Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Zweiter Band.

Das Album und seine Bewohner.

Der hochwürdige Herr Mahók war der Meinung, daß das Rätsel dieses von Tabakrauch durchzogenen Kleides nicht ganz nach den regelmäßigen Gesetzen der Natur gelöst werden könne. Sowohl zufolge seiner amtlichen Stellung als auch seiner altväterischen Erziehung stand es ihm ganz wohl an, die Erscheinungen teuflischer Wirksamkeit einer ernsten Erwägung für wert zu halten.

Beim Diner sprach er mit Fräulein Emerenzia über diesen Gegenstand gar nicht. Sie waren nur ihrer zwei bei Tische. Die Komtesse blieb in ihrem Zimmer wie gewöhnlich, wenn sie Krampfanfälle hatte, und nahm an solchen Tagen nichts als klare Suppe zu sich. Nach dem Diner ließ sie den Geistlichen zu sich rufen. Sie lag auf ihrem Ruhebett und war sehr erschöpft.

»Sind Sie jetzt überzeugt, daß das kein Traum ist, was ich Ihnen gesagt habe?«

»Wahrhaftig, es muß etwas Außerordentliches bei der Sache im Spiele sein.«

»Ist es das Werk guter oder böser Geister?« fragte die Komtesse, ihre Augen fromm zu ihrem emporgehaltenen Zeigefinger erhebend.

»Das würde erst ein Versuch zeigen.«

»Was für einen Versuch meinen Sie, hochwürdiger Herr?«

»Den Versuch eines Exorzismus. Wenn es gute Geister sind, die auf diese Art allnächtig ihre Gräber verlassen, so müssen sie Kraft des Exorzismus bis zum Tage des Jüngsten Gerichts an ihre Ruhestätten zurückkehren.«

»Und wenn sie nicht dahin zurückkehren?« fragte die Komtesse besorgt.

»Dann sind es keine guten Geister.«

»Das heißt: Verdammte!« sprach die Komtesse entmutigt. »Woran könnte man das erkennen?«

In dem hochwürdigen Herrn schienen die ihm durch Tradition überlieferten Begriffe mit seinem gesunden Menschenverstande zu kämpfen. Auf die letzte Frage gab er die mutige Antwort: »In der nächsten Nacht werde ich im Schlosse wachen.«

»Und wenn Sie den unterirdischen Gesang hören werden?«

»Dann gehe ich selbst in die Gruft hinab und verscheuche die Gespenster mit Weihwasser.«

Die Komtesse erglühte und rief voller Eifer: »Ich gehe mit Ihnen.«

»Nein, Komtesse; nicht Sie werden mit mir kommen, sondern der Sakristan.«

»Der Sakristan! – Ein Mann! Wie sollte denn ein Mann in dieses Schloß kommen?«

»Ich bitte, ich bin ja auch da!« erwiderte der Pfarrer deprezierend. »Mein Sakristan gehört ebensogut zur Kirche wie ich selbst. Er ist mein unentbehrlicher Assistent bei jeder heiligen Zeremonie; er trägt vor mir die Laterne, das Weihwasser, den Weihrauchkessel, das Kruzibulum einher; ich kann keine Zeremonie ohne ihn verrichten.«

Die Komtesse willigte mit großem Widerstreben darein, daß heute abend ausnahmsweise auch der Sakristan in das Schloß kommen dürfe, doch nur in das Parterre; in das Stockwerk darf er nicht heraufkommen. Vielmehr versprach der Herr Pfarrer, ebenfalls unten im Gewächshause zu bleiben, wenn nachts die Gittertüre der Treppe verschlossen wird.

Dem Uebereinkommen gemäß kam der hochwürdige Herr Mahók abends neuerdings ins Schloß, und in seiner Begleitung erschien der Sakristan, ein Mann von beiläufig vierzig Jahren, mit einem kurz geschorenen Schnurrbart und einem sehr kupfrigen Gesicht.

Der Herr Pfarrer setzte sich oben zum Souper nieder, bei welchem auch die Komtesse erschien, die jedoch kaum etwas aß. Auch der Herr Pfarrer beklagte sich über Mangel an Appetit, Fräulein Emerenzia desgleichen. Man hatte ja große Dinge vor.

Nach dem Souper zog sich die Komtesse sofort in ihr Schlafzimmer zurück; der Pfarrer aber ging in das Gewächshaus hinab, wo unterdessen der Sakristan bei einem Glase Wein und Braten dafür gesorgt hatte, daß im eisernen Ofen das Feuer nicht ausging.

Vom Gesinde wurde niemand in das eingeweiht, was geschehen sollte. Die Komtesse bat den hochwürdigen Herrn inständig, die unschuldigen Herzen nicht mit Mitteilungen über die unterirdischen Szenen zu erschrecken, von welchen sie keine Ahnung hatten. Niemand von ihnen hatte die mitternächtliche Messe in der Gruft gehört, denn niemand hatte davon in Gegenwart der Komtesse Erwähnung getan.

Der hochwürdige Herr erwartete daher die Dinge, die da kommen sollten, allein mit seinem Sakristan und bemühte sich, die lange Zeit der Erwartung mit dem Lesen eines alten Buches abzukürzen – wobei er fortwährend gegen seine bleischweren Augenlider anzukämpfen hatte, die in der gewohnten Stunde sich schließen wollten. Er fürchtete, wenn er einschlafen würde, alles zu träumen, was die Komtesse ihm erzählt hatte und was er wohl nicht glaubte, aber auch nicht gänzlich zu bezweifeln wagte.

Das Lesen dient aber dem wackern geistlichen Herrn gewöhnlich nur als Reizmittel zum Schlafen. Darum schlug er das Buch bald zu und fing an mit dem Sakristan zu plaudern.

Wovon hätte der Vertraute des Pfarrers in dieser erwartungsvollen Stunde sprechen können, wenn nicht von lauter Gespenstergeschichten: vom Mönch ohne Kopf, von den Geistererscheinungen in den hierzu besonders geeigneten Nächten, von Teufeln, von Kobolden und Hexen, die er alle entweder mit eignen Augen gesehen oder von deren Existenz er durch die glaubwürdigsten Personen überzeugt worden war.

»Dummheit, Lüge!« sagte der hochwürdige Herr auf alles; dabei konnte er sich aber doch des Gruselns nicht erwehren, welches man verspürt, wenn man solche Geschichten kurz vor Mitternacht hört.

Wenn er nur wenigstens rauchen könnte! Aber das ist in diesem Schloß nicht erlaubt. Die Schloßherrin würde es riechen, wie der Riese im Märchen das Menschenfleisch.

Nachdem der Sakristan gesehen hatte, daß alle seine wahrhaftigen Erzählungen als Lüge bezeichnet wurden, dachte er sich, es sei besser zu schweigen. Sobald er aber aufhörte zu reden, schlief er ein. So süß konnte er auf dem Stuhl sitzend, den Kopf auf die Lehne gestützt und mit geöffnetem Munde schlafen, daß der hochwürdige Herr ihn beneidete.

Aber dieses Gefühl des Neides konnte nicht lange anhalten; denn bald fing der Sakristan an zu schnarchen. Und er schnarchte dermaßen in allen grauenhaften Akkorden, in allen Variationen des »Blasens«, »Sägens« usw., daß der hochwürdige Herr von Zeit zu Zeit genötigt war, ihn zu mahnen, daß er nicht so häßlich schnarchen möge.

Endlich schlug die Uhr des Schloßturmes zwölf, und da rüttelte der Geistliche den Sakristan vollends aus dem Schlaf.

»Erhebt Euch, ich habe Euch nicht deshalb mitgenommen, damit Ihr hier schlafet.«

Der Sakristan rieb sich schlaftrunken die Augen; der Geistliche nahm seine Tabakdose heraus, um sich die Schläfrigkeit mit einer Prise zu vertreiben – aber plötzlich verging beiden Männern die Lust zu schlafen auch ohne dieses Mittel. Denn gleich, nachdem der zwölfte Glockenschlag verklungen war, begann die gespensterhafte unterirdische Messe zu ertönen.

Durch die tiefe Stille der Nacht erklang deutlich der Meßgesang des Geistlichen unter den Gespenstern ganz in der Weise, wie die geübtesten Priester die frommen lateinischen Sprüche rezitieren; und dann fiel der Chor brausend ein, begleitet von einer den Orgeltönen ähnlichen Musik, die nur schriller klang als eine Orgel, und sich wie eine Parodie der Orgelmusik ausnahm.

Den ganzen Körper des Herrn Pfarrers Mahók überlief bei diesen gespensterhaften Klängen eine Gänsehaut.

»Ah! hört Ihr es?« sprach er zum Sakristan.

»Wie sollte ich denn das nicht hören? Man liest irgendwo die Messe.«

»Hier unter uns.«

»In der Gruft!«

»Was mag das sein?«

»Der Teufel!«

»Alle guten Geister loben den Herrn!« stammelte der hochwürdige Herr, sich dreimal bekreuzend.

»Aber es scheint, daß auch die bösen Geister den Herrn loben.«

Diese fromme Ansicht des Sakristans von den bösen Geistern wurde rasch widerlegt, denn mitten unter der feierlichen Antiphonie scholl plötzlich ein höllischer Chor aus der Gruft herauf; und deutlich war der Text herauszuhören:

»Komm, mein Liebchen, komm herein,
Komm nur, komm, ich bin allein;
Zwei Zigeuner fideln hier,
Und ich tanz' allein mit mir!«

Auf das Lied folgte dann ein Kreischen, Johlen, Heulen, Lachen von Männern und Weibern in einem höllischen Durcheinander.

Wenn der hochwürdige Herr beim frommen Solo nur zitterte, so fiel er bei diesem scheußlichen Ensemble vor Schreck beinahe um. Er wurde starr an allen Gliedern und kalter Schweiß bedeckte seine Stirne.

»Das ist das Werk des höllischen Teufels dort unten.«

Gerade so hatte es ihm die Komtesse erzählt.

»Michael!« sagte er zähneklappernd, »habt Ihr es gehört?«

»Wie sollte ich es nicht gehört haben! Ich wäre ja sonst taub. Böse Geister feiern da unten ihren Sabbat.«

Jetzt ertönte der Klang eines Glöckchens, der Lärm verstummte und der singende Priester dort unten fuhr in der Messe fort.

»Was sollen wir tun?« fragte Herr Mahók.

»Was wir tun sollen! In die Gruft hinabsteigen und die bösen Geister exorzisieren!«

»Was? allein?«

»Allein!« erwiderte Michael mit prahlerischem Mut; »mit dem Namen des Herrn der Heerscharen! Außerdem sind wir ja unser zwei. Wäre ich nur ein Geistlicher, hätte ich nur die Stola an und die viereckige Mütze auf dem Kopf, so würde ich ganz allein mit dem Weihwasser unter sie hinabgehen und mit dem Ruf: Apage satanas! würde ich alle Legionen der Hölle vor mir hertreiben.«

Der hochwürdige Herr schämte sich, daß sein Sakristan einen stärkeren Glauben und mehr Mut mit dem Bösen zu kämpfen hatte als er.

»Ich würde ja gern gehen,« sagte er, »aber plötzlich ist mir die Gicht so in die Füße gefahren, daß ich nicht imstande bin, das Knie zu beugen.«

»Es wäre aber eine große Schande für uns, wenn wir jetzt, da wir den Lärm der Gespenster hören, es nicht wagen würden, unter sie zu treten.«

»Aber wenn ich meine Füße nicht rühren kann!«

»Ich will Ihnen etwas sagen. Setzen Sie sich auf meinen Rücken, nehmen Sie die heiligen Geräte in die Hand und ich werde die Laterne tragen.«

Vor diesem Anerbieten war kein Ausweichen möglich.

Der Geistliche befahl Gott seine Seele, stärkte sein Herz und entschloß sich, mit den heiligen Waffen des Glaubens ausgerüstet, sich in den Kampf mit der Unterwelt einzulassen.

»Sollten wir nicht alle Leute im Hause aufwecken und in Prozession unseren Feinden entgegensetzen?«

»Die ängstlichen Weibsbilder kriechen ja nicht um eine Welt aus ihren Betten, wenn wir ihnen sagen, daß Gespenster umgehen. Die Männer aber dürfen ins Schloß nicht herein.«

Herr Mahók mußte sich entschließen, allein mit seinem Assistenten in die verhängnisvolle Schlacht zu ziehen.

»Also gehen wir!«

Michael hockte sich nieder und nahm den Geistlichen huckepack auf den Rücken.

»Aber laßt mich nicht fallen!« mahnte ihn der geistliche Herr, als er schon auf ihm saß, wie Anchises auf dem Rücken des Aeneas.

»Haben Sie keine Furcht; der Rücken hat mir noch nicht gekracht.«

Hiermit nahm Michael die Laterne, gab dem Geistlichen die heiligen Geräte in die Hand und ging mit ihm hinaus.

Als sie in die Vorhalle gelangten, fühlte Herr Mahók, daß es draußen noch kälter sei als im Gewächshause. Die kleine Leuchte, welche Meister Michael in der Hand trug, beleuchtete den Gang nicht in der ganzen Länge und warf ihren Schimmer nur auf den zunächst gelegenen Teil der Wände, an welchen sie vorüberschritten und an welchen beiderseits die halb verwitterten Bilder gepanzerter Ritter in schwarz gewordenen Rahmen zum Vorschein kamen und wieder in der Finsternis verschwanden; es waren die Hauptleute und Leutnants der Herren von Bondavár, die einst ihre Banderien gegen Türken und Kuruzen geführt hatten. Auch sie winkten den beiden geistlichen Kämpfern, nur vorwärts zu gehen; sie werden sie schon dort unten hinter den Stühlen ihrer Herren finden.

In der Mitte der Halle befand sich der Eingang in die unterirdischen Teile des Schlosses. Dieser Eingang war mit einer eisernen Türe verschlossen. Dem hochwürdigen Herrn fiel es erst bei der Türe ein, daß er den Schlüssel derselben im Gewächshause vergessen habe. Er mußte also dorthin zurückreiten. Als sie schon auf der Schwelle des Gewächshauses waren, riskierte Meister Michael die Bemerkung, daß ihn etwas Hartes auf der Seite drücke; ob dies nicht der fragliche Schlüssel sei, den der geistliche Herr vielleicht in der Tasche seiner Reverende habe. Herr Mahók griff in die Tasche und er fand richtig, daß er den gesuchten Schlüssel bei sich hatte. Er mußte also zum drittenmal zwischen der drohenden Bilderreihe der alten Krieger bis zur Treppentüre Spießruten laufen.

Der Schlüssel drehte sich ächzend im Schloß und den Eintretenden legte sich ein dumpfer Geruch schwer auf die Brust, wie er unterirdische, selten gelüftete Räume zu erfüllen pflegt.

»Die Türe lassen wir offen,« sagte der Pfarrer, an die Eventualitäten eines beschleunigten Rückzuges denkend.

Und nun begannen sie die Treppe hinabzusteigen.

Der hochwürdige Herr bemerkte bei jeder Stufe immer mehr, daß sein Pferd sich noch mehr fürchtete als er selbst; daher hielt er sich mit der Linken noch stärker am Kragen Michaels und preßte ihm mit den Schenkeln noch stärker den Hals zusammen.

»O weh! hochwürdiger Herr! drücken Sie mich nicht so, ich ersticke!«

Hu! was war das! Ein schwarzer Gegenstand schwirrte über ihre Köpfe hin.

Eine Fledermaus! – Der Vorposten der Gespenster!

»Wir werden gleich dort sein!« ermunterte Meister Michael seinen Reiter, und seine Zähne klapperten.

Solange sie die Wendeltreppe hinabstiegen, war der unterirdische Lärm weniger hörbar – aber als sie in den Kellergang hinabkamen, brach er wieder in seiner ganzen unterweltlichen Schauerlichkeit hervor.

Der Kellergang war lang und ein Flügel desselben führte links von der Treppe zu den Kellern, der andere zu den Grüften. Der Kellertreppe gegenüber aber befand sich ein Kreuzgang, welcher ins Freie hinausführte und nach einer aus acht Stufen bestehenden, aufwärtssteigenden Treppe mit einer Gittertüre verschlossen war, durch welchen die äußere Luft frei in den Gang einströmte.

»Hu! der Luftzug hätte uns bald die Laterne ausgelöscht!« bemerkte der hochwürdige Herr.

Ein Luftzug? Es wäre gut gewesen, wenn es bloß ein Luftzug gewesen wäre; aber sowie Meister Michael drei Schritte gegen die Grufttüre vorwärts gemacht hatte, zeigte es sich, was für Dinge der beiden Männer dort warteten.

Am untern Ende des Ganges flackerte eine bläuliche Flamme, ähnlich denjenigen, die in der Nacht von St. Georgi aus der Erde schlagen, anzeigend, daß da ein Schatz vergraben sei.

Vor der blauen Flamme aber stand oder saß oder hockte eine zwerghafte weiße Gestalt. Dieselbe war kaum drei Fuß hoch, hatte jedoch einen unförmlich großen Kopf.

Sowie der Sakristan mit dem Geistlichen sich dem gespenstischen Zwerg näherte, flackerte die blaue Flamme plötzlich hoch auf, einen bleichen Schimmer durch den ganzen Gang verbreitend, und bei diesem Schein begann die gespenstische Gestalt plötzlich sich zu strecken, erst sechs, dann acht Fuß, dann zwei Klafter hoch! Der noch längere Schatten derselben tanzte im Licht der bläulichen Flamme wie eine schwarze Schlange auf dem Marmor-Estrich des Ganges, bis das hoch erhobene Haupt der gespenstischen Gestalt mit schrecklichem Gebrülle das Echo der Wölbung wachrief.

Mehr brauchte Meister Michael nicht. Er wandte sich mit seiner Last um und fing an zurückzulaufen. Inmitten des Ganges befand sich eine fatale Stufe, die er nicht bemerkte; er stolperte darüber und fiel mit dem auf ihm Sitzenden auf das Pflaster nieder. Gut, daß er sich dabei nicht die Zunge abbiß. Im Falle zerbrach er die Laterne, diese ging aus, sie blieben im Finstern und tappend stolperten sie einer über den andern fort. In der undurchdringlichen Finsternis waren sie nicht imstande den Treppenaufgang zu finden und anstatt dessen gerieten sie in den Kreuzgang, durch dessen Gittertüre das Mondlicht sanft hereinschien. Dorthin flohen sie, aber die verschlossene Gittertüre setzte ihrer Flucht anfangs ein Hindernis entgegen; doch Meister Michael gelang es, die Gittertüre zu öffnen, und nun liefen sie hinaus ins Freie.

Die Gittertüre des Souterrains führte in den Garten, die Gartentüre aufs Feld. Die beiden Teufelsbanner flohen nun über Stoppeln und Dornensträucher mit der größten Schnelligkeit dahin, ohne daß dem Pfarrer die Füße auch nur im geringsten weh taten. Er war von der Gicht plötzlich dermaßen geheilt, daß er mit dem schnellfüßigen Sakristan um die Wette laufen konnte und um drei Sekunden schneller in seinem Bette war als der Sakristan, der drei Tage lang vor Schrecken nicht zu reden vermochte.

Herr Mahók ging am andern Tag unter großen Beklemmungen ins gräfliche Schloß.

Er war ein rechtschaffener, einfacher Mensch, der lieber an Teufel als an böse Menschen glaubte, und was er mit seinen Augen gesehen, nicht bis zur Tiefe undurchdringlichen Dunkels mit Zweifeln durchforschte. Er glaubte jetzt schon fest daran, daß hier verdammte Geister umgehen und bei ihren mitternächtlichen Mahlzeiten Hühnerbeine brechen, um zu sehen: »wer früher heiratet«.

Die Komtesse fand er indes in guter Laune. Sie war freundlich, erregt, lachte und empfing den Ankommenden exaltiert, welche Gemütsausschweifungen für Herrn Mahók nicht überraschend waren. Er war es schon gewohnt, die Komtesse einen Tag verdrießlich, den andern Tag übertrieben gemütlich anzutreffen.

»Ich habe die Nacht hier durchwacht,« sprach der Geistliche, direkt auf den Kern der Sache losgehend.

»O! Dank, tausend Dank dafür, hochwürdiger Herr. Sie haben die Gespenster des Schlosses schon mit Ihrer bloßen Gegenwart vertrieben. Diese Nacht war da unten gar kein Lärm.«

»Kein Lärm war da unten?« fragte der Geistliche, in seinem Staunen sich vom Sitz erhebend. »Diese Nacht haben Sie nichts gehört, Komtesse?«

»Biblische Ruhe und arkadischer Frieden herrschten im Hause, oben und unten.«

»Nun, ich habe nicht geträumt, und wenn es nur der blauen Flecken und Hautaufschürfungen an dem Ellbogen bedarf, so habe ich auch solche Zeugen aufzuweisen, den Sakristan ungerechnet, den jetzt noch das Fieber schüttelt; noch nie ist ein so gotteslästerlicher höllischer Lärm gehört worden wie heute nacht in der Gruft des Schlosses – ich war persönlich drunten, wo ich dem Bösen begegnete und durch meinen schwachsinnigen Sakristan im Kampf gestört wurde. Ich bin jetzt nur gekommen, um Ihnen zu erklären, daß meine Wissenschaft zu Ende ist. Dieses Schloß ist verwünscht, und ich kann Ihnen nichts weiter raten, Komtesse, als daß Sie das Schloß so bald als möglich verlassen und in die Stadt ziehen, wohin die Gespenster Ihnen nicht folgen werden.

Die Komtesse legte die Spitze des Mittelfingers ihrer linken Hand auf ihre Brust und sprach mit stolzer Würde:

»Ich soll dieses Schloß verlassen, weil darin die Geister meiner Ahnen allnächtlich auferstehen? Ah! dann kennen Sie mich schlecht! Es ist nur ein mächtiger Grund mehr für mich, dazubleiben. In einem Hause, wo ich mit meinen Ahnherren und Frauen zusammentreffe, die mich kennen, mich ansprechen, mich mit ihrem Besuch, mit ihrer Einladung beehren – da sollte ich nicht bleiben?! Das ist gerade der Hauptreiz meines Aufenthalts in Bondavár. Die Anwesenheit dieser Ahnengeister ist das pretium affectionis, welches den Wert dieses Schlosses verhundertfacht.«

Herrn Mahók schwebte hierauf die Antwort auf der Zunge: Wenn Sie Lust haben dazubleiben, meinethalben – ich bleibe nicht da, suchen Sie sich einen andern Beichtvater! – Aber es fiel ihm etwas anderes ein.

»Sagen Sie mir, Komtesse, wenn Sie mit den gewissen Gespenstern in so intimer Verbindung sind, wie kommt es, daß Sie gerade in der vergangenen Nacht vom Hexensabbat nichts gehört haben?«

Auf diese Frage erschienen im weißen Gesicht der Komtesse zwei runde rote Flecken und verwirrt schlug sie die Augen nieder.

Der Geistliche aber fixierte sie fortwährend scharf mit seinem Blicke, und sie konnte ihm nicht ausweichen. Die Dame ließ sich langsam auf die Knie nieder und mit der Hand auf ihre Brust schlagend, flüsterte sie: »Pater, peccavi! es gibt etwas, was ich Ihnen niemals gebeichtet habe und was längst mein Gewissen drückt.«

»Was mag das sein?«

»O, ich fürchte mich!«

»Fürchte nichts, meine Tochter!« sprach der Geistliche salbungsvoll; »Gott verzeiht.«

»Das glaube ich; aber ich fürchte, daß Sie – mich auslachen.«

»Ah!« Der Geistliche fiel auf diese seltsame Aeußerung in seinem Stuhl zurück.

Die Komtesse erhob sich aus ihrer knienden Stellung und eilte zu ihrem Schreibtisch. Sie öffnete eine verborgene Schublade desselben und nahm ein Album heraus. Es war ein prachtvoller Band, mit Elfenbeindeckeln in goldener, emaillierter Fassung und mit ebensolchen Spangen.

»Durchblättern Sie dieses Album.«

Der Geistliche öffnete die Spangen, hob den Deckel auf und sah dann eine Sammlung photographischer Porträts, wie man sie in jedem Empfangssalon auf den Tischen sieht.

Der Pfarrer konnte nichts herausfinden, was an diesen Porträts Staunenswertes sei. Es sind wackere berühmte Personen, große Staatsmänner, Dichter, Schauspieler, die zu kennen interessant ist; aber es ist keine einzige skandalerregende Person darunter. Auffallend war höchstens der eine Umstand, daß alle Bilder dieses Albums glatt rasierte Gesichter darstellten. Der Geistliche fand auch mehrere Bekannte darunter wie Liszt, Reményi, die Schauspieler Lendvay, Szerdahelyi und andere, die gleich den ausländischen Zelebritäten weder Schnurrbart noch Bart trugen.

Und noch eins nahm der Geistliche wahr; nämlich daß auf manchen Blättern anstatt eines Bildes ein Stück schwarzen Flors in den Rahmen eingefügt war. Das ist schon ein Umstand, der zum Nachdenken herausfordert.

»Das ist gewiß eine sehr interessante Sammlung,« sprach der Geistliche, das Album durchblätternd, »aber was hat das alles eigentlich zu bedeuten?«

»Ich beichte es Ihnen,« sprach die Komtesse, dem Geistlichen ins Ohr flüsternd. »Dieses Album ist der Sammelplatz meiner Torheiten und Sünden. Ein Wiener Kunsthändler hat von mir den Auftrag, jede Photographie von Männern mit glattem Gesicht, die erscheint, mir sofort zu schicken. Ich suche darin mein Ideal. Ich suche schon seit vielen Jahren. Zuweilen glaube ich, es gefunden zu haben. Irgendeines der Bilder ergreift meine Seele; ich nenne den Mann, den es vorstellt, meinen Verlobten, ich lege das Bild vor mich hin und schwärme stundenlang. Ich glaube, daß ich mit ihm spreche. Wir sagen einander wunderschöne Dinge, süße Schmeicheleien, und diese Träume erfüllt mein Herz mit seliger Trunkenheit. Es ist eine Torheit; aber etwas flüstert mir zu, daß es auch eine Sünde sei. Ich war bisher nicht imstande einen Entschluß zu fassen, ob ich dies als Sünde beichten oder als Torheit verschweigen soll. Was ist Ihre Ansicht, geistlicher Vater?«

Herr Mahók wußte nicht, was er sagen solle. In den heiligen Büchern ist wohl irgendwo die Rede vom »Sündigen mit dem Blick«, aber der Photographien wird dabei mit keinem Wort Erwähnung getan. Darüber müßte das Konzil entscheiden.

»Sprich weiter meine Tochter.«

Die Komtesse fuhr fort in der Beichte.

»Und wenn ich vor einem solchen Bilde lange schwärme, so zwinge ich den Betreffenden, mir im Traum zu erscheinen. Die geträumte Gestalt pflegt vor mir wie eine himmlische Erscheinung aufzutauchen, wir gehen miteinander Arm in Arm, von überirdischem Glanz umflossen über Felder und Fluren, wo jedes Baumblatt einen durchsichtigen Schatten wirft und wo man selig und jung ist.«

Die Beichtende weinte.

»Ist dies nicht eine Sünde?«

Herr Mahók atmete auf. Er hatte den Namen der seltenen Sünde gefunden.

»Ja, es ist eine Zauberei.«

Doch welche Buße sollte er dafür ersinnen?

»Auch ich glaube das,« beeilte sich die Komtesse darauf zu sagen, »und für die zauberhaften Visionen pflege ich dadurch Buße zu tun, daß ich das Bildnis des Mannes, der mir im Traum erschienen, im Kamin verbrenne und die leere Albumstelle mit einem Stück Flor verhülle.«

Daher also die vielen mit Flor ausgefüllten Albumblätter.

Herr Mahók fand, daß diese Art der Pönitenz gut gewählt sei. Ein Brandopfer! In der Schrift ist zwar ein Zicklein vorgeschrieben, aber eine Photographie tut's auch. – Theudelinde fuhr fort: »Während dieser Visionen pflege ich in tiefem Schlaf zu liegen; meine Seele ist nicht mehr auf Erden, ich bin im Himmel, kein irdisches Gefühl knüpft mich mehr an diese Welt, ich bin ein verklärter Geist. Darum höre ich keinen Lärm, der hienieden braust, und wäre er noch so stark.«

»Du hast also deshalb auch diese Nacht den gespenstischen Lärm nicht gehört, weil du in der andern Welt deines Traumlebens wandeltest.«

»Confiteor,« flüsterte die Dame, das Gesicht niederbeugend.

Nun, das ist ein schönes Schloß, dachte Herr Mahók bei sich. Die Ahnen stehen nach ihrem Tode auf um Messen beizuwohnen und zu zechen, und die Enkelin macht noch bei Lebzeiten Besuche im Himmel. Sie können tun, was ihnen beliebt, denn sie sind ja ein vornehmes Geschlecht. Ein armer Mensch aber darf an solche Extravaganzen gar nicht denken. Was soll so ein armer Dorfpfarrer mit ihnen anfangen, dem Leute in grobem Tuch nur alltägliche Sünden zu beichten pflegen! – In dieser komplizierten Angelegenheit hätte der Pfarrer es gern gesehen, wenn ein stärkeres Genie anstatt seiner Recht gesprochen hätte; er wußte weder den spukenden noch den verführerischen Geistern der Komtesse beizukommen. Jene haben ihn in die Flucht gejagt, und diese kann er nicht einholen. Es wird am besten sein, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

»Meine Tochter, die Buße, welche du für die an Zauberei grenzenden Visionen dir auferlegt hast, ist sehr richtig und gut eingegeben. Hast du die Photographie der zuletzt erschienenen Zaubergestalt auch schon verbrannt?«

»Nein,« antwortete die Komtesse.

»Und warum nicht?« fragte der Geistliche, froh, eine Schuld zu finden, die der Absolution wert war.

»Es ist mir unmöglich, dieses Bild ins Feuer zu werfen.«

»Und warum ist es unmöglich?«

Die Komtesse öffnete, anstatt zu antworten, ein verdecktes Blatt des Albums und zeigte was sich unter der Hülle befand.

»Ah!« rief der Geistliche, das Bild erblickend, welches er sogleich erkannte.

Es ist der Abt Samuel, das Haupt eines namenlosen oder vielmehr vielerlei Namen führenden Ordens.

»Mein Kommissionär hat den Auftrag,« sagte die Komtesse, »mir die Photographien aller stattlichen Männer mit glattem Gesicht zukommen zu lassen; er hat ohne sein Wissen die Sünde begangen und mir auch das Bild einer geweihten geistlichen Person geschickt. Die Sünde ist meine Schuld.«

»Und in deinem Traum bist du auch mit diesem da in paradiesischen Gegenden Arm in Arm gewandelt?«

»Mea culpa!« stöhnte die Komtesse, die Hände auf die Brust gelegt.

Dem Geistlichen kam ein rettender Gedanke.

»Das hat dir der Himmel eingegeben, daß du dieses Bild nicht wie die übrigen ins Feuer geworfen hast; denn dadurch hast du das Heil für die Krankheit deiner Seele gefunden. Es ist ein Werk der Vorsehung, daß dieses Bild sich zu dir verirrt hat; denn nach den eitlen weltlichen Träumereien hast du das wahre Ideal gefunden, unter dessen Leitung du auch auf dieser Welt zum Heil gelangen kannst, dessen erhabener Charakter und gesalbte Stirn dein Herz von den Schlacken irdischer Gefühle zu reinigen und dich – nicht mehr im Traum – sondern wirklich in die seligen Regionen verklärter Frömmigkeit zu führen vermag; – dieser Mann besitzt Geistesmacht genug, alle Spukgestalten deines Schlosses von hier auszutreiben, gleichviel ob es Gespenster oder verführerische Dämone sind, denn sie stammen alle von einem Ort.«


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