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Eine unterirdische tiefe Höhle breitet sich vor uns aus.
Und als ob es zur Finsternis nicht hinreichend wäre, daß die Höhle unter der Erde ist, sind die Wände und die Decke der Höhle auch noch schwarz. Sie ist aus Steinkohle.
Den Boden bildet ein großer schwarzer Spiegel.
Es ist eine Art Teich, glatt wie Stahl.
Auf diesem glatten Spiegel verbreitet ein einziger schwimmender Schein einiges Licht, das durch ein Drahterz umflorte Licht einer Davyschen Lampe. Ein Mann rudert auf einem schmalen Kahn.
Bei diesem zweifelhaften Schimmer, der sich mit dem dahin gleitenden Seelentränker fortbewegt, scheinen hohe dichte Pfeiler sich aus dem Wasser des Teiches bis hinauf zu der Wölbung zu erheben; schlanke Pfeiler, gleich den Säulen eines maurischen Palastes. Diese Pfeiler sind zur Hälfte weiß, zur Hälfte schwarz. Bis zu einer gewissen Höhe sind sie wie durch Verkohlung gehärtet; darüber hinaus haben sie eine helle Farbe.
Was sind das für Pfeiler?
Es sind die Stämme versteinerter Palmen und Pinien; die Schuppen und Ringe sind daran noch wahrzunehmen.
Wie sind sie da hergekommen? Diese versteinerten riesigen Stämme pflegen in den über den Steinkohlengruben befindlichen Schichten zu Hause zu sein; aber wie sind sie da hinabgelangt? Eine ganze Welt trennt sie voneinander. Wie ist aus ihnen ein Säulenwerk in dieser Steinkohlengrube geworden?
Die Steinkohlenschicht mag sich einmal von selbst entzündet und so lange gebrannt haben, bis diese Stein gewordenen Kolosse von ihrer verkalkten Kruste losgelöst, aus der obern Schicht herabstürzten. Das Feuer schadete ihnen nicht, sie waren und blieben Felsen.
Steinkohlengruben entzünden sich oft von selbst, den Grund hiervon weiß jeder Neuling; aber was hat den Brand gelöscht? Das ist die Frage.
Der einsame Schiffer treibt den schmalen Seelentränker, in welchem er sitzt, mit dem Ruder auf und nieder.
Es ist ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, mit einem blassen Gesicht und dünnem Bart; die schmalen Lippen verleihen ihm den Ausdruck eines starren Ernstes, während seine zusammengezogenen dichten Augenbrauen und seine hohe Stirne mit stark hervortretenden Stirnknochen den tiefen Denker verraten. Er hat den Kopf nicht bedeckt, denn unter dieser Wölbung ist die Luft schwül, und sein starkes schwarzes Haar ist in dichter Masse emporgesträubt und duldet die Kopfbedeckung nicht.
Was will er hier?
Er treibt seinen Kahn auf dem Spiegel des schwarzen Sees ringsumher und untersucht mit seiner emporgehaltenen Lampe die schwarzen Wände, als ob er darauf Buchstaben, eine geheime Schrift entdecken wollte, die eine Milliarde von Jahren für die andre hier zurückgelassen hat.
Er findet auch solche Buchstaben.
Hier und da löst sich von der schwarzen Wand ein Stück Gestein mit dem Abdruck eines urweltlichen Baumblattes ab. Ein wertvoller Schatz.
An anderen Stellen stößt er auf unbekannte Kristalle, welchen die Wissenschaft noch keinen Namen gegeben hat, oder auf ein neues, unbekanntes Konglomerat aus verschiedenen Erzen, Metallen, Steinen, auf ein neues, noch namenloses Erzeugnis des urweltlichen Feuers. Auch diese Dinge sprechen.
Diese Pfeiler hat das Wasser des Teiches allmählich mit einer Kruste von kleinen Kristallen überzogen. Auch von dieser kann man manches erfahren.
Denn dieser Teich selbst ist auch eine wunderbare Erscheinung. Er hat Ebbe und Flut. Alle vierundzwanzig Stunden verschwindet er zweimal völlig und zweimal füllt er das Becken aufs neue. Er kommt mit Glucken und Knurren aus den tiefen unterirdischen Spalten und ergießt sich brausend in das Becken; allmählich erfüllt er es und steigt immer höher, bis dorthin, wo die hellere Farbe der Pfeiler beginnt; dort bleibt das Wasser dann stehen und regt sich volle zwei Stunden nicht. Dann fängt es wieder an zu sinken, bald nimmt es ganz ab und zieht sich in die geheimnisvollen Klüfte zurück, aus welchen es gekommen. In dem zurückbleibenden Schlamme findet man oft Bernstein und Haifischzähne, Zeugen der Wälder und der Meerestiefen.
Der Schiffer wartet, bis der Teich ganz abgeflossen ist. und er mit seinem Kahn auf dem Grunde des Beckens bleibt.
Die letzte schwarze Welle verschwindet langsam in einer Steinkohlenkluft.
Der Mann legt Rock und Fußbekleidung ab und behält nichts an sich als ein blaues Hemd und Beinkleider aus grober Leinwand. Dann gürtet er seine Ledertasche um, legt in dieselbe Hammer und Stemmeisen; die Davysche Lampe befestigt er an seinem Leibgurt, und so ausgerüstet schlüpft er in eine schmale niedere Kluft.
Er folgt dem verschwundenen Teich.
Es sind die Gänge im Palast des Todes, über die er verwegen schreitet. Man braucht ein Herz von Stein und eine Stirne von Stahl, um sich da allein, von niemandem geleitet hinab zu wagen, die Erforschung der mit sieben Siegeln verschlossenen Geheimnisse zu versuchen, und die seit Jahrtausenden schlafenden Wunder der ewigen Natur aufzupochen.
Er wagt es dies zu tun.
Er bleibt stundenlang drin, zuweilen zwei, auch drei Stunden.
Wenn er jemanden hätte, der währenddessen seiner harrt, ein Weib, ein Kind, einen Diener oder einen Hund, sie würden über sein Ausbleiben verzweifeln.
Aber niemand harrt seiner, nur die tiefe Nacht.
Und der verschwindende Teich ist voll Launen! Seine Rastzeit ist nicht genau bemessen. Einmal verweilt er zwei, das andremal drei Stunden, zuweilen kehrt er nach einer Stunde zurück. Wehe dem Verwegenen, wenn die zurückkehrende Flut ihn in den engen Klüften des geheimnisvollen Labyrinths überrascht!
Aber der Mann hat die Launen des Teiches schon studiert. Sie sind alte Bekannte. Er kennt die Zeichen, aus welchen er schließen kann, wie lange die Pause dauert. Er fühlt den unterirdischen Windhauch, welcher der Rückkehr des Teiches vorausgeht. Wollte er warten, bis er den Ton der heranbrausenden Flut hört, so wäre er schon verloren. Nach dem Glucken und Schlucken in der Kluft vergehen nur Augenblicke bis zum Erscheinen der unterirdischen Flut.
In der Dunkelheit wird ein gespensterhafter Ton hörbar, wie ein langgedehnter Seufzer, wie fernes Windessausen, wie das Klingen der Memnonssäule.
Und bald darauf erscheint der irrende Schimmer in der Felsenkluft, und nach einigen Minuten tritt der geheimnisvolle unterirdische Forscher hervor.
Sein Gesicht ist noch bleicher als es vordem war, und seine Stirne trieft von Schweiß. Dort unten ist die Luft noch schwüler, oder das Alpdrücken der Tiefen verursachte den Schweiß auf seinem Gesicht.
Er wirft seine gefüllte Tasche in den Kahn und setzt sich dann selbst hinein.
Und kaum ist er aus der Felsenkluft getreten, als aus dem Innern des Berges das grolzende Brodeln wieder herauftönt und aus der Mündung der Kluft die ersten schwarzen Wellen mit lautem Sprudeln hervorschießen, welche sogleich den Grund des Beckens bedecken. Dann tritt eine Pause von einigen Augenblicken ein. Hierauf kommt wieder ein Wellensturz, und nach diesem strömt das Wasser unausgesetzt aus der tiefen Kluft herein. Das Becken füllt sich rasch, der Wasserspiegel steigt. Eine Weile noch ist in der Nähe der Wand auf der glatten Oberfläche die Bewegung der heraufdringenden Quelle bemerkbar, dann glättet sich der Spiegel vollends und erhebt sich still, unbemerkt bis zur schwarzen Linie der Pfeiler. Der Kahn mit dem darin Sitzenden schwebt darauf, wie das unterirdische Gespenst der Märchen, mit geringem Tiefgang. Dieses Wasser ist mit Metalloxyden gesättigt, und so schwer wie Metall. Mensch und Kahn schweben nur darauf.
Aber der Schiffer achtet jetzt nicht auf den Wasserspiegel, noch auf die geheimnisvollen Zeichen der Wände; er schaut nur in die Luft hinauf mit ernster Besorgnis, und untersucht den Verschluß an seiner Drahtlampe, ob er sich nicht geöffnet habe.
Die Lampe zeigt jetzt einen großen Dunsthof rings um sich.
Die Luft nimmt in der unterirdischen Nacht ein bläuliches Dunkel an.
Der Schiffer weiß, was das bedeutet!
Die Flamme in der Drahtlampe sprüht fortwährend Funken, manchmal flackert sie hoch auf, und der Draht beginnt rot zu glühen.
Die Engel des Todes gehen umher unter der Erde.
Zwei Gespenster wohnen in den Höhlen der Steinkohlengruben; zwei böse Geister, die Diener des Todes.
Der eine ist das »schlagende Wetter«, der andere das »böse Wetter«.
Diese zwei schrecklichen Gespenster sind die fürchterlichen Tyrannen der Steinkohlengruben.
Das »böse Wetter« kommt nur leise geschlichen, es lastet mit seinem erstickenden schweren Dunste auf der Brust, es hält mit den Arbeitern gleichen Schritt und lähmt ihnen die Zunge; es ist bei ihren Arbeiten zugegen, es hält mit ihnen aus, freut sich mit ihrem Schrecken, und wenn es sie recht beten gelehrt hat, dann setzt es sich, entfernt es sich, zieht es sich in seine Kluft zurück.
Aber das »schlagende Wetter« ist schrecklich! Es kommt herangestürmt, wirft Flammen auf, entzündet rings um sich den Stollen, zertrümmert Wölbungen, zerstört Schachte, versenkt den Boden und zerschmettert die Menschen.
Wer unter der Erde sein Brot erwirbt, kann nie wissen, wann er einem oder dem andern dieser Gespenster begegnet.
Das Geheimnis des »schlagenden Wetters« hat noch niemand erforscht. Man glaubt, es entstehe durch die Berührung des Wasserstoffgases mit dem Sauerstoff der freien Luft.
Und das »böse Wetter« bedarf nur eines Funkens, um zum »schlagenden Wetter« zu werden. Das leichtsinnige Oeffnen einer Davyschen Lampe, das Anreiben eines Zündhölzchens genügt, um plötzlich einen ganzen Vulkan zu entfachen.
Der einsame Mann sah mit steigender Besorgnis, wie die Luft ringsumher immer opalfarbiger wurde; sie bildete schon eine ganze Nebelwolke rings um ihn.
Er wartete nicht, bis die Flut zum höchsten Punkt stieg; eine kleine Stufe war in die Wand der Höhle gehauen, und sowie er dieselbe erreichte, sprang er aus dem Kahn; er zog diesen an der Kette nach sich, band ihn an einen in die Höhlenwand befestigten Anker und eilte dann auf einem rings in die Wand gehauenen Fries fort, bis er zu einem mit einer schweren eisernen Türe verschlossenen Verbindungsgang gelangte; er öffnete diese und sperrte sie hinter sich wieder zu.
Der Gang führte in die Stollen. In das Steinkohlenlager waren enge, vorschriftsmäßige Gassen gehauen, in deren Seitengängen halbnackte Männer mit ihren spitzen Hauen hämmerten die schwarze Schicht in Stücke spaltend. Da hört man nichts als das eintönige Hämmern. In den Steinkohlengruben wird nicht gesungen, nicht gescherzt, selbst den Bergmannsgruß: »Glück auf!« hört man nicht. Da gibt es nur einerlei Chancen, die unglücklichen.
Jeder Arbeiter hat den Mund mit einem dicken Tuch verbunden, durch dieses atmet er.
Manche Gänge sind so eng, daß die Arbeiter nur auf dem Rücken liegend die Kohle über sich mit der Haue loslösen; so dringen sie vorwärts, und den kleinen Wagen auf welchen die Last gelegt wird, schieben sie dann auf dem Bauche kriechend vor sich her.
Den aus der Höhle gekommenen Mann unterscheidet nichts von den Arbeitern; seine Kleidung ist ebenso kohlengeschwärzt wie die ihrige. Seine Hände sind ebenso rauh, auch er geht mit Schlegel und Haue um; aber deshalb erkennen sie ihn doch. Und sowie er durch die Gänge geht, hält jeder Arbeiter, an dem er vorüberkommt, einen Augenblick inne und flüstert die Haue senkend die Worte: »Böse Wetter ziehen.«
»Glück auf!« ist die Antwort.
Alle, die ihm entgegenkommen, die Lastträger und Karrenschieber, sprechen den traurigen Spruch: »Böse Wetter ziehen.«
Das böse Wetter war in der Tat da. Und alle diese Menschen, die da ruhig hin und her gehen, hämmern, Karren schieben, sind hier dem sichern Tode so nahe wie Delinquenten, über welche schon das Todesurteil gesprochen wurde. Die Luft, welche ihnen die Brust beschwert, deren Geruch sie spüren, die ihre Lampen bis zur Spitze der Drahthülle mit ungewohntem Feuer erfüllt, ist der Atem des Jenseits, der Hauch des Todes; nur eines freien Funkens bedarf es und alle, die jetzt da noch leben, sind tot und begraben, und oben weinen hundert Witwen und Waisen über sie. Die Davyschen Lampen neben ihnen sind ganz mit einer glänzenden Flamme erfüllt, mitten in welcher der Oellampendocht gleich einem Stück Kohle rot glüht; die Flamme in der Lampe ist die Flamme der Todesgefahr, die nur vom Drahtgewebe (dem Gefängnis des Feuers) gefangen gehalten wird. Auch der Draht ist rotglühend, aber deshalb hält er den Feuergeist doch gefangen, wie der Ring Salomonis den Dämon.
Und trotz dem allen gehen die Arbeiter in diesem Hause des Todes ruhig hin und her und verrichten in der drohenden Nähe des Todesengels ihr Tagewerk wie andere, die unter Gottes freiem Himmel auf duftigen Wiesen frisches Gras mähen.
Der Mann aber, der unter den Arbeitern herumgeht, ist der Bergwerksbesitzer selbst.
Sein Name ist Iwan Berend.
Er selbst ist Aufseher, Direktor, Bergwerksingenieur und Buchhalter in einer Person.
Er hat genug zu tun.
Aber es ist ein guter Spruch: »Wenn du etwas brauchst, so tue es selber; brauchst du es nicht, so überlaß es einem andern.«
Es ist eine Stärkung für das Gemüt des Arbeiters, wenn er sieht, daß sein Arbeitgeber mit ihm zugleich sich abmüht.
Wenn das Bergwerk sich mit dem verhängnisvollen Gas füllt, so grüßt der Herr wie der Arbeiter jeden Entgegenkommenden mit den Worten: »Böse Wetter ziehen«. Sie sehen, daß dem Herrn sein Leben nicht teurer ist wie jedem Arbeiter das seine.
Der Eigentümer flieht nicht, sobald die Gefahr sich bemerkbar macht. Ruhig, mit kaltem Blut erteilt er seine Befehle, daß man das Ventil öffne, im Stollen einen Wetterwechsel hervorbringe, und daß die Arbeiter anstatt nach sechs, nach je drei Stunden abgelöst werden sollen. Er setzt sich in den Büffelhauteimer und läßt sich in den Schachtbrunnen hinab, um zu untersuchen, ob die neueren Oeffnungen nicht gefährlich seien. Er durchstöbert den Kohlenschutt mit einer Eisenstange, ob er nicht erwärmt sei, ob sich darin nicht das Gas entwickelt habe, welches eine Selbstentzündung verursacht. Indem der Ventilator unten und die Luftpumpe oben zu arbeiten beginnen, stellt er sich selbst zum Anemometer. Das ist eine zarte kleine Maschine gleich den Windkreiseln der Kinder; die Flügel sind dünne Goldschlagblättchen, die Axe dreht sich in einem Rubin, und die Scheibe setzt ein Rad mit hundert Zähnen in Bewegung. Das Drehen dieses Rades zeigt an, wie stark der Luftwechsel im Schacht ist. Er darf weder stärker noch schwächer sein als die Bewegung des »bösen Wetters«; er selbst achtet darauf, und nachdem er alle Verfügungen getroffen, an alles selbst Hand angelegt und abgewartet hat, bis alle angeordneten Arbeiten verrichtet sind, ist er der letzte, der sich im Schlauch ans Tageslicht ziehen läßt.
Tageslicht? – Wo ist da Tageslicht?
Im Bondatale pflegt die Sonne nicht zu scheinen. Warum nicht?
Weil der Schatten einer ewigen Rauchwolke darüber schwebt.
Das ist eine schwarze Landschaft, mit Ruß gemalt.
Die Wege, welche dorthin führen, sind schwarz von Kohlenschlacken, die Häuser sind schwarz vom herabfallenden Ruß; Wald und Feld sind schwarz vom feinen Kohlenstaub, welchen der Wind weithin trägt von den riesigen Steinkohlenhaufen, die mit dem Inhalt krächzender Karren hoch aufgetürmt werden, um durch die Mengen, die man davon auf Lastwagen ladet, wieder verkleinert zu werden; und auch die Männer und Weiber, die dort arbeiten, sind alle schwarz vom Ruß. Wenn der Wald ringsumher Vögel birgt, so müssen auch diese alle schwarz sein.
Der Steinkohlenstollen ist an der abschüssigen Seite eines Hügels aufgeschlossen, und die Mündung ist von stahlblau glänzenden Steinkohlenmassen umlagert; dieser sanft aufsteigende Hügel bildet ein Hochplateau, von welchem aus man in der Ferne die Türme eines herrschaftlichen Schlosses erblickt. Diese sind schon vom Alter schwarz.
Auf einer Seite des Hügels befindet sich ein Tal, dessen Sohle von den Steinkohlendestillieröfen okkupiert ist. Eine ausgedehnte Gruppe von Gebäuden mit vier hohen Schornsteinen. Diese Schornsteine speien Tag und Nacht Rauch aus, bald weißen, bald schwarzen. Dort destilliert man den Schwefel von der Steinkohle; zum Schmelzen der Metalle ist sie nur so zu gebrauchen.
Denn ein Hauptkonsument des Steinkohlenbergwerks ist der an der benachbarten Bergwand arbeitende Eisenhammer. Dieser hat fünf Schlote, aus welchen der Rauch emporwirbelt. Wenn der Hammer weißen Rauch von sich gibt, so steigt von den Destillieröfen schwarzer Rauch empor und umgekehrt. Diese beiden Werke breiten einen fortwährenden Wolkenschleier über das Tal, durch welchen selbst die Sonnenstrahlen braun werden, bis sie durchdringen. Aus dem Eisenhammer ergießt sich ein rostroter Bach und aus dem Kohlenbergwerk einer, der schwarz ist wie Tinte. Im Tale vereinigen sich die beiden Bäche und setzen zusammen ihren Lauf fort. Eine Strecke weit wehrt sich der rostrote gegen den schwarzen, zuletzt aber ergibt er sich, und endlich fließt der schwarze Bach siegreich durch die schwarzen Wälder und Felder.
Es ist ein trauriges Landschaftsbild, und traurig ist der Gedanke, daß ein Mensch hier die schönsten Jahre seiner Jugend ohne Gesellschaft, freudlos zubringe.
Als Iwan Berend aus der Tiefe der Erde auf die Oberfläche emporkam, fühlte er sein Herz nicht um einen Pulsschlag rascher pochen als dort unten.
Was für einen Unterschied hätte er auch gefunden!
Unten Wasserstoffgas, oben Schwefeldunst. Unten die schwarze Steinkohlenwölbung, oben das dunkle Himmelsgewölbe. Dieselben Menschen unten wie oben.
Es war ein Abend im Spätherbst. Die Sonne war bereits zur Ruhe gegangen, und sowie hinter dem fernen Schlosse die Wolken des westlichen Himmels sich ein wenig öffneten, strahlte der Himmel zwischen dem Horizont und dem Gewölke in goldrotem Glanz. Die Türme des altertümlichen Schlosses stachen noch schwärzer ab vom glänzenden Abendrot des Himmels, während die Schlote der Destillieröfen, die Ränder der Bergwälder und die Gipfel der Steinkohlenhaufen davon golden erschimmerten. Die himmlische Fee zauberte goldene Säume auf die schwarze Landschaft.
Die Arbeiter hatten ihr Tagewerk vollbracht. Die Weiber und Mädchen, deren Arbeit in Karrenschieben besteht, eilten in Gruppen nach Hause. Eines dieser Frauenzimmer begann zu singen. Es war ein slowakisches Volkslied, eine Art Romanze. Eine Mutter verheiratet ihre Tochter und nimmt von ihr Abschied; sie ruft ihrer Tochter die Kinderjahre in die Erinnerung mit den Worten:
»Wenn ich das Haar dir strich,
Zerrt' ich am Haare dich?
Wenn ich dich wusch, mein Kind,
War ich je ungelind?«
Die Melodie ist so rührend, so melancholisch, wie die slawischen Melodien überhaupt zu sein pflegen – als hätte ein Weinender sie komponiert.
Und die Stimme, welche dieses Lied sang, war schön, klangvoll und voll Empfindung.
Iwan ertappte sich dabei, wie er stehen blieb und dem melancholischen Gesang lauschte, bis dieser hinter den Häusern verscholl.
Und in diesem Augenblicke schien es ihm, als ob dennoch ein Unterschied wäre zwischen dem Leben unter der Erde und dem Leben auf der Erde.
Das Lied verklang, die Wolken erdrückten das Abendrot. und jetzt wurde die Landschaft wahrhaft schwarz. Kein Stern, kein weißes Haus war zu sehen.
Nur die Fenster des gegenüberliegenden Hammerwerks leuchteten in die Nacht hinaus, gleich den Feueraugen eines in der Nacht auf Leute lauernden Ungetüms, und der Rauch der Destillieröfen stieg aus den Schloten, blaßgelbe Ringe an den Himmel zeichnend.