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Jetzt kann jedermann zu unserem Philosophen sagen: »O du weiser, du gelehrter Mensch, welch ein Narr bist du! Du verlassest dein Gewerbe, von welchem du lebst, deine einfache ländliche Wohnung, in welcher du dich so wohl fühlst, die geheimnisvollen Geister der Feuer und Wasser, welche deine wohlbekannten Freunde sind und begibst dich in eine Welt, die für dich nicht taugt und wo du dich nicht besser fühlst als ein Fisch im trocknen Sande; du machst aus deiner Wissenschaft eine Komödie, prunkst mit phantastischen Vorlesungen, stellst dich als Statue in lebende Tableaus, singst Opern, tanzest den ungarischen Kotillon, hetzest Füchse in halsbrecherischem Galopp, trinkst bei Zechgelagen um die Wette, machst vornehmen Damen die Cour, mengst dich in die Privatangelegenheiten hoher Familien, schlägst dich mit Offizieren wegen schöner Gräfinnen, stellst dich der Mündung der Pistole entgegen, schießest deinem Gegner die Kappe und die Zigarre weg und greifst zuletzt noch zum Säbel wie ein barbarischer Massagete! Was gehen dich die bleichen Menschen der Pole und die Herrschaften der Pester Salons an, was die zum Besten der kroatischen Brüder veranstalteten Konzerte, die Figuren des ungarischen Kotillon, die Pagat Ultimos der Kasinos, die Steeple-Chase der Sportsmen, die verlorenen Busenknöpfchen der Komtessen und die Säbel der Husarenkapitäne? Und besonders was hast du dich darum zu kümmern, daß eine Komtesse mit ihrem Großvater in Zerwürfnis lebt? Was hast du dich darum zu sorgen, daß sie zu ihm nach Wien gehe oder ihn zu sich nach Pest locke? Wozu hast du es überhaupt notwendig dazusein und ein solches Leben zu führen? Denn wenn du von dem allen keinen Grund anzugeben weißt, so bist du der größte Narr auf der Welt, über den je ein Roman geschrieben wurde, und der selbst nicht wußte, wie er hineingekommen ist!«
Aber wir werden die Gründe angeben, wegen welcher Iwan das alles durchgemacht hat, und dann möge man darüber urteilen, ob er ein Narr oder ein Weiser war oder etwas, was zwischen beiden die Mitte hält, ein von gewöhnlichen Gefühlen beseelter Mensch, welcher tut, was ihm sein Herz gebietet. Und das Herz hat seine Rechte!
Erinnern wir uns daran, daß Iwan Berend, als der Abt Samuel ihn zur Soiree der Gräfin Theudelinde einlud, bereits den Absagebrief an die Gräfin geschrieben hatte und bereit war, nach Hause zu reisen, daß er indes einen Brief bekam, welcher ihn veranlaßte, seinen Entschluß gänzlich zu ändern.
Dieser Brief kam aus Wien, der Schreiber desselben war ein junger Klaviervirtuose, dessen Namen seit einigen Jahren unter den beliebtesten erwähnt wurde: Arpad Belényi.
Ungefähr vierzehn Jahre vor unserer Geschichte hielt sich Iwan Berend längere Zeit im Hause der Familie Belényi auf. Warum er dort war, das werden wir seinerzeit erfahren. Arpad Belényi war damals ein fünfjähriges Knäblein. Schon damals wurde er für ein Wunderkind gehalten, er konnte auf dem Klavier ganze Märsche spielen. Zu jener Zeit waren die kriegerischen Märsche in der Mode.
Eines Tages starb der Familienvater eines plötzlichen Todes. Auch das wird an seinem Ort erzählt werden, wie er starb. Die Witwe verzweifelte, besonders wegen ihres verwaisten Kindes. Iwan tröstete sie damals damit, daß er sich des Kindes annehmen und für dessen Erziehung sorgen werde. Einige Monate später mußte Iwan wegen gewisser Umstände das Haus der Familie Belényi plötzlich derart verlassen, daß er selbst nicht wußte, ob er sie jemals wiedersehen werde. Beim Scheiden gab Iwan sein ganzes, aus lauter Dukaten bestehendes Geld der Witwe und sagte ihr, daß sie für dieses Geld Arpad im Klavierspiel unterrichten und zum Künstler ausbilden lassen solle; der Knabe werde ein berühmter Mensch werden und von seiner Kunst leben können.
Und Iwan war weder der Freund Belényis, noch der Liebhaber oder Verwandte der Frau Belényi oder ihr sonstwie verpflichtet gewesen. Aber in jener Zeit geschahen nun einmal seltsame Dinge.
Belényis hörten dann jahrelang nichts von Iwan, sowie auch er nicht von ihnen. Einmal erfuhr er auf seine Erkundigung, daß sie aus jener gewissen Stadt fortgezogen seien, daß man ihnen infolge eines verlorenen Prozesses ihr Haus weggenommen habe, und daß Mutter und Sohn verschollen seien.
Auch diesen Vorgang werden wir näher kennen lernen, sobald die Reihe daran kommt.
Und dann wußten sie jahrelang voneinander nichts, bis endlich einmal die Blätter Arpad Belényi als junge überraschende Erscheinung der Kunstwelt zu erwähnen anfingen. Von dieser Zeit an hielt Iwan musikalische Blätter und begleitete die Fortschritte seines Adoptivsohnes mit Aufmerksamkeit. Aber dieser wußte noch immer nicht, ob sein Adoptivvater noch lebe – bis später einmal auch Iwan etwas tat, wegen dessen er in die Zeitungen kam.
Sein Debüt in der Akademie führte seinen Adoptivsohn auf seine Spur, der sich auch beeilte, ihm einen Brief zu schreiben, welcher mit den Worten anfing: »Mein lieber, guter Vater!«
Der Brief war voller naiver, kindlicher Gesinnungen, durch welche der ungezügelte Humor des Künstlers durchbrach.
Er gab Iwan zu wissen, wo er sich bisher überall herumgetrieben habe. Er sei seitdem immer mit seiner Mutter, welcher er von all seinem Tun und Lassen bis auf die kleinsten Details und der Wahrheit gemäß Rechenschaft geben muß, denn wer lügt, bekommt die Rute. Er habe schon vor gekrönten Häuptern konzertiert und Orden erhalten, aber diese dürfe er nur des Sonntags tragen, an anderen Tagen gebe die Mutter sie ihm nicht heraus. Er habe bereits viel Geld erworben, er dürfe aber davon nichts ausgeben, die Mama gebe ihm täglich nur einen Viertelgulden Taschengeld; das übrige lege sie zurück, um ihr kleines Haus zurückzukaufen, welches »der alte Raize« ihnen exequieren ließ. Darum müsse er auch Unterricht geben. Er gibt im Klavierspiel Lektionen und begleitet zum Gesang. Auch das werde gut bezahlt. Besonders sei da eine Künstlerin, welche fabelhaft bezahlt – die angebliche Gemahlin eines Bankiers Kaulman und zugleich Genresängerin.
Bei dieser Zeile pochte Iwan das Herz.
Er begann die Farbe zu wechseln und den Brief mit größerer Aufmerksamkeit zu lesen.
»Das ist eine in eine wahre Mänade verbannte Muse. Halb mutwilliges Kind, halb wütende Amazone. Eine geborene Künstlerin, die voll Genie ist und doch es nie bis zur Mittelmäßigkeit bringen wird. Sie hätte unverschämtes Glück, wenn sie sich nicht vor dem Glück fürchten würde; sie ist voller Verstand und Feuer, und dabei so dumm wie ein Stein. Sie benimmt sich wie eine Kurtisane, und ich möchte darauf schwören, daß sie die Kinderschuhe noch nicht abgelegt hat. Sie ist in meiner Gegenwart mutwillig wie ein Schulmädchen, ich aber zanke sie aus wie ein Professor. Möchtest du nur sehen, lieber Papa, was für ein schrecklich ernster Mensch ich bin. Jetzt lasse ich mich photographieren, einzig und allein für dich. Glaube aber nicht, daß ich das Papier mit der Monographie meiner Schülerin deshalb vollkritzle, weil ich nichts Klügeres weiß; ich tue es, weil ich einer Sache auf die Spur gekommen bin, welche dich gewiß interessiert. Denn dieser verrückte Engel sagt mir alles, was mit ihr geschieht, als wäre ich ihr Beichtvater. Zuweilen schwätzt sie die ganze Stunde hindurch, wo sie gewesen sei, was sie getan habe, und manchmal erzählt sie mir Dinge, die ich, wenn ich sie wäre, nicht ausplaudern würde.
Warte nur, ich bitte lieber guter Papa, ich komme gleich zu der Sache, die dich interessiert.
Diese Dame hat dreiunddreißig Rollen, alle von verschiedenem Genre. Es sind keine Bühnenrollen, sondern Soloszenen, die für sie geschrieben und komponiert worden sind. Diese probieren wir, ich spiele die Begleitung, sie die Rolle.
Ich komme gleich auf das Meritum des Gegenstandes, sei nur nicht ungeduldig.
Gestatte mir nur die Titel der dreiunddreißig Rollen herzuschreiben:
Die dreiunddreißigste kenne ich nicht. Die haben wir noch nie zusammen probiert.
Wozu aber die vielen verrückten Rollen, wenn sie niemals die Bühne betritt?
Man sagt mir, das habe den Zweck, das Bühnentalent der Dame nach allen Seiten zu entwickeln, weil sie bei der Oper engagiert werden soll. Das muß man freilich erst begreifen lernen. Ein Bankier, der ein Millionär ist und dessen Gemahlin allein viertausend Gulden Miete zahlt! Die soll zum Theater gehen, wo man ihr, wenn es sehr hoch kommt, sechzehntausend Gulden gibt. Davon muß sie dem Gesangsmeister, der sie empfohlen hat, sechstausend und zweitausend dem Kapellmeister geben, ferner viertausend Gulden den Zeitungsschreibern für fortwährende Reklame und dreitausend den Claqueurs, welche applaudieren und Kränze werfen; bleiben ihr tausend Gulden, die gerade für Parfümerien hinreichen.
Aber so weit sind wir noch nicht. – Die schöne Frau, die zugleich eine schöne Künstlerin ist, hat auch Hofmacher, zu welchen sie um so bequemer gelangt, da ihre Wohnung von der ihres Mannes getrennt ist. Nun das ist natürlich. Der Bankier kann sich doch in seinen wichtigen Spekulationen nicht Tag und Nacht durch Solfeggien stören lassen.
Es gibt also auserkorene Personen, welche den Titel ›Kunstmäcene‹ führen. Es sind hohe Herren, deren Stimme in der Intendantur und im Obersthofmeisteramt von entscheidendem Gewicht ist; diesen wird die Gnade zuteil, bei den Proben der obigen zweiunddreißig Rollen zugegen sein zu dürfen. Die dreiunddreißigste ist noch vor niemandem aufgeführt worden.
Ich bitte, es geht alles mit dem größten Anstand vor sich. Ich bin zugegen und auch der Mann ist da, solange die Gnädige Komödie spielt.
Unter den Kunstfreunden sind Grafen, Fürsten, ja auch Regierende. Respekt!
Es sind lauter Leute, die sich untereinander Fritzi, Nazi, Muki usw. zu titulieren pflegen.
Unter anderm haben wir da zwei Fürsten, den Fürsten Mari und den Fürsten Baldi. Jener wurde einst eigentlich Waldemar und dieser Theobald getauft.
Gestern hatte Eveline (so heißt die Dame) wenig Lust zum Studieren, und ohne daß ich sie gefragt hätte, was ihr fehle, rückte sie selbst damit heraus. Stellen Sie sich nur vor, der unausstehliche Fürst Waldemar sagte gestern in der Loge zu mir, wenn ich ihn nicht bei meinen Proben empfange, so werde er Lixi ruinieren. (Das ist ihr Mann Felix.) – Warum lassen Sie ihn also nicht vor? sagte ich, er würde auch nicht schlechter Maulaffen feil haben als die andern. – Weil ich diesen Menschen nicht ausstehen kann, antwortete sie; ich habe Lixi mitgeteilt, was Waldemar gesagt hat Und Lixi antwortete darauf, daß er den Fürsten ruinieren werde. Zugleich gab er mir zu wissen, daß ich meine Probe vor dem Fürsten Theobald ablegen werde. – Na, das ist ein wackerer alter Herr, sagte ich ihr, Sie könnten seine Enkelin sein: – Die Frau biß sich in die Lippen und erwiderte: Ich muß etwas von ihm erlangen. – Ich kann mir denken, was. – O, das erraten Sie nicht; nur eine Unterschrift und seine Einwilligung in einer Sache, die ihn gar nichts kostet, während Lixi dadurch auf einmal aufgeholfen wird. Wissen Sie, Lixi hat ein großes Unternehmen vor, eine große Steinkohlengesellschaft, die das Geschäft mit vielen Millionen unternimmt, aber der Grund der Steinkohlengruben, die Bondavárer Herrschaft, gehört dem Fürsten Theobald; seine Schwester, die Gräfin, hat die Einwilligung bereits gegeben, aber ohne seine Zustimmung werden die Aktien auf der Börse keinen Kurs haben. Fürst Waldemar arbeitet dagegen, und ich soll den Fürsten Theobald dafür gewinnen. Lixi sagt, daß es jetzt sehr leicht ginge, weil Fürst Theobald mit seiner einzigen Enkelin, der Komtesse Angela, zerfallen ist und diese ihn verlassen hat. Der Fürst ist traurig; wer ihn aufheitern würde, könnte jetzt viel bei ihm ausrichten. Und die Bondavárer Kohle ist die erste Kohle der Welt. – Ich konnte mich nicht enthalten zu lachen. Darauf zerrte mich die Dame am Haar und sagte: Sie sind ein Esel! Warum lachen Sie? Ich muß doch wissen, was Steinkohle ist, denn ich habe damit zehn Jahre lang als Taglöhnerin in der Steinkohlengrube des Herrn Iwan Berend zu tun gehabt. – Ich sprang erstaunt von meinem Sitz auf. – Nun, nicht wahr, jetzt gaffen Sie bei dem Wort, daß ich mit Steinkohlen zu tun hatte; ich habe Kohlenkarren geschoben, noch dazu barfuß. – Nicht das ist's, weshalb ich aufgesprungen bin, Gnädige, sondern der Namen Iwan Berend. Was wissen Sie von ihm? – Er ist Besitzer des jetzigen Kohlenwerks im Bondatal, neben welchem Felix ein die ganze Bondavárer Herrschaft umfassendes Werk eröffnen will. Das war mein Herr, Gott segne ihn und alle seine Schritte.
Jetzt lieber Papa, bin ich bei der Sache, wegen welcher du dieses lange Präludium in den Kauf nehmen mußtest. Ich mit meinem schwachen Musikerverstand habe die Sache so aufgefaßt. Hoho! mein lieber Papa hat ein Steinkohlengeschäft im Bondatal. Dort will eine, viele Millionen besitzende Gesellschaft ein großartiges Kohlengewerk eröffnen. Es ist vielleicht gut, daß mein lieber Vater davon etwas erfahre. Wie wenn du davon irgendeinen Nutzen oder Schaden hast? Hier ist die Luft voller Spekulationen. Du siehst, ich bin auch schon davon angesteckt. Laß mich es wissen, ob und inwiefern die Sache dich interessiert. Dann will ich dir auch schreiben, welche Fortschritte sie hier hinter den Kulissen macht; denn dieses närrische Geschöpf sagt mir alles.«
Das war es, was Iwan zu dem Entschluß veranlaßte, die Soiree der Gräfin Theudelinde zu besuchen, dort eine märchenhafte Vorlesung zu halten und mit der hohen Gesellschaft bekannt zu werden. An Arpad schrieb er sogleich und bat, ihn täglich von dem in Kenntnis zu setzen, was er von Eveline in Angelegenheit der Steinkohlenunternehmung erfährt.
Von diesem Tage an erhielt Iwan jede Woche zwei, drei Briefe aus Wien.
»Der alte Fürst beißt schon an den Köder; Kaulman hat ihn selbst zu den Feenproben der Gnädigen eingeführt.«
»Eveline spielt, singt, bezaubert, wenn sie sich zwischen vier Wänden befindet und nur zwei oder drei dabei sind, dermaßen, daß sie, wenn sie auch auf der Bühne so wäre, eine weltberühmte Künstlerin werden würde. Aber sowie sie vor die Prosceniumslampen tritt, bekommt sie das Fieber, zittert, vergißt alles, steht da wie ein Stock und intoniert falsch.«
»Die Feenproben finden unter dem Vorwand statt, daß der kunstverständige Fürst sich von ihrem Talent überzeuge und ihr Engagement bei der Oper bewirke.«
»Ich aber weiß, was der eigentliche Zweck ist.«
»Der Fürst versteht nicht allein die Kunst, sondern auch die Künstlerinnen.«
»Er weiß, was der Preis von solchen zwei schönen schwarzen Diamanten ist, wie Evelinens Augen es sind.«
»Dazu kommt noch der Reiz, daß Fürst Waldemar in diese Frau wahnsinnig verliebt ist, und Fürst Theobald hat aus den bewußten Gründen ein großes Interesse daran, Eveline nicht in die Hand des Fürsten Waldemar gelangen zu lassen, und wenn dies nicht anders möglich wäre, so müßte er sie für sich selbst zu gewinnen trachten.«
»Fürst Waldemar fiel kürzlich über mich her und bot mir hundert Dukaten für jedes einzelne Blatt jenes Albums, welches die Photographien von den Kostümgestalten der Frau Kaulman enthält.«
»Denn jeden Tag probieren wir ein Genrebild en famille beim Klavier; dann kommt der Photograph und nimmt die Künstlerin in der wirksamsten Attitüde auf. Er muß alles dort im Haus fertig machen, und mehr als vier Bilder darf er von der Matrize nicht abziehen. Eines davon bekommt Fürst Theobald, eines behält die Gnädige für sich, mit dem dritten beglückt sie mich, und das letzte erhält mein Freund Felix.«
»Die Matrize aber wird dem Photographen weggenommen.«
»Ich habe die Photographien dem Fürsten Waldemar nicht verkauft, sondern schicke sie dir, wie sie nacheinander folgen. Die Mama hat solche Bilder ohnehin nicht gern im Hause.«
Iwan bekam also mit jedem Brief auch eine Photographie, die Eveline in immer neuen Gestalten darstellte, und von welchen eine entzückender war als die andere.
Arpad ahnte gar nicht, welche höllische Wonne er seinem »lieben Papa« mit diesem tropfenweise eingegebenen Gift bereitete.
Das erste Bild war die Lorelei, die Fee, die am Wasserwirbel des Rheins ihr Zauberlied singt, ihr Haar mit goldenem Kamm strählt und von deren rechter Schulter die Wogenhülle herabgefallen ist; ihre Augen schauen bezaubernd auf den, den sie anlockt, um ihn zu verderben.
Das zweite Bild war Kleopatra, wie sie in Tarsus ihrem Besieger entgegenzieht, um ihn ihrerseits mit allen Reizen ihrer Weiblichkeit in Fesseln zu schlagen. Ein reiches, mit Glanz überladenes Bild, die ehrgeizige Königin und das genußsüchtige Weib, Weichheit und Stolz vereinend.
Das dritte Bild war die Sonnenkönigin Atahualpa, die königliche Gemahlin des letzten Inkas, mit kühnem und erhabenem Blick; die Erhabenheit desselben lenkt die Aufmerksamkeit von den ganz unbedeckten runden Armen ab, deren einer das der Sonne dargebrachte Opfer, ein menschliches Herz, auf welches die Königin mit kalter Ruhe blickt, gegen den Himmel emporhebt. Ihr ganzes Gesicht scheint die Kälte des Himmels abzuspiegeln.
Das vierte Bild ist die griechische Sklavin. Es stellt die gequälte Schönheit, die verletzte Scham dar, welche die um ihre Hände geschlungenen Fesseln zerbrechen will. Eine Marmorstatue, deren Konzeption in Pradiers Geist gebogen und durch Thorwaldsens Idealisierung veredelt wurde.
Das fünfte Bild war die Bacchantin – nach dem Muster eines römischen Basreliefs, das den Zug des Bacchus darstellt. Ein wilder, kühner, herausfordernder, trunkener Ausdruck. Ueberraschender Faltenwurf. Pantherfell, Thyrsus und Becher. Die idealisierte Trunkenheit selbst, mit Gliedern in wilder Bewegung.
Das sechste Bild war die Sultanin Nourmahal. Eine sitzende Gestalt mit unbeweglichen Gliedern und Gesichtszügen; aber die beiden dunkeln Augen sprechen von Geheimnissen, die nur des Kundigen Auge versteht, und dem Kundigen Lust und Wonne verheißen.
Das siebente Bild ist die Braut. Ein weißer Spitzenanzug, auf dem Kopf ein weißer Kranz, die Gestalt von einem weißen Schleier umflossen. Im Gesicht den Ausdruck des Bebens vor dem unbekannten Glück, in den Augen Tränen, auf den Lippen das bleiche Lächeln. Mit unaussprechlichem Reiz streckt sie die Hand vor, um den Verlobungsring zu empfangen.
Das achte Bild stellt die junge Frau dar, die zum erstenmal mit der Haube auf dem Kopf hervortritt. Stolz, Scham und ein triumphierendes Bewußtsein spielen im Gesichte. Sie fühlt, daß die Haube auf ihrem Kopf eine wohlverdiente Krone sei, eine Krone, für die sie einen Kranz hingegeben.
O welche bittere Freude wurde Iwan von seinem lieben Sohn mit diesen Bildern bereitet!
Das neunte Bild war die Bajadere – im malerischen Gewande der indischen Tänzerinnen, das klingende Tamburin über ihrem Haupt schlagend, den schlanken Leib mit einem golddurchwirkten Schal umschlungen, am Halse Ketten aus goldnen Münzen und die Füße bis zum Knie hinauf mit Perlenschnüren umwunden.
Das zehnte Bild war ein Gegenstück des vorigen, Claudia Laeta, die vestalische Jungfrau, in dem Augenblick, wo sie zum Tode geführt wird, weil sie den Verlockungen Caracallas widerstanden hat; im Gesicht mit dem Ausdruck des Schauders der jungfräulichen Tugend, mit einer Hand ihren Mantel zum Gesicht emporhebend, wie um sich gegen verletzende Blicke zu wehren.
Wie können doch die Frauen alles spielen!
Und erst die Erklärungen, mit welchen Arpad diese Bilder in seinen Briefen begleitete.
Und das Resultat!
Der Fürst kann sich aus dem Zauberkreise nicht mehr befreien. Nach jeder neueren Probe gibt er der Meinung Ausdruck, daß hier ein Schatz verborgen sei, der für die Kunst nicht verloren gehen darf.
Der Fürst würde noch auf andere Schätze kommen, wenn er nicht achtundsechzig Jahre alt wäre und in der Entdeckung solcher Schätze nicht schon zuviel Erfahrungen gemacht hätte.
Das sind sehr »kostbare« Schätze, besonders wenn man schon achtundsechzig Jahre alt ist und bereits eine heiratsfähige Enkelin hat; da muß man sehr aufmerksam in die Rechnung seines Bankiers hineinblicken, um zu sehen, wie groß die Differenz ist zwischen den zwanzig Millionen Aktiven und den annähernd angenommenen Passiven, und ob es möglich sei, zu gleicher Zeit die einzige Enkelin auszuheiraten und eine fremde schöne Frau in die Welt einzuführen.
Der Fürst hatte eben erst kürzlich sein Palais in der Maximiliangasse für die Komtesse Angela einrichten lassen für den Fall, daß sie nach seinem Wunsch heiraten würde. Dieses Palais ist mit wahrhaft fürstlicher Pracht ausgestattet.
Aber die Komtesse ist mit dem Fürsten brouilliert und will von dem Bräutigam nichts wissen, wozu sie ihre guten Gründe hat; und während Angela ihren Großvater mit aristokratischem Trotz ärgert, zieht Eveline den Zauberkreis um ihn immer enger, und wenn Angela nicht rechtzeitig in das Palais in der Maximiliangasse einzieht, so kann es sich leicht ereignen, daß Frau Kaulman es in Besitz nimmt Dies erfuhr Iwan aus den Briefen des Klaviermeisters.
Darum drängte sich Iwan in die herrschaftlichen Salons, darum mengte er sich so in die Privatangelegenheiten der vornehmen Familien, darum verleugnete er seine bisherige Lebensweise und tat alles, was einer tun muß, der sich in einem fremden Element befindet – weil er sie beschützen wollte! Er wollte das Weib, welches er nicht davor hatte bewahren können die Gattin eines andern zu werden, wenigstens davor bewahren, daß sie die Maitresse eines dritten werde!
Darein hatte er sich bereits gefunden, daß das Mädchen, welches er nie aufgehört hatte zu lieben, das Weib eines andern wurde! Möge sie glücklich sein! Aber daß sie sich über Hals und Kopf in die Schande stürze, den Gedanken konnte er nicht ertragen. Wenn sie eine Frau geworden ist, so sei sie es, und wenn der Mann selbst sie der Schande zuführt, so muß er sie davon zurückhalten, er, der sie wahrhaft geliebt hat.
War es eine Torheit von Iwan, so zu denken? Mögen die darüber urteilen, die hierzu kaltes Blut genug besitzen; aber er hatte ein Herz, und das Herz hat seine Rechte.
Dann, wer weiß, ob er nicht zugleich auch seinen Wirkungskreis verteidigt? Wenn man den Fürsten bewegt, seine Bondavárer Herrschaft dem Konsortium zu überlassen, so ist Iwans kleines Kohlengewerk erdrückt. Wie, wenn er das verhindern wollte? Ein Geschäftsmann spekuliert immer.
Also sagen wir den warm fühlenden Menschen, daß Iwan Eveline vor Schande bewahren wollte; den Kaltblütigen sagen wir, daß er spekulierte und die Bondataler Kohlengrube vor der gefährlichen Konkurrenz bewahren wollte, und dann ›duplex libelli dos est.‹
Es folgten die übrigen Bilder. Arpad schickte sie nacheinander seinem Adoptivvater. Amalasuntha, die Amazonenkönigin, Magdalena, die reuige Büßerin, Ninon im Prunk der Rokokomode, Medea mit der mörderischen Rachgier ihrer Eifersucht, Salome, die Tochter der Herodias, mit ihrem einen heiligen Tod verursachenden verführerischen Tanze, die Houri in ihrem orientalischen Feengewande, das revolutionäre Weib mit der phrygischen Mütze und der Lanze, Turandot, die chinesische Tyrannin, die Verzweiflung der Hero, das Gelächter der Jeanne la folle, die Grausamkeit der Judith, die Lustgier der Potiphar, eine kokette Marketenderin, eine neckische Grisette, eine betende Nonne, eine müde Kreolin, eine überirdische Willi – das waren die weiteren Abbildungen, in welchen Iwan schon mehr erkünstelte, einstudierte Effekthascherei fand, als instinktiven wahren Ausdruck. Das war »die Schule der Madame Grissac«, in welche Felix Eveline zu ihrer Erziehung geschickt hatte. Aber zwei Bilder, die zuletzt kamen, wirkten schmerzlich auf Iwan. Das eine stellte eine Mutter an der Wiege ihres Kindes dar, das andere ein Bauernmädchen, eine Kohlenträgerin, mit herabhängenden Zöpfen und aufgeschürztem roten Rock.
Das tat Iwan weh. Wozu auch diese Gestalten profanieren! Wozu die Mutterliebe zum Gegenstand eines Spiels machen? Hätte man diese letzte Gestalt nicht in Ruhe lassen können? Das Mädchen mit dem roten Rock konnte er dem nicht verzeihen, der ihr sein Herz »so« zugewendet hatte.
Eines Tages schrieb dann der Künstler an Iwan: »Mein lieber Patron Kaulman ist ein dreizehnlötiger Schurke. Bisher hat er den Zauberproben gewöhnlich mit dem Fürsten Theobald zusammen beigewohnt. Heute erschien Fürst Theobald ganz gut aufgelegt, dermaßen, daß es auch Kaulman auffiel, und auf die erste Frage sagte der Fürst, er freue sich darüber, daß er von der Komtesse Angela einen Brief erhalten hat. Seine Enkelin schreibt ihm sehr liebenswürdig; sie sagt, es sei vor ihr ein gewisser Iwan Berend aufgetaucht, der den Mut hatte, ihr eine Lektion zu geben und ihr ins Gesicht zu sagen, daß die ungarischen Magnaten Pflichten gegen ihr Vaterland haben, die sie nicht erfüllen, daß Fürst Theobald jetzt nach Pest übersiedeln müßte, das sei der Platz für jeden ungarischen Magnaten. Wenn er es tut, so würde Komtesse Angela sich mit ihm aussöhnen. – Der Fürst war glücklich, als er dies erzählte. Aber Kaulman machte ein saueres Gesicht dazu. Der Fürst sagte, er werde sich die Sache überlegen. Wenn Komtesse Angela Pest so sehr liebgewonnen hat, so werde vielleicht auch er sich dorthin begeben. Kaulman knirschte mit den Zähnen. Freilich beteuerte auch er seine Freude darüber, daß Komtesse Angela das Eis gebrochen hat. Das sei ein deutliches Zeichen, daß sie sich aussöhnen will. Aber wenn er an der Stelle des Fürsten wäre, so würde er es wenigstens noch mit einem Brief versuchen, die Komtesse zu bewegen, daß sie zu ihm nach Wien komme, anstatt ihn zu sich nach Pest zu rufen. – Der Fürst stimmte dem bei, und so wird er vorläufig nicht nach Pest gehen, sondern versuchen, die Komtesse zu bewegen, daß sie zu ihm nach Wien komme.
»Inzwischen aber gehen noch die zwei letzten Zauberproben vor sich.
»Die zweiunddreißigste Gestalt ist die der Julia Gonzaga, deren Geschichte du in irgendeiner Novellensammlung finden wirst.
»An dieser Gestalt ist nur das Kostüm interessant, das in einem Nachtgewand aus Nesselstoff besteht und die Füße unbedeckt läßt. Uebrigens wohnt unter dieser Hülle die strengste weibliche Tugend, denn Julia schwingt ein Messer in der Hand, mit welchem sie jeden zu töten droht, der es wagt, auf ihre Füße zu sehen. Die Photographie lege ich bei.
»Bei den bisherigen Proben war auch Kaulman zugegen. Hinsichtlich der Probe der Julia Gonzaga sagte er, daß er nicht dabei sein könne, weil er abreisen müsse. Ich dachte mir schon, daß ich dabei als garde des dames fungieren werde.
»Ich werde aber nicht dabei sein.
»Als ich diese Photographie der Mama zu Hause zeigte, schauderte sie und verbot mir kategorisch bei einer Probe, die in solchem Kostüm gehalten wird, zu akkompagnieren. Ich soll bei der Gnädigen Krankheit oder eine andere Ursache vorschützen. Ich habe wahrhaftig nicht erst unter verschiedenen Lügen gewählt, sondern der wohltätigen Fee gerade heraus gesagt: hören Sie, meine Mama erlaubt es nicht, daß ich akkompagniere, wenn Sie barfuß singen; da aber gerade das der Witz der Rolle ist, daß Julia keine Strümpfe anhat, so werde ich morgen hier nicht Klavier spielen. – Die närrische Frau lachte sehr über mich und sagte, daß sie sich anders helfen werde.
»Sie mag tun, was sie will, mich kümmert's nicht. Uebrigens hat Mama vollkommen recht, wenn sie sagt, daß sie mich nicht fortläßt; und ich glaube, daß auch ich recht hatte, es der Gnädigen zu sagen.«
Iwan fühlte sich durch diesen Brief sehr niedergeschlagen.
Lange schaute er die Photographie an. Ein Weib, das leichte Nachtgewand mit einer Hand an der Brust zusammenhaltend, mit mörderischem Blick und aufgelöstem Haar, zeigt mit der Rechten, in der sie einen Dolch hält, vor sich hin und stellt ihren Fuß auf einen mit einem Teppich verhüllten Gegenstand, welcher der Leichnam eines Mannes zu sein scheint. Das leichte Gewand läßt ihre Glieder plastisch hervortreten.
An diesem Tage hatte Iwan von einer anderen Dame die Geschichte Julia Gonzagas erfahren.
Am folgenden Tage erhielt er abermals einen Brief von Arpad.
Der Brief kam gerade an, als Iwan vom Pistolenduell zurückkehrte.
Der junge Künstler schrieb:
»Eveline hat ihre Kunst vor dem Fürsten ohne Musikbegleitung produziert, auch ohne Begleitung des Mannes. Die Photographie ist die Illustration dazu. Als sie so erschreckend schön war, fielen die Grundsätze des Fürsten ins Wasser. Er ging hin und nahm sich die Freiheit, die Hand der Dame zu erfassen. Die mörderische Frau fing plötzlich an zu lachen. Fürst! sehen Sie nicht, daß ich ein Messer in der Hand habe? – Ich kann es Ihnen wegnehmen. Die Frau lachte, und einer lachenden Frau kann man das Messer leicht wegnehmen. In diesem Augenblick erscholl im Zimmer auf Evelinens Gelächter ein Widerhall – insofern man Froschgequake einen Widerhall des Nachtigallensanges nennen kann – und aus dem Azaleen- und Myrtengebüsch, mit welchem der Saal geschmückt ist, trat ein krüppelhafter Zwerg hervor und schleppte sich vor den erschreckten Fürsten hin; der Krüppel unterstützte seine beiden lahmen Füße mit zwei Krücken, sein langer Kopf saß tief zwischen zwei hohen Schultern, und mit dem verzerrten Grinsen der Krüppel in seinem bleichen Satyrgesicht trippelte der Kobold vor das kosende Paar hin. – Fürst! wir sind nicht allein! lachte Eveline. – Was ist denn das für ein Prachtexemplar von einer Kröte! rief der Fürst schaudernd. – Das ist mein geliebter, einziger kleiner Bruder, erwiderte Evelina und stürzte auf das kleine Ungetüm hin, umarmte es, küßte es und streichelte ihm den Kopf; – das ist mein einziger, teurer Bruder, mein alles, mein häßlicher, zänkischer Tyrann, der zu mir kommt, wenn es ihm beliebt.
»Ein scheußliches Ding! rief der Fürst; die im Tor der Hexe von Endor Wache haltenden Kobolde sind im Vergleich mit dem da Cherubim; ich bitte, küssen Sie nicht sein Gesicht, Eveline! – es vergeht einem für ewig die Lust, einen schönen Frauenmund zu küssen.
Eveline warf darauf plötzlich einen Burnus um ihre Schulter, steckte die Füße in ihre Pantöffelchen und sagte zum Fürsten, daß die zweiunddreißigste Probe zu Ende und daß nur noch die dreiunddreißigste rückständig sei. – Der Fürst fragte, was diese für einen Titel habe, worauf Eveline flüsterte, daß er es übermorgen erfahren werde.
»Und wer wird es noch erfahren?
»Niemand sonst.
»Auch dieser Kaliban nicht?
»Auch dieser nicht.
»Der Fürst verließ Eveline ganz bezaubert, im Vollgenuß des Gedankens, daß er bei der letzten Feenerscheinung allein zugegen sein werde. Evelina braucht einen Tag, sich vorzubereiten.
»Diese Szene habe ich von dem Krüppel selbst erfahren, der mich sehr liebt und jeden Tag zu mir kommt, mein Abendbrot mit mir zu teilen; denn obgleich Eveline ihn mit allem versieht, so fühlt er sich doch nicht wohl, wenn er sich dazu nicht noch etwas erbetteln kann. Dieser Bursche würde, selbst wenn er ein Fürst wäre, auf der Gasse aus seiner Equipage aussteigen, um sich einen Kreuzer zu erbetteln, so viel Freude findet er am Betteln. Für ein großes Stück Gerstenzucker erzählt er mir alles. Am meisten gefiel es ihm, daß der Fürst ihn ein Prachtexemplar von einer Kröte genannt hat. Er produzierte vor mir auch, wie er mit seinen Krücken hervorkroch und mit seiner heiseren Stimme lachte, als der große Herr seiner Schwester das Messer wegnehmen wollte.
»Uebermorgen schreibe ich wieder.«
Uebermorgen?
Dieses Uebermorgen wollte Iwan nicht erleben.
Wenn er es aber erlebt, so wird er Hiebe austeilen, die man gewiß nicht vergessen wird.
In derselben Nacht träumte er – wach von zwei Julia Gonzagas. Beide sind daran, ihn zu töten, er aber hat es von keiner verdient.