Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Beratung auf Worsted Skeynes

Es war am folgenden Abend – dem Abend, an dem er seinen Sohn und Mr. Paramor erwartete, als der Gutsherr sich über den Eßtisch neigte und fragte:

»Was sagen Sie dazu, Barter? Ich spreche zu Ihnen als zu einem Mann von Erfahrung.«

Der Pfarrer beugte sich über sein Glas Portwein und befeuchtete seine Unterlippe.

»Es gibt für diese Frau keine Entschuldigung«, antwortete er. »Ich war immer der Ansicht, daß sie nichts taugt.«

Mr. Pendyce fuhr fort:

»In meiner Familie ist niemals ein Skandal vorgekommen. Mir ist der Gedanke daran unerträglich, Barter – unerträglich!« Der Pfarrer ließ eine unartikulierte Zustimmung vernehmen. Aus der jahrelangen Gewöhnung war so etwas wie Zuneigung für seinen Gutsherrn in ihm entstanden.

Mr. Pendyce spann seine Gedanken weiter fort.

»Wir sitzen nun hier«, sagte er, »Vater und Sohn, seit Hunderten von Jahren. Es ist ein Schlag für mich, Barter.«

Wieder ließ der Pfarrer jene unartikulierte Zustimmung hören.

»Was wird das Dorf sich denken?« sagte Mr. Pendyce, »und die Pächter – das ist mir schmerzlicher als alles andere. Die meisten von ihnen haben meinen guten alten Vater gekannt – nicht etwa, daß er besonders populär war. Es ist eine bittere Sache.«

Der Pfarrer meinte:

»Na, na, Pendyce. Vielleicht kommt's nicht so weit.«

Es schien, als schäme er sich ein wenig, und in seinen hellen Augen schimmerte es wie Reue.

»Wie nimmt es Mrs. Pendyce auf?«

»Ach«, meinte der Gutsherr, »bei Frauen kennt man sich nie aus. Man kann von einer Frau ebensowenig Objektivität verlangen, wie ich – wie ich diese Magnum da austrinken könnte. Ich würde mir sofort die Gicht davon holen.«

Der Pfarrer leerte sein Glas.

»Ich habe George und meinen Anwalt herbestellt«, fuhr der Gutsherr fort, »sie müssen gleich da sein!«

Mr. Barter schob seinen Stuhl zurück und schlang, seinen rechten Knöchel gegen das linke Bein stützend, die Hände um das rechte Knie; dann starrte er, sich vorwärts beugend, unter den buschigen Brauen hervor, auf Mr. Pendyce. Es war die Stellung, in der er am besten nachzudenken vermochte.

Mr. Pendyce fuhr fort:

»Seitdem das Gut an mich gekommen ist, habe ich es mit Liebe verwaltet; ich habe die Tradition nach besten Kräften aufrechterhalten. Ich bin wohl kein so guter Mensch gewesen, wie ich es hätte sein mögen, aber ich habe mich immer bemüht, der Worte meines alten Vaters eingedenk zu sein: ›Mit mir ist's vorbei, Horry; jetzt liegt der Besitz in deinen Händen.‹« Er räusperte sich.

Eine ganze Minute lang war kein Laut vernehmbar, außer dem Ticken der Uhr. Dann kam der Spaniel John still aus seinem Versteck unter der Anrichte hervor und ließ sich mit einem Knurren der Befriedigung schwerfällig dicht an seines Herrn Bein nieder. Mr. Pendyce blickte zu ihm hinunter.

»Mein Alter da«, brummte er, »fängt an fett zu werden.«

Aus dem Ton seiner Stimme ging hervor, daß er seine Erregung vergessen machen wollte. Und eine Empfindung, die in Barter tief verborgen lag, respektierte diesen Wunsch.

»Sie haben da einen ganz famosen Magnum.«

Mr. Pendyce füllte das Glas seines Pfarrers von neuem.

»Ich weiß nicht, ob Sie Paramor kennen? Er ist noch von vor Ihrer Zeit. Wir waren zusammen in Harrow.«

Der Pfarrer nahm einen tiefen Schluck.

»Ich glaube, ich würde stören«, meinte er. »Ich gehe lieber.«

Der Gutsherr streckte ihm herzlich die Hand entgegen.

»Nein, nein, Barter, Sie bleiben. Bei Ihnen ist das alles gut aufgehoben. Ich gedenke jetzt zu handeln. Ich kann diese Ungewißheit nicht ertragen. Der Vetter meiner Frau, Vigil, kommt auch – er ist ihr Vormund. Ich habe ihn telegraphisch herbeigerufen. Sie kennen Vigil? Er muß etwa Ihr Altersgenosse sein.«

Der Pfarrer wurde dunkelrot und biß sich auf die Unterlippe. Jetzt, da sein Feind in Sicht war, hätte nichts in der Welt ihn veranlassen können, sich zurückzuziehen; und die Überzeugung, nur seine Pflicht getan zu haben, die durch des Gutsherrn vertrauliche Mitteilung ein wenig erschüttert worden war, kehrte ihm wie durch einen Zauber zurück.

»Jawohl, ich kenne ihn.«

»Wir wollen alles überlegen«, murmelte Mr. Pendyce, »hier bei diesem Portwein. Da ist der Wagen schon. Steh auf, John.«

Der Spaniel John erhob sich schwerfällig, sah hämisch zum Pfarrer und legte sich dann wieder breit gegen das Bein seines Herrn.

»Steh auf, John«, wiederholte Mr. Pendyce. Der Spaniel John knurrte.

›Wenn ich mich rühre, rührst du dich auch, und die Ungewißheit beginnt für mich von neuem‹, schien er zu sagen.

Mr. Pendyce schob den Hund zur Seite, stand auf und ging zur Tür. Aber noch ehe er sie erreicht hatte, wandte er sich um und kam noch einmal an den Tisch zurück.

»Barter«, begann er, »ich denke nicht an mich – nicht an mich – wir sitzen hier seit Generationen – es handelt sich um das Prinzip.« Sein Gesicht war ein wenig schief, wie in Übereinstimmung mit seiner Weltanschauung; seine Augen blickten traurig und ruhelos.

Und der Pfarrer, der in Erwartung seines Feindes die Tür im Auge behielt, dachte ebenfalls:

›Ich denke nicht an mich – es befriedigt mich, daß ich recht getan habe – ich bin der Pfarrer dieser Gemeinde – es handelt sich um das Prinzip.‹

Der Spaniel John ließ dreimal ein kurzes Bellen hören; eines für jede Person, die das Zimmer betrat. Es waren Mrs. Pendyce, Mr. Paramor und Gregory Vigil.

»Wo ist George?« fragte der Gutsherr. Aber niemand gab ihm Antwort.

Der Pfarrer, der seinen Platz wieder eingenommen hatte, starrte auf ein kleines goldenes Kreuz, das er aus seiner Westentasche hervorgezogen hatte. Mr. Paramor nahm ein Blumenglas in die Hand und roch an einer Rose. Gregory trat ans Fenster.

Als Mr. Pendyce sich überzeugt hatte, daß sein Sohn nicht gekommen war, ging er zur Tür und hielt sie offen.

»Sei so freundlich und führe John hinaus, Margery«, sagte er. Als der Spaniel John merkte, was ihm bevorstand, drehte er sich auf den Rücken herum.

Mrs. Pendyce heftete den Blick auf ihren Gatten und in diesen Blick gab sie alle jene Worte hinein, die ihre Edelfrau-Natur ihr nicht erlaubte auszusprechen:

›Ich beanspruche, hierzubleiben! Laß mich hier; es ist mein gutes Recht. Bitte, schick mich nicht hinaus.‹ So redeten ihre Augen und ebenso die des Spaniels John, der auf dem Rücken lag, weil er wußte, daß er in dieser Stellung schwer fortzubringen war.

Mr. Pendyce drehte ihn mit seinem Fuß herum.

»Steh auf, John! Willst du nicht so freundlich sein, John hinauszubringen, Margery?«

Mrs. Pendyce stieg die Röte ins Gesicht, aber sie rührte sich nicht.

»John!« sagte Mr. Pendyce, »gehe hinaus mit deiner Herrin!« Der Spaniel John wedelte mit herabhängendem Schweif. Mr. Pendyce stieß ihn mit dem Fuß an. »Unsere Unterhaltung ist nichts für Frauen.«

Mrs. Pendyce beugte sich nieder.

»Komm, John«, sagte sie. Der Spaniel John, bei dem man nur das Weiße in den Augen sah und der sich bemühte, das Halsband abzustreifen, wurde aus dem Zimmer geführt. Mr. Pendyce schloß hinter den beiden die Tür.

»Nehmen Sie ein Glas Portwein, Vigil; es ist 47er. Mein Vater hat ihn im Jahre 56 abgezogen; in dem Jahre, bevor er starb. Ich kann ihn nicht selbst trinken. Paramor, füllen Sie Ihr Glas. Nehmen Sie sich den Stuhl da neben Paramor, Vigil. Sie kennen Barter?«

Sowohl Gregorys Gesicht wie das des Pfarrers war sehr rot.

»Wir alle hier sind ehemalige Harrow-Zöglinge«, fuhr Mr. Pendyce fort. Und sich plötzlich an Mr. Paramor wendend, fragte er: »Nun?«

So wie sich im allgemeinen um das Prinzip der Überlieferung Staat, Kirche, Gesetz und Nächstenliebe scharen, saßen um den Eßtisch von Worsted Skeynes der Gutsherr, der Pfarrer, Mr. Paramor und Gregory Vigil, und keiner von ihnen mochte der erste sein, der das Wort ergriff. Endlich nahm Mr. Paramor Bellews Brief und Georges Antwort aus seiner Tasche, die da in sonderbarer Eintracht nebeneinander lagen, und reichte sie dem Gutsherrn.

»Ich sehe die Situation nun so an, daß George sich entschieden weigert, auf die Frau zu verzichten. Gleichzeitig hat er die Absicht, Widerspruch gegen die Klage zu erheben und alles zu leugnen. So weit bin ich von ihm instruiert.« Indem er das Blumenglas wieder in die Höhe hob, sog er tief und lange den Duft der Rose ein.

Mr. Pendyce brach das Schweigen. »Als Mann von Ehre«, sagte er mit einem Ton, dem die Bitterkeit seiner Gefühle eine gewisse Schärfe verlieh, »ist er, wie ich annehme, gezwungen –«

Gregory fiel schmerzlich lächelnd ein:

»Unwahrheiten zu sagen.«

Mr. Pendyce wandte sich hastig zu ihm.

»Davon will ich nicht reden, Vigil! George hat sich unerhört benommen. Ich bin ganz und gar nicht auf seiner Seite; aber wenn die Dame Gegenklage zu erheben wünscht, kann er sich nicht wie ein Schuft benehmen – das ist die Anschauung, in der ich groß geworden bin.«

Gregory stützte den Kopf in die Hand.

»Das ganze System ist ekelhaft –« fing er an.

Mr. Paramor unterbrach ihn: »Wir wollen uns an die Tatsachen halten; die genügen, auch ohne das System.«

Zum erstenmal nahm jetzt der Pfarrer das Wort.

»Ich verstehe nicht, was Sie mit System meinen; beide sind schuldig, sowohl der Mann wie das Weib –«

Gregory unterbrach ihn mit zornbebender Stimme:

»Haben Sie die Güte, hier nicht diesen Ausdruck ›Weib‹ zu gebrauchen!«

Der Pfarrer sah ihn erbittert an.

»Welchen Ausdruck sonst –«

Mr. Pendyce, dem der tiefinnere Schmerz seiner Empfindungen eine gewisse Würde verlieh, unterbrach:

»Meine Herren, wir beschäftigen uns hier mit einer Frage, die die Ehre meines Hauses angeht!«

Wieder entstand ein längeres Schweigen; und Mr. Paramors Augen gingen aufmerksam von einem Gesicht zum andern, indes, von der Rose halb versteckt, ein unmerkliches Lächeln seine Lippen kräuselte.

»Ich nehme an, Sie haben mich hierherberufen, Pendyce, um meine Ansicht zu hören«, begann er endlich. »Nun, ich rate Ihnen: Sorgen Sie dafür, daß die Sache nicht vors Gericht kommt. Wenn Sie irgend etwas tun können, um es zu verhüten, tun Sie es. Wenn Ihr Stolz im Wege steht, tun Sie ihn beiseite. Wenn Ihre Wahrheitsliebe im Wege steht, vergessen Sie sie. Zwischen persönlichem Zartgefühl und unserem Ehescheidungsgesetz besteht keine Beziehung. Ich wiederhole, lassen Sie diese Sache nicht vors Gericht kommen! Unschuldig oder schuldig, Sie alle werden darunter zu leiden haben – die Unschuldigen mehr als die Schuldigen, und keiner wird dabei profitieren. Ich bin nach reiflicher Überlegung zu diesem Schluß gekommen. Es gibt Fälle, in denen ich die entgegengesetzte Ansicht äußern würde. Aber in diesem Falle, ich wiederhole es, wäre nichts dabei zu gewinnen. Noch einmal denn, sorgen Sie dafür, daß diese Angelegenheit nicht vors Gericht kommt. Geben Sie dem Publikum keine Gelegenheit zum Klatsch. Folgen Sie meinem Rat: Wenden Sie sich noch einmal an George, daß er Ihnen jenes Versprechen gibt. Wenn er sich weigert, nun, dann müssen wir versuchen, Bellew zu überlisten!«

Mr. Pendyce hatte, wie er das bei Edmund Paramor gewöhnlich tat, schweigend zugehört. Jetzt blickte er auf und sagte:

»Das ist alles nur die Rachsucht jenes rothaarigen Schurken. Ich weiß auch gar nicht, weshalb Sie eigentlich all diese Dinge aufführen mußten, Vigil! Sie scheinen ihn damit erst auf die Spur gebracht zu haben.« Er blickte Gregory vorwurfsvoll an. Auch Mr. Barter blickte Gregory teils mit einem Gefühl der Scham, teils herausfordernd an.

Gregory, der auf sein unberührtes Weinglas gestarrt hatte, wandte sein dunkel errötetes Gesicht ab und begann mit einer Stimme zu sprechen, die vor Erregung und Ärger bebte. Er vermied es, den Pfarrer anzusehen und wandte sich nur an Mr. Paramor:

»George kann die Frau nicht fallen lassen, die sich ihm anvertraut hat. Das hieße, will ich meinen, sich wie ein Schuft benehmen. Lassen Sie die zwei doch ganz offen miteinander leben, bis sie sich heiraten können. Warum reden Sie denn alle, als ob der Mann es nur wäre, um den es sich hier handelt? Die Frau ist's, die wir in Schutz nehmen sollten!«

Der Pfarrer fand zuerst das Wort.

»Was Sie da reden, ist absolute Unmoral«, sagte er fast gemütlich.

Mr. Pendyce erhob sich.

»Sie heiraten!« rief er aus. »Aber ich bitte Sie – das ist ja schlimmer als alles andere! Das ist grad das, was wir zu verhindern suchen! Wir haben auf unserer Scholle hier gesessen, Vater und Sohn – Vater und Sohn – seit Generationen!«

»Um so schlimmer«, brach es aus Gregory hervor, »wenn Sie am Ende es nicht fertigbringen, für eine Frau einzutreten!«

Mr. Paramor machte eine vorwurfsvolle Gebärde.

»Es gibt ein Maß in allen Dingen, meine Herren«, sagte er. »Sind Sie denn sicher, daß Mrs. Bellew schutzbedürftig ist? Wenn Sie recht hätten, dann stimme ich Ihnen bei; aber haben Sie recht?«

»Ich verbürge mich dafür«, sagte Gregory.

Mr. Paramor schwieg eine ganze Minute, den Kopf in die Hand gestützt.

»Ich bedaure«, sagte er endlich, »aber ich muß mich auf mein eigenes Urteil verlassen.«

Der Gutsherr hob den Blick.

»Wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich die Bestimmungen über die Unveräußerlichkeit des Gutes ändern, Paramor?«

»Nein. Ohne Georges Einwilligung nicht.«

»Was? Aber das ist ja ganz verkehrt – das ist –«

»Da gibt's nur ein Entweder-Oder«, sagte Mr. Paramor.

Der Gutsherr sah ihn ungewiß an, dann stieß er hervor:

»Wenn's mir paßt, ihm nichts als das Gut zu hinterlassen, dann wird er bald als Bettler dastehen. Ich bitte um Entschuldigung, meine Herren, schenken Sie sich ein! Ich vergesse alles andere!«

Der Pfarrer füllte sein Glas.

»Ich habe bisher nicht gesprochen«, begann er, »weil ich's für unnötig hielt. Aber meine Überzeugung ist, daß heutzutage viel zu viel geschieden wird. Die Frau soll einfach zu ihrem Manne zurückkehren, und er soll ihr klarmachen, daß sie sich vergangen hat –« seine Stimme und seine Augen wurden hart – »dann sollen sie einander vergeben wie gute Christen. Sie reden da«, wandte er sich an Gregory, »von einem Eintreten für die Frau. Ich kann das nicht mitanhören. Das ist die Art und Weise, wie heutzutage sich die Unmoral breitmacht. Ich erhebe eifernd meine Stimme gegen diese Gefühlsduselei; ich habe es immer getan und werde es immer tun!«

Gregory sprang heftig auf.

»Sie haben schon einmal von mir gehört«, sagte er, »daß Sie kein Feingefühl haben. Ich sage Ihnen das jetzt noch einmal.«

Mr. Barter erhob sich und stand da, über den Tisch gebeugt, dunkelrot im Gesicht; er starrte Gregory an, nicht imstande, ein Wort hervorzubringen.

»Sie oder ich«, sagte er endlich vor Erregung stammelnd, »einer von uns beiden hat dieses Zimmer zu verlassen!«

Gregory versuchte zu sprechen, dann wandte er sich plötzlich um, ging auf die Terrasse hinaus und entschwand den Blicken der anderen.

Der Pfarrer sagte:

»Gute Nacht, Pendyce, ich gehe auch.«

Der Gutsherr schüttelte die ihm dargebotene Hand, mit einem Gesicht, das vor Bestürzung kummervoll aussah. Nachdem Mr. Barter das Zimmer verlassen hatte, entstand ein Schweigen.

Der Gutsherr unterbrach es mit einem Aufseufzen.

»Ich wünschte, wir wären wieder in unserer alten Schule in Harrow, Paramor! Nun habe ich die Strafe dafür, daß ich dem alten Hause untreu geworden bin! Was fiel mir nur ein, George nach Eton zu schicken?«

Mr. Paramor steckte die Nase in das Blumenglas. In diesen Worten seines alten Schulkameraden lag des Gutsherrn ganzes Glaubensbekenntnis:

›Ich glaube an meinen Vater und dessen Vater und an seines Vaters Vater, die Erschaffer und Erhalter meines Besitzes; und ich glaube an mich selbst, an meinen Sohn und an meines Sohnes Sohn. Und ich glaube, daß wir das Land geschaffen haben, und daß wir es so erhalten werden, wie es ist. Und ich glaube an die Schulen wie Eton und Harrow und besonders an die Schule, auf der ich gewesen bin. Und ich glaube an die Dinge, wie sie sind, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.‹

»Ich bin kein Puritaner, Paramor; ich meine auch, man muß George allerlei Zugeständnisse machen. Ich habe sogar gegen die Frau selbst nichts einzuwenden; sie mag für Bellew zu gut sein; für einen solchen Burschen muß sie sogar zu gut sein! Aber daß George sie heiratet, wäre sein Ruin. Sehen Sie sich doch den Fall von Lady Rose an! Jeder andere, der kein so wüster Phantast wie Vigil ist, muß das einsehen! Es ist rein unmöglich! Und bedenken Sie – bedenken Sie meinen – meinen Enkel. Nein, nein, Paramor, nein, nein, bei Gott!«

Mr. Paramor, der selbst keinen Sohn hatte, entgegnete herzlich:

»Na, na, alter Freund, so weit wird's ja nicht kommen!«

»Gott weiß, wie weit es kommen wird, Paramor. Meine Nerven sind am Ende! Sie wissen selbst, daß er sie wird heiraten müssen, wenn es zur Scheidung kommt!«

Mr. Paramor erwiderte darauf nichts, sondern preßte die Lippen aufeinander. »Ihr armer Hund winselt draußen«, sagte er dann.

Und ohne eine Erlaubnis abzuwarten, ging er an die Tür und öffnete sie. Mrs. Pendyce und der Spaniel John kamen herein. Der Gutsherr blickte auf und runzelte die Stirn, der Spaniel John drängte sich vor Freude schnaubend dicht an ihn. ›Ich habe Qualen durchgemacht, Herr‹, schien er zu sagen, ›ich lasse mich nicht zum zweitenmal aussperren.‹

Mrs. Pendyce stand da und wartete schweigend, und Mr. Paramor wandte sich jetzt an sie.

»Sie vermögen mehr als irgendeiner von uns, Mrs. Pendyce, sowohl bei George, wie bei diesem Bellew – und wenn ich mich nicht täusche, auch bei seiner Frau.«

Der Gutsherr unterbrach ihn.

»Bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich mich vor diesem Burschen, diesem Bellew, auch nur im geringsten demütigen werde.«

Der Blick, mit dem Mr. Paramor ihn bei diesen Worten ansah, hatte etwas von dem eines Arztes, der im stillen die Diagnose für eine Krankheit stellt; und doch verriet der Ausdruck im Gesicht des Gutsherrn mit seinem dünnen, grauen Backen- und Schnurrbart, seiner etwas schiefen Struktur, den Augen eines Schwans und dem kräftigen Unterkiefer nur das, was jener Gedanke auf dem Gesicht irgendeines englischen Landedelmannes widergespiegelt hätte.

»Ach, Mr. Paramor«, sagte Mrs. Pendyce hastig, »wenn ich George nur einmal sehen könnte!«

So sehr sehnte sie sich nach dem Anblick ihres Sohnes, daß sie nicht weiter als bis dahin dachte.

»Ihn sehen!« rief der Gutsherr. »Du wirst ihn weiter verwöhnen, bis er Schande über uns alle gebracht hat!«

Mrs. Pendyce blickte von ihrem Gatten zu seinem Anwalt. Die Erregung hatte ihrem Gesicht ungewohnte Farbe verliehen; ihre Lippen bewegten sich, als wolle sie sprechen.

Mr. Paramor antwortete für sie.

»Nein, Pendyce, wenn George verwöhnt ist, so ist das System daran schuld.«

»System!« sagte der Gutsherr ärgerlich. »Ich habe mir nie ein System für ihn zurechtgemacht. Ich bin kein Anhänger von Systemen! Ich begreife nicht, was Sie da reden. Gottlob, ich habe ja noch einen zweiten Sohn!«

Mrs. Pendyce trat einen Schritt auf ihn zu.

»Horace«, sagte sie, »du kannst nimmermehr –«

Mr. Pendyce wandte sich von seiner Frau ab und sagte scharf:

»Paramor, sind Sie sicher, daß ich die Bestimmungen über die Unveräußerlichkeit des Besitztums nicht aufheben kann?«

»So sicher«, entgegnete Mr. Paramor, »wie ich hier sitze.«

 


 << zurück weiter >>