn nicht auch beigestanden mit tüchtigem Rat? mein Gemälde ist wohl auch nichts Schlechtes, aber du hast den Preis davongetragen, wie sich's gebührt. Nach gleichem Ziel zu streben, wacker und offen, das ist recht Freundes Sache, der Lorbeer, den der Sieger erhält, ehrt auch den Besiegten; ich liebe dich nun noch mehr, da du so tapfer gerungen, und mit deinem Siege mir auch Ruhm und Ehre gebracht hast.‹ – Nicht wahr Friedrich, der Maler hatte recht? – Wacker, ohne allen tückischen Hinterhalt um gleichen Preis ringen, sollte das wahre Freunde nicht noch mehr, recht aus der Tiefe des Herzens einigen, statt sie zu entzweien? sollte in edlen Gemütern wohl kleinlicher Neid oder gar hämischer Haß Raum finden können?« »Niemals«, erwiderte Friedrich, »gewiß niemals. Wir sind nun recht liebende Brüder geworden, in kurzer Zeit fertigen wir beide wohl das Nürnberger Meisterstück, ein tüchtiges zweifudriges Faß ohne Feuer getrieben, aber der Himmel mag mich davor bewahren, daß ich auch nur den kleinsten Neid spüren sollte, wenn das deinige, lieber Bruder Reinhold, besser gerät, als das meinige.« »Ha, ha, ha«, lachte Reinhold laut auf, »geh mir mit deinem Meisterstück, das wirst du schon fertigen, zur Lust aller tüchtigen Küper. Und daß du's nur weißt, was das Berechnen der Größe, der Proportion, das Abzirkeln der hübschen Rundung betrifft, da findest du an mir deinen Mann. Und auch in Ansehung des Holzes kannst du dich auf mich verlassen. Stabholz von im Winter gefällten Steineichen, ohne Wurmstich, ohne weiße oder rote Streifen, ohne Flammen, das suchen wir aus, du kannst meinem Auge trauen. Ich steh dir in allem bei mit Rat und Tat. Und darum soll mein Meisterstück nicht geringer ausfallen.« »Aber du Herr im Himmelsthrone«, unterbrach hier Friedrich den Freund, »was schwatzen wir denn davon, wer das beste Meisterstück machen soll? – Sind wir denn im Streit deshalb? – Das beste Meisterstück – um Rosa zu verdienen! – Wie kommen wir denn darauf! – mir schwindelt's im Kopfe« – »Ei Bruder«, rief Reinhold immer noch lachend, »an Rosa war ja gar nicht gedacht. Du bist ein Träumer. Komm nur, daß wir endlich die Stadt erreichen.« Friedrich raffte sich auf, und wanderte ganz verwirrten Sinnes weiter. Als sie im Wirtshause sich wuschen und abstaubten, sprach Reinhold zu Friedrich: »Eigentlich weiß ich für mein Teil gar nicht, bei welchem Meister ich in Arbeit gehen soll, es fehlt mir hier an aller Bekanntschaft und da dächt ich, du nähmst mich nur gleich mit zum Meister Martin, lieber Bruder! Vielleicht gelingt es mir bei ihm anzukommen.« »Du nimmst mir«, erwiderte Friedrich, »eine schwere Last vom Herzen, denn, wenn du bei mir bleibst, wird es mir leichter werden, meine Angst, meine Beklommenheit zu besiegen.« So schritten nun beide junge Gesellen rüstig fort nach dem Hause des berühmten Küpers, Meister Martin. – Es war gerade der Sonntag, an dem Meister Martin seinen Kerzenmeister-Schmaus gab, und hohe Mittagszeit. So kam es, daß, als Reinhold und Friedrich in Martins Haus hineintraten, ihnen Gläsergeklirr und das verwirrte Getöse einer lustigen Tischgesellschaft entgegenklang. »Ach«, sprach Friedrich ganz kleinmütig, »da sind wir wohl zur unrechten Stunde gekommen.« »Ich denke«, erwiderte Reinhold, »gerade zur rechten, denn beim frohen Mahl ist Meister Martin gewiß guter Dinge und aufgelegt, unsere Wünsche zu erfüllen.« Bald trat auch Meister Martin, dem sie hatten sich ankündigen lassen, in festlichen Kleidern angetan, mit nicht geringer Glut auf Nas und Wange heraus auf den Flur. Sowie er Friedrich gewahrte, rief er laut: »Sieh da Friedrich! guter Junge, bist du wieder heimgekommen? – Das ist brav! – Und hast dich auch zu dem hochherrlichen Küperhandwerk gewandt! – Zwar zieht Herr Holzschuer, wenn von dir die Rede ist, verdammte Gesichter und meint, an dir sei nun gar ein großer Künstler verdorben und du hättest wohl solche hübsche Bildlein und Geländer gießen können, wie sie in St. Sebald und an Fuggers Hause zu Augsburg zu sehen, aber das ist nur dummes Gewäsche, du hast recht getan dich zu dem Rechten zu wenden. Sei mir vieltausendmal willkommen.« Und damit faßte ihn Herr Martin bei den Schultern und drückte ihn an sich, wie er es zu tun pflegte, in herzlicher Freude. Friedrich lebte ganz auf bei Meister Martins freundlichem Empfang, alle Beklommenheit war von ihm gewichen, und er trug frei und unverzagt dem Meister nicht allein sein Anliegen vor, sondern empfahl auch Reinhold zur Aufnahme. »Nun«, sprach Meister Martin, »nun in der Tat, zu gelegnerer Zeit hättet ihr gar nicht kommen können, als eben jetzt, da sich die Arbeit häuft und es mir an Arbeitern gebricht. Seid mir beide herzlich willkommen. Legt nur eure Reisebündel ab und tretet hinein, die Mahlzeit ist zwar beinahe geendet, aber ihr könnt doch noch Platz nehmen an der Tafel und Rosa soll für euch noch sorgen.« Damit ging Herr Martin mit den beiden Gesellen hinein. Da saßen denn nun die ehrsamen Meister, obenan der würdige Handwerksherr Jacobus Paumgartner, mit glühenden Gesichtern. Der Nachtisch war eben aufgetragen und ein edlerer Wein perlte in den großen Trinkgläsern. Es war an dem, daß jeder Meister mit lauter Stimme von etwas anderm sprach und doch alle meinten sich zu verstehen, und daß bald dieser oder jener laut auflachte, er wußte nicht warum. Aber wie nun der Meister Martin, beide Jünglinge an der Hand, laut verkündete, daß soeben sich ganz erwünscht die beiden, mit guten Handwerkszeugnissen versehenen Gesellen bei ihm eingefunden hätten, wurde alles still und jeder betrachtete die schmucken Leute mit behaglichem Wohlgefallen. Reinhold schaute mit hellen Augen beinahe stolz umher, aber Friedrich schlug die Augen nieder und drehte das Barett in den Händen. Meister Martin wies den Jünglingen Plätze an dem untersten Ende der Tafel an, aber das waren wohl gerade die herrlichsten, die es nur gab, denn alsbald erschien Rosa, setzte sich zwischen beiden und bediente sie sorglich mit köstlichen Speisen und edlem Getränk. – Die holde Rosa, in hoher Anmut, in vollem Liebreiz prangend, zwischen den beiden bildschönen Jünglingen, mitten unter den alten bärtigen Meistern – das war gar lieblich anzuschauen, man mußte an ein leuchtendes Morgenwölklein denken, das einzeln am düstern Himmel heraufgezogen, oder es mochten auch wohl schöne Frühlingsblumen sein, die ihre glänzenden Häupter aus trübem, farblosen Grase erhoben. Friedrich vermochte vor lauter Wonne und Seligkeit kaum zu atmen, nur verstohlen blickte er dann und wann nach der, die sein ganzes Gemüt erfüllte: er starrte vor sich hin auf den Teller – wie wär es ihm möglich gewesen, nur einen Bissen herunterzubringen. Reinhold dagegen wandte die Augen, aus denen funkelnde Blitze strahlten, nicht ab von der lieblichen Jungfrau. Er fing an von seinen weiten Reisen zu erzählen auf solch wunderbare Art, wie es Rosa noch niemals gehört hatte. Es war ihr, als wenn alles, wovon Reinhold nur sprach, lebendig aufginge in tausend stets wechselnden Gestalten. Sie war ganz Aug, ganz Ohr, sie wußte nicht wie ihr geschah, wenn Reinhold in vollem Feuer der Rede ihre Hand ergriff und sie an seine Brust drückte. »Aber«, brach Reinhold plötzlich ab, »aber Friedrich, was sitzest du da stumm und starr. Ist dir die Rede vergangen? Komm! – laß uns anstoßen auf das Wohl der lieben holden Jungfrau, die uns so gastlich bewirtet.« Friedrich ergriff mit zitternder Hand das große Trinkglas, das Reinhold bis an den Rand gefüllt hatte und das er, (Reinhold ließ nicht nach) bis auf den letzten Tropfen leeren mußte. »Nun soll unser brave Meister leben«, rief Reinhold, schenkte wieder ein und abermals mußte Friedrich das Glas austrinken. Da fuhren die Feuergeister des Weins durch sein Inneres und regten das stockende Blut an, daß es siedend in allen Pulsen und Adern hüpfte. »Ach mir ist so unbeschreiblich wohl«, lispelte er, indem glühende Röte in sein Antlitz stieg, »ach so gut ist es mir auch ja noch nicht geworden.« Rosa, die seine Worte wohl ganz anders deuten mochte, lächelte ihn an mit unbeschreiblicher Milde. Da sprach Friedrich befreit von aller Bangigkeit: »Liebe Rosa, Ihr möget Euch meiner wohl gar nicht mehr erinnern?« »Ei, lieber Friedrich«, erwiderte Rosa mit niedergeschlagenen Augen, »ei wie wär's denn möglich, daß ich Euch vergessen haben sollte in so kurzer Zeit. Bei dem alten Herrn Holzschuer – damals war ich zwar noch ein Kind, aber Ihr verschmähtet es nicht, mit mir zu spielen und wußtet immer was Hübsches, was Artiges aufs Tapet zu bringen. Und das kleine allerliebste Körblein von feinem Silberdraht, das Ihr mir damals zu Weihnachten schenktet, das habe ich noch und verwahre es sorglich als ein teures Andenken.« Tränen glänzten in den Augen des wonnetrunknen Jünglings, er wollte sprechen, aber, nur wie ein tiefer Seufzer, entquollen der Brust die Worte: »O Rosa – liebe, liebe Rosa!« – »Immer«, fuhr Rosa fort, »immer hab ich recht herzlich gewünscht Euch wiederzusehen, aber daß Ihr zum Küperhandwerk übergehen würdet, das hab ich nimmermehr geglaubt. Ach wenn ich an die schönen Sachen denke, die Ihr damals bei dem Meister Holzschuer verfertigtet, es ist doch schade, daß Ihr nicht bei Eurer Kunst geblieben seid.« »Ach Rosa«, sprach Friedrich, »nur um Euretwillen wurde ich ja untreu meiner lieben Kunst.« – Kaum waren diese Worte heraus, als Friedrich hätte in die Erde sinken mögen vor Angst und Scham! – Das unbesonnenste Geständnis war auf seine Lippen gekommen. Rosa, wie alles ahnend, wandte das Gesicht von ihm weg, er rang vergebens nach Worten. Da schlug Herr Paumgartner mit dem Messer hart auf den Tisch und verkündete der Gesellschaft, daß Herr Vollrad, ein würdiger Meistersinger, ein Lied anstimmen werde. Herr Vollrad stand denn auch alsbald auf, räusperte sich und sang solch ein schönes Lied in der güldnen Tonweis Hanns Vogelgesangs, daß allen das Herz vor Freuden hüpfte und selbst Friedrich sich wieder erholte von seiner schlimmen Bedrängnis. Nachdem Herr Vollrad noch mehrere schöne Lieder in andern herrlichen Weisen, als da ist: der süße Ton, die Krummzinkenweis, die geblümte Paradiesweis, die frisch Pomeranzenweis u. a. gesungen, sprach er, daß, wenn jemand an der Tafel was von der holdseligen Kunst der Meistersinger verstehe, er nun auch ein Lied anstimmen möge. Da stand Reinhold auf und sprach, wenn es ihm erlaubt sei, sich auf italische Weise mit der Laute zu begleiten, so wolle er wohl auch ein Lied anstimmen und dabei die deutsche Weis ganz beibehalten. Er holte, als niemand etwas dagegen hatte, sein Instrument herbei und hub, nachdem er in gar lieblichen Klängen präludiert hatte, folgendes Lied an:

»Wo steht das Brünnelein
Was sprudelt würzigen Wein?
Im tiefen Grund.
Da kunt
Ihr fröhlich schaun
Sein lieblich golden Rinnen,
Das schöne Brünnelein,
Drin sprudelt goldner Wein,
Wer hat's gemacht,
Bedacht
Mit hoher Kunst,
Und wackrem Fleiß daneben?
Das lustge Brünnelein
Mit hoher Kunst gar fein,
Allein
Tät es der Küper machen.
Erglüht von edlem Wein,
Im Herzen Liebe rein,
Jung Küpers Art,
Gar zart
Ist das in allen Sachen.«

Das Lied gefiel allen über die Maßen wohl, aber keinem so sehr als dem Meister Martin, dem die Augen vor Freude und Entzücken glänzten. Ohne auf Vollrad zu achten, der beinahe zu viel von der stumpfen Schoßweis Hans Müllers sprach, die der Geselle gut genug getroffen – ohne auf ihn zu achten stand Meister Martin auf von seinem Sitze und schrie, indem er sein Paßglas in die Höhe hob: »Komm her – du wackrer Küper und Meistersinger – komm her, mit mir, mit deinem Meister Martin sollst du dies Glas leeren!« Reinhold mußte tun, wie ihm geboten. Als er zu seinem Platz zurückkehrte, raunte er dem tiefsinnigen Friedrich ins Ohr: »Nun mußt du singen – sing das Lied von gestern abend.« »Bist du rasend«, erwiderte Friedrich ganz erzürnt. Da sprach Reinhold mit lauter Stimme zur Gesellschaft: »Ihr ehrbaren Herren und Meister! hier mein lieber Bruder Friedrich ist noch viel schönerer Lieder mächtig und hat eine viel lieblichere Stimme als ich, aber die Kehle ist ihm verstaubt von der Reise, und da wird er ein andermal seine Lieder in den herrlichsten Weisen euch auftischen!« – Nun fielen alle mit Lobeserhebungen über Friedrich her, als ob er schon gesungen hätte. Manche Meister meinten sogar endlich, daß seine Stimme in der Tat doch lieblicher sei, als die des Gesellen Reinhold, so wie Herr Vollrad, nachdem er noch ein volles Glas geleert hatte, überzeugt war, daß Friedrich doch die deutschen schönen Weisen besser treffe, als Reinhold, der gar zu viel Italisches an sich habe. Aber Meister Martin warf den Kopf in den Nacken, schlug sich auf den runden Bauch, daß es klatschte, und rief: »Das sind nun meine Gesellen – meine sag ich, des Küpermeisters Tobias Martin zu Nürnberg, Gesellen!« – Und alle Meister nickten mit den Häuptern und sprachen, die letzten Tropfen aus den hohen Trinkgläsern nippend: »Ja, ja! – Eure, des Meister Martins brave wackre Gesellen!« – Man begab sich endlich zur Ruhe. Reinhold und Friedrich, jedem wies Meister Martin eine schmucke helle Kammer in seinem Hause an.


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