E. T. A. Hoffmann
Die Serapions-Brüder
E. T. A. Hoffmann

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Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm fürchteten

In vollem Sprunge eilten Felix und Christlieb nach Hause, indem sie unaufhörlich riefen: »Ach das fremde Kind ist ein schöner Prinz! – Ach das fremde Kind ist eine schöne Prinzessin!« Sie wollten das jauchzend den Eltern verkünden, aber wie zur Bildsäule erstarrt blieben sie in der Haustüre stehen, als ihnen Herr Thaddäus von Brakel entgegentrat und an seiner Seite einen fremden verwunderlichen Mann hatte, der halb vernehmlich in sich hineinbrummte: »Das sind mir saubere Rangen!« – »Das ist der Herr Hofmeister«, sprach Herr von Brakel indem er den Mann bei der Hand ergriff, »das ist der Herr Hofmeister, den euch der gnädige Onkel geschickt hat. Grüßt ihn fein artig!« – Aber die Kinder sahen den Mann von der Seite an und konnten sich nicht regen und bewegen. Das kam daher, weil sie solch eine wunderliche Gestalt noch niemals geschaut. Der Mann mochte kaum mehr als einen halben Kopf höher sein als Felix, dabei war er aber untersetzt; nur stachen gegen den sehr starken breiten Leib die kleinen ganz dünnen Spinnenbeinchen seltsam ab. Der unförmliche Kopf war beinahe viereckig zu nennen, und das Gesicht fast gar zu häßlich, denn außerdem, daß zu den dicken braunroten Backen und dem breiten Maule die viel zu lange spitze Nase gar nicht passen wollte, so glänzten auch die kleinen hervorstehenden Glasaugen so graulich, daß man ihn gar nicht gern ansehen mochte. Übrigens hatte der Mann eine pechschwarze Perücke auf den viereckichten Kopf gestülpt, war auch von Kopf bis zu Fuß pechschwarz gekleidet und hieß: Magister Tinte. Als nun die Kinder sich nicht rückten und rührten, wurde die Frau von Brakel böse und rief: »Potztausend ihr Kinder, was ist denn das? der Herr Magister wird euch für ganz ungeschliffene Bauernkinder halten müssen. – Fort! gebt dem Herrn Magister fein die Hand!« Die Kinder ermannten sich, und taten was die Mutter befohlen, sprangen aber, als der Magister ihre Hände faßte, mit dem lauten Schrei: »O weh o weh!« zurück. Der Magister lachte hell auf und zeigte eine heimlich in der Hand versteckte Nadel vor, womit er die Kinder, als sie ihm die Hände reichten, gestochen. Christlieb weinte, Felix aber grollte den Magister von der Seite an: »Versuche das nur noch einmal kleiner Dickbauch.« – »Warum taten Sie das lieber Herr Magister Tinte«, fragte etwas mißmütig der Herr von Brakel. Der Magister erwiderte: »Das ist nun einmal so meine Art, ich kann davon gar nicht lassen.« Und dabei stemmte er beide Hände in die Seite und lachte immer fort, welches aber zuletzt so widerlich klang wie der Ton einer verdorbenen Schnarre. »Sie scheinen ein spaßhafter Mann zu sein, lieber Herr Magister Tinte«, sprach der Herr von Brakel, aber ihm sowohl als der Frau von Brakel, vorzüglich den Kindern, wurde ganz unheimlich zumute. »Nun nun«, rief der Magister, »wie steht's denn mit den kleinen Krabben, schon tüchtig in den Wissenschaften vorgerückt? – Wollen doch gleich sehen.« Damit fing er an, den Felix und die Christlieb so zu fragen, wie es der Onkel Graf mit seinen Kindern getan. Als nun aber beide versicherten, daß sie die Wissenschaften noch gar nicht auswendig wüßten, da schlug der Magister Tinte die Hände über den Kopf zusammen daß es klatschte, und schrie wie besessen: »Das ist was Schönes! – keine Wissenschaften. – Das wird Arbeit geben! Wollen's aber schon kriegen!« Felix, so wie Christlieb, beide schrieben eine saubere Handschrift, und wußten aus manchen alten Büchern die ihnen der Herr von Brakel in die Hände gab und die sie emsig lasen, manche schöne Geschichte zu erzählen, das achtete aber der Magister Tinte für gar nichts, sondern meinte, das alles wäre nur dummes Zeug. – Ach! nun war an kein in den Wald Laufen mehr zu denken! – Statt dessen mußten die Kinder beinahe den ganzen Tag zwischen den vier Wänden sitzen und dem Magister Tinte Dinge nachplappern die sie nicht verstanden. Es war ein wahres Herzeleid! – Mit welchen sehnsuchtsvollen Blicken schauten sie nach dem Walde! Oft war es ihnen, als hörten sie mitten unter den lustigen Liedern der Vögel, im Rauschen der Bäume, des fremden Kindes süße Stimme rufen: »Wo seid ihr denn, Felix – Christlieb – ihr lieben Kinder! wo seid ihr denn! wollt ihr nicht mehr mit mir spielen! – Kommt doch nur! – ich habe euch einen schönen Blumenpalast gebaut – da setzen wir uns hinein und ich schenk euch die herrlichsten buntesten Steine – und dann schwingen ,wir uns auf in die Wolken und bauen selbst funkelnde Luftschlösser! – Kommt doch! Kommt doch nur!« Darüber wurden die Kinder mit allen ihren Gedanken ganz hingezogen nach dem Walde, und sahen und hörten nicht mehr auf den Magister. Der wurde aber denn ganz zornig, schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch und brummte und summte und schnarrte und knarrte: »Pim – Sim – Prr – Srrr – Knurr – Krrr – Was ist das! aufgepaßt!« Felix hielt das aber nicht lange aus, er sprang auf und rief: »Laß mich los mit deinem dummen Zeuge, Herr Magister Tinte, fort will ich in den Wald – such dir den Vetter Pumphose, das ist was für den! – Komm Christlieb, das fremde Kind wartet schon auf uns.« – Damit ging es fort, aber der Magister Tinte sprang mit ungemeiner Behendigkeit hinterher und erfaßte die Kinder dicht vor der Haustüre. Felix wehrte sich tapfer und der Magister Tinte war im Begriff zu unterliegen, da dem Felix der treue Sultan zu Hülfe geeilt war. Sultan, sonst ein frommer gesitteter Hund, hatte gleich vom ersten Augenblick an einen entschiedenen Abscheu gegen den Magister Tinte bewiesen. Sowie dieser ihm nur nahe kam, knurrte er, und schlug mit dem Schweif so heftig um sich, daß er den Magister, den er geschickt an die dünnen Beinchen zu treffen wußte, beinahe umgeschmissen hätte. Sultan sprang hinzu und packte den Magister, der Felix bei beiden Schultern hielt, ohne Umstände beim Rockkragen. Der Magister Tinte erhob ein klägliches Geschrei, auf das Herr Thaddäus von Brakel schnell hinzueilte. Der Magister ließ ab von Felix, Sultan von dem Magister. »Ach wir sollen nicht mehr in den Wald«, klagte Christlieb, indem sie bitterlich weinte. Sosehr auch der Herr von Brakel den Felix ausschalt, taten ihm doch die Kinder leid, die nicht mehr in Flur und Hain herumschwärmen sollten. Der Magister Tinte mußte sich dazu verstehen, täglich mit den Kindern den Wald zu besuchen. Es ging ihm schwer ein. »Hätten Sie nur, Herr von Brakel«, sprach er, »einen vernünftigen Garten mit Buchsbaum und Staketen am Hause, so könnte man in der Mittagsstunde mit den Kindern spazierengehen, was in aller Welt sollen wir aber in dem wilden Walde?« – Die Kinder waren auch ganz unzufrieden und die sprachen nun wieder: »Was soll uns der Magister Tinte in unserm lieben Walde?«

 
Wie die Kinder mit dem Herrn Magister Tinte im Walde spazierengingen und was sich dabei zutrug

»Nun? – gefällt es dir nicht in unserm Walde Herr Magister?« So fragte Felix den Magister Tinte, als sie daherzogen durch das rauschende Gebüsch. Der Magister Tinte zog aber ein saures Gesicht und rief: »Dummes Zeug, hier ist kein ordentlicher Steg und Weg, man zerreißt sich nur die Strümpfe und kann vor dem häßlichen Gekreisch der dummen Vögel gar kein vernünftiges Wort sprechen.« »Haha, Herr Magister«, sprach Felix, »ich merk es schon, du verstehst dich nicht auf den Gesang und hörst es auch wohl gar nicht einmal, wenn der Morgenwind mit den Büschen plaudert und der alte Waldbach schöne Märchen erzählt.« »Und«, fiel Christlieb dem Felix ins Wort, »sag es nur Herr Magister, du liebst auch wohl nicht die Blumen?« Da wurde der Herr Magister noch kirschbrauner im Antlitz als er schon von Natur war, er schlug mit den Händen um sich und schrie ganz erbost: »Was sprecht ihr da für tolles albernes Zeug? – wer hat euch die Narrheiten in den Kopf gesetzt? das fehlte noch, daß Wälder und Bäche dreist genug wären sich in vernünftige Gespräche zu mischen und mit dem Gesange der Vögel ist es auch nichts; Blumen lieb ich wohl wenn sie fein in Töpfe gesteckt sind und in der Stube stehen, dann duften sie und man erspart das Räucherwerk. Doch im Walde wachsen ja gar keine Blumen.« »Aber Herr Magister«, rief Christlieb, »siehst du denn nicht die lieben Maiblümchen die dich recht mit hellen freundlichen Augen ankucken?«« Was was«, schrie der Magister – »Blumen? Augen? – ha ha ha – schöne Augen – schöne Augen! Die nichtsnutzigen Dinger riechen nicht einmal!« – Und damit bückte sich der Magister Tinte zur Erde nieder, riß einen ganzen Strauß Maiblümchen samt den Wurzeln heraus und warf ihn fort ins Gebüsch. Den Kindern war es, als ginge in dem Augenblick ein wehmütiger Klagelaut durch den Wald; Christlieb mußte bitterlich weinen, Felix biß unmutig die Zähne zusammen. Da geschah es daß ein kleiner Zeisig dem Magister Tinte dicht bei der Nase vorbeiflatterte, sich dann auf einen Zweig setzte und ein lustiges Liedchen anstimmte. »Ich glaube gar«, sprach der Magister, »ich glaube gar das ist ein Spottvogel?« Und damit nahm er einen Stein von der Erde auf, warf ihn nach dem Zeisig und traf den armen Vogel, daß er zum Tode verstummt von dem grünen Zweige herabfiel. Nun konnte Felix sich gar nicht mehr halten. »Ei du abscheulicher Herr Magister Tinte«, rief er ganz erbost, »was hat dir der arme Vogel getan daß du ihn totschmeißest? – O wo bist du denn, du holdes fremdes Kind, o komm doch nur, laß uns weit weit fortfliegen, ich mag nicht mehr bei dem garstigen Menschen sein; ich will fort nach deiner Heimat!« – Und mit vollem Schluchzen und Weinen stimmte Christlieb ein: »O du liebes holdes Kind, komm doch nur, komm doch nur zu uns. Ach! Ach! – rette uns – rette uns, der Herr Magister Tinte macht uns ja tot wie die Blumen und Vögel!« – »Was ist das mit dem fremden Kinde«, rief der Magister. Aber in dem Augenblick säuselte es stärker im Gebüsch und in dem Säuseln erklangen wehmütige herzzerschneidende Töne, wie von dumpfen in weiter Ferne angeschlagenen Glocken. – In einem leuchtenden Gewölk das sich herabließ wurde das holde Antlitz des fremden Kindes sichtbar – dann schwebte es ganz hervor, aber es rang die kleinen Händchen, und Tränen rannen wie glänzende Perlen aus den holden Augen über die rosichten Wangen. »Ach«, jammerte das fremde Kind, »ach ihr lieben Gespielen, ich kann nicht mehr zu euch kommen – ihr werdet mich nicht wiedersehen – lebt wohl! lebt wohl! – Der Gnome Pepser hat sich eurer bemächtigt, o ihr armen Kinder, lebt wohl – lebt wohl!« – Und damit schwang sich das fremde Kind hoch in die Lüfte. Aber hinter den Kindern brummte und summte und knarrte und schnarrte es auf entsetzliche grausige Weise. Der Magister Tinte hatte sich umgestaltet in eine große scheußliche Fliege, und recht abscheulich war es, daß er dabei doch noch ein menschliches Gesicht, und sogar auch einige Kleidungsstücke behalten. Er schwebte langsam und schwerfällig auf, offenbar um das fremde Kind zu verfolgen. Von Entsetzen und Graus erfaßt rannte Felix und Christlieb fort aus dem Walde. Erst auf der Wiese wagten sie emporzuschauen. Sie wurden einen glänzenden Punkt in den Wolken gewahr, der wie ein Stern funkelte und herabzuschweben schien. »Das ist das fremde Kind«, rief Christlieb. Immer größer wurde der Stern und dabei hörten sie ein Klingen wie von schmetternden Trompeten. Bald konnten sie nun erkennen, daß der Stern ein schöner in gleißendem Goldgefieder prangender Vogel war, der, die mächtigen Flügel schüttelnd und laut singend, sich auf den Wald herabsenkte. »Ha«, schrie Felix, »das ist der Fasanenfürst, der beißt den Herrn Magister Tinte tot – ha ha, das fremde Kind ist geborgen und wir sind es auch! – Komm Christlieb – schnell laß uns nach Hause laufen und dem Papa erzählen was sich zugetragen.«

 
Wie der Herr von Brakel den Magister Tinte fortjagte

Der Herr von Brakel und die Frau von Brakel beide saßen vor der Türe ihres kleinen Hauses, und schauten in das Abendrot, das schon hinter den blauen Bergen in goldenen Strahlen aufzuschimmern begann. Vor ihnen stand auf einem kleinen Tisch das Abendessen aufgetragen, das aus nichts anderem als einem tüchtigen Napf voll herrlicher Milch und einer Schüssel mit Butterbröten bestand. »Ich weiß nicht«, fing der Herr von Brakel an, »ich weiß nicht, wo der Magister Tinte so lange mit den Kindern ausbleibt. Erst hat er sich gesperrt und durchaus nicht in den Wald gehen wollen, und jetzt kommt er gar nicht wieder heraus. Überhaupt ist das ein ganz wunderlicher Mann der Herr Magister Tinte und es ist mir beinahe so, als sei es besser gewesen, er wäre ganz davongeblieben. Daß er gleich anfangs die Kinder so heimtückisch stach, das hat mir gar nicht gefallen, und mit seinen Wissenschaften mag es auch nicht weit her sein, denn allerlei seltsame Wörter und unverständliches Zeug plappert er her und weiß was der Großmogul für Kamaschen trägt; kommt er aber heraus, so vermag er nicht die Linde vom Kastanienbaum zu unterscheiden und hat sich überhaupt ganz albern und abgeschmackt. Die Kinder können unmöglich Respekt vor ihm haben.« »Mir geht es«, erwiderte die Frau von Brakel, »mir geht es ganz wie dir lieber Mann! So sehr es mich freute, daß der Herr Vetter sich unserer Kinder annehmen wollte, so sehr bin ich jetzt davon überzeugt, daß das auf andere und bessere Weise hätte geschehen können, als daß er uns den Herrn Magister Tinte über den Hals schickte. Wie es mit seinen Wissenschaften stehen mag, das weiß ich nicht, aber so viel ist gewiß, daß das kleine schwarze dicke Männlein mit den kleinen dünnen Beinchen mir immer mehr und mehr zuwider wird. Vorzüglich ist es garstig, daß der Magister so entsetzlich naschhaftig ist. Keine Neige Bier oder Milch kann er stehen sehen, ohne sich darüber herzumachen, merkt er nun vollends den geöffneten Zuckerkasten, so ist er gleich bei der Hand und schnuppert und nascht so lange an dem Zucker, bis ich ihm den Deckel vor der Nase zuschlage; dann ist er auf und davon, und ärgert sich und brummt und summt ganz seltsam und fatal.« Der Herr von Brakel wollte fortfahren im Gespräch, als Felix und Christlieb in vollem Rennen durch die Birken kamen. »Heisa! – heisa!« – schrie Felix unaufhörlich, »heisa heisa! der Fasanenfürst hat den Herrn Magister Tinte totgebissen!« »Ach – Ach Mama«, rief Christlieb atemlos, »ach! – der Herr Magister Tinte ist kein Herr Magister, das ist der Gnomenkönig Pepser, eigentlich aber eine abscheuliche große Fliege, die eine Perücke trägt, und Schuhe und Strümpfe.« Die Eltern staunten die Kinder an, die nun ganz aufgeregt und erhitzt durcheinander von dem fremden Kinde, von seiner Mutter der Feenkönigin, von dem Gnomenkönig Pepser und von dem Kampf des Fasanenfürsten mit ihm erzählten. »Wer hat euch denn die tollen Dinge in den Kopf gesetzt, habt ihr geträumt oder was geschah sonst mit euch?« So fragte Herr von Brakel ein Mal über das andere; aber die Kinder blieben dabei, daß sich alles so zugetragen wie sie es erzählten, und daß der häßliche Pepser der sich für den Herrn Magister Tinte fälschlich ausgegeben, tot im Walde liegen müsse. Die Frau von Brakel schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief ganz traurig: »Ach Kinder, Kinder, was soll aus euch werden, wenn euch solche entsetzliche Dinge in den Sinn kommen und ihr euch davon nichts ausreden lassen wollt!« – Aber der Herr von Brakel wurde sehr nachdenklich und ernsthaft. »Felix du bist nun schon ein ganz verständiger Junge, und ich kann es dir wohl sagen, daß auch mir der Herr Magister Tinte von Anfang an ganz seltsam und verwunderlich vorgekommen ist. Ja es schien mir oft, als habe es mit ihm eine besondere Bewandtnis und er sei gar nicht so wie andere Magister. Noch mehr! – ich sowohl als die Mutter, beide sind wir mit dem Herrn Magister Tinte nicht ganz zufrieden, die Mutter vorzüglich, weil er ein Naschmaul ist, alle Süßigkeiten beschnuppert und dabei so häßlich brummt und summt, er wird daher auch wohl nicht lange bei uns bleiben können. Aber nun, lieber Junge, besinne dich einmal, gesetzt auch, es gebe solche garstige Dinger wie Gnomen sein sollen wirklich in der Welt, besinne dich einmal ob ein Herr Magister wohl eine Fliege sein kann?« – Felix schaute dem Herrn von Brakel mit seinen blauen klaren Augen ernsthaft ins Gesicht. Der Herr von Brakel wiederholte die Frage: »Sag mein Junge! kann wohl ein Herr Magister eine Fliege sein?« Da sprach Felix: »Ich habe sonst nie daran gedacht, und hätte es auch wohl nicht geglaubt wenn mir es nicht das fremde Kind gesagt, und ich es mit eigenen Augen gesehen hätte, daß Pepser eine garstige Fliege ist und sich nur für den Magister Tinte ausgegeben hat. – Und Vater«, fuhr Felix weiter fort, als Herr von Brakel wie einer, der vor Verwunderung gar nicht weiß was er sagen soll, stillschweigend den Kopf schüttelte, »und Vater, sage, hat dir der Herr Magister Tinte selbst nicht einmal entdeckt daß er eine Fliege sei? – habe ich's denn nicht selbst gehört, daß er dir hier vor der Türe sagte, er sei auf der Schule eine muntre Fliege gewesen? Nun was man einmal ist, das muß man, denk ich, auch bleiben. Und daß der Herr Magister, wie die Mutter zugesteht so ein Naschmaul ist und an allem Süßen schnuppert, nun Vater! wie machen's denn die Fliegen anders? und das häßliche Summen und Brummen.« »Schweig«, rief der Herr von Brakel ganz erzürnt, »mag der Herr Magister Tinte sein was er will, aber so viel ist gewiß, daß der Fasanenfürst ihn nicht totgebissen hat, denn dort kommt er eben aus dem Walde!« Auf dieses Wort schrien die Kinder laut auf und flüchteten ins Haus hinein. In der Tat kam der Magister Tinte den Birkengang herauf, aber ganz verwildert mit funkelnden Augen, zerzauster Perücke im abscheulichen Sumsen und Brummen sprang er von einer Seite zur andern hoch auf und prallte mit dem Kopf gegen die Bäume an, daß man es krachen hörte. So herangekommen, stürzte er sich sofort in den Napf, daß die Milch überströmte die er einschlürfte mit widrigem Rauschen. »Aber um tausend Gotteswillen, Herr Magister Tinte, was treiben Sie?« rief die Frau von Brakel. »Sind Sie toll geworden, Herr Magister, plagt Sie der böse Feind?« schrie der Herr von Brakel. Aber alles nicht achtend schwang sich der Magister aus dem Milchnapf, setzte sich auf die Butterbröte hin, schüttelte die Rockschöße und wußte mit den dünnen Beinchen geschickt darüber hinzufahren und sie glatt zu streichen und zu fälteln. Dann stärker summend schwang er sich gegen die Türe, aber er konnte nicht hineinfinden ins Haus, sondern schwankte wie betrunken hin und her und schlug gegen die Fenstern an, daß es klirrte und schwirrte. »Ha Patron«, rief der Herr von Brakel, »das sind dumme unnütze Streiche, wart das soll dir übel bekommen.« Er suchte den Magister bei dem Rockschoß zu haschen, der wußte ihm aber geschickt zu entgehen. Da sprang Felix aus dem Hause mit der großen Fliegenklatsche in der Hand, die er dem Vater gab. »Nimm Vater, nimm«, rief er, »schlag ihn tot den häßlichen Pepser.« Der Herr von Brakel ergriff auch wirklich die Fliegenklatsche, und nun ging es her hinter dem Herrn Magister. Felix, Christlieb, die Frau von Brakel hatten die Servietten vom Tische genommen und schwangen sie, den Magister hin und her treibend, in den Lüften, während Herr von Brakel unaufhörlich Schläge gegen ihn führte die leider nicht trafen, weil der Magister sich hütete auch nur einen Augenblick zu ruhen. Und wilder und wilder wurde die tolle Jagd – Summ – Summ – Simm – Simm – Trrr – Trrr – stürmte der Magister auf und nieder – und Klipp – Klapp fielen hageldichter des Herrn von Brakels Schläge und huß – huß – hetzten Felix, Christlieb und die Frau von Brakel den Feind. Endlich gelang es dem Herrn von Brakel den Magister am Rockschoß zu treffen. Ächzend stürzte er zu Boden aber in dem Augenblick, daß der Herr von Brakel ihn mit einem zweiten Schlage treffen wollte, schwang er sich mit erneuter doppelter Kraft in die Höhe, stürmte sausend und brausend nach den Birken hin und ließ sich nicht wieder sehen. »Gut daß wir den fatalen Herrn Magister Tinte los sind«, sprach der Herr von Brakel, »über meine Schwelle soll er nicht wieder kommen.« »Nein das soll er nicht«, fiel die Frau von Brakel ein, »Hofmeister mit solchen abscheulichen Sitten können nur Unheil stiften, da wo sie Gutes wirken sollen. – Prahlt mit den Wissenschaften und springt in den Milchnapf! – Das nenne ich mir einen schönen Magister!« – Aber die Kinder jauchzten und jubelten und riefen: »Heisa – Papa hat dem Herrn Magister Tinte mit der Fliegenklatsche eins auf die Nase versetzt und da hat er Reißaus genommen! – Heisa – heisa!«


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