Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Band.

Die herausgeschmeichelten Taler.

In der Stadt X. ist eine Gasse, die heute noch die »griechische Gasse« heißt. Es ist eine Reihe schöner, sauberer Häuser, welche einst durch griechische Kaufleute erbaut wurden; in der Mitte der Gasse steht die Kirche mit der Marmorfassade und dem prächtig vergoldeten Turm, dessen Glocken die klangvollsten in der ganzen Stadt sind. Man sagt, daß die Griechen, als jene Glocken gegossen wurden, mit vollen Händen silberne Taler in die flüssige Erzmasse warfen.

Die Griechen waren ein gewandter, kluger, liebenswürdiger Schlag Leute. Sie waren die ersten Begründer des soliden Handels in Ungarn; den Juden war es damals noch nicht gestattet, liegende Gründe zu erwerben, darum konnte man es nur an den Häusern der griechischen Kaufleute sehen, was Verstand und Fleiß vermögen.

Außerdem nahm, man trotz ihrer mazedonischen Abkunft niemals wahr, daß sie nicht echte Magyaren seien. Ihre Muttersprache war die ungarische, die anderen erlernten sie. Sie sonderten sich auch nicht ab, sie waren überall dabei. Größtenteils wurden sie Edelleute und waren stolz auf ihre ungarischen Adelsdiplome; sie saßen mit am grünen Tisch. Die Welt merkte erst daran, daß zwischen ihnen und den übrigen Bewohnern ein Unterschied obwalte, daß die Griechen, wenn die übrigen ihre Ostereier längst verzehrt hatten, erst mit der Karfreitagsknarre lärmten.

Der ganze Stamm der Griechen ist in der Stadt X. ausgestorben. Es wäre der Mühe wert, die Gründe zu untersuchen, die dieses Aussterben verursachten; danach zu forschen, warum ihre Männer als Hagestolze, ihre Töchter unverheiratet starben. Es war doch ein wohlgewachsener, kräftiger Schlag; beide Geschlechter zeichneten sich durch feuriges Blut, leuchtende Augen und edles Profil aus. Sie starben nacheinander.

Endlich blieb nur einer übrig, und auch dieser war schon ein alter Junggeselle: der alte Franz Csanta.

Einst war er ein jovialer Geselle, ein lustiger Vorsänger im »No gaja«, ein reicher, freigebiger, gegen schöne Frauen galanter Kavalier, ein verwegener Kartenspieler; mit der Zeit aber wurde er verschlossen, menschenscheu, geizig, er haßte Musik und Gesang und wucherte.

Je vereinsamter er wurde, desto mehr nahmen seine schlimmen Eigenschaften zu. Sowie einer seiner früheren Kameraden, Verwandten, Geschäftsgenossen starb, beeilte er sich, dessen Haus anzukaufen; die ganze Gasse war schon sein, nur in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnte noch eine Partei im eignen Hause. Auch dieses war das Haus eines griechischen Stammverwandten, der jedoch eine Tochter hinterlassen hatte; diese aber blieb ausnahmsweise nicht unverheiratet, sondern wurde die Gattin eines Klaviermeisters, der mit seinem magyarisierten Namen Belényi hieß. Diesem wurde ein Sohn geboren, der bei der Taufe den Namen Arpad erhielt.

Den alten Griechen verdroß das alles sehr. Warum heiratet eine der letzten Griechinnen? warum einen Klaviermeister? Warum bekommt dieser einen Sohn? warum tauft man denselben gerade Urpad? und warum geschieht das alles gerade in seiner Nachbarschaft?

Jetzt ist nur das eine Haus daran schuld, daß nicht die ganze Gasse ihm gehört.

Und ihm gehört sogar auch schon die Kirche. Niemand geht hinein außer ihm. Für niemanden liest der Geistliche die Messe als für ihn. Er ist der Patron, die Gemeinde, der Kurator, das Presbyterium, der Stiftungskassierer, er ist alles.

Wenn auch er gestorben ist, kann man die Kirche schließen, und auf deren Schwelle kann Gras wachsen.

Im Nachbarhause aber zeigte die Generation nicht die mindeste Lust auszusterben. Der Knabe Arpad war so lebhaft wie ein Aal. Im Alter von fünf Jahren schleuderte er seinen Ball über das Dach des alten Griechen in dessen Hof. Der alte Grieche gab ihm freilich den Ball nie zurück.

Der junge Range verursachte ihm noch manchen anderen Verdruß.

Durch die Stadt fließt ein schöner Bach, der zwei Klafter breit und eine halbe Klafter tief ist. Die Gärten der Häuser berühren diesen Bach. Die ganze Gegend ist ein schöner, gesunder Fleck Erde.

Der alte Grieche hat seinen Teil des Baches mit einem Eisengitter abschließen lassen. Selbst in sein Wasser soll niemand hineinkommen.

Das Bachwasser aber hat die Gewohnheit, daß es nicht bei einem Herrn bleibt, wie sehr man es auch durch ein Gitter abschließt, sondern es fließt weiter und anderes kommt wieder an seine Stelle. Das Belényische Haus stand oberhalb des Baches; und der kleine Arpad hatte die schlimme Gewohnheit, daß er, so oft er in den Garten kommen konnte, papierne Schiffchen machte, diese mit Gartenblumen und allerlei Unkraut belud und auf das Wasser setzte; diese Schiffchen glitten dann glücklich durch das Gitter und landeten gewöhnlich am Ufer des Nachbars, welcher die Schiffbrüchigen jeden Morgen dort fand und darüber in schreckliche Wut geriet. Dies sei eine Verletzung des Eigentumsrechts! Wozu schickt der nichtsnutzige Junge papierne Flotten auf sein Wasser? Belényis verboten Arpad fortwährend diese nautischen Versuche, allein der mutwillige Junge wollte nicht gehorchen, und sie hatten darum viel auszustehen!

Dann kam eine kriegerische Zeit; die Honvéds und die deutschen Soldaten schossen aufeinander aus Gründen, die nicht mehr genau bekannt sind. Nach neueren Historikern war das Ganze nur ein Kinderspiel und hatte darin seinen Grund, daß die ungarischen Sipoys, die Mohammedaner sind, ihre Patronen, welche die Deutschen bei der Anfertigung mit Schweinefett beschmieren, nicht mit den Zähnen abbeißen wollten. – Oder ist dies in Ostindien geschehen? Nun, gleichviel; man weiß den Grund nicht mehr genau. Was sonst davon erzählt wird, das haben alles die Poeten erfunden.

Das alles wird aus keinem anderen Grunde erwähnt, als damit erhelle, wieso Iwan Berend in das Belényische Haus kam. Er half dort in der kriegerischen Zeit irgendeinen Angriff zurückschlagen und wohnte damals bei Belényis. Man gewann ihn recht lieb, denn er war ein heiteres Gemüt. Einmal wurde der arme Klaviermeister, als er durch die Gasse ruhig nach Hause ging, von einem Stück einer in der Ferne explodierten Bombe dermaßen am Kopf getroffen, daß er sofort den Geist aufgab. So wurde der kleine Arpad verwaist, und darum adoptierte ihn Iwan als seinen Sohn. Iwan mußte später einmal die Waffen ablegen und irgendwohin sich begeben; wohin und wie? Es ist schon so lange her und die Geschichte ist so langweilig, daß es besser ist, wenn wir davon nicht sprechen.

Darum gab Iwan der Frau Belényi alle seine Goldstücke, damit sie dieselben zu Arpads musikalischer Ausbildung verwende. An dem Geld lag ihm ohnehin nichts, gescheiter hätte er es nicht verwenden können. Wer weiß, mit wem er es hätte teilen müssen, wenn er es mit sich genommen hätte.

Zu derselben Zeit geschah es, daß ein ungarischer Regierungskommissar auf dem Marktplatz der Stadt X. austrommeln ließ, daß jeder, der deutsche Banknoten hat, diese auf den Platz bringen müsse; da werde ein Scheiterhaufen sein, auf welchem man sie verbrennen wird. Wer es nicht tut, dem werde es schlecht ergehen.

Und in der Tat brachten alle, die wollten, daß es ihnen nicht schlecht ergehe, die deutschen Banknoten herbei und diese wurden dann verbrannt.

Auch Frau Belényi hatte ein Ersparnis im Betrage von ein paar hundert Gulden. Wo sollte sie diese hintun? Es tat ihr sehr leid darum, daß das Geld ins Feuer geworfen werden sollte. Sie ersuchte daher ihren reichen Nachbar, den alten Griechen, es ihr in ungarische Banknoten umzuwechseln.

Zuerst hätte er sie bald hinausgeworfen, aber später erbarmte er sich ihrer doch und gab ihr dafür ungarische Banknoten.

Er gab ihr dann noch mehr.

Nach einer Woche ging er zu der Frau und sagte ihr: »Ich will dein Geld nicht mehr verwalten, das dein Vater mir auf sechs Prozent gegeben hat. Hier sind deine zehntausend Gulden, mache damit, was du willst.« Und hiermit zahlte er ihr das bei ihm placierte Kapital in ungarischen Banknoten aus.

Wieder eine Woche später kam ein anderer Kommandant in die Stadt, und dieser war ein Deutscher. Dieser wieder ließ austrommeln, daß die ungarischen Banknoten abgeliefert werden müssen, um verbrannt zu werden; wer sie nicht abliefert, sei des Todes!

Die arme Frau Belényi lief verzweifelt zum Nachbar und fragte, was sie tun solle; die ganze Summe, die er ihr zurückgezahlt, liege noch in ihrer Schublade! Sie müsse mit ihrem Kinde betteln gehen, wenn sie all dieses Geld verliert. Wozu er ihr das Geld gerade jetzt zurückgegeben, wozu er ihre deutschen Banknoten umgewechselt habe, wenn er wußte, daß solche Umstände eintreten werden!

»Wer hat das voraus gewußt?!« schrie Csanta sie an; und jetzt begann er in noch höherem Tone zu klagen. »Wenn du eine Bettlerin bist, so bin ich noch dreimal mehr verarmt. Ich habe keinen roten Heller im Hause, ich weiß nicht, womit ich heute mein Fleisch in der Fleischbank bezahlen soll. Mir werden hunderttausend Gulden verbrannt. Ich bin ruiniert, ich bin ein Bettler!«

Und hiermit fing er an, beide kriegführende Parteien zu verfluchen, so daß Frau Belényi ihn beschwichtigen mußte; er möge nicht schreien, damit man, Gott bewahre, ihn nicht draußen höre und ihn dafür aufhänge.

»Meinethalben sollen sie's hören und mich aufhängen! Ich stelle mich auf den Platz hinaus und sag' es ihnen ins Gesicht, und wenn sie mich nicht aufhängen, so hänge ich mich selbst auf. Ich überlege nur, ob ich mich an meinem Brunnenschwengel oder im Turm am Glockenstrick hängen soll.«

Frau Belényi bat ihn um des Himmels willen, dies nicht zu tun.

»Also, was soll ich denn tun? – Soll ich den Hut hinhalten und um Kreuzer betteln? – Hier sind meine letzten zwei Groschen!« Und als er diese aus der Tasche herauszog, fing er an bitterlich zu weinen, und seine Tränen floßen in Strömen.

Die arme Frau mußte ihn trösten; er solle deshalb nicht verzweifeln, der Müller und der Metzger würden ihm ja gern, was er braucht, auf Kredit geben. Und sie war nahe daran, ihm einen Zwanziger zu schenken.

»Nun, du wirst schon sehen!« sprach der alte Grieche schluchzend. »Komm nur morgen zu mir, und du wirst schon sehen, daß ich hier in meinem Gang hänge, das überlebe ich nicht.«

Was konnte die arme Witwe dann tun? Sie trug ihr Geld zum Herrn Kommandanten, und man verbrannte es auf dem Platze.

Es war ein schrecklich lächerlicher Spaß; vielen gehen heute noch die Augen über, wenn sie sich daran erinnern.

Für die Witwe folgte dann eine Zeit großer Not.

Sie hatte ihr ganzes, von ihrem Vater ererbtes Kapital verloren; es blieb ihr nichts als ihr Haus. Die vorderen Zimmer desselben vermietete sie als Kaufmannsgewölbe, in den nach hinten gelegenen wohnte sie selbst und lebte ärmlich von ihrem schmalen Einkommen.

Immer blickte sie furchtsam auf den Gang des Nachbars, ob sie den Alten dort nicht am eisernen Haken hängen sehe. Denn sie selbst litt sehr viele Entbehrungen.

Der Alte aber hängte sich wahrhaftig nicht auf. Zwar hatte auch er einige tausend Gulden verloren; aber das war nur die Spreu, das Korn war ihm geblieben. Er hatte einen Keller, zu welchem man aus seinem Hause durch einen schmalen unterirdischen Gang gelangen konnte. Dieser Keller befand sich gerade unter dem Bach. Ein Wiener Maurerpolier hatte ihn gebaut, die Leute im Ort wußten nichts davon. Dieser Keller war voll mit halben Eimerfässern, und jedes Faß war voll mit Silber. Im Keller des Alten war ein unberechenbarer Schatz verborgen. Und eine geheime Maschinerie im Schlafzimmer des Besitzers setzte denselben in den Stand, mit dem Andrücken einer einzigen Feder eine im Bett des Baches verborgene Schleuse zu öffnen und so den Keller in wenig Augenblicken unter Wasser zu setzen. Ein Räuber wäre dort vergebens eingedrungen.

Alle Gold- und Silberstücke, welche je in den Besitz des Herrn Csanta gelangten, wanderten in den unter dem Wasser befindlichen Keller und sahen niemals das Tageslicht wieder.

Die arme Witwe aber entbehrte und nähte und stickte für Geld, um ihr tägliches Brot zu erwerben.

Die Goldstücke, die sie von Iwan bekommen, würde sie, selbst wenn sie Hungers hätte sterben müssen, zu nichts anderem verwendet haben, als wozu sie ihr gegeben wurden – zu Arpads Unterricht.

Und der Klavierunterricht ist so teuer.

Der kleine Arpad war ein Genie! Aber wie alle Kinder hatte er die schlimme Eigenheit, daß er das, wozu Gott ihm Talent verliehen, nicht mit solcher Lust trieb wie Allotria.

Es war ihm zwar nie gestattet, sich ohne die Mutter aus dem Hause fortzurühren, damit er nicht von anderen Kindern Schlechtes lerne; aber ein Knabe erfindet ja genug Gottlosigkeiten von selbst.

Da war zum Beispiel der Garten. Sowie er nur hinunter kommen konnte, ging er zum Hollunderbaum hin, schnitt die vorjährigen Triebe ab, machte daraus eine Mühle, setzte diese aufs Wasser und verbrachte nichtsnutzigerweise seine Zeit damit, daß er stundenlang zusah, wie die Räder seiner Mühle sich drehten. Nun das mag noch angehen. Aber er erfand noch eine andere Nichtsnutzigkeit. Aus einem Zweige desselben Holunderbaums schnitzte er sich eine kleine Flöte und auf diesem primitiven Instrument blies er allerlei Volksmelodien. Herr Klempler, der Klaviermeister, war untröstlich, als er erfuhr, daß sein Schüler sich mit der Holunderrohrflöte abgibt. Der Klavierkünstler verübt ja damit einen wahren Selbstmord. Aber auch das ist noch nicht alles! Auf die Flötentöne pflegte aus dem gegenüber befindlichen Garten, welchen der Bach vom Belényischen Hause trennte, ein kleines flachshaariges Mädchen im Alter von fünf Jahren am Ufer zu erscheinen; dieser kleinen Nachbarin trieb Arpad papierne Schiffchen über das Wasser zu, und sie trieb dieselben wieder zu ihm zurück. Das ist doch schon die Verworfenheit selbst. Junker Arpad wurde dafür energisch verfolgt. Aber niemals gelang es, auf die Spur des Verstecks zu kommen, wo er die Werkzeuge zu seinem Mühlenbau und seine Flöte verbarg. Sobald jemand in den Garten kam, war alles auf die Seite geschafft.

Junker Arpad verbarg sein Spielzeug in der Oeffnung eines Kellerhalses, in welchen er es an einer aus Messingdraht verfertigten Kette hinabließ, damit niemand darauf komme.

Dieses Flötenspiel aber ärgerte den Nachbar unendlich. Und welchen Aerger verursachten ihm erst die fortwährenden Klavierübungen! Zu jeder Stunde des Tages mußte er sie hören, und selbst in der Nacht träumte er davon.

Inzwischen wurde das Leben immer teurer, der Erwerb immer kümmerlicher. Frau Belényi wurde genötigt, auf ihr Haus ein Darlehen zu suchen. Sie wandte sich an den Nachbar und dieser gab es ihr. Das Darlehen wuchs allmählich an, und auf einmal fiel es dem Nachbar ein, sein Geld zurück zu verlangen. Frau Belényi war nicht in der Lage zu zahlen; es entstand ein Prozeß, und dieser endete damit, daß Herr Csanta das Haus der Frau Belényi zur Versteigerung brachte. Und da er der einzige Lizitant war, so brachte er es um den vierten Teil des Schätzungswertes an sich. Der Betrag, um welchen der Kaufschilling die Schuld überstieg, wurde der Frau Belényi ausgefolgt, und nun mußte sie fortziehen.

Junker Arpad verbarg seine Flöte und sein Mühlenzeug zum letztenmal im Kellerhals und vermauerte die Lücke, welche diese Schätze barg, mit Ziegeln, damit man nicht darauf komme. Seine Mutter zog mit ihm nach Wien, um ihn dort weiter ausbilden zu lassen.

Der alte Grieche besaß nun die ganze Gasse. Niemand belästigte ihn mehr. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft duldete er weder Kinder noch Hunde oder Vögel.

Und sein Geld häufte sich immer mehr an.

Die unter dem Wasser aufbewahrten halben Eimerfäßchen vermehrten sich immer mehr und der Inhalt derselben war noch immer Silber.

Was einmal dort hineingebracht wurde, kam nie wieder zurück.

Eines Tages erhielt Herr Csanta Besuch.

Es war ein alter Bekannter, ein Wiener Bankier, mit dessen Vater schon der alte Grieche befreundet war und bei dessen Firma er seitdem stets seine Banknoten in Silber und Gold hatte umwechseln lassen.

Es war Felix Kaulman.

»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre, was bringen Sie mir Gutes?«

»Werter Freund! ich will nicht viel Umschweife machen; die Zeit ist Ihnen wie mir kostbar, und darum gehe ich gleich auf die Sache los, wegen der ich gekommen bin. An der Spitze einer ansehnlichen Gesellschaft habe ich im Herrschaftsgebiete des Fürsten von Bondavár ein großartiges Steinkohlenwerk gegründet, auf dessen Betriebskapital von zehn Millionen 820 Millionen gezeichnet wurden.«

»Das ist ja zweiundachtzigmal mehr als Sie brauchen.«

»Das Geld ist das wenigste. Aber ich brauche angesehene Männer für den Verwaltungsrat, denn der Erfolg des ganzen Unternehmens hängt vom Eifer, der Geschicklichkeit und dem Verständnis des Verwaltungsrates ab.«

»Nun, solche Männer sind ja leicht zu finden, besonders wenn eine gute Dividende in Aussicht steht.«

»Na, die Dividende wird nicht zu verachten sein, und von der Tantieme werden auf jedes Mitglied des Verwaltungsrats jährlich fünf-, sechstausend Gulden kommen.«

»Wirklich ein schönes Geld! Ein Glück für jeden, der in den Verwaltungsrat kommen kann.«

»Nun, zu einem der Mitglieder habe ich Sie ausersehen, werter Freund.«

»Eine große Ehre für mich. Aber was für Opfer habe ich vorher zu bringen?«

»Sie haben weder vorher noch nachher etwas zu leisten. Die ganze Bedingung ist nur die, daß jedes Verwaltungsratsmitglied tausend Stück Aktien zeichnen muß.«

»Das ist viel Geld, junger Freund.«

»Vom Einzahlen ist nicht die Rede, nur vom Zeichnen.«

»Aber, mein junger Freund, trotzdem ich nur ein kleinstädtischer Kaufmann bin, weiß ich doch, daß Subskribieren und Zahlen für den, der es hat, alles eins ist.«

»Ausgenommen, wenn die gegenseitigen Unterschriften einander ausgleichen. Wenn Sie mir zum Beispiel auf mein Steinkohlenunternehmen tausend Aktien zeichnen und ich gleichzeitig mich schriftlich verpflichte, von Ihnen tausend Aktien al pari zu übernehmen, so geht Null für Null auf und keiner von uns verliert etwas.«

»Hm! Aber wozu haben Sie diesen Spaß nötig?«

»Das will ich Ihnen aufrichtig sagen. Die Welt ist nun einmal so, daß sie auf das sieht, was die angeseheneren Menschen tun. Wenn diese sich rühren, so rühren die anderen sich auch. Wenn man auf der Börse sieht, werter Freund, daß Sie tausend Aktien gezeichnet haben, so drängen sich viele kleinere Kapitalisten danach, um ebenfalls Aktien zu bekommen. Dafür erhalten Sie eine Sinekure, die Ihnen fünf-, sechstaufend Gulden abwirft, und ich ernte mit meinem Unternehmen einen glänzenden Erfolg. Nun, nicht wahr, ich habe aufrichtig gesprochen?«

»Hm! Ich werde mir die Sache überlegen, kommen Sie nachmittags ins Kaffeehaus.«

Bis zum Nachmittag horchte Csanta herum, was man im Kaffeehaus von dem Bondavárer Unternehmen spricht; er brachte dazu in Anschlag, daß er ja nichts riskiere, da er durch Kaulmans Obligation gedeckt ist. Als Felix zu ihm kam, hatte er bereits seinen Beschluß gefaßt.

»Gut denn, ich zeichne die Aktien. Aber es soll mir davon keine einzige auf dem Hals bleiben, denn ich mag kein Papier. Papier ist nur Papier, und Silber bleibt immer Silber.«

»Fürchten Sie nichts, werter Freund. Ich behalte alle Aktien für mich. Ich erlege für Sie die Kaution und zahle die Raten.«

Felix beruhigte den alten Griechen hinsichtlich der Aktien und ließ bei ihm die Schrift zurück, in welcher er sich verpflichtete die tausend Aktien zu übernehmen.

Hierauf folgte das Kulissenmanöver.

Die Agenten, die Faiseurs, die Sensale nahmen die Agiotage in Angriff. Die Bondavárer Aktien stiegen rapid.

Aber das Syndikat hatte noch niemandem eine Aktie in die Hand gegeben.

Die Kontermine war noch belebt.

Herr Franz Csanta begann von diesem Tage an fleißig die Blätter zu studieren – nicht die politischen, denn diese lügen immer, sondern die Börsenblätter. Diese sprechen goldene Wahrheit.

Und staunend sah er, was mit den Bondavárer Aktien vorging.

Von Tag zu Tag wuchs ihr Aufgeld; sie stiegen auf sechzehn, achtzehn, endlich auf zwanzig Gulden über pari. Wer zweimalhunderttausend Gulden gezeichnet hatte, gewann daran binnen zwei Wochen zwanzigtausend Gulden. Und möglich, daß er nicht einmal zweimalhunderttausend Gulden gehabt hat, sondern nur die Kaution, die er in Papieren erlegte.

Ein grandioser Gedanke!

Binnen zwei Wochen an zweimalhunderttausend Gulden zwanzigtausend zu gewinnen!

Wieviel muß ein armer, ehrlicher Wucherer sich abmühen, bis er zweihundert Gulden mit zwanzig Prozent Nutzen umsetzt! Wieviel muß er schwitzen, wieviel Angst um sein weggeliehenes Geld ausstehen! Wieviel armen Narren muß er die Haut abziehen, wieviel Hungers Sterbenden das Kopfkissen exequieren, mit wieviel Advokaten sich herumbalgen, wieviel Richtern die Hand schmieren, von wieviel Gewerbsgenossen sich Galgenvogel nennen lassen – während solch ein nichtswürdiger, leichtfertiger Spekulant mit der einfachen Unterzeichnung seines Namens binnen zwei Wochen eine so große Summe einstreicht! Wie ungerecht ist doch das Schicksal!

Jetzt soll Felix Kaulman dafür, daß Franz Csanta tausend Aktien gezeichnet hat, zwanzigtausend bare Gulden einstreichen!

Das wäre kein rechtschaffener Mann, der einer solchen Gottlosigkeit auf die Spur gekommen ist und doch nicht alles aufbieten würde, um sie zu verhindern, damit er die Gottlosigkeit selbst begehen könne.

»Bin ich ein Narr, daß ich für andere stehlen soll?«

Stehlen ist schon an und für sich nicht schön, aber für andere stehlen, das ist ja gar zu unmoralisch!

Einmal kommt Felix Kaulman wieder und besucht seinen alten Freund in der Stadt X.

Der alte Grieche bietet ihm mit schlauem, freundlichem Lächeln einen Sitz an.

»Ich bitte, setzen Sie sich, lieber junger Freund! Was bringen Sie Gutes?«

»Ich bin wegen der Uebertragung der Aktien gekommen, Sie wissen schon, welche ich meine,« sagte Felix mit geschäftsmäßigem Gleichmut.

»Was für Aktien? Ja so! die Bondavárer Aktien! Pressiert es denn?«

»Ja, denn ich will die erste Ratenzahlung leisten, die Umschreibungsgebühr beträgt zwei Gulden pro Stück, die ich, wenn die Aktien gleich auf meinen Namen ausgestellt werden, ersparen kann, und dieses Ersparnis beträgt zweitausend Gulden.«

»Also sind Sie geneigt, alle tausend Aktien zu übernehmen?«

»So wie ich mich kontraktlich verpflichtet habe.«

»Und wenn ich Ihnen davon nur fünfhundert übergeben würde?«

Kaulmann warf die Lippen auf.

»Nun, so wäre ich gezwungen, mich zufrieden zu geben.«

»Und wenn ich Ihnen gar keine geben würde?«

»Was?« schrie Kaulman, von seinem Stuhl aufspringend, »Sie scherzen doch wohl nur?«

»Nein! ich scherze nicht! Bin ich denn ein Narr, daß ich auch nur eine von den Aktien ablassen soll, an der ich bare zwanzig Gulden gewinnen kann!«

Kaulman schien im größten Maße aufgeregt.

»Aber, Herr, wir sind ja so übereingekommen! Und ich habe Ihnen darüber eine Schrift gegeben.«

»Mein Freund, Sie haben mir darüber eine Schrift gegeben, daß Sie verpflichtet sind, von mir die tausend Aktien al pari zu übernehmen; aber ich habe Ihnen keine Schrift darüber gegeben, daß ich verpflichtet bin, Ihnen die Aktien zu übergeben. Das ist der Witz bei der Sache, hehehe!«

Kaulman wankte zurück und behielt Mund und Augen offen.

»Hehehe!« lachte der alte Grieche, schlau mit einem Auge zwinkernd; »nicht wahr, junger Freund, man kann von mir noch etwas lernen?«

»Aber, Herr!« polterte der Bankier, »das geht nicht. Das ist gegen alle Börsengesetze! Wenn auf der Börse jemand zu mir sagt: ich gebe Ihnen am Ultimo tausend Aktien von der und der Gattung zu dem und dem Kurs, so bedarf es keiner Schrift; es genügt, wenn ich das Geschäft in meinem Notizbuch notiere. Das ist Börsengesetz.«

»Was geht mich euer Börsengesetz an? Ich besuche ja die Börse niemals.«

Kaulman verzog sein Gesicht zu einem verdrießlichen Lächeln.

»Ich muß gestehen, daß mich noch niemand so daran bekommen hat! Ich habe meinen Meister gefunden. Geben Sie mir also gar nichts von den Aktien?«

»Nicht einmal eine halbe.«

»Gut; aber dann müssen Sie den gezeichneten Betrag einzahlen.«

»Das, will ich tun, ich werde das Geld in aller Ordnung erlegen.«

»Aber die ganze Summe.«

»Fürchten Sie nichts, das Geld ist da, dieses Haus kann das noch leisten. Wenn es sein muß, zahle ich in Gold, und wenn es sein muß in Silber.«

»Nein!« sprach Kaulman, seinen Zylinder auf den Tisch schlagend, »ich hätte nie geglaubt, daß in dieser kleinen Stadt mich jemand so anschmieren werde.«

Herr Csanta tat sich schrecklich viel zu gut darauf, daß es ihm gelungen war, einen Wiener so daran zu bekommen.

Er eilte auch, sich seinen guten Fang zu sichern. Er hegte den Verdacht, daß man, wenn er mit der ersten Ratenzahlung säumt, seine Aktien annulliert. Darum sah er rasch dazu, die ersten 35 Prozent baldmöglichst auf den Tisch des Bankiers in Silber auszuzahlen.

Das ist aber nicht so leicht. Siebzigtausend Gulden in Silber nehmen einige Wagen in Anspruch. Und dazu braucht man eine Gendarmerie-Eskorte, was Aufsehen erregt. Mag es Aufsehen erregen!

Als Herr Csanta in den Keller ging, um von den in Reihen daliegenden Fässern sieben hinaufzuwälzen (einen andern ließ er sie nicht anrühren), pochte ihm das Herz doch stark. Dieses im Faß aufgespeicherte Silber ist doch ein solides Kapital! Freilich trägt es nichts, es schadet ihm aber auch keine Gefahr. Tränen traten ihm in die Augen, als er von den zwanzig Fässern diejenigen wählen sollte, die zuerst fort mußten. Er beweinte sie fast.

Und dafür gibt man ihm nichts als Papier!

»Aber ihr sollt mir keine Vorwürfe machen, ihr übrigen, die ihr verwaist zurückbleibt! Die entfernten werden bald wieder zurückkehren. Sie treten jetzt einen gar sichern Weg an, da ist kein Meer, kein Schiffbruch; sie reisen auf der Eisenbahn fort, um das Geld zu vermehren. Sowie die Aktien in unseren Händen sind, verkaufen wir sie, das Papier soll in unserem Hause nicht einmal übernachten! Wir kaufen dafür wieder Silber. Auch den Gewinn wechseln wir in Silber ein; anstatt der sieben Fäßchen kommen wir mit deren neun zurück!«

So die zu Hause bleibenden Fäßchen beruhigend, berechnete Herr Csanta das Silberagio nach dem Tageskurse. Er muß demgemäß noch Geld herausbekommen. Und hiermit die ganze Expedition in Ordnung bringend, fuhr er selbst mit der Fracht nach Wien.

Einen Tag, bevor Csanta sich zur Transportierung seines Silbers entschloß, hatte die Kontermine bereits sich zu regen begonnen.

Es war erst der Versuch. Man wollte dem Gegner auf den Zahn fühlen. Man fing an Valuten zu kaufen; wenn das Silber steigt, so fallen die Papiere.

Die sieben Fäßchen Silber des Herrn Csanta kamen daher gerade zur rechten Zeit auf den Markt.

Zwei Wagen, von Gendarmen mit aufgepflanzten Bajonetten begleitet und mit plombierten Fässern beladen, erregen in den Gassen Wiens immerhin Aufsehen. Wie erst, wenn es bekannt wird, daß diese Fässer voll mit Silber sind und dieses viele Silber in die Kreditanstalt wandert, um als erste Rate auf die Bondavárer Aktien eingezahlt zu werden.

Peru und Brasilien öffnen ihre Schleusen!

Die Firma Kaulman half den Lärm vergrößern. Die Uebernahme geschah in Anwesenheit von Amtspersonen, und es entstand ein großes Hin- und Herrennen, bis Herr Csanta seine Quittung über das eingezahlte Silbergeld erhielt; nachmittags wurde diese gegen die Aktien umgetauscht und dabei gleichzeitig das Silberagio eingerechnet. Alles dieses erledigte das Haus Kaulman ohne Provision.

Kaulman betraute mit diesen Geschäften seinen gewandtesten Kommissionär. Er sagte diesem, wie er sich gegen den Griechen zu benehmen habe. Wenn ihm der Grieche was immer für ein Trinkgeld gibt, so solle er ihm dafür die Hand küssen und sich ihm den ganzen Tag zur Verfügung stellen.

Der Kommissionär hieß Spitzhase.

Nachmittags überbrachte Spitzhase Herrn Csanta die Eskompterechnung, das ihm nach dieser Rechnung herauskommende Geld und die Aktien, wobei er dem »gnädigen Herrn« mit großer Dienstfertigkeit zu wissen machte, daß er ihm um siebenhundert Gulden mehr gebracht habe, als er selbst berechnet hatte, weil seit vorgestern, wo er die Rechnung machte, das Silberagio um ein Prozent gestiegen sei.

Hm! Das ist ja ein rechtschaffener Bursche, dachte sich Herr Csanta; ich sollte ihm ein Trinkgeld geben.

Und er gab ihm einen Fünfer.

Spitzhase dankte überschwenglich und unterließ es nicht, dem Griechen die Hand zu küssen.

Hm! dachte sich Herr Csanta – vielleicht waren fünf Gulden zu viel? »Geben Sie mir die Banknote zurück, ich wollte Ihnen eine andere geben, ich habe mich geirrt.«

Und er gab ihm anstatt des Fünfers einen Einer.

Spitzhase dankte auch dafür und küßte ihm die Hand.

Hm! Das ist ein gutmütiger Mensch, ganz nach meinem Wunsch. »Geben Sie mir den Einer nur zurück, ich habe mich wieder geirrt.«

Dann gab er ihm eine Fünfzigguldennote.

Spitzhase küßte ihm jetzt schon beide Hände und segnete ihn für diese und jene Welt.

Herr Csanta war überzeugt, daß er jetzt diesen Menschen samt seiner Familie auf ewig glücklich gemacht habe.

»Wie, wenn wir mit dem Silber bis übermorgen gewartet hätten, hätten wir denn dafür nicht mehr bekommen können?«

»O nein, glauben Sie mir, heute war die beste Zeit, übermorgen wird dasselbe um zwei Prozent fallen.«

»Woher wissen Sie denn das?«

»O ich kenne das Börsenwetter.«

»Sie? Warum spekulieren Sie also nicht auf der Börse, wenn Sie sich so gut auskennen?«

»Weil man dazu Geld braucht, und das habe ich nicht. Ich kann darum nur Sensariegeschäfte machen.«

»Sind Sie auf der Börse bekannt?«

»Ich bringe dort alle meine Zeit zu, nur daß ich dort nicht schlafe.«

»Also führen Sie mich auf die Börse. Ich möchte mich dort ein wenig umsehen.«

Herr Csanta hatte die Absicht, dort, sobald er seinen Mann findet, seine Bondavárer Aktien gleich zu verkaufen.

»Also kann man auch abends auf die Börse gehen?« fragte er.

»Um diese Zeit geht es dort sogar am lebhaftesten zu, besonders an einem Tage wie der heutige.«

Herr Csanta ließ sich in den Tempel des Mammon einführen.

Schon vor der Tür hörte man den wirren Lärm, welcher den Saal drin erfüllte; und sobald sie in die Halle eintraten, schwindelte Herrn Csanta der Kopf bei dem nie gesehenen Spektakel. Der hohe geräumige Saal war vollgepfropft mit Menschen, die in einem wirren Knäuel aufeinander herumtraten und alle hatten Zylinderhüte auf; jedermann sprach und schrie, als ob sie miteinander zankten; sie fuchteln mit Fäusteln, mit Papier in der Luft herum, zeigen mit den Fingern verschiedene Zahlen und schreien einander Namen und Beträge zu, daß einem der Kopf schwindelt.

Spitzhase, als hier wohl bewanderter Mensch, führte Herrn Csanta durch das Gedränge, und dieser fand etwas Außerordentliches darin, daß man hier so viel Rippenstöße bekommt, ohne daß dafür um Vergebung gebeten wird.

Er hätte gern gewußt, was das: »Ich geb'! Ich nehm'!« bedeutet, das hier von den Lippen der, wie es scheint, streitenden Parteien tönt.

Aber noch mehr fesselte seine Aufmerksamkeit ein Name, den er allmählich zu erkennen begann. »Puntafar! Puntafar!« – Das wird wohl Bondavár sein?

So viel wußte er schon, daß wenn jemand etwas zu verkaufen hat, er früher auf dem Markt umherfragt, als ob er ein Käufer wäre, um so zu erfahren, wie hoch er seine Ware halten soll.

Darum fragte er einen derjenigen, welche da schrien: »Wer will Puntafar?« um welchen Preis er die Bondavárer Aktien gebe.

»Dreißig über Pari!«

Herrn Csanta flogen die Funken vor den Augen. Das ist unmöglich.

»Das ist ja sehr viel. Gestern standen sie nur zwanzig.«

»Das war gestern. Heute stehen sie dreißig. Wenn Sie morgen kaufen wollen, so werden Sie fünfunddreißig geben müssen. Die ganze Welt kauft das Papier. Ein reicher Nabob aus Ostindien hat all sein Silber hergebracht und dafür Puntafar gekauft; aus Peru, aus Brasilien kommen Leute und zahlen mit effektivem Silber. Ein marokkanischer Bey und ein russischer Fürst, welche Silberbergwerke besitzen, haben jeder zehntausend Aktien bestellt. Alle kleinen Leute, wenn sie auch nur hundert Gulden haben, springen einander auf den Rücken und betteln förmlich um Puntafar mit dreißig Gulden Aufgeld. Was wollen Sie denn?«

Herr Csanta ahnte nicht, daß er der ostindische Nabob, der peruanische Inka, der marokkanische Bey und der russische Fürst in einer Person sei, und daß er allein diesen Aufruhr verursacht habe.

Er glaubte vielmehr, daß man mit ihm nur scherze und daß man hier viel feilschen könne. Er möchte sich auch mit einem geringeren Nutzen begnügen.

»O sprechen Sie nicht so, Herr!« erwiderte er dem Mann, mit dem er sich eingelassen. »Dreißig Gulden Aufgeld, das ist ja zu viel! Ich gebe Ihnen tausend Stück Bondavárer Aktien mit fünfundzwanzig Gulden Aufgeld.«

Einen solchen Lärm hatte Herr Csanta noch nicht gehört, wie den, den er mit diesen Worten heraufbeschwor.

Vorn, hinten, von den Seiten griff man ihn an, schrie man ihn an, stieß man ihn, brüllte man ihm in die Ohren, fuchtelte man ihm mit Fäusten unter der Nase herum: »Wer ist das? Was ist der? Kontermineur! Vaissieur! Schuft! Dieb! Reaktionär! Bezahlter Agent! Hinaus mit ihm! Schlagt ihm den Hut ein! Werft ihn hinaus! Fünfundzwanzig will er nehmen? Er soll fünfundzwanzig auf den Rücken kriegen!«

Spitzhase vermochte kaum Herrn Csanta aus dem heiligen Raum zu entfernen, aber den Hut konnte er ihm nicht mehr retten, der war schon zerdrückt, und draußen fing auch er an mit ihm zu zanken.

»Was zum Teufel haben Sie da gemacht? Sind Sie bei Sinnen, daß Sie in dem Augenblick, wo die Kontermine niedergeschlagen, in den Staub getreten ist, als Kontermineur auftreten und unsere eignen Aktien herabdrücken wollen?!«

»Ich wollte sie ja nicht herabdrücken,« entschuldigte sich Herr Csanta, »ich wollte nur sehen, ob man die Aktien wirklich um den Preis gibt.«

»Ob man sie wirklich so gibt?« sprach Spitzhase in tadelndem Ton; »als ob man auf die Börse ginge, um Witze zu machen! Das Puntafarer Papier ist ja bares Gold! Heute ist es dreißig ›Ware‹, achtundzwanzig ›Geld‹; morgen wird es zweiunddreißig ›Ware‹ und dreißig ›Geld‹ sein. Und so geht es immer höher. Hätte ich nur Geld, ich würde meinen letzten Groschen darin anlegen. Ich weiß, was ich weiß, ich kenne das Börsenwetter. Und was ich erst bei Kaulmatt erfahren habe! Doch ich darf nicht reden!«

»Also was haben Sie erfahren?« drang Herr Csanta in den Kommissionär, »mir können Sie es ja sagen.«

»Ich darf Ihnen nur so viel andeuten,« erwiderte Spitzhase sich vorsichtig umsehend, »daß Puntafar noch nicht sein letztes Stadium erreicht hat! Oho! Die sind noch glücklich, die mit zweiunddreißig dazu gelangen. Ich bin in den Plan eingeweiht; die Details darf ich freilich nicht verraten, wie ein Impuls nach dem andern kommen und das Papier in die Höhe treiben wird. In einem halben Jahr wird dieser, im nächsten jener Impuls kommen, daß die Welt Mund und Augen aufreißen wird. Von heute über ein Jahr wird Puntafar hundert Prozent über Pari stehen.«

»Um hundert Prozent!« rief Csanta und fiel an die Wand vor Staunen. Aber bald kam er wieder zu sich. Er war zornig auf Spitzhase, daß dieser ihn zum Narren halten wollte. »Hören Sie, Sie sind ein großer Aufschneider. Gehen Sie. Ich finde mich allein nach Hause.«

Und er jagte Spitzhase fort.

Aber am andern Tag war es doch das erste was er tat, daß er sich vom Kellner den Börsenbericht bringen ließ.

Und siehe, da stand es wirklich, was Spitzhase prophezeit hatte. Das Silber war auf einmal um zwei Prozent zurückgegangen, »Bondavár« aber stand 30-32 fl. Und was da steht, ist heilige Schrift.

»Nicht eine einzige verkaufe ich!« sprach Csanta sich auf die Hand schlagend, stand auf und kleidete sich an.

Ein dummes Glück das! Man braucht nur einmal das Fenster über Nacht offen zu lassen, und man findet am Morgen alle Schubladen voll mit Geld.

Er schlürfte noch sein Frühstück, als schon Spitzhase zu ihm kam. Sein Gesicht strahlte vor Triumph.

»Nun? Was habe ich gesagt?« sprach er, den Börsenbericht, den er mitgebracht, vor Herrn Csanta hinlegend und auf die mit Rotstift angezeichneten Posten zeigend, die diesen interessierten.

Herr Csanta sagte ihm nicht, daß er den Börsenbericht bereits gelesen habe, und darum konnte er ganz gut Ruhe affektieren, als er die Posten anschauend, mit dem Kopf nickte.

»Es ist wirklich so! Nun, das schadet nicht.«

»Das will ich meinen! Abends wird der Kurs auf 35 stehen! Hätte ich nur Geld!«

»Na, da haben Sie denn noch einen Fünfziger, Spitzhase. Sie sollen ebenfalls ein glücklicher Mensch sein. Kaufen Sie sich eine Bondavárer. Küssen Sie mir nicht die Hand, das erlaube ich nicht.«

Er erlaubte es aber doch.

»Aber verschachern Sie die Aktie nicht. Behalten Sie sie für sich. Wenn die Zeit der übrigen Ratenzahlungen kommt, so werde ich für Sie einzahlen. Aber küssen Sie mir nicht für alles die Hand. Ich werde Ihnen noch viel Gutes tun. Wenn Sie mir ebenso oft die Hand küssen, als ich Ihnen Gutes tun werde, so bleibt mir zuletzt keine Hand. Aber jetzt erwarte ich auch von Ihrer Dankbarkeit, daß Sie mich bei jeder Gelegenheit benachrichtigen werden, wenn Ihr Prinzipal mit seinen Aktien ein Manöver vorhat. Besonders werden Sie mir zu wissen geben, wann es Zeit sein wird, sie zu verkaufen. Verstehen Sie mich? Nun gut! Jetzt werden Sie ja selbst dabei interessiert sein, denn Sie werden ja ebenfalls eine Aktie haben. Um so besser werden Sie acht geben. Und wenn wir die Aktien verkaufen, sollen Sie auch eine gute Provision bekommen.«

Spitzhase küßte Herrn Csanta der Reihe nach alle Finger.

»Aber ich bitte Sie nur um eins,« flehte Spitzhase, »verraten Sie mich nicht Herrn Kaulman, denn wenn der erfährt, daß ich seine Geschäftsgeheimnisse jemand anderm mitteile, so jagt er mich gleich fort.«

»Fürchten Sie nichts, Sie haben es mit einem rechtschaffenen Menschen zu tun.«

Und der rechtschaffene Mensch glaubte hiermit, daß er den andern rechtschaffenen Menschen jetzt schon dafür gewonnen habe, ihm die Geheimnisse eines dritten rechtschaffenen Menschen zu verraten. Welcher von den vielen rechtschaffenen Menschen wird die übrigen am grausamsten betrügen?


 << zurück weiter >>