E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Der Kampf der Sänger

Zur Zeit wenn Frühling und Winter am Scheiden stehn, in der Nacht des Äquinoktiums, saß einer im einsamen Gemach und hatte Johann Christoph Wagenseils Buch von der Meistersinger holdseliger Kunst vor sich aufgeschlagen. Der Sturm räumte draußen tosend und brausend die Felder ab, schlug die dicken Regentropfen gegen die klirrenden Fenster und pfiff und heulte des Winters tolles Ade durch die Rauchfänge des Hauses, während die Strahlen des Vollmondes an den Wänden spielten und gaukelten, wie bleiche Gespenster. Das achtete aber jener nicht, sondern schlug das Buch zu und schaute tiefsinnend, ganz befangen von dem Zauberbilde längst vergangener Zeit, das sich ihm dargestellt, in die Flammen, die im Kamin knisterten und sprühten. Da war es, als hinge ein unsichtbares Wesen einen Schleier nach dem andern über sein Haupt, so daß alles um ihn her in immer dichterem und dichterem Nebel verschwamm. Das wilde Brausen des Sturms, das Knistern des Feuers wurde zu lindem harmonischen Säuseln und Flüstern, und eine innere Stimme sprach, das ist der Traum, dessen Flügel so lieblich auf und nieder rauschen, wenn er wie ein frommes Kind sich an die Brust des Menschen legt und mit einem süßen Kuß das innere Auge weckt, daß es vermag die anmutigsten Bilder eines höheren Lebens voll Glanz und Herrlichkeit zu erschauen. – Ein blendendes Licht zuckte empor wie Blitzstrahl, der Verschleierte schlug die Augen auf, aber kein Schleier, keine Nebelwolke verhüllten mehr seinen Blick. Er lag auf blumigen Matten in der dämmernden Nacht eines schönen dichten Waldes. Die Quellen murmelten, die Büsche rauschten wie in heimlichem Liebesgeplauder und dazwischen klagte eine Nachtigall ihr süßes Weh. Der Morgenwind erhob sich und bahnte, das Gewölk vor sich her aufrollend, dem hellen lieblichen Sonnenschein den Weg, der bald auf allen grünen Blättern flimmerte und die schlafenden Vögelein weckte, die in fröhlichem Trillerieren von Zweig zu Zweig flatterten und hüpften. Da erschallte von ferne her lustiges Hörnergetön, das Wild rüttelte sich raschelnd auf aus dem Schlafe, Rehe, Hirsche guckten aus dem Gebüsch den, der auf den Matten lag, neugierig an mit klugen Augen und sprangen scheu zurück in das Dickicht. Die Hörner schwiegen, aber nun erhoben sich Harfenklänge und Stimmen so herrlich zusammentönend wie Musik des Himmels. Immer näher und näher kam der liebliche Gesang, Jäger die Jagdspieße in den Händen, die blanken Jagdhörner um die Schulter gehängt, ritten hervor aus der Tiefe des Waldes. Ihnen folgte auf einem schönen goldgelben Roß ein stattlicher Herr im Fürstenmantel nach alter deutscher Art gekleidet, ihm zur Seite ritt auf einem Zelter eine Dame von blendender Schönheit und köstlich geschmückt. Aber nun kamen auf sechs schönen Rossen von verschiedner Farbe sechs Männer, deren Trachten, deren bedeutungsvolle Gesichter auf eine längst verflossene Zeit hinwiesen. Die hatten den Pferden die Zügel über den Hals gelegt und spielten auf Lauten und Harfen und sangen mit wunderbar helltönenden Stimmen, während ihre Rosse gebändigt, gelenkt durch den Zauber der süßen Musik, den Waldweg entlang auf anmutige Weise in kurzen Sprüngen nachtanzten dem fürstlichen Paar. Und wenn mitunter der Gesang einige Sekunden innehielt, stießen die Jäger in die Hörner, und der Rosse Gewieher ertönte wie ein fröhliches Jauchzen in übermütiger Lust. Reichgekleidete Pagen und Diener beschlossen den festlichen Zug, der im tiefen Dickicht des Waldes verschwand.

Der über den seltsamen, wundervollen Anblick in tiefes Staunen Versunkene raffte sich auf von den Matten und rief begeistert: »O Herr des Himmels: ist denn die alte prächtige Zeit erstanden aus ihrem Grabe? – wer waren denn die herrlichen Menschen!« Da sprach ein tiefe Stimme hinter ihm: »Ei, lieber Herr, solltet Ihr nicht die erkennen, die Ihr fest in Sinn und Gedanken traget?« Er schaute um sich und gewahrte einen ernsten stattlichen Mann mit einer großen schwarzen Lockenperücke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art gekleidet, wie man sich ums Jahr eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph Wagenseil, der also weitersprach: »Ihr hättet ja wohl gleich wissen können, daß der stattliche Herr im Fürstenmantel niemand anders war, als der wackere Landgraf Hermann von Thüringen. Neben ihm ritt der Stern des Hofes, die edle Gräfin Mathilde, blutjunge Witwe des in hohen Jahren verstorbenen Grafen Cuno von Falkenstein. Die sechs Männer, welche nachritten singend und die Lauten und Harfen rührend, sind die sechs hohen Meister des Gesanges, welche der edle Landgraf, der holdseligen Singerkunst mit Leib und Seele zugetan, an seinem Hofe versammelt hat. Jetzt geht das lustige Jagen auf, aber dann versammeln sich die Meister auf einem schönen Wiesenplan in der Mitte des Waldes und beginnen ein Wettsingen. Da wollen wir jetzt hinschreiten, damit wir schon dort sind, wenn die Jagd beendigt ist.« – Sie schritten fort, während der Wald, die fernen Klüfte von den Hörnern, dem Hundegebell, dem Hussah der Jäger widerhallten. Es geschah so wie der Professor Wagenseil es gewollt; kaum waren sie auf dem in goldnem Grün leuchtenden Wiesenplan angekommen, als der Landgraf, die Gräfin, die sechs Meister aus der Ferne sich langsam nahten: »Ich will«, begann Wagenseil, »ich will Euch nun, lieber Herr! jeden der Meister besonders zeigen und mit Namen nennen. Seht Ihr wohl jenen Mann, der so fröhlich um sich schaut, der sein hellbraunes Pferd, den Zügel angezogen, so lustig hertänzeln läßt? – seht wie der Landgraf ihm zunickt – er schlägt eine helle Lache auf. Das ist der muntre Walther von der Vogelweid. Der mit den breiten Schultern, mit dem starken krausen Bart, mit den ritterlichen Waffen, auf dem Tiger im gewichtigen Schritt daherreitend, das ist Reinhard von Zwekhstein. – Ei ei – der dort auf seinem kleinen Schecken, der reitet ja statt hieher waldeinwärts! Er blickt tiefsinnig vor sich her, er lächelt, als stiegen schöne Gebilde vor ihm auf aus der Erde. Das ist der stattliche Professor Heinrich Schreiber. Der ist wohl ganz abwesenden Geistes und gedenkt nicht des Wiesenplans, nicht des Wettsingens, denn seht nur, lieber Herr, wie er in den engen Waldweg hineinschiebt, daß ihm die Zweige um den Kopf schlagen. -- Da sprengt Johannes Bitterolff an ihn heran. Ihr seht doch den stattlichen Herrn auf dem Falben mit dem kurzen rötlichen Bart? Er ruft den Professor an. Der erwacht aus dem Traume. Sie kehren beide zurück. – Was ist das für ein tolles Gebraus dorten in dem dichten Gebüsch? – Ei fahren denn Windsbräute so niedrig durch den Wald? Hei! – Das ist ja ein wilder Reiter, der sein Pferd so spornt, daß es schäumend in die Lüfte steigt. Seht nur den schönen bleichen Jüngling, wie seine Augen flammen, wie alle Muskeln des Gesichts zucken vor Schmerz, als quäle ihn ein unsichtbares Wesen, das hinter ihm aufgestiegen. – Es ist Heinrich von Ofterdingen. Was mag denn über den gekommen sein? Erst ritt er ja so ruhig daher, mit gar herrlichen Tönen einstimmend in den Gesang der anderen Meister! – O seht doch, seht den prächtigen Reiter auf dem schneeweißen arabischen Pferde. Seht wie er sich hinabschwingt, wie er, die Zügel um den Arm geschlungen, mit gar ritterlicher Courtoisie der Gräfin Mathilde die Hand reicht und sie hinabschweben läßt von dem Zelter. Wie anmutig steht er da, die holde Frau anstrahlend mit seinen hellen blauen Augen. Es ist Wolfframb von Eschinbach! – Aber nun nehmen sie alle Platz, nun beginnt wohl das Wettsingen!« –

Jeder Meister, einer nach dem andern, sang nun ein herrliches Lied. Leicht war es zu erkennen, daß jeder sich mühte, den zu übertreffen, der vor ihm gesungen. Schien das aber nun auch keinem recht gelingen zu wollen, konnte man gar nicht entscheiden, wer von den Meistern am herrlichsten gesungen: so neigte die Dame Mathilde sich doch zu Wolfframb von Eschinbach hin mit dem Kranz, den sie für den Sieger in den Händen trug. Da sprang Heinrich von Ofterdingen auf von seinem Sitze; wildes Feuer sprühte aus seinen dunklen Augen; so wie er rasch vorschritt bis in die Mitte des Wiesenplans, riß ihm ein Windstoß das Barett vom Kopfe, das freie Haar spießte sich empor auf der totenbleichen Stirn. »Haltet ein«, schrie er auf, »haltet ein! Noch ist der Preis nicht gewonnen; mein Lied, mein Lied muß erst gesungen sein und dann mag der Landgraf entscheiden, wem der Kranz gebührt.« Darauf kam, man wußte nicht auf welche Weise, eine Laute von wunderlichem Bau, beinahe anzusehen wie ein erstarrtes unheimliches Tier, in seine Hand. Die fing er an zu rühren so gewaltig, daß der ferne Wald davon erdröhnte. Dann sang er drein mit starker Stimme. Das Lied lobte und pries den fremden König, der mächtiger sei als alle andere Fürsten und dem alle Meister demütiglich huldigen müßten, wollten sie nicht in Schande und Schmach geraten. Einige seltsam gellende Laute klangen recht verhöhnend dazwischen. Zornig blickte der Landgraf den wilden Sänger an. Da erhoben sich die anderen Meister und sangen zusammen. Ofterdingens Lied wollte darüber verklingen, stärker und stärker griff er aber in die Saiten, bis sie wie mit einem laut aufheulenden Angstgeschrei zersprangen. Statt der Laute, die Ofterdingen im Arm getragen, stand nun plötzlich eine finstre entsetzliche Gestalt vor ihm und hielt ihn, der zu Boden sinken wollte, umfaßt und hob ihn hoch empor in die Lüfte. Der Gesang der Meister versauste im Widerhall, schwarze Nebel legten sich über Wald und Wiesenplan, und hüllten alles ein in finstre Nacht. Da stieg ein in milchweißem Licht herrlich funkelnder Stern empor aus der Tiefe und wandelte daher auf der Himmelsbahn, und ihm nach zogen die Meister auf glänzenden Wolken singend und ihr Saitenspiel rührend. Ein flimmerndes Leuchten zitterte durch die Flur, die Stimmen des Waldes erwachten aus dumpfer Betäubung und erhoben sich und tönten lieblich hinein in die Gesänge der Meister. –

Du gewahrst es, vielgeliebter Leser! daß der, welchem dieses alles träumte, eben derjenige ist, der im Begriff steht, dich unter die Meister zu führen, mit denen er durch den Professor Johann Christoph Wagenseil bekannt wurde. –

Es begibt sich wohl, daß, sehen wir fremde Gestalten in der dämmernden Ferne daherschreiten, uns das Herz bebt vor Neugier, wer die wohl sein, was sie wohl treiben mögen. Und immer näher und näher kommen sie. Wir erkennen Farbe der Kleidung, Gesicht, wir hören ihr Gespräch, wiewohl die Worte verhallen in den weiten Lüften. Aber nun tauchen sie unter in die blauen Nebel eines tiefen Tals. Dann können wir es kaum erwarten, daß sie nur wieder aufsteigen, daß sie bei uns sich einfinden, damit wir sie erfassen, mit ihnen reden können. Denn gar zu gern möchten wir doch wissen, wie die ganz in der Nähe geformt und gestaltet sind, welche in der Ferne sich so verwunderlich ausnahmen. –

Möchte der erzählte Traum in dir, geliebter Leser, ähnliche Empfindungen erregen. Möchtest du es dem Erzähler freundlich vergönnen, daß er dich nun gleich an den Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen nach der schönen Wartburg bringe.

 
Die Meistersänger auf der Wartburg

Es mochte wohl ums Jahr eintausendzweihundertundacht sein, als der edle Landgraf von Thüringen, eifriger Freund, rüstiger Beschützer der holdseligen Sängerkunst, sechs hohe Meister des Gesanges an seinem Hofe versammelt hatte. Es befanden sich allda Wolfframb von Eschinbach, Walther von der Vogelweid, Reinhard von Zwekhstein, Heinrich Schreiber, Johannes Bitterolff, alle ritterlichen Ordens, und Heinrich von Ofterdingen, Bürger zu Eisenach. Wie Priester einer Kirche lebten die Meister in frommer Liebe und Eintracht beisammen, und all ihr Streben ging nur dahin, den Gesang, die schönste Gabe des Himmels, womit der Herr den Menschen gesegnet, recht in hohen Ehren zu halten. Jeder hatte nun freilich seine eigne Weise, aber wie jeder Ton eines Akkords anders klingt und doch alle Töne im lieblichsten Wohllaut zusammenklingen, so geschah es auch, daß die verschiedensten Weisen der Meister harmonisch miteinander tönten und Strahlen schienen eines Liebessterns. Daher kam es, daß keiner seine eigne Weise für die beste hielt, vielmehr jede andre hoch ehrte, und wohl meinte, daß seine Weise ja gar nicht so lieblich klingen könne ohne die andern, wie denn der Ton dann erst sich recht freudig erhebt und aufschwingt, wenn der ihm verwandte erwacht und ihn liebend begrüßt.

Waren Walthers von der Vogelweid, des Landherrn, Lieder gar vornehm und zierlich, und dabei voll kecker Lust, so sang Reinhard von Zwekhstein dagegen derb und ritterlich mit gewichtigen Worten. Bewies sich Heinrich Schreiber gelehrt und tiefsinnig, so war Johannes Bitterolff voller Glanz und reich an kunstvollen Gleichnissen und Wendungen. Heinrich von Ofterdingens Lieder gingen durch die innerste Seele, er wußte, selbst ganz aufgelöst in schmerzlichem Sehnen, in jedes Brust die tiefste Wehmut zu entzünden. Aber oft schnitten grelle häßliche Töne dazwischen, die mochten wohl aus dem wunden zerrissenen Gemüt kommen, in dem sich böser Hohn angesiedelt, bohrend und zehrend wie ein giftiges Insekt. Niemand wußte, wie Heinrich von solchem Unwesen befallen. Wolfframb von Eschinbach war in der Schweiz geboren. Seine Lieder voller süßer Anmut und Klarheit glichen dem reinen blauen Himmel seiner Heimat, seine Weisen klangen wie liebliches Glocken- und Schalmeiengetön. Aber dazwischen brausten auch wilde Wasserfälle, dröhnten Donner durch die Bergklüfte. Wunderbar wallte, wenn er sang, jeder mit ihm wie auf den glänzenden Wogen eines schönen Stroms, bald sanft dahergleitend, bald kämpfend mit den sturmbewegten Wellen, bald die Gefahr überwunden, fröhlich hinsteuernd nach dem sichern Port. Seiner Jugend unerachtet mochte Wolfframb von Eschinbach wohl für den erfahrensten von allen andern Meistern gelten, die am Hofe versammelt. Von Kindesbeinen an war er der Sängerkunst ganz und gar ergeben, und zog, sowie er zum Jüngling gereift, ihr nach durch viele Lande, bis er den großen Meister traf, Friedebrand geheißen. Dieser unterwies ihn getreulich in der Kunst und teilte ihm viele Meistergedichte in Schriften mit, die Licht in sein inneres Gemüt hineinströmten, daß er das, was ihm sonst verworren und gestaltlos geschienen, nun deutlich zu erkennen vermochte. Vorzüglich aber zu Siegebrunnen in Schottland brachte ihm Meister Friedebrand etliche Bücher, aus denen er die Geschichten nahm, die er in deutsche Lieder faßte, sonderlich von Gamurret und dessen Sohn Parcivall, von Markgraf Wilhelm von Narben und dem starken Rennewart, welches Gedicht hernach ein anderer Meistersänger, Ulrich von Türkheimb, auf vornehmer Leute Bitten, die Eschinbachs Lieder wohl nicht recht verstehen mochten, in gemeine deutsche Reime brachte und zum dicken Buche ausdehnte. So mußt es wohl kommen, daß Wolfframb wegen seiner herrlichen Kunst weit und breit berühmt wurde und vieler Fürsten und großer Herren Gunst erhielt. Er besuchte viele Höfe und bekam allenthalben stattliche Verehrungen seiner Meisterschaft, bis ihn endlich der hocherleuchtete Landgraf Hermann von Thüringen, der sein großes Lob an allen Enden verkünden hörte, an seinen Hof berief. Nicht allein Wolfframbs große Kunst, sondern auch seine Milde und Demut gewannen ihm in kurzer Zeit des Landgrafs volle Gunst und Liebe, und wohl mocht es sein, daß Heinrich von Ofterdingen, der sonst in dem hellsten Sonnenlicht der fürstlichen Gnade gestanden, ein wenig in den Schatten zurücktreten mußte. Demunerachtet hing keiner von den Meistern dem Wolfframb so mit rechter inniger Liebe an, als eben Heinrich von Ofterdingen. Wolfframb erwiderte dies aus dem tiefsten Grunde seines Gemüts, und so standen beide da, recht in Liebe verschlungen, während die andern Meister sie umgaben wie ein schöner lichter Kranz.

 
Heinrich von Ofterdingens Geheimnis

Ofterdingens unruhiges zerrissenes Wesen nahm mit jedem Tage mehr überhand. Düstrer und unsteter wurde sein Blick, blässer und blässer sein Antlitz. Statt daß die andern Meister, hatten sie die erhabensten Materien der Heiligen Schrift besungen, ihre freudigen Stimmen erhoben zum Lobe der Damen und ihres wackern Herrn, klagten Ofterdingens Lieder nur die unermeßliche Qual des irdischen Seins und glichen oft dem jammernden Wehlaut des auf den Tod Wunden, der vergebens hofft auf Erlösung im Tode. Alle glaubten, er sei in trostloser Liebe; aber eitel blieb alles Mühen, ihm das Geheimnis zu entlocken. Der Landgraf selbst, dem Jünglinge mit Herz und Seele zugetan, unternahm es, ihn in einer einsamen Stunde um die Ursache seines tiefen Leids zu befragen. Er gab ihm sein fürstliches Wort, daß er alle seine Macht aufbieten wolle, irgendein bedrohliches Übel zu entfernen oder durch die Beförderung irgendeines jetzt ihm hoffnungslos scheinenden Wunsches sein schmerzliches Leiden zu wandeln in fröhliches Hoffen, allein so wenig wie die andern vermochte er den Jüngling, ihm das Innerste seiner Brust aufzutun. »Ach mein hoher Herr«, rief Ofterdingen, indem ihm die heißen Tränen aus den Augen stürzten, »ach mein hoher Herr, weiß ich's denn selbst, welches höllische Ungeheuer mich mit glühenden Krallen gepackt hat und mich emporhält zwischen Himmel und Erde, so daß ich dieser nicht mehr angehöre und vergebens dürste nach den Freuden über mir? Die heidnischen Dichter erzählen von den Schatten Verstorbener, die nicht dem Elysium angehören, nicht dem Orkus. An den Ufern des Acheron schwanken sie umher und die finstern Lüfte, in denen nie ein Hoffnungsstern leuchtet, tönen wider von ihren Angstseufzern, von den entsetzlichen Wehlauten ihrer namenlosen Qual. Ihr Jammern, ihr Flehen ist umsonst, unerbittlich stößt sie der alte Fährmann zurück, wenn sie hinein wollen in den verhängnisvollen Kahn. Der Zustand dieser fürchterlichen Verdammnis ist der meinige.«

Bald nachher als Heinrich von Ofterdingen auf diese Weise mit dem Landgrafen gesprochen, verließ er, von wirklicher Krankheit befallen, die Wartburg, und begab sich nach Eisenach. Die Meister klagten, daß solch schöne Blume aus ihrem Kranze so vor der Zeit wie angehaucht von giftigen Dünsten dahinwelken müsse. Wolfframb von Eschinbach gab indessen keinesweges alle Hoffnung auf, sondern meinte sogar, daß eben jetzt, da Ofterdingens Gemütskrankheit sich gewendet in körperliches Leiden, Genesung nahe sein könne. Begäbe es sich denn nicht oft, daß die ahnende Seele im Vorgefühl körperlichen Schmerzes erkranke, und so sei es denn auch wohl mit Ofterdingen geschehen, den er nun getreulich trösten und pflegen wolle.

Wolfframb ging auch alsbald nach Eisenach. Als er eintrat zu Ofterdingen, lag dieser ausgestreckt auf dem Ruhebette, zum Tode matt, mit halbgeschlossenen Augen. Die Laute hing an der Wand ganz verstaubt, mit zum Teil zerrissenen Saiten. Sowie er den Freund gewahrte, richtete er sich ein wenig empor und streckte schmerzlich lächelnd ihm die Hand entgegen. Als nun Wolfframb sich zu ihm gesetzt, die herzigen Grüße von dem Landgraf und den Meistern gebracht und sonst noch viel freundliche Worte gesprochen, fing Heinrich mit matter kranker Stimme also an: »Es ist mir viel Absonderliches begegnet. Wohl mag ich mich bei euch wie ein Wahnsinniger gebärdet haben, wohl mochtet ihr alle glauben, daß irgendein in meiner Brust verschlossenes Geheimnis mich so verderblich hin und her zerre. Ach! mir selbst war ja mein trostloser Zustand ein Geheimnis. Ein wütender Schmerz zerriß meine Brust, aber unerforschlich blieb mir seine Ursache. All mein Treiben schien mir elend und nichtswürdig, die Lieder, die ich sonst gar hoch gehalten, klangen mir falsch, schwach – des schlechtesten Schülers unwert. Und doch brannte ich, von eitlem Wahn betört, dich – alle übrigen Meister zu übertreffen. Ein unbekanntes Glück, des Himmels höchste Wonne stand hoch über mir, wie ein golden funkelnder Stern – zu dem mußt ich mich hinaufschwingen, oder trostlos untergehen. Ich schaute hinauf, ich streckte die Arme sehnsuchtsvoll empor, und dann wehte es mich schaurig an mit eiskalten Flügeln und sprach: ›Was will all dein Sehnen, all dein Hoffen? Ist dein Auge nicht verblindet, deine Kraft nicht gebrochen, daß du nicht vermagst den Strahl deiner Hoffnung zu ertragen, dein Himmelsglück zu erfassen?‹ – Nun – nun ist mein Geheimnis mir selbst erschlossen. Es gibt mir den Tod, aber im Tode die Seligkeit des höchsten Himmels. – Krank und siech lag ich hier im Bette. Es mochte zur Nachtzeit sein, da ließ der Wahnsinn des Fiebers, der mich tosend und brausend hin und her geworfen, von mir ab. Ich fühlte mich ruhig, eine sanfte wohltuende Wärme glitt durch mein Inneres. Es war mir, als schwämme ich im weiten Himmelsraum daher auf dunklen Wolken. Da fuhr ein funkelnder Blitz durch die Finsternis und ich schrie laut auf : ›Mathilde!‹ – Ich war erwacht, der Traum verrauscht. Das Herz bebte mir vor seltsamer süßer Angst, vor unbeschreiblicher Wonne. Ich wußte, daß ich laut gerufen: ›Mathilde!‹ Ich erschrak darüber, denn ich glaubte, daß Flur und Wald, daß alle Berge, alle Klüfte den süßen Namen widertönen, daß tausend Stimmen es ihr selbst sagen würden, wie unaussprechlich bis zum Tode ich sie liebe; daß sie – sie der funkelnde Stern sei, der in mein Innerstes strahlend allen zehrenden Schmerz trostloser Sehnsucht geweckt, ja daß nun die Liebesflammen hoch empor gelodert, und daß meine Seele dürste – schmachte nach ihrer Schönheit und Holdseligkeit! – Du hast nun, Wolfframb, mein Geheimnis und magst es tief in deiner Brust begraben. Du gewahrst, daß ich ruhig bin und heiter, und traust mir wohl, wenn ich dich versichere, daß ich lieber untergehen als in törichtem Treiben mich euch allen verächtlich machen werde. Dir – dir, der Mathilden liebt, dem sie mit gleicher Liebe hingeneigt, mußt ich ja eben alles sagen, alles vertrauen. Sowie ich genesen, ziehe ich, die Todeswunde in der blutenden Brust, fort in fremde Lande. Hörst du dann, daß ich geendet, so magst du Mathilden es sagen, daß ich –«

Der Jüngling vermochte nicht weiterzusprechen, er sank wieder in die Kissen und kehrte das Gesicht hin nach der Wand. Sein starkes Schluchzen verriet den Kampf in seinem Innern. Wolfframb von Eschinbach war nicht wenig bestürzt über das, was ihm Heinrich eben entdeckt hatte. Den Blick zur Erde gesenkt saß er da und sann und sann, wie nun der Freund zu retten von dem Wahnsinn törichter Leidenschaft, die ihn ins Verderben stürzen mußte.

Er versuchte allerlei tröstende Worte zu sprechen, ja sogar den kranken Jüngling zu vermögen, daß er nach der Wartburg zurückkehre und, Hoffnung in der Brust, keck hineintrete in den hellen Sonnenglanz, den die edle Dame Mathilde um sich verbreite. Er meinte sogar, daß er selbst sich Mathildens Gunst auf keine andere Weise erfreue als durch seine Lieder, und daß ja ebensogut Ofterdingen sich in schönen Liedern aufschwingen und so um Mathildens Gunst werben könne. Der arme Heinrich schaute ihn aber an mit trübem Blick und sprach: – »Niemals werdet ihr mich wohl auf der Wartburg wiedersehen. Soll ich mich denn in die Flammen stürzen? – Sterb ich denn nicht fern von ihr den schöneren süßeren Tod der Sehnsucht?« – Wolfframb schied und Ofterdingen blieb in Eisenach.


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