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Eine Novelle
Der berühmte Maler Salvator Rosa kommt nach Rom und wird von einer gefährlichen Krankheit befallen. Was ihm in dieser Krankheit begegnet.
Berühmten Leuten wird gemeiniglich viel Böses nachgesagt, gleichviel ob aus wahrhaftigem Grunde, oder nicht. – So erging es auch dem wackern Maler Salvator Rosa, dessen lebendige Bilder du, geliebter Leser, gewiß nie ohne gar besondere, herzinnigliche Lust angeschaut haben wirst.
Als Salvators Ruf, Neapel, Rom, Toskana, ja ganz Italien durchdrang, als die Maler, wollten sie gefallen, seinen absonderlichen Stil nachzuahmen streben mußten, gerade zu der Zeit trugen sich hämische Neider mit allerlei bösen Gerüchten, die in die herrliche Glorie seines Künstlerruhms häßliche Schattenflecke werfen sollten. Sie behaupteten, Salvator habe in einer früheren Zeit seines Lebens sich zu einer Räuberbande geschlagen, und diesem ruchlosen Verkehr all die wilden, trotzigen, abenteuerlich gekleideten Gestalten zu verdanken, die er auf seinen Gemälden angebracht, so wie er auch die düstern, grauenvollen Einöden, diese selve selvagge, um mit Dante zu reden, wo er sich verbergen müssen, getreulich in seiner Landschafterei nachgebildet. Am schlimmsten war es, daß man ihm auf den Kopf zusagte, er sei in die heillose, blutige Verschwörung verwickelt gewesen, die der berüchtigte Mas'Aniello in Neapel anzettelte. Man erzählte, wie das zugegangen, mit den kleinsten Umständen.
Aniello Falcone, der Bataillenmaler (so hieß es) einer der besten Lehrmeister Salvators, entbrannte in Wut und blutdürstige Rache, als die spanischen Soldaten in einem Handgemenge einen seiner Verwandten getötet hatten. Zur Stelle rottete er einen Haufen junger verwegener Leute, mehrenteils Maler, zusammen, gab ihnen Waffen und nannte sie die Kompanie des Todes. In der Tat verbreitete dieser Haufe alle Schauer, alles Entsetzen, das schon sein fürchterlicher Name verkündete. Truppweise durchstreiften den ganzen Tag die Jünglinge Neapel, und stießen ohne Gnade jeden Spanier nieder, den sie antrafen. Noch mehr! – Sie drangen ein in die geheiligten Freistätten, und mordeten auch da schonungslos den unglücklichen Gegner, der von der Todesangst getrieben, sich dorthin geflüchtet. Nachts begaben sie sich zu ihrem Haupt, dem blutgierigen, wahnsinnigen Mas'Aniello, den sie bei dem Schein angezündeter Fackeln abmalten, so daß in kurzer Zeit Hunderte dieser Abbildungen in Neapel und der Gegend umher ausgestreut wurden.
Bei diesem mörderischen Haufen soll nun Salvator Rosa gewesen sein und tages tüchtig gemetzelt, nachts aber ebenso tüchtig gemalt haben. Wahr ist es, was ein berühmter Kunstrichter, ich glaube Taillasson, von unserm Meister sagt. Seine Werke tragen den Charakter eines wilden Stolzes, einer bizarren Energie der Gedanken und ihrer Ausführung. Nicht in der lieblichen Anmut grüner Wiesen, blühender Felder, duftender Haine, murmelnder Quellen, nein, in den Schauern gigantisch aufgetürmter Felsen, oder Meeresstrände, wilder unwirtbarer Forsten tut sich ihm die Natur auf, und nicht das Flüstern des Abendwindes, das rauschende Säuseln der Blätter, nein, das Brausen des Orkans, der Donner der Katarakte ist die Stimme, die er vernimmt. Betrachtet man seine Einöden, und die Männer von fremdem, wilden Ansehn, die bald einzeln, bald truppweise umherschleichen, so kommen von selbst die unheimlichen Gedanken. Hier geschah ein gräßlicher Mord, dorten wurde der blutende Leichnam in den Abgrund geschleudert u. s. w.
Mag das alles nun sein, mag Taillasson sogar recht haben, wenn er behauptet, Salvators Platon, ja selbst sein heiliger Johannes, der in der Wüste die Geburt des Heilands verkündet, sähe ein klein wenig aus wie ein Straßenräuber; mag das alles nun sein, sage ich, unrecht bliebe es doch, von den Werken auf den Meister selbst zu schließen, und zu wähnen, er, der das Wilde, Entsetzliche in vollem Leben dargestellt, müsse auch selbst ein wilder entsetzlicher Mensch gewesen sein. Wer viel von dem Schwerte spricht, führt es oft am schlechtesten; wer tief in der Seele alle Schrecknisse blutiger Greuel fühlt, daß er sie, Palette, Pinsel oder Feder in der Hand, in das Leben zu rufen vermag, ist sie zu üben am wenigsten fähig! – Genug! – ich glaube von allen bösen Gerüchten, die den wackern Salvator einen ruchlosen Räuber und Mörder schelten, durchaus nicht ein Wörtlein, und wünsche, daß du, geliebter Leser, gleichen Sinnes mit mir sein mögest. Außerdem würde ich befürchten müssen, daß du vielleicht gegen alles, was ich von dem Meister dir zu erzählen, eben im Begriff stehe, einige Zweifel hegen könntest, da dir mein Salvator, wie ich gedenke, als ein Mann erscheinen soll, in Feuer und Leben glühend und sprühend, aber dabei mit dem treusten, herrlichsten Gemüt begabt, das oft selbst die bittre Ironie zu beherrschen weiß, die sich, wie bei allen Menschen tiefen Geistes, aus der klarsten Anschauung des Lebens gestaltet. Übrigens ist es ja wohl bekannt, daß Salvator ein ebenso guter Dichter und Tonkünstler, als Maler war. Sein innerer Genius tat sich kund in herrlicher Strahlenbrechung. – Noch einmal, ich glaube nicht daran, daß Salvator teilgehabt an Mas'Aniellos blutigen Greueln, ich denke vielmehr, daß die Schrecken der entsetzlichen Zeit ihn forttrieben von Neapel nach Rom, wo er, ein armer bedürftiger Flüchtling gerade zu der Zeit ankam, als Mas'Aniello gefallen.
Eben nicht sonderlich gekleidet, ein schmales Beutelchen mit ein paar blassen Zechinen in der Tasche, schlich er durch das Tor, als die Nacht schon eingebrochen. Er geriet, selbst wußte er nicht wie, auf den Platz Navona. Dort hatte er sonst zu guter Zeit in einem schönen Hause, dicht neben dem Palast Pamfili gewohnt. Unmutig schaute er hinauf nach den großen Spiegelfenstern, die im Glanz der Mondesstrahlen funkelten und blitzten: »Hm!« rief er mürrisch, »das wird bunte Leinwand kosten, ehe ich dort oben wieder meine Werkstatt aufschlage!« – Aber da fühlte er sich auf einmal wie an allen Gliedern gelähmt, und dabei kraft- und mutlos, wie noch niemals in seinem Leben. »Werd ich wohl«, murmelte er zwischen den Zähnen, indem er sich niederließ auf die steinernen Stufen vor der Türe des Hauses; »werde ich denn aber wohl bunte Leinwand genug fördern können, wie sie die Narren wollen? – Hm! – mich will's bedünken, es wär damit am Ende! –«
Ein kalter schneidender Nachtwind durchstrich die Straßen. Salvator fühlte die Notwendigkeit, ein Obdach zu suchen. Er stand mühsam auf, wankte fort, kam nach dem Korso, bog ein in die Straße Bergognona. Da stand er still vor einem kleinen, nur zwei Fenster breiten Hause, das eine arme Witwe mit ihren beiden Töchtern bewohnte. Die hatte ihn aufgenommen für geringes Geld, als er zum erstenmal nach Rom kam, von niemanden gekannt und geachtet, und bei dieser Witwe gedachte er wohl wieder ein Unterkommen zu finden, wie es nun gerade seiner schlimmen Lage angemessen.
Er klopfte getrost an die Tür, und rief mehrmals seinen Namen hinein. Endlich hörte er, wie die Alte sich mühsam aus dem Schlafe ermunterte. Sie pantoffelte hinan ans Fenster und schalt heftig, welcher Schelm sie mitten in der Nacht turbiere, ihr Haus sei keine Schenke u. s. w. Da kostete es viel Hin- und Herreden, bis sie ihren alten Hausgenossen an der Stimme wiedererkannte; und als nun Salvator klagte, wie er von Neapel fortgeflüchtet, und in Rom kein Obdach finden könne, da rief die Alte: »Ach um Christus und aller Heiligen willen! – Seid Ihr es Signor Salvator ? – Nun! Euer Stübchen oben nach dem Hofe heraus steht noch leer und der alte Feigenbaum hat nun ganz und gar seine Zweige und Blätter in die Fenster hineingehängt, so daß Ihr sitzen und arbeiten könnt wie in einer schönen kühlen Laube! – Ei, was werden sich meine Töchter freuen, daß Ihr wieder da seid Signor Salvator. – Aber wißt Ihr wohl, daß die Margerita recht groß und schön geworden ist? – Die werdet Ihr nicht mehr auf dem Knie schaukeln! – Euer Kätzchen, denkt Euch, ist vor drei Monaten an einer Fischgräte erstickt. Nun das Grab ist unser aller Erbteil. Aber wißt Ihr wohl, daß die dicke Nachbarin, über die Ihr so oft gelacht, die Ihr so oft gar possierlich abgezeichnet; wißt Ihr wohl, daß sie doch noch den jungen Menschen, den Signor Luigi, heiratet? Nun! nozze e magistrati sono da Dio destinati! – Ehen werden im Himmel geschlossen, sage ich.«
»Aber«, unterbrach Salvator die Alte, »aber Signora Caterina, ich bitte Euch um aller Heiligen willen, laßt mich doch nur erst hinein, und erzählt mir dann von Euerm Feigenbaum, von Euern Töchtern, vom Kätzchen und der dicken Nachbarin! – Ich vergehe vor Müdigkeit und Frost.«
»Nun seht mir die Ungeduld«, rief die Alte. »Chi va piano, va sano, chi va presto, more lesto – Eile mit Weile, sage ich! Doch Ihr seid müde, Ihr friert; also rasch die Schlüssel, rasch die Schlüssel!«
Aber nun mußte die Alte erst die Töchter wecken, dann langsam, langsam Feuer anschlagen! – Endlich öffnete sie dem armen Salvator die Tür; doch kaum war der in die Hausflur getreten, als er von Ermattung und Krankheit überwältigt, wie tot zu Boden niederstürzte. Zum Glück war der Sohn der Witwe, der sonst in Tivoli wohnte, gerade bei ihr eingekehrt. Der wurde nun auch aus dem Bette geholt, das er gar gern dem kranken Hausfreund einräumte.
Die Alte liebte den Salvator gar sehr, setzte ihn, was seine Kunst betraf, über alle Maler in der Welt und hatte überhaupt an allem, was er begann, die herzlichste Freude. Ganz außer sich war sie daher über seinen bejammernswerten Zustand, und wollte gleich fortrennen nach dem nahe gelegenen Kloster und ihren Beichtvater holen, daß er komme und mit geweihten Kerzen, oder irgendeinem tüchtigen Amulett die feindliche Macht bekämpfe. Der Sohn meinte dagegen, es sei beinahe besser, sich gleich nach einem tüchtigen Arzt umzusehen, und sprang auf der Stelle fort nach dem spanischen Platz, wo, wie er wußte, der berühmte Doktor Splendiano Accoramboni wohnte. Sowie der hörte, daß der Maler Salvator Rosa in der Straße Bergognona krank darniederläge, war er sogleich bereit, sich bald bei dem Patienten einzufinden.
Salvator lag besinnungslos im stärksten Fieber. Die Alte hatte ein paar Heiligenbilder über dem Bette aufgehängt und betete eifrig. Die Töchter, in Tränen schwimmend, mühten sich, dem Kranken dann und wann einige Tropfen von der kühlenden Limonade einzuflößen, die sie bereitet, während der Sohn, der am Kopfende Platz genommen, ihm den kalten Schweiß von der Stirne trocknete. So war der Morgen herangekommen, als die Tür mit vielem Geräusch aufging, und der berühmte Doktor Signor Splendiano Accoramboni eintrat.
Wäre nur Salvator nicht so auf den Tod krank, und darüber so gar großes Herzeleid gewesen, die beiden Dirnen, mein ich, hätten, mutwillig und lustig, wie sie sonst waren, laut aufgelacht über des Doktors verwunderliches Ansehn, statt daß sie sich jetzt ganz erschrocken, scheu in die Ecke zurückzogen. Es ist der Mühe wert zu sagen, wie das Männlein aussah, das in der Morgendämmerung bei der Frau Caterina in der Straße Bergognona erschien. Aller Anlagen zum vortrefflichsten Wachstum unerachtet, hatte es der Herr Doktor Splendiano Accoramboni doch nicht ganz bis zu der ansehnlichen Größe von vier Schuh bringen können. Dabei war er aber in seinen jungen Jahren von dem zierlichsten Gliederbau, und ehe der von Haus aus etwas unförmliche Kopf durch die dicken Backen und das stattliche Doppelkinn zu viel Anwuchs gewonnen, ehe die Nase durch überreichliche Spaniol-Atzung sich zu sehr in die Breite gemästet, ehe das Bäuchlein sich durch Makkaroni-Futter zu sehr in die Spitze hinausgetrieben, stand ihm die Abbaten-Kleidung, die er damals trug, allerliebst. Er war mit Recht ein niedliches Männlein zu nennen, und die römischen Damen hießen ihn deshalb auch in der Tat ihren caro puppazetto, ihren lieben Püppling.
Jetzt war das nun freilich vorüber, und ein deutscher Maler meinte, als er den Herrn Doktor Splendiano über den spanischen Platz wandeln sah, nicht ganz mit Unrecht, der Mann sähe aus, als sei ein baumstarker, sechs Fuß hoher Kerl unter seinem eignen Kopf davongelaufen, und der sei auf den Körper eines kleinen Marionetten-Pulcinells gefallen, der ihn nun wie seinen eignen herumtragen müsse. – Diese kleine absonderliche Figur hatte sich in eine unbillige Menge großgeblümten venezianischen Damastes, die zu einem Schlafrock verschnitten, gesteckt, dicht unter der Brust einen breiten ledernen Gurt umgeschnallt, an dem ein drei Ellen langer Stoßdegen hing, und auf der schneeweißen Perücke eine hohe spitze Mütze, die dem Obelisk auf dem Petersplatz nicht unähnlich, aufgerichtet. Da besagte Perücke, einem wirren, zerzausten Gewebe gleich, dick und breit über den ganzen Rücken herabbauschte, so konnte sie füglich für den Kokon gelten, aus dem der schöne Seidenwurm hervorgekrochen.
Der würdige Splendiano Accoramboni glotzte durch seine großen funkelnden Brillengläser erst den kranken Salvator, dann die Frau Caterina an, und rief diese beiseite. »Da liegt«, schnarrte er halbleise, »da liegt nun der tüchtige Maler Salvator Rosa todkrank bei Euch, Frau Caterina, und er ist verloren, wenn ihn nicht meine Kunst rettet! – Sagt mir doch, seit wann ist er bei Euch eingekehrt? – Hat er viel schöne große Bilder mitgebracht?«
»Ach, lieber Herr Doktor«, erwiderte Frau Caterina, »erst in dieser Nacht kehrte mein armer Sohn bei mir ein, und was die Bilder betrifft, so weiß ich noch nichts davon; aber unten steht eine große Kiste, die bat mich Salvator, ehe er so besinnungslos wurde, wie Ihr ihn jetzt seht, wohl und sorgfältig zu bewahren. Es ist wohl ein gar schönes Gemälde dareingepackt, das er in Neapel gemalt.«
Das war nun eine Lüge, die Frau Caterina vorbrachte; aber wir werden schon erfahren, welchen guten Grund sie dazu hatte, dem Herrn Doktor dergleichen aufzubinden.
»So so«, sprach der Doktor, strich sich schmunzelnd den Bart, näherte sich so gravitätisch, als es der lange Stoßdegen, mit dem er überall an Stühlen und Tischen hängenblieb, nur zulassen wollte, dem Kranken, faßte seine Hand, befühlte seinen Puls, indem er dabei ächzte und schnaufte, welches in der andächtigen Todesstille, in die alle versunken, wunderlich genug klang. Dann nannte er einhundertundzwanzig Krankheiten auf lateinisch und griechisch, die Salvator nicht habe, dann beinahe ebensoviel, von denen er hätte befallen werden können, und schloß damit, daß er die Krankheit Salvators zwar vor der Hand nicht zu nennen wisse, binnen einiger Zeit aber schon einen passenden Namen dafür, und mit diesem auch die gehörigen Mittel dagegen finden werde. – Dann ging er ebenso gravitätisch ab, wie er gekommen, und ließ alle in Angst und Besorgnis zurück.
Unten verlangte der Doktor Salvators Kiste zu sehen. Frau Caterina zeigte ihm wirklich eine, in der ein paar abgelegte Mäntel ihres seligen Eheherrn, nebst einigem zerrissenen Schuhwerk wohl eingepackt lagen. Der Doktor klopfte lächelnd auf der Kiste hin und her und sprach zufrieden: »Wir werden sehen, wir werden sehen!« – Nach einigen Stunden kehrte der Doktor zurück mit einem sehr schönen Namen für Salvators Krankheit und einigen großen Flaschen eines übelriechenden Tranks, den er dem Kranken unaufhörlich einzuflößen befahl. Das kostete Mühe, denn der Kranke gab seinen größten Widerwillen, ja seinen höchsten Abscheu gegen die Arzenei zu erkennen, die aus dem Acheron selbst geschöpft schien. Sei es aber, daß Salvators Krankheit nun, da sie einen Namen erhalten, und also wirklich was vorstellte, sich erst recht herrisch bewies, oder daß Splendianos Trank zu kräftig in den Eingeweiden tobte, genug, mit jedem Tage, ja mit jeder Stunde wurde der arme Salvator schwächer und schwächer, so, daß unerachtet der Doktor Splendiano Accoramboni versicherte, wie nach dem gänzlichen Stillstehen des Lebensprozesses er der Maschine, gleich dem Perpendikel einer Uhr, einen Stoß zu neuer Schwungkraft geben werde, alle an Salvators Aufkommen zweifelten, und meinten, der Herr Doktor möge vielleicht dem Perpendikel schon einen solchen unziemlichen Stoß gegeben haben, daß er gänzlich erlahmt sei.
Eines Tages begab es sich, daß Salvator, der kaum ein Glied zu rühren fähig schien, plötzlich in brennende Fieberglut geriet, erkräftigt aus dem Bette sprang, die vollen Arzneiflaschen ergriff, und sie wütend durch das Fenster schleuderte. Der Doktor Splendiano Accoramboni wollte gerade ins Haus treten, und so geschah es, daß ein paar Flaschen ihn treffend auf seinem Kopfe zerklirrten, und der braune Trank sich in reichen Strömen über Gesicht, Perücke und Halskrause ergoß. Der Doktor sprang schnell ins Haus und schrie wie besessen: »Signor Salvator ist toll geworden, in Raserei gefallen, keine Kunst kann ihn retten, er ist tot in zehn Minuten. Her mit dem Bilde Frau Caterina, her mit dem Bilde, das ist mein, der geringe Lohn meiner Mühe! – Her mit dem Bilde, sag ich!«
Als nun aber Frau Caterina die Kiste öffnete, und der Doktor Splendiano die alten Mäntel und das zerrissene Schuhwerk zu Gesichte bekam, rollten seine Augen wie ein Paar Feuerräder im Kopfe; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit den Füßen, übergab den armen Salvator, die Witwe, das ganze Haus, allen Teufeln der Hölle, und stürzte pfeilschnell, wie aus der Mündung einer Kanone geschossen, fort zum Hause hinaus.
Salvator fiel, da der wütende Paroxysmus des heftigsten Fiebers vorüber, aufs neue in einen todähnlichen Zustand. Frau Caterina glaubte nicht anders, als Salvators Ende sei nun wirklich herangekommen; rannte daher schnell nach dem Kloster und holte den Pater Bonifacio, daß er dem Sterbenden das Sakrament reiche. Als Pater Bonifaz den Kranken erblickte, meinte er, die gar besondern Züge, die der Tod auf des Menschen Antlitz zeichne, wenn er ihn erfassen wolle, kenne er gar gut; bei dem ohnmächtigen Salvator sei zur Zeit nichts davon zu spüren, und Hülfe noch möglich, die er ihm gleich verschaffen wolle, nur dürfe der Herr Doktor Splendiano Accoramboni mit seinen griechischen Namen und höllischen Flaschen nicht mehr über die Schwelle. Der gute Pater machte sich sogleich auf den Weg und wir werden erfahren, daß er, was die versprochene Hülfe betraf, Wort hielt. –
Salvator erwachte aus seiner Ohnmacht, und da dünkte es ihm, er läge in einer schönen duftigen Laube, denn über ihm rankten sich grüne Zweige und Blätter. Er fühlte, wie eine wohltätige Lebenswärme ihn durchströmte, nur war es ihm, als sei sein linker Arm gefesselt. – »Wo bin ich«, rief er mit matter Stimme; – da stürzte ein junger Mensch von hübschem Ansehn, der an seinem Bette gestanden, und den er jetzt erst gewahrte, nieder auf die Knie, ergriff seine rechte Hand, küßte sie, benetzte sie mit heißen Tränen, rief ein Mal über das andere: »O mein bester Herr! – mein hoher Meister! – nun ist alles gut – Ihr seid gerettet, Ihr werdet gesunden!«
»Aber sagt mir nur«, fing Salvator an – doch der junge Mensch bat ihn, sich ja in seiner großen Mattigkeit nicht durch Reden anzustrengen, er wolle erzählen, wie es sich mit ihm begeben. »Seht«, begann der junge Mensch, »seht mein lieber hoher Meister, Ihr wart wohl sehr krank, als Ihr von Neapel hier ankamt; aber so zum Tode gefährlich mochte doch wohl Euer Zustand nicht sein und geringe Mittel angewandt, hätte Euch Eure starke Natur in kurzer Zeit wieder auf die Beine geholfen, wäret Ihr nicht durch Karlos gutgemeintes Ungeschick, der gleich nach dem nächsten Arzte rannte, dem unseligen Pyramiden-Doktor in die Hände geraten, der alle Anstalten machte, Euch unter die Erde zu bringen.«
»Was«, rief Salvator und lachte, so matt wie er war, recht herzlich, »was sagt Ihr? – dem Pyramiden-Doktor? – Ja ja, trotz meiner Krankheit habe ich es wohl gesehen, der kleine damastne Kerl, der mich zu dem abscheulichen ekelhaften Höllengesöff verdammte, trug den Obelisk vom Petersplatz auf dem Kopfe, und darum heißt Ihr ihn den Pyramiden-Doktor!«
»O heiliger Gott«, sprach der junge Mensch, indem er ebenfalls laut auflachte, »da ist Euch der Doktor Splendiano Accoramboni in seiner spitzen verhängnisvollen Nachtmütze erschienen, in der er, wie ein unheilbringendes Meteor, jeden Morgen auf dem spanischen Platz zum Fenster hinausleuchtet. Aber dieser Mütze wegen heißt er keinesweges der Pyramiden-Doktor, vielmehr hat es damit eine ganz andere Bewandtnis. – Der Doktor Splendiano ist ein großer Liebhaber von Gemälden, und besitzt auch in der Tat eine ganz auserlesene Gemälde-Sammlung, die er sich durch eine besondere Praktik erworben. Er stellt nämlich den Malern und ihren Krankheiten mit Schlauigkeit und Eifer nach. Vorzüglich fremde Meister, haben sie nur einmal ein paar Makkaroni zu viel gegessen, oder ein Glas Syrakuser mehr als dienlich getrunken, weiß er in sein Garn zu locken, und hängt ihnen bald diese, bald jene Krankheit an, die er mit einem ungeheuern Namen tauft und darauflos kuriert. Für die Kur läßt er sich ein Gemälde versprechen, das er, da nur besonders hartnäckige Naturen seinen kräftigen Mitteln widerstehen, gewöhnlich aus dem Nachlaß des armen fremden Malers holt, den sie nach der Pyramide des Cestius getragen und eingescharrt. Daß Signor Splendiano dann immer das Beste wählt, was der Maler gefertigt, und dann noch manches andere Bild mitgehen heißt, versteht sich von selbst. Der Begräbnisplatz bei der Pyramide des Cestius ist das Saatfeld des Doktors Splendiano Accoramboni, das er fleißig bestellt, und deshalb wird er der Pyramiden-Doktor genannt. Zum Überfluß hatte Frau Caterina, freilich in guter Absicht, dem Doktor eingebildet, Ihr hättet ein schönes Gemälde mitgebracht, und nun könnt Ihr denken, mit welchem Eifer er für Euch seine Tränke kochte. – Euer Glück, daß Ihr im Fieberparoxysmus dem Doktor seine Flaschen auf den Kopf warft, ein Glück, daß er zornig Euch verließ, ein Glück, daß Frau Caterina den Pater Bonifacio holte, Euch, den sie in Todesnöten glaubte, mit dem Sakrament zu versehen. Pater Bonifacio versteht sich etwas auf die Heilkunde, er beurteilte Euern Zustand ganz richtig, er holte mich.«
»Also seid Ihr auch ein Doktor?« fragte Salvator mit matter weinerlicher Stimme.
»Nein«, erwiderte der Jüngling, indem ihm hohe Röte ins Gesicht stieg, »nein mein lieber, hoher Meister, ich bin keinesweges ein Doktor wie Signor Splendiano Accoramboni, aber wohl ein Wundarzt. Ich dachte, ich müsse in die Erde versinken vor Schreck – vor Freude, als Pater Bonifacio mir sagte, Salvator Rosa liege todkrank in der Straße Bergognona und bedürfe meiner Hülfe. Ich eilte her, ich schlug Euch eine Ader am linken Arm; Ihr wart gerettet! – Wir brachten Euch hieher in das kühle luftige Zimmer, das Ihr sonst bewohntet. Schaut um Euch, dort steht noch die Staffelei, die Ihr zurückließet; dort liegen noch ein paar Handzeichnungen, die Frau Caterina aufbewahrt hat, wie ein Heiligtum. – Eure Krankheit ist gebrochen; einfache Mittel, die Euch Pater Bonifacio bereitet, und gute Pflege werden Euch bald ganz erkräftigen. – Und nun erlaubt, daß ich noch einmal diese Hand küsse, diese schöpferische Hand, die die verborgensten Geheimnisse der Natur ins rege Leben zaubert! – Erlaubt, daß der arme Antonio Scacciati sein ganzes Herz ausströmen lasse in Entzücken und feurigen Dank, daß der Himmel es ihm verstattete, dem hohen, herrlichen Meister Salvator Rosa das Leben zu retten.« – Und damit stürzte der Jüngling aufs neue nieder auf die Knie, ergriff Salvators Hand, küßte sie, und benetzte sie mit heißen Tränen, wie zuvor.
»Ich weiß nicht«, sprach Salvator, indem er sich mühsam etwas in die Höhe richtete, »ich weiß nicht, lieber Antonio, welcher besondere Geist Euch treibt, daß Ihr mir so gar große Verehrung beweiset. Ihr seid, wie Ihr sagt, ein Wundarzt, und dies Gewerbe pflegt sich doch sonst mit der Kunst schwer zu paaren?«
»Wenn Ihr«, erwiderte der Jüngling mit niedergeschlagenen Augen, »wenn Ihr, mein lieber Meister, wieder mehr bei Kräften seid, so werde ich Euch manches sagen, was mir jetzt schwer auf dem Herzen liegt.«
»Tut das«, sprach Salvator, »faßt volles Vertrauen zu mir. Ihr könnt das; denn ich wüßte nicht, welches Menschen Anblick mir mehr ins treue Gemüt gedrungen, als der Eurige. – Je mehr ich Euch anschaue, desto klarer geht es mir auf, daß Euer Antlitz Spuren trägt einer Ähnlichkeit mit dem göttlichen Jüngling – ich meine den Sanzio!« – Antonios Augen leuchteten hoch auf in blitzendem Feuer – er schien vergebens nach Worten zu ringen.
In dem Augenblick trat Frau Caterina mit dem Pater Bonifacio herein, der dem Salvator ein Getränk brachte, das er kunstverständig zubereitet, und das dem Kranken besser mundete und bekam, als das acherontische Wasser des Pyramiden-Doktors Splendiano Accoramboni.