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»Es hat«, sprach Lothar, als die Serapions-Brüder aufs neue versammelt waren, »es hat gar keinen Zweifel, daß unserm Cyprian, gerade wie an dem Tage des heiligen Serapion, der uns zum neuen Bunde zusammenführte, auch heute was Besonderes in Sinn und Gedanken liegt. Er sieht blaß aus und verstört, er vernimmt nur mit halbem Ohr unser Gespräch, er scheint, während er doch nun gewiß mit lebendigem gesunden Leibe hier unter uns sitzt, geistig sich ganz woanders zu befinden.«
»So mag er«, nahm Ottmar das Wort, »denn nun gleich mit dem Wahnsinnigen heranrücken, dessen Namenstag er vielleicht heute feiert.«
»Und«, setzte Theodor hinzu, »in exzentrischen Funken sein Innres entladen, wie er nur Lust hat. Dann, ich weiß es, wird er wieder fein menschlich gesinnt und kehrt zurück in unsern Kreis, in dem er es sich doch nun einmal gefallen lassen muß.«
»Ihr tut mir Unrecht«, sprach Cyprian, »statt daß mich irgendein wahnsinniges Prinzip verstören sollte, trage ich eine Nachricht mit mir, die euch alle erfreuen wird. – Wißt, daß unser Freund Sylvester heute von seinem ländlichen Aufenthalt rückkehrend, hier eingetroffen ist.«
Die Freunde jauchzten laut auf, denn allen war der stille gemütliche Sylvester, dessen innere Poesie in schönen milden Strahlen gar herrlich herausfunkelte, recht von Herzen lieb und wert.
»Kein würdigerer Serapions-Bruder ist zu finden«, sprach Theodor, »als unser Sylvester. Er ist still und in sich gekehrt, es kostet Mühe ihn zum hellen Gespräch zu entzünden, das ist wahr, aber nie ist wohl ein Dichter empfänglicher gewesen für ein Werk des andern, als eben er. Ohne daß er selbst viel Worte machen sollte, liest man auf seinem Gesicht in deutlichen sprechenden Zügen den Eindruck, den die Worte des Freundes auf ihn gemacht und indem seine innige Gemütlichkeit ausströmt in seinen Blicken, in seinem ganzen Wesen, fühle ich mich selbst in seiner Nähe gemütlicher, froher, freier!«
»In der Tat«, begann Ottmar, »ist Sylvester deshalb ein seltener Mensch zu nennen. Es scheint, als wenn unsere neuesten Dichter recht geflissentlich über jene Anspruchslosigkeit hinwegstürmten, die doch eben das Eigentümlichste der wahren Dichternatur sein möchte, und selbst die besser Gesinnten sollen sich hüten, nicht, indem sie nur ihr Recht behaupten wollen, das Schwert zu zücken, welches jene gar nicht aus der Hand legen. Sylvester geht umher waffenlos wie ein unschuldiges Kind. – Oft haben wir ihm vorgeworfen, er sei zu lässig, er schaffe vermöge seiner reichen Natur viel zu wenig. Aber muß denn immer und immer geschrieben werden? Setzt sich Sylvester hin, und faßt das innere Gebilde in Worten, so treibt ihn gewiß ein unwiderstehlicher Drang dazu an. Er schreibt gewiß nichts auf, das er nicht wahrhaft im Innern empfunden, geschaut, und schon deshalb muß er unter uns sein als wahrer Serapions-Bruder.«
»Ich hasse«, sprach Lothar, »die mystische und angenehme Zahl Sieben ausgenommen, alle ungerade Zahlen, und meine, daß fünf Serapions-Brüder unmöglich gedeihen können, sechs dagegen sehr anmutig um diesen runden Tisch sitzen werden. Sylvester ist heute angekommen, und nächstens wirft der unruhige unstete Vinzenz hier wirklich Anker. Wir kennen ihn alle, wir wissen, daß er, die innere Gutmütigkeit abgerechnet, die er mit Sylvester teilt, sonst den schneidendsten Kontrast gegen diesen bildet. Ist Sylvester still und in sich gekehrt, so sprudelt Vinzenz über in witziger schalkischer Keckheit. Er hat das unversiegbare Talent, alles, das Gewöhnlichste und Außerordentlichste, in den bizarresten Bildern darzustellen, und kommt noch hinzu, daß er alles mit hellem beinahe schneidendem Ton und einem höchst drolligen Pathos vorträgt, so gleicht sein Gespräch oft einer Galerie der buntesten Bilder einer magischen Laterne, die in stetem rastlosen Wechsel den Sinn fortreißen, ohne irgendeine ruhige Anschauung zuzulassen.«
»Du hast«, nahm Theodor das Wort, »unsern Vinzenz sehr treffend geschildert. Zu vergessen ist aber nicht die Sonderbarkeit, daß er bei seinen herrlichen lichtvollen Kenntnissen, bei seinem steten in Brillantfeuer auflodernden Humor an allem Mystischen mit ganzer Seele hängt und es auch reichlich in seine Wissenschaft hineinträgt. Euch ist doch bekannt, daß er sich nun der Arzneikunde ganz hingegeben?«
»Allerdings«, erwiderte Ottmar, »und dabei ist er der eifrigste Verfechter des Magnetismus, den es gibt, und gar nicht leugnen mag ich, daß das Scharfsinnigste und Tiefste, was über diese dunkle Materie zu sagen, ich aus seinem Munde vernahm.«
»Ho ho!« rief Lothar lachend, »bist du, lieber Ottmar, denn bei allen Magnetiseurs seit Mesmers Zeit in die Schule gegangen, daß du so entscheidend das Scharfsinnigste und Tiefste zu erkennen vermagst, was darüber gesagt werden kann? – Doch gewiß ist es, daß eben unser Vinzenz, kommt es einmal darauf an, Träume und Ahnungen in ein System hineinzubannen, vermöge seines hellen Blicks besser in die Tiefe zu schauen vermag als tausend andre. Und dabei behandelt er die Sache mit einer jovialen Heiterkeit, die mir gar wohl gefällt. – Mich plagte vor einiger Zeit, als Vinzenz auf seinen Streifereien sich gerade mit mir an einem Orte befand, ein unerträglicher nervöser Kopfschmerz. Alle Mittel blieben fruchtlos. Vinzenz trat hinein, ich klagte ihm mein Leid. ›Was‹, rief er mit seiner hellen Stimme, ›was? – du leidest an Kopfschmerz? Nichts mehr als das? – Leichte Sache! Die Kopfschmerzen banne ich dir weg in zehn Minuten, wohin du willst, in die Stuhllehne, ins Tintenfaß, in den Spucknapf – durchs Fenster hinaus.‹ – Und damit begann er seine magnetischen Striche! – Es half zwar ganz und gar nichts, ich mußte aber herzlich lachen, und Vinzenz rief vergnügt: ›Siehst du wohl, Freund, wie ich deines Kopfschmerzes Herr worden im Augenblick?‹ – Ich mußte leider klagen, daß der Kopfschmerz ebenso arg sei als vorher, Vinzenz versicherte aber, der jetzige Schmerz sei nur ein trügerisches Echo das mich täusche. Das böse Echo dauerte aber noch mehrere Tage. Ich bekenne euch bei dieser Gelegenheit, meine würdigen Serapions-Brüder, daß ich an die Heilkraft des sogenannten Magnetismus ganz und gar nicht glaube. Die scharfsinnigen Untersuchungen darüber kommen mir vor, wie die Abhandlungen der englischen Akademiker, denen der König aufgegeben zu erforschen, woher es rühre, daß ein Eimer mit Wasser, in den man einen zehnpfündigen Fisch getan, nicht mehr wiege, als der andere bloß mit Wasser gefüllte. Mehrere hatten das Problem glücklich gelöst und schon wollten sie mit ihrer Weisheit vor den König treten, als einer klugerweise anriet die Sache selbst erst zu versuchen. Da behauptete denn der Fisch sein Recht, er fiel ins Gewicht wie er sollte, und siehe, das Ding selbst, worüber die Weisen mittelst scharfsinnigen Nachdenkens die herrlichsten Resultate herausgebracht, existierte gar nicht.«
»Ei ei«, sprach Ottmar, »ungläubiger, unpoetischer Schismatiker! wie kam es, da du gar nicht an den Magnetismus glaubst, wie kam es denn, daß du vor einiger Zeit – doch das muß ich euch, Cyprian und Theodor, ganz umständlich erzählen, damit alle Schmach des schnöden Unglaubens, den Lothar eben geäußert, zurückfalle auf sein eignes Haupt. – Ihr werdet vernommen haben, daß unser Lothar vor einiger Zeit an einer Kränklichkeit litt die hauptsächlich ihren Sitz in den Nerven hatte, ihn unbeschreiblich angriff, und ihm seinen ganzen Humor verdarb, und ihm alle Lebenslust wegzehrte. – Ganz Teilnahme, ganz Mitleid trete ich eines Tages in sein Zimmer. Da sitzt Lothar im Lehnstuhl Nachtmütze über die Ohren gezogen, blaß, übernächtig, Augen zugedrückt und vor ihm, den Gott eben nicht mit besonderer Größe gesegnet, sitzt ein Mann von gleicher kleiner Statur und haucht ihn an und fährt ihm mit den Fingerspitzen über den gekrümmten Rücken und legt ihm die Hand auf die Herzgrube und trägt mit leiser lispelnder Stimme: ›Wie ist Ihnen nun, bester Lothar!‹ Und Lothar öffnet die Äugelein und lächelt gar weinerlich und seufzt: ›Besser – viel besser, liebster Doktor!‹ – Kurz, Lothar, der an die Heilkraft des Magnetismus nicht glaubt, der alles für leeres Hirngespinst erklärt – Lothar, der alle Magnetiseurs verhöhnt, der in ihrem Treiben nur leidige Mystifikationen erblickt – Lothar ließ sich magnetisieren.«
Cyprian und Theodor lachten herzlich über das etwas groteske Bild das ihnen Ottmar vor Augen gebracht. »O schweige«, sprach Lothar, »o schweige doch von solchen Dingen, Ottmar! – der Mensch ist vermöge seines eigentümlichsten Organismus leider so schwach, das physische Prinzip wirkt so schädlich ein auf das psychische, daß jeder abnorme Zustand, jede Krankheit in ihm eine Angst erzeugt, die, ein momentaner Wahnsinn, ihn zu den abenteuerlichsten Unternehmungen antreibt. Sehr gescheute Männer nahmen, als die Heilmittel der Ärzte nicht nach ihrem Sinn anschlagen wollten, zu alten Weibern ihre Zuflucht und brauchten mit aller Religion sympathetische Mittel und was weiß ich sonst noch! – Daß ich mich damals, in heftigen Nervenzufällen zum Magnetismus hinneigte, beweiset meine Schwäche, sonst nichts weiter.«
»Erlaube«, nahm Cyprian das Wort, »erlaube lieber Lothar, daß ich die Zweifel, die du heute gegen den Magnetismus zu hegen beliebst, nur für das Erzeugnis einer augenblicklichen Stimmung halte. Was ist der Magnetismus, als Heilmittel gedacht, anders als die potenziierte Kraft des psychischen Prinzips, die nun vermag das physische ganz zu beherrschen, es ganz zu erkennen, jeden, auch den leisesten abnormen Zustand darin wahrzunehmen und eben durch die volle Erkenntnis dieses Zustandes ihn zu lösen. Unmöglich kannst du die Macht unseres psychischen Prinzips wegleugnen, unmöglich dein Ohr verschließen wollen den wunderbaren Anklängen die in uns hinein-, aus uns heraustönen, der geheimnisvollen Sphärenmusik, die das große unwandelbare Lebensprinzip der Natur selbst ist.«
»Du sprichst«, erwiderte Lothar, »nach deiner gewöhnlichen Weise, du gefällst dich in mystischer Schwärmerei. Ich gebe dir zu, daß die Lehre vom Magnetismus, die ganz in das Gebiet des Geisterhaften hineinstreift, den unendlichsten Reiz hat für jeden poetisch Gesinnten. Ich selbst kann gar nicht leugnen, daß mich die dunkle Materie bis in die tiefste Seele hinein angeregt hat und noch anregt, doch höre mein eigentliches Glaubensbekenntnis in kurzen Worten. – Wer mag frevelich und vermessen eindringen wollen in das tiefste Geheimnis der Natur, wer mag erkennen ja nur deutlich ahnen wollen das Wesen jenes geheimnisvollen Bandes, das Geist und Körper verknüpft und auf diese Weise unser Sein bedingt. Auf diese Erkenntnis ist aber doch der Magnetismus ganz eigentlich basiert und solange dieselbe unmöglich, gleicht die aus einzelnen Wahrnehmungen, die oft nur Illusionen sind, hergeleitete Lehre davon, dem unsichern Herumtappen des Blindgebornen. Es ist gewiß, daß es erhöhte Zustände gibt, in denen der Geist den Körper beherrschend, seine Tätigkeit hemmend, mächtig wirkt und in dieser Wirkung die seltsamsten Phänomene erzeugt. Ahnungen, dunkle Vorgefühle gestalten sich deutlich und wir erschauen das mit aller Kraft unseres vollen Fassungsvermögens, was tief in unserer Seele regungslos schlummerte; der Traum, gewiß die wunderbarste Erscheinung im menschlichen Organism, dessen höchste Potenz meines Bedünkens eben der sogenannte Somnambulismus sein dürfte, gehört ganz hieher. Aber gewiß ist es auch, daß solch ein Zustand irgendeine Abnormität in dem Verhältnis des psychischen und physischen Prinzips voraussetzt. Die lebhaftesten stärksten Träume kommen, wenn irgendein krankhaftes Gefühl den Körper angreift. Der Geist nutzt die Ohnmacht seines Mitherrschers und macht ihn, den Thron allein einnehmend, zum dienenden Vasallen. So soll ja auch der Magnetismus nur durch irgendeinen krankhaften Zustand des Körpers indiziert werden. Mag es ferner sein, daß die Natur oft einen psychischen Dualismus verstattet und daß der geistige Verkehr in doppelter Wechselwirkung die merkwürdigsten Erscheinungen hervorbringt, aber nur die Natur, meine ich, soll eben jenen Dualismus verstatten, und jeder Versuch, ihn ohne jenes Gebot der Königin nach Willkür hervorzurufen, dünkt mir, wo nicht frevelich, doch gewiß ein gefährliches Wagestück. Ich gehe weiter. Ich will, ich kann nicht leugnen, die Erfahrung ist mir entgegen, daß das willkürliche Hervorrufen jenes potenziierten Seelenzustandes, ist er durch irgendeine Abnormität im Organism indiziert, möglich ist, daß ferner das fremde psychische Prinzip auf höchst mysteriöse Weise in irgendein Fluidum, oder wie man es sonst nennen mag – in das vom Magnetiseur ausgehende Agens überhaupt verkörpert und ausströmend (bei der magnetischen Manipulation) die geistige Potenz des Magnetisierten erfassen und jenen Zustand erzeugen kann, der von der Regel alles menschlichen Seins und Lebens abweicht und selbst in seiner hochgerühmten Verzückung alles Entsetzen des fremdartigen Geisterreichs in sich trägt. Ich kann, sage ich, das alles nicht leugnen, aber immer und ewig wird mir dies Verfahren als eine blindlings geübte heillose Gewalt erscheinen, deren Wirkung, allen Theorien zum Trotz nicht zu berechnen bleibt. Irgendwo heißt es, der Magnetismus sei ein schneidendes gefährliches Instrument in der Hand eines Kindes, ich bin mit diesem Ausspruch einverstanden. – Soll der Mensch sich unterfangen, auf das geistige Prinzip des andern nach Willkür wirken zu wollen, so scheint mir die Lehre der Barbarinischen Schule der Spiritualisten, die ohne alle Manipulation nur Willen und Glauben in Anspruch nahm, bei weitem die reinste und unschuldigste. Das Fixieren des festen Willens ist eine bescheidene Frage an die Natur, ob sie den geistigen Dualismus verstatten wolle oder nicht, und sie allein entscheidet. Ebenso möchte das eigne Magnetisieren am Baquet ohne alle Einmischung des Magnetiseurs wenigstens insofern minder gefährlich genannt werden, als dann keine vielleicht feindlich wirkende Kraft eines fremden geistigen Prinzips denkbar. – Aber! – leichtsinnig, ja wohl in arger Selbsttäuschung befangen und nur unwillkürlich in Ostentation geratend, handhaben jetzt so viele jene dunkelste aller dunklen Wissenschaften, darf man überhaupt den Magnetismus eine Wissenschaft nennen. Ein fremder Arzt äußerte, wie Bartels in seiner Physiologie und Physik des Magnetismus erzählt, seine Verwunderung, daß die deutschen Ärzte die magnetisierten Individuen so willkürlich behandelten und so dreist an ihnen experimentierten, als wenn sie einen physikalischen Apparat vor sich hätten. Leider ist dem so, und deshalb will ich – mag ich – wenigstens an die Heilkraft des Magnetismus lieber gar nicht glauben, als dem Gedanken Raum geben, daß das unheimliche Spiel mit einer fremden Gewalt vielleicht einmal selbst mein eignes Leben rettungslos verstören könnte.«
»Aus allem«, nahm Theodor das Wort, »aus allem was du nicht ohne Tiefe und Wahrheit über den Magnetismus gesprochen folgt nun eben nichts anderes als daß du uns vorhin das Geschichtlein von dem zehnpfündigen Fisch wider deine Überzeugung aufgetischt hast, daß du an die Kräfte des Magnetismus wirklich glaubst, daß du aber wenigstens dir aus purem Grauen fest vorgenommen, keinem Magnetiseur in der Welt irgendeine Manipulation auf den Ganglien deines Rückens oder sonst zu gestatten. Übrigens stimme ich, was die Furcht vor fremden psychischen Prinzipien betrifft, mit dir überein, und es sei mir erlaubt deinem Glaubensbekenntnis als Note und erklärendes Beispiel die Erzählung hinzuzufügen, auf welche Weise ich in den Magnetismus hineingeriet. – Ein Universitätsfreund, der Arzeneikunde beflissen, war der erste, der mich mit der geheimnisvollen Lehre von dem Magnetismus bekannt machte. Wie ihr mich in meinem ganzen Wesen kennt, möget ihr euch wohl vorstellen, daß ich von allem, was ich darüber vernahm, in dem tiefsten Gemüt ergriffen wurde. Ich las alles, was ich darüber nur erhaschen konnte, zuletzt auch Kluges bekannten Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus als Heilmittel. Dies Buch machte zuerst einige Zweifel in mir rege, da es ohne sonderliche wissenschaftliche Erörterung des Gegenstandes sich nur mehrenteils auf Beispiele bezieht und dabei ohne Kritik das Bewährte mit dem völlig Märchenhaften ja mit dem, was sich rein als Märchen dargetan hat, durcheinanderwirft. Mein Freund widerlegte alle Einreden, die ich ihm entgegenstellte und bewies mir zuletzt, daß das bloß theoretische Studium in mir gar nicht den Glauben erwecken könne, der unerläßlich sei, sondern daß sich dieser erst finden werde wenn ich selbst magnetischen Operationen beigewohnt. Dazu fehlte es damals auf der Universität aber an aller Gelegenheit; hätte sich auch ein hoffnungsvoller Magnetiseur finden lassen, so gab es doch durchaus keine Personen, die einige Inklinationen zum Somnambulismus, zur Clairvoyance zeigten.
Ich kam nach der Residenz. Dort stand der Magnetismus eben im höchsten Flor. Alle Welt sprach von nichts anderm, als von den wunderbaren magnetischen Krisen einer vornehmen gebildeten geistreichen Dame, die nach einigen nicht eben bedeutenden Nervenzufällen, beinahe von selbst erst somnambul und dann die merkwürdigste Clairvoyante geworden, die es nach dem Ausspruch aller des Magnetismus eifrigst Beflissenen, jemals gegeben und künftig geben könne. Es gelang mir, die Bekanntschaft des Arztes zu machen, der sie behandelte, und dieser, in mir einen wißbegierigen Schüler erkennend, versprach mich hinzuführen zu der Dame, wenn sie eben in der Krisis befangen. Es geschah so. ›Kommen Sie‹, sprach der Arzt eines Tages, um sechs Uhr nachmittags, zu mir, ›kommen Sie, soeben fiel, ich weiß es, meine Kranke in den magnetischen Schlaf.‹ – In der gespanntesten Erwartung trat ich hinein in das elegante, ja üppig verzierte Gemach. Die Fenster waren mit rosaseidnen Gardinen dicht verzogen, so daß die durchfallenden Strahlen der Abendsonne alles in rötlichem Schimmer magisch beleuchteten. Die Somnambule lag in ein sehr reizendes Negligé gekleidet ausgestreckt auf dem Sofa mit dicht geschlossenen Augen, leise atmend wie im tiefsten Schlaf.
Um sie her im weiten Kreise waren einige Andächtige versammelt, ein paar Fräulein, die die Augen verdrehten, tief seufzten, die gar zu gern selbst auf der Stelle somnambul geworden wären, zur Erbauung des jungen Offiziers und eines andern jungen wohlgebildeten Mannes, die beide auf diesen wichtigen Moment sehnsuchtsvoll zu hoffen schienen, ein paar ältliche Damen die mit vorgebogenem Haupt, die Hände gefaltet, jeden Atemzug der somnambulen Freundin belauschten.
Man erwartete den eigentlichen höchsten Zustand des Hellsehens. Der Magnetiseur, der sich nicht erst mit seiner Somnambule in Rapport setzen durfte, da dieser Rapport, wie er versicherte, beständig fortdauere, nahte sich ihr und begann mit ihr zu sprechen. Sie nannte ihm die Augenblicke, in denen er heute vorzüglich lebhaft an sie gedacht und erwähnte manches andern Umstandes, der sich heute mit ihm begeben. Endlich bat sie ihn, den Ring, den er in einem roten Maroquin-Futteral bei sich in der Tasche trage und den er sonst nie bei sich gehabt, abzulegen, da das Gold vorzüglich aber der Diamant feindlich auf sie wirke. Mit allen Zeichen des tiefsten Erstaunens trat der Magnetiseur zurück, und zog das beschriebene Futteral mit dem Ringe hervor, den er erst heute nachmittag von dem Juwelier erhalten, dessen Existenz der Somnambule also nur lediglich durch den magnetischen Rapport kund worden. Dies Wunder mit dem Ringe wirkte auf die beiden Fräuleins so stark, daß mit einem tiefen Seufzer jede nach einem Lehnstuhl flüchtete, und mittelst einiger wohlgeführten Striche des Magnetiseurs in magnetischen Schlaf verfiel. Das verhängnisvolle Futteral abgelegt, machte nun der Magnetiseur vorzüglich mir zu Gefallen mit seiner Somnambule einige Kunststücke. Sie nieste wenn er Tabak nahm, sie las einen Brief den er ihr auf die Herzgrube legte u. s. f. Endlich versuchte er mich durch seine Einwirkung in Rapport zu setzen mit der Somnambule. Es gelang vortrefflich. Sie beschrieb mich von Kopf bis zu Fuß und versicherte, daß sie es vorher gewußt, wie der Magnetiseur den Freund, dessen deutliche Ahnung sie schon lange in sich getragen, heute mitbringen werde. Sie schien mit meiner Gegenwart sehr zufrieden zu sein. Plötzlich hörte sie auf zu sprechen, und richtete sich in die Höhe mit halbem Leibe, ich glaubte ein Zittern der Augenlider, ein leises Zucken des Mundes wahrzunehmen. Der Magnetiseur berichtete den wißbegierigen Anwesenden, daß die somnambule Dame in den fünften Grad, in den Zustand der von der äußern Sinnenwelt unabhängigen Selbstanschauung übergehe. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer abgelenkt von den entschlafenen Fräuleins, eben in dem Augenblick, als sie begannen interessant zu werden. Die eine hatte schon wirklich versichert, daß die Frisur des jungen Offiziers, mit dem sie sich in Rapport gesetzt, sehr angenehm leuchte, die andere aber behauptet, daß die Generalin, die den untern Stock des Hauses bewohnte, eben schönen Karawanentee trinke, dessen Aroma sie durch die Stubendecke verspüre, prophezeite auch hellsehend, daß sie in einer Viertelstunde aus dem magnetischen Schlaf erwachen und ebenfalls Tee trinken ja sogar etwas Torte dazu genießen werde. – Die somnambule Dame fing abermals an zu reden, aber mit ganz verändertem seltsam und wie ich gestehen muß, über die Maßen wohlklingendem Organ. Sie sprach indessen in solch mystischen Worten und sonderbaren Redensarten, daß ich gar keinen Sinn herausfinden konnte, der Magnetiseur versicherte indessen, sie sage die herrlichsten, tiefsten, lehrreichsten Dinge über ihren Magen. Das mußte ich nun freilich glauben. Von dem Magen abgekommen, wie wiederum der Magnetiseur erklärte, nahm sie noch einen höhern Schwung. Zuweilen war es mir, als kämen ganze Sätze vor, die ich irgendwo gelesen. Etwa in Novalis' Fragmenten oder in Schellings Weltseele. Dann sank sie erstarrt zurück in die Kissen. Der Magnetiseur hielt ihr Erwachen nicht mehr fern und bat uns, das Zimmer zu verlassen, da es vielleicht feindlich auf sie wirken könne, erwacht sich von mehreren Personen umgeben zu sehen. So wurden wir nach Hause geschickt. Die beiden Fräulein, auf die weiter niemand geachtet, hatten für gut gefunden, schon früher zu erwachen und sich sachte davonzuschleichen. – Ihr könnt gar nicht glauben, wie gar besonders die ganze Szene auf mich wirkte. Abgesehen von den beiden albernen Mädchen, die aus der uninteressanten Stellung als untätige Zuschauerinnen gern hinauswollten, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß die somnambule Dame auf dem Sofa eine vorbereitete, wohldurchdachte, wacker eingeübte Rolle mit vieler Kunst darstelle.
Den Magnetiseur kannte ich als den offensten, redlichsten Mann, der eine Komödie der Art aus der tiefsten Seele verabscheuen mußte, zu genau, um auch nur dem leisesten Argwohn Raum zu geben, daß er seinerseits, auch wohl leidiger Bekehrungssucht halber, eine Täuschung der Art unterstützen solle. War eine solche Täuschung wirklich vorhanden, so mußte sie lediglich das Werk der Dame sein, deren Kunst die Wissenschaft, die Einsicht, die Beobachtungsgabe des Arztes, der vielleicht zu sehr von der neuen Lehre eingenommen, überbot. Nicht fragen durfte ich mich selbst, welchen Zweck eine solche Selbstqual, denn diese bleibt doch jener fingierte gewaltsame Zustand, welchen Zweck sie haben könne. Gab es denn nicht von den vom Teufel besessenen Ursulinerinnen, von jenen miauenden Nonnen, von den in gräßlichen Verrenkungen sich windenden Verzückten bis auf jenes Weib im Würzburger Hospital, die sich, den wütendsten Schmerz nicht achtend, Glasscherben, Nadeln in die Aderlaßwunde bohrte, damit der Arzt über die fremdartigen Dinge in ihrem Körper erstaunen sollte, ja bis auf die berüchtigte Manson in der neuesten Zeit, gab es denn nicht jederzeit eine Menge Weiber, die Gesundheit, Leben, Ehre, Freiheit daransetzten, nur, damit die Welt sie für außerordentliche Wesen halte, von dem Wunder ihrer Erscheinung spreche? –Doch zurück zu meiner somnambulen Dame! – Ich wagte es dem Arzt wenigstens ganz leise meine Zweifel anzudeuten. Er versicherte aber lächelnd, diese Zweifel wären nur die letzten ohnmächtigen Streiche des Besiegten. Die Dame habe mehrmals geäußert, daß meine Gegenwart wohltätig auf sie wirke, er habe daher gegründete Ursache meine fortgesetzten Besuche zu wünschen, die mich ganz überzeugen würden. – In der Tat fing ich an, da ich die Dame mehrmals besucht, mich mehr zum Glauben hinzuneigen, und dieser Glaube stieg beinahe bis zur Überzeugung, als sie im somnambulen Zustande, nachdem ich durch den Magnetiseur mich mit ihr in Rapport gesetzt, mir auf unbegreifliche Weise Dinge aus meinem eignen Leben erzählte, und vorzüglich einer Nervenkrankheit gedachte, in die ich verfiel, als mir der Tod eine geliebte Schwester entrissen. – Sehr mißfiel es mir aber, daß sich die Zahl der Besucher immer mehrte, und daß der Magnetiseur die Dame zur weissagenden Sibylle emporzuheben sich mühte, da er sie über Gesundheit und Leben fremder Personen, die er mit ihr in Rapport gesetzt, Orakelsprüche tun ließ. – Eines Tages fand ich unter den Anwesenden einen alten berühmten Arzt, der allgemein als der ärgste Zweifler, als der schlimmste Gegner der magnetischen Kur bekannt war. Die Dame hatte, ehe er gekommen, im magnetischen Schlaf vorausgesagt daß dieser Zustand diesmal länger dauern als sonst, und daß sie erst nach zwei vollen Stunden erwachen werde. Bald darauf geriet sie in den höchsten Grad des Hellsehens und begann ihre mystischen Reden. Der Magnetiseur versicherte, daß in diesem höchsten Grad der wahren Verzückung, die Somnambule, ein reingeistiges Wesen, den Körper ganz abgestreift habe und für jeden physischen Schmerz unempfindlich sei. Der alte Arzt meinte, zum Besten der Wissenschaft, zur Überzeugung aller Ungläubigen sei es jetzt an der Zeit, eine durchgreifende Probe zu machen. Er schlage vor, die Dame mit einem glühenden Eisen an der Fußsohle zu brennen und abzuwarten ob sie gefühllos bleiben würde. Der Versuch schiene grausam, wäre es aber nicht, da sogleich lindernde heilende Mittel angewandt werden könnten, und er habe deshalb ein kleines Eisen und die nötigen Heilmittel zur Stelle gebracht. Er zog beides aus der Tasche. Der Magnetiseur versicherte, daß die Dame den Schmerz beim Erwachen gar nicht achten werde, den sie zum Besten der hohen Wissenschaft erleide und rief nach einer Kohlpfanne. Man brachte das Gefäß herbei, der Arzt steckte sein kleines Eisen in die Glut. In dem Augenblick zuckte die Dame wie in heftigem Krampf, seufzte tief auf, erwachte, klagte über Übelbefinden! – Der alte Arzt warf ihr einen durchbohrenden Blick zu, kühlte ohne Umstände sein Eisen ab in magnetisiertem Wasser, das gerade auf dem Tische stand, steckte es in die Tasche, nahm Hut und Stock und schritt von dannen. Mir fielen die Schuppen von den Augen, ich eilte fort, unwillig, erbost über die unwürdige Mystifikation, die die feine Dame ihrem wohlwollenden Magnetiseur, uns allen bereitet.
Daß weder der Magnetiseur noch diejenigen Andächtigen, denen die Besuche bei der Dame als eine Art mystischen Gottesdienstes galten, durch das Verfahren des alten Arztes auch nur im mindesten aufgeklärt wurden versteht sich ebensosehr von selbst, als daß ich meinerseits nun den ganzen Magnetismus als eine chimärische Geisterseherei verwarf und gar nichts mehr davon hören wollte.
Meine Bestimmung führte mich nach B. – Auch dort wurde viel vom Magnetismus gesprochen, irgendeines praktischen Versuchs aber nicht erwähnt. Man behauptete, daß ein würdiger berühmter Arzt, hoch in den Jahren wie jener Arzt in der Residenz, der grausamerweise antisomnambulistische Eisen in der Tasche führte, Direktor des dortigen herrlich eingerichteten Krankenhauses, sich entschieden gegen die magnetische Kur erklärt und den ihm untergeordneten Ärzten geradehin untersagt habe, sie anzuwenden.
Um so mehr mußt ich mich verwundern, als ich nach einiger Zeit vernahm, daß jener Arzt selbst, jedoch ganz insgeheim, den Magnetismus im Krankenhause anwende.
Ich suchte, als ich näher mit dem würdigen Mann bekannt worden, ihn auf den Magnetismus zu bringen. Er wich mir aus. Endlich, als ich nicht nachließ von der dunklen Wissenschaft zu sprechen und mich als ein Sachkundiger bewies, fragte er, wie es mit der Ausübung der magnetischen Kur in der Residenz stehe. Ich nahm gar keinen Anstand ihm die wunderbare Geschichte von der somnambulen Dame, die plötzlich aus himmlischer Verzückung zurückkehrte auf irdischen Boden, als sie was weniges gebrannt werden sollte, offen und klar zu erzählen. ›Das ist es eben, das ist es eben‹, rief er, indem Blitze in seinen Augen leuchteten, und brach schnell das Gespräch ab. Endlich, nachdem ich mehr sein wohlwollendes Vertrauen gewonnen, sprach er sich über den Magnetismus in der Art aus, daß er sich von der Existenz dieser geheimnisvollen Naturkraft und von ihrer wohltätigen Wirkung in gewissen Fällen durch die reinsten Erfahrungen überzeugt, daß er aber das Erwecken jener Naturkraft für das gefährlichste Experiment halte das es geben, und das nur Ärzten die in der vollkommensten Ruhe des Geistes über allen leidenschaftlichen Enthusiasmus erhaben, anvertraut werden könne. In keiner Sache sei Selbsttäuschung möglicher, ja leichter, und er halte jeden Versuch schon dann nicht für rein, wenn der Person, die zur magnetischen Kur geeignet, vorher viel von den Wundern des Magnetismus vorgeredet worden und sie Verstand und Bildung genug habe, zu begreifen, worauf es ankomme. Der Reiz in einer höhern Geisterwelt zu existieren, sei für poetische oder von Haus aus exaltierte Gemüter zu verlockend, um mit der heißen Sehnsucht nach diesem Zustande nicht unwillkürlich allerlei Einbildungen Raum zu geben. Sehr lustig sei die geträumte Herrschaft des Magnetiseurs über das fremde psychische Prinzip, wenn er sich ganz hingebe den Fantasien überspannter Personen, statt ihnen als Zaum und Zügel den krassesten Prosaismus über den Hals zu werfen. Übrigens stelle er gar nicht in Abrede, daß er sich in seinem Krankenhause selbst der magnetischen Kuren bediene. Er glaube aber, daß bei der Art, wie er sie aus reiner Überzeugung anwenden lasse, durch besonders dazu erwählte Ärzte unter seiner strengsten Aufsicht, wohl nie ein Mißbrauch möglich, sondern dagegen nur wohltätige Einwirkung auf die Kranken und Bereicherung der Kenntnis dieses geheimnisvollsten aller Heilmittel zu erwarten sei. Aller Regel entgegen wolle er, wenn ich festes Stillschweigen vorspräche um den Andrang aller Neugierigen zu verhüten, mich einer magnetischen Kur beiwohnen lassen, sollte sich ein Fall der Art ereignen.
Der Zufall führte mir bald eine der merkwürdigsten Somnambulen unter die Augen. Die Sache verhielt sich in folgender Art.
Der Arzt des Kreises fand in einem Dorfe ungefähr zwanzig Stunden von B. bei einem armen Bauer ein Mädchen von sechszehn Jahren, über deren Zustand sich die Eltern unter bitteren Tränen beklagten. Nicht gesund, sprachen sie, nicht krank sei ihr Kind zu nennen. Sie fühle keinen Schmerz, kein Übelbefinden, sie äße und tränke, sie schliefe oft ganze Tage lang, und dabei magre sie ab, und würde von Tage zu Tage immer matter und kraftloser, so daß an Arbeit seit langer Zeit gar nicht zu denken. Der Arzt überzeugte sich, daß ein tiefes Nervenübel der Grund des Zustandes war, in dem sich das arme Kind befand und daß die magnetische Kur recht eigentlich indiziert sei. Er erklärte den Eltern, daß die Heilung des Mädchens hier auf dem Dorfe ganz unmöglich, daß sie aber in B. von Grund aus geheilt werden solle, wenn sie sich entschlössen, das Kind dorthin in das Krankenhaus zu schaffen, wo sie auf das beste gepflegt werden und Medizin erhalten solle, ohne daß sie einen Kreuzer dafür bezahlen durften. Die Eltern taten nach schwerem Kampf wie ihnen geheißen. Noch ehe die magnetische Kur begonnen, begab ich mich mit meinem ärztlichen Freunde in das Krankenhaus um die Kranke zu sehn. Ich fand das Mädchen in einem hohen lichten Zimmer, das mit allen Bequemlichkeiten auf das sorgsamste versehen. Sie war für ihren Stand von sehr zartem Gliederbau und ihr feines Gesicht wäre beinahe schön zu nennen gewesen, hätten es nicht die erloschenen Augen, die Totenbleiche, die farblosen Lippen entstellt. Wohl mochte es sein, daß ihr Übel nachteilig auf ihr Geistesvermögen gewirkt, sie schien von dem beschränktesten Verstande, faßte nur mühsam die an sie gerichteten Fragen und beantwortete sie in dem breiten unverständlichen abscheuligen Jargon den die Bauern in der dortigen Gegend sprechen. Zu ihrem Magnetiseur hatte der Direktor einen jungen kräftigen Eleven der Arzeneikunde gewählt dem die Offenheit und Gutmütigkeit aus allen Zügen leuchtete und von dem er sich überzeugt hatte, daß das Mädchen ihn leiden mochte. Die magnetische Kur begann. Von neugierigen Besuchen, von Kunststücken u. dergl. war nicht die Rede. Niemand war zugegen außer dem Magnetiseur als der Direktor, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit mit sorglicher Beachtung der kleinsten Umstände die Kur leitete, und ich. Anfänglich schien das Kind wenig empfänglich, doch bald stieg sie schnell von Grad zu Grad, bis sie nach drei Wochen in den Zustand des wirklichen Hellsehens geriet. Erlaßt es mir, all der wunderbaren Erscheinungen zu erwähnen die sich nun in jeder Krise darboten, es sei genug euch zu versichern, daß ich hier, wo keine Täuschung möglich, mich im innersten Gemüt von der wirklichen Existenz jenes Zustandes überzeugte, den die Lehrer des Magnetismus als den höchsten Grad des Hellsehens beschreiben. In diesem Zustande ist, wie Kluge sagt, die Verbindung mit dem Magnetiseur so innig, daß der Clairvoyant es nicht bloß augenblicklich weiß, wenn die Gedanken des Magnetiseurs zerstreut und nicht auf des Clairvoyants Zustand gerichtet sind, sondern daß er auch in der Seele des Magnetiseurs dessen Vorstellungen auf das deutlichste zu erkennen vermag. Dagegen tritt der Clairvoyant nun gänzlich unter die Herrschaft des Willens seines Magnetiseurs, durch dessen psychisches Prinzip er nur zu denken, zu sprechen, zu handeln vermag. Ganz in diesem Fall befand sich das somnambule Bauermädchen. – Ich mag euch nicht mit all dem ermüden, was sich in dieser Hinsicht mit der Kranken und ihrem Magnetiseur begab, nur ein und für mich das schneidendste Beispiel! – Das Kind sprach in jenem Zustande den reinen gebildeten Dialekt ihres Magnetiseurs, und drückte sich in den Antworten, die sie ihm mehrenteils anmutig lächelnd gab, gewählt, gebildet, kurz ganz so aus, wie der Magnetiseur zu sprechen pflegte. Und dabei blühten ihre Wangen, ihre Lippen auf in glühendem Purpur und die Züge ihres Antlitzes erschienen veredelt!
Ich mußte erstaunen, aber diese gänzliche Willenlosigkeit der Somnambule, dies gänzliche Aufgeben des eignen Ichs, diese trostlose Abhängigkeit von einem fremden geistigen Prinzip, ja diese durch das fremde Prinzip allein bedingte Existenz erfüllte mich mit Grausen und Entsetzen. Ja ich konnte mich des tiefsten herzzerschneidendsten Mitleids mit der Armen nicht erwehren und dies Gefühl dauerte fort, als ich den wohltätigsten Einfluß der magnetischen Kur bemerken mußte, als die Kleine in der vollsten kräftigsten Gesundheit aufgeblüht, dem Magnetiseur und dem Direktor ja auch mir dankte für alles Gute das sie genossen und dabei ihren Jargon sprach, breiter, unverständlicher als jemals. Der Direktor schien mein Gefühl zu bemerken und es mit mir zu teilen. Verständigt haben wir uns darüber niemals und das wohl aus guten Gründen! – Nie hab ich seitdem mich entschließen können magnetischen Kuren beizuwohnen, was hätte ich weiter für Erfahrungen gemacht nach jenem Beispiel, das bei der vollkommnen Reinheit des Versuchs mich über die wunderbare Kraft des Magnetismus ganz ins klare setzte, zugleich aber an einen Abgrund stellte, in den ich mit tiefem Schauer hinabblickte. – So bin ich denn nun ganz Lothars Meinung worden.«
»Und«, nahm Ottmar das Wort, »und füge ich noch hinzu, daß auch ich eurer Meinung ganz beipflichte, so sind wir ja alle, rücksichts des wunderbaren Geheimnisses, von dem die Rede, unter einen Hut gebracht. Irgendein tüchtiger Arzt, Verfechter des Magnetismus, wird uns zwar sehr leicht ganz und gar widerlegen, ja uns tüchtig ausschelten, daß wir, ununterrichtete Laien, es wagen, ein dunkles Gefühl der klaren Überzeugung entgegenzustellen, ich glaube indessen, daß wir schwer zu bekehren sein werden. – Doch wollen wir auch nicht vergessen, daß wir dem Magnetismus schon deshalb nicht ganz abhold sein können, weil er uns in unsern serapiontischen Versuchen sehr oft als tüchtiger Hebel dienen kann, unbekannte geheimnisvolle Kräfte in Bewegung zu setzen. Selbst du, lieber Lothar, hast dich dieses Hebels schon oft bedient und verzeih mir, sogar in dem erbaulichen Märchen vom Nußknacker und Mausekönig ist die Marie zuweilen nichts anders als eine kleine Somnambule. – Aber wohin gerieten wir von unserm Vinzenz sprechend!«
»Der Übergang war natürlich«, sprach Lothar, »der Weg bahnte sich von selbst. Tritt Vinzenz in unsere Brüderschaft ein, so wird gewiß noch viel von geheimnisvollen Dingen verhandelt werden, auf die er recht eigentlich ganz versessen ist. – Doch Cyprian hat schon seit mehreren Minuten nicht auf unser Gespräch gemerkt, vielmehr ein Manuskript aus der Tasche gezogen und darin geblättert. – Es ist in der Ordnung, daß wir ihm jetzt Raum geben, sein Herz zu erleichtern.«
»In der Tat«, sprach Cyprian, »war mir euer Gespräch über den Magnetismus langweilig und lästig und ist's euch recht, so lese ich euch eine serapiontische Erzählung vor, zu der mich Wagenseils Nürnberger Chronik entzündet. Vergeßt nicht, daß ich keine antiquarische kritische Abhandlung jenes berühmten Kriegs von der Wartburg habe schreiben wollen, sondern nach meiner Weise jene Sache zur Erzählung, wie mir gerade alles hell in der Seele aufging, nutzte.«
Cyprian las: