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Dieser Damenstreik dauerte in Paris schon ein wenig zu lange.
Wir, die wir den Streik der Schriftsetzer und der Bäckergesellen gefühlt haben, wissen, wie schwer es ist, eine Arbeitseinstellung bei Gegenständen auszuhalten, die zu den täglichen Genüssen gehören.
Wie erst, wenn die Frauen streiken.
Parbleu!
Mit solchen Dingen zu scherzen, ist in Paris gefährlich. Einst kam die Enthaltsamkeit von Genüssen und die Kasteiung des Leibes in Mode, und allmählich verbreitete sich die Wut der heiligen Verzückung derart, daß überall alle schönen Frauen und Mädchen, anstatt sich um ihre Geliebten umzusehen, auf die Friedhöfe gingen, um sich zu geißeln; die Sekuristinnen ließen sich mit Holzscheiten schlagen und riefen dabei: »Ach, wie gut ist das! ach, wie heilsam!«
Endlich mußte der König die Friedhöfe schließen lassen und die heilige Verzückung verbieten, worauf die Konvulsionäre das Bonmot hinschrieben:
De par le roi, défense à Dieu,
De faire miracle en ce lieu.
(Im Namen des Königs wird unserm Herrgott verboten,
an diesem Ort ein Wunder zu vollbringen.)
Zuletzt waren weder der König noch das Parlament imstande, der Sache ein Ende zu machen, bis nicht eine neue Mode aufkam.
Gepriesen sei, wer den Chignon erfunden und den schönen Damen etwas anderes zu schaffen gegeben hat, als für das Erhabene zu schwärmen, sonst hätte sich nach dem Sturz der Krinoline die asketische Schwärmerei der Damen über die ganze Welt verbreitet.
* * *
Abt Samuel suchte Eveline auf.
O in Paris findet niemand etwas Besonderes darin, daß die Abbés Theaterdamen besuchen.
Der Herr Abt ist beiderseits ein alter guter Hausfreund, sowohl beim Mann als bei der Frau.
Eveline empfing ihn damit, daß sie ihm ihr Programm zu dem Konzert zeigte, das sie in ihrem Salon zu einem frommen Zweck geben wollte.
Der Herr Abt legte großes Interesse für das Programm an den Tag.
»Sehen Sie nur,« sagte Eveline ärgerlich zu ihm, »wie gut es gewesen wäre, wenn dieser dumme Junge Arpad hier zwischen der Gesangs- und der Violoncellnummer eine Piece auf dem Klavier gespielt hätte – aber er will nicht kommen.«
»Ist Arpad denn hier?«
»Ja! Er ist eben von mir wie ein Narr weggelaufen. Ich habe ihn so schön gebeten, an meinem Konzert teilzunehmen. Und mein »Stabat mater« könnte er am besten auf der Physharmonika begleiten. Aber er hat mich gar nicht angehört, er ist närrisch, er ist ein Ketzer geworden.«
Der Geistliche schüttelte sich vor Lachen, und während des Lachens ersann er sich etwas.
Diese Frau spricht sehr gern von dem Jungen Arpad. Der Junge Arpad tritt in sein zwanzigstes Jahr. Eveline nähert sich ihrem neunzehnten Jahre.
Die Kinder brauchen auch eine Unterhaltung, um zu ernsteren und schwierigeren Dingen bereit zu sein. Wäre es nicht gut, Waldemar mit Arpad zu verzuckern?
»Nun, ich werde es zuwege bringen, daß Arpad Belényi hier in Ihrem Konzert Klavier spielen und auch das »Stabat mater« auf der Physharmonika begleiten wird; aber was bekomme ich dafür von Ihnen?«
»O! er tut es nicht. Ich kenne ihn. Er ist sehr eigensinnig, wenn er sich einmal etwas in seinen Kakadukopf gesetzt hat! Und wenn ich bei ihm nichts ausgerichtet habe –!«
Eveline war von der Zaubermacht ihrer Augen überzeugt.
»Nun, ich nehme es auf mich. Aber was bekomme ich dafür?« drang der Geistliche in sie.
»Womit wollen Sie ihn bewegen?« fragte ihn Eveline. (Sie sagte noch immer nicht, was sie ihm dafür geben wolle.)
»Das wird sich schon finden; zum Beispiel damit, daß wenn er hier spielt, auch im Salon der Kaiserin werde spielen dürfen, wodurch sein Glück für die ganze Saison begründet sein wird. Ein Künstler weiß das zu würdigen. Dann werde ich ihm auch Geld versprechen.«
»Ah! das habe ich ihm ja schon angeboten! – fünfhundert Frank!«
»Nun, was fünfhundert Frank bei einem jungen Mann nicht zustande gebracht haben, das läßt sich vielleicht mit hundert Napoleondor, durch einen Geistlichen übersendet, bei einer alten Frau ausrichten. Arpad muß seiner Mutter folgen, und was die alte Frau beschlossen hat, das muß der Junge tun. Ich kenne die Verhältnisse.«
»Ei, Sie sind ein kluger Mann, Herr Abt! Darauf wäre ich nicht gekommen. Freilich hätte ich nicht mit dem Buben, sondern mit seiner Mutter unterhandeln sollen. Also nehmen Sie es auf sich? Nun, wenn Sie es tun, so verlangen Sie von mir was Sie wollen!«
Die Frau war so gut gelaunt, daß man alles bei ihr wagen konnte.
Der Geistliche wagte.
»Also, was ich von Ihnen verlange, ist eine Einladung zu Ihrem wohltätigen Konzert.«
»O, zehn, wenn Sie wollen!« rief Eveline voller Freude.
»Aber die Einladung lautet auf einen Namen, und diesen müssen Sie selbst hinschreiben.«
»Diktieren Sie mir, an wen soll ich die Einladung richten?«
Eveline zitterte vor Aufregung, als sie die Schublade ihres Schreibtisches herauszog und eine Einladungskarte vor sich hinlegte.
»Nun? der Name?«
»Fürst Waldemar Sondershain.«
Eveline stieß, als sie diesen Namen hörte, die Feder auf den Tisch, daß diese darin mit der Spitze stecken blieb. Sie sprang heftig auf und rief: »Nein!«
Der Herr Abt brach hierüber in schallendes Gelächter aus.
»Ach, wie gut steht Ihnen dieser Zorn! Ich bitte, zerbrechen Sie noch einige Federn.«
»Dem Fürsten Sondershain gebe ich keine Einladung.« sprach Eveline und warf sich trotzig auf das Sofa.
»Ist Ihnen der Fürst unangenehm?«
»Unausstehlich!«
»Und bilden Sie sich denn ein, daß die Welt aus lauter Arpad Belényis bestehen muß?«
Eveline sprang auf und zerriß zornig das ganze Programm.
»Nun, so soll auch Arpad zu Hause bleiben und sich hinter dem Rock seiner Mutter verstecken! Ich brauche weder ihn noch einen andern noch das ganze Konzert! Es ist aus. Ich weiß nichts mehr davon.«
Und sie warf die zerrissenen Papierstücke in den Kamin.
Da erhob sich auch der Geistliche von seinem Sitz und faßte die aufgeregte Dame an der Hand.
»Fassen Sie sich, meine Gnädige. Ich bin in einer sehr ernsten Angelegenheit zu Ihnen gekommen, die Sie, Ihren Gemahl, und ich verhehle es nicht, auch mich selbst interessiert – in einer Angelegenheit, die uns alle drei so sehr angeht, daß ich sie eine Lebensfrage nennen darf; wenn diese sich gegen uns wendet, so ist Ihr Gemahl nach Amerika, ich in mein Kloster, und Sie sind, ich weiß nicht wohin verbannt.«
Die Dame setzte sich betroffen nieder.
»Zunächst beginnen wir mit Ihrer Angelegenheit. Sie werden wissen, daß Fürst Theobald, nachdem Sie ihm sein Palais in der Maximiliangasse, das Ihnen geschenkt war, einfach zurückgegeben, für Sie Bondavárer Aktien im Nominalbetrag von einer Million deponiert hat.«
»Ich weiß kein Wort davon!« sagte Eveline erstaunt.
»Nun, das beweist, daß Sie nicht einmal daran gedacht haben, Herrn Kaulman zu fragen, was dieser fürstliche Haushalt, die prächtige Equipage, die zahllose Dienerschaft, der Wintergarten usw. kosten.«
»Ich glaubte,« sprach die Frau verwirrt, »daß meine Gage, und Herr Kaulman ...«
Ein spöttisches Lächeln auf den Lippen des Geistlichen schnitt ihre Worte entzwei. Der Geistliche fuhr fort: »Das alles hat ein Ende! Nach einem heute hier eingetroffenen Telegramm ist über den Fürsten auf Verlangen seines Schwiegersohnes die gerichtliche Kuratel verhängt worden. Die Kuratel wird ohne Zweifel auch die zu Ihren Gunsten deponierten Bondavárer Aktien mit Beschlag belegen.«
»Sei es drum!« sprach die Frau gleichmütig.
»Nun, deshalb könnte man noch einen Prozeß führen. Aber jetzt kommt das größere Uebel. Nach einem zweiten Telegramm ist das Bondavárer Bergwerk in der verflossenen Woche durch das schlagende Wetter in die Luft gesprengt worden.«
Eveline kreischte auf: »Auch das des Herrn Berend?«
Der Geistliche blickte sie erstaunt an und fuhr dann in ihren Zügen forschend fort: »Das nicht! Aber das Aktienbergwerk ist ganz zerstört. Außerdem ist ein Hauptstollen in Brand geraten, und das Löschen ist unmöglich.«
Der Geistliche entnahm aus dem zum Himmel gewandten Blick der Frau und aus ihrem tiefen Seufzer, daß sie dachte: Dank sei Gott dafür, daß nur Berend nichts geschehen ist!
»Daraus entsteht nun eine große Gefahr,« fuhr der Abt fort. »Sie haben vielleicht davon gehört, zu welchem glänzenden Ruf Kaulman durch die Bondavárer Unternehmung in der Finanzwelt sich erhoben hat. Millionen sind in realem Wert angelegt, und zehnmal soviel Millionen in idealem Wert; als Gegenstände des Börsenspiels schweben sie in der Luft. Eine solche Katastrophe, die vielleicht noch überstanden werden kann, denn wer weiß, ob es nicht möglich ist, das Grubenfeuer doch zu löschen – ist vorläufig eine genug starke Waffe in der Hand des Gegners, um Kaulman zu stürzen. – Der explodierte Stollen ist zugleich die Pulvermine der Kontermineure. Das Vermögen eines Geldfürsten liegt nicht in den Millionen, die seine eiserne Kasse verwahrt, sondern in den Milliarden, die für ihn in den Geldschränken der Fremden zur Verfügung stehen, in seinem Kredit. Ein eklatanter Fall, und alle diese Geldschränke schließen sich vor ihm, und selbst das Geld, das bei ihm unter Schloß und Riegel lag, schmilzt hin – wenn anders er sich nicht mit soviel Geld flüchtet, als er mit seinen beiden Händen aus seiner eignen Kasse nehmen konnte. Kaulman ist jetzt in dieser Lage. Heute bieten ihm alle Hände hundert Millionen an, morgen ertönt ein Schrei, und dieselben Hände pochen alle an seinem Tor, um zurück zu verlangen, was sie ihm anvertraut haben. Ob dieser Schrei sich erhebe oder nicht, das hängt jetzt von einem Menschen ab. Dieser Mensch ist Fürst Waldemar Sondershain. Er ist hier. Heute ist er angekommen. Wahrscheinlich hat er den Bondavárer Unglücksfall früher erfahren als Kaulman durch seine Direktoren, die vielleicht die Gefahr noch bekämpfen zu können hofften. Kaulmans Schicksal liegt in der Hand des Fürsten Sondershain, und ich verhehle es nicht, auch das meine. Ich war die bewegende Kraft eines ungeheuern, die halbe Welt interessierenden Projekts. Morgen sollte auf den Geldmärkten zu Paris und Brüssel das durch Kaulman geleitete Kirchenanlehen aufgelegt werden, das vielleicht der Weltgeschichte eine neue Wendung geben könnte. Wenn Fürst Waldemar die Bondavárer Katastrophe benützt und damit Lärm schlägt, so zerfließt das Ganze wie ein Traum. Wenn er auf der Börse erscheint und ruft: Kaulmansche Aktien sechzig unter Pari! so sind wir verloren. Wenn er schweigt, so gelingt der Plan glänzend, und dann schrumpft das Bondavárer Malheur zu einer so winzigen Tatsache zusammen, die man auf dem Weltmarkt gar nicht bemerkt. Begreifen Sie nun, welche Zaubermacht ein Wort von Ihnen besitzt, was Sie tun können, wenn Sie dem Fürsten Waldemar ein Wort sagen?«
Eveline schüttelte nur stumm den Kopf und legte ihren Zeigefinger an ihre Lippen. Ein Bild vom Genius des Schweigens.
»Was? Sie wollten dies nicht tun?« sprach der Herr Abt, zu heiligem Zorn erregt. »Sie denken nicht daran, daß es Sie ein einziges Wort kostet, damit ein erhabenes Ziel erreicht werde? Sie möchten den heiligen Stuhl zusammenstürzen, auf die Engelsburg anstatt des Kreuzes die rote Fahne der Ungläubigen aufpflanzen, die Heiligen von ihren Standplätzen herabstürzen lassen – und alles um einer Weiberlaune willen?«
Eveline breitete die Arme aus, als ob sie zum Kampf mit einem Riesen schritte und rief entschlossen: »Ich kann mit diesem Menschen nicht sprechen!«
Abt Samuel war jetzt über diese Laune schon ärgerlich. Er nahm sich vor, die Frau, wenn er sie nicht überreden kann, wenigstens empfindlich zu verletzen.
Darum nahm er seinen Hut, und diesen hinter seinem Rücken in der Hand haltend, sagte er zu Eveline mit kaltem Spott: »Ich begreife Ihre Antipathie nicht. Fürst Sondershain steht ja in keiner Beziehung den Männern nach, die Sie bisher bei sich empfangen haben.«
Auf diese Beleidigung ergriff Eveline heftig die Hand des Geistlichen und sagte mit der rückhaltslosen Selbstvergessenheit des Herzens: »Herr! Ich bin noch ein Mädchen!«
Der Geistliche blickte sie erstaunt an.
Das brennende Gesicht, welches die Dame tief errötend abwandte, das jungfräuliche Niederschlagen der Augen, das kindliche Schluchzen – alles zeugte für die Wahrheit ihrer Worte.
Der Geistliche seufzte tief.
Seine ganze Größe, seine ganze Glorie fühlte er vor diesem Wort in nichts zerfließen.
Diese Idee ist ja noch größer als die Engelsburg!
Eine Frau mit dem »talon rouge« am Fuß und mit der Myrte auf dem Haupt.
Die Kurtisane und die Immakulata!
Und der Geistliche verstand am besten, was der Schlüssel zu diesem Sphinxrätsel sei.
Der Geistliche fühlte sich durch dieses Wort aus seiner Bahn geschleudert.
Saulus wurde durch den Blitz nicht besser niedergeschmettert.
Er fühlte, daß alles, was ein Mann Großes, Unmögliches von Erhabenheit, Macht, Weltruf träumen kann, Rauch und Dunst ist im Vergleich zu der Höhe, von der diese Frau jetzt zu ihm herabgesprochen hat – diese Frau, die auf das Verlangen eines Mannes, dem sie Treue geschworen, die Schminke einer feilen Modedame getragen, und unter dieser Schminke die jungfräuliche Schamröte zu bewahren gewußt hat.
Er hatte nicht mehr die Absicht sie von dieser Höhe herabzureißen.
»Eveline!« sprach er zu ihr mit sanftem Ernst; »mit dem Wort, das Sie jetzt gesprochen, haben Sie mich in meine Zelle verbannt. Gut! Ich gehe in meine Zelle. Sie haben meine glänzenden Träume von weltlicher Herrlichkeit verscheucht. Gut! Ich träume nicht mehr davon. Sie haben gesagt: Ich bin noch ein Mädchen! Gut; seien Sie denn wirklich ein Mädchen. Die französischen Gesetze erkennen keine Ehe an, die nicht vor der Zivilbehörde geschlossen wurde. Ihre Ehe mit Felix Kaulman ist in diesem Lande null und nichtig. Sie sind hier Mademoiselle Eva Dirmák, nichts weiter. Sie können Herrn Kaulman sagen, daß Sie dies von mir gehört haben. Ich habe ihm den Rat gegeben, daß er mit Ihnen so verfahre. Jetzt gehe ich in mein Kloster zurück, um mich mit Gott auszusöhnen.
»Eva Dirmák« stürzte zu den Füßen des Geistlichen nieder und bedeckte seine Hand mit Küssen und benetzte sie mit ihren Tränen.
»Legen Sie Ihre Hand auf mein Haupt!« schluchzte das Mädchen. »Gott segne Sie, mein Vater!«
Der Geistliche streckte nur von fern seine Hand gegen sie hin.
»O, meine Tochter, über deinem Haupt schwebt unsichtbar eine Hand, die dich schützt. Möge sie dich in Ewigkeit schirmen.«
Der Geistliche entfernte sich. Er suchte Kaulman gar nicht mehr auf. Er fuhr nach dem Bahnhofe, dort löste er eine Karte und schloß sich dann in sein stilles Kloster ein.
Die Welt hat nichts mehr von ihm gehört.