Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Höllenkomödie dauerte auf der Börse noch immer fort.
Die zum Tode verurteilten Papiere, die Aktien des Bondavárer Gewerkes und der Bondavárer Eisenbahn, flogen von einer Hand in die andere.
Jetzt trieb man das traurige Spiel schon ins Komische, und es begann sich Humor in das Unglück zu mengen.
Das Wort Bondavár diente nunmehr dazu, unter den Börsenleuten Heiterkeit hervorzurufen.
Wem es gelungen war, seine letzte Aktie an den Mann zu bringen, der lachte über den, der sie gekauft hatte.
Man fing an, die Aktien gegen Dinge von geringstem Wert zum Tausch anzubieten, zum Beispiel als Draufgabe zu einem alten Regenschirm für ein neues Parapluie.
Man benützte sie als Pränumerations-Aequivalent für Blätter, die einem der Redakteur mit Gewalt an den Hals geworfen hatte.
Man verschenkte sie zu wohltätigen Zwecken.
Es fand sich auch ein witziger Mensch, der sich zu einem Maskenball einen Rock aus den Aktien hatte nähen lassen, wie seinerzeit Fürst E. auf klassischen Tizianschen Gemälden.
Der Börse war nur noch eine Art von Kampf für diese Aktien vorbehalten.
Die Hauptbesitzer derselben kämpften um das letzte Aufflackern der Lampe, welche die Kontermineure gänzlich zum Verlöschen bringen wollten.
Fürst Waldemar, der Führer der Kontermine, drückte die Aktien von Tag zu Tag tiefer hinab, die zuletzt um ein Prozent, um ein halbes, um ein Viertelprozent fielen, und um dieses Viertelprozent wurde jetzt noch gerungen.
Fürst Sondershain wollte es dahin bringen, daß diese Aktien vom Kurszettel der Börse ganz gestrichen würden. Die Eigentümer wollten nur das verhindern.
An dem Tag, an dem der Bericht des Herrn Rauné durch alle Wiener Blätter die Runde gemacht hatte – der Bericht, in welchem auseinandergesetzt war, was für Bestandteile seit dem Entstehen des Grubenbrandes sich in das Wasser vom Brunnen des Bondavárer Schlosses gemengt haben – was große Sensation erregte – glaubte Fürst Waldemar, auf das Haupt der »Bondavárer« den letzten Streich führen zu können.
Er ließ auf der Börse ausrufen, daß er am letzten Tag des Monats die Bondavárer Aktien um 10 fl. geben werde.
Es fanden sich Leute, die diese Börsenwette annahmen – Aktionäre, die zwar wußten, daß sie auch noch bei diesem Angebot verlieren würden, die aber nicht zulassen wollten, daß ihre Aktien vom Kurszettel gänzlich gestrichen würden.
Fürst Waldemar hatte bis Mittag auf ungefähr fünftausend Stück Aktien abgeschlossen.
Auch diese Aktien hatte er weder selbst in Händen, noch wünschten die Parteien, denen er sie liefern sollte, dieselben von ihm wirklich zu erhalten; es war nur ein Börsenspiel.
Wenn die Aktien bis zum letzten des Monats auf sechs Gulden hinabgehen, so zahlen ihm die Gegenparteien zwanzigtausend Gulden Differenzen; wenn sie um vier Gulden steigen, so zahlt er ihnen ebensoviel.
Mittags kam ein Agent zum Schranken, der laut genug kundgab, daß ein Herr da sei, der fünfhundert Stück Bondavárer – al pari! kaufen will.
Als ob jemand mit einem Hammer auf ein Klavier geschlagen hätte, solch ein Gewirre von Tönen entstand auf dieses Wort.
Hohngelächter, Ausrufe der Verwunderung, Freudengeheul, Flüche und Rufe des Unglaubens erhoben sich auf einmal rings um den Schranken.
»Wer ist das? Ist er wahnsinnig? Al pari! Bondavárer Aktien! Wo ist der Mensch?«
Der Agent zeigte ihn.
Es war ein Mann aus der Provinz von anspruchslosem Aeußeren. Er stand an einen Pfeiler gelehnt und übersah von dort das olympische Schauspiel.
»Ah! das ist irgendein Schalksnarr, der mit uns einen Spaß treiben will!« spottete Fürst Waldemar. »Gehen Sie zu ihm hin,« sagte er zum Agenten, »und fragen Sie ihn, wie er heißt. Wir wollen den Namen dessen kennen, mit dem wir einen Schluß machen.«
Der Agent ging hin, sprach einige Worte und kam zurück.
»Der Herr läßt sagen, sein Name sei Hunderttausend Gulden. Geld sei Namen genug.«
Und hiermit zeigte er zehn Stück Bankanweisungen, jede auf zehntausend Gulden lautend.
»Wer gibt fünfhundert Stück Bondavárer Aktien?«
Das rief auf der Börse eine vollständige Revolution hervor.
Die eben noch stille Gesellschaft, in welcher nur einzelne Töne sich vernehmen ließen, geriet plötzlich in Aufruhr; Gläubige und Ungläubige drängten sich zu dem Unbekannten hin; sie umringten ihn, bestürmten ihn mit tausend Fragen und streckten einer über den Kopf des andern ihm die Hände mit ihren Notizbüchern entgegen. Der Fremde nahm diesen Lärm kalt auf und wies die ihn Umdrängenden an seinen Agenten; sie mögen ihr Geschäft mit diesem abmachen.
Endlich bahnte sich Fürst Waldemar einen Weg durch die Menge zu dem Unbekannten.
Mit vornehmer Impertinenz die Krempe seines Hutes bis zu den Augen herabziehend und die Hände in die Westentasche steckend, sagte er zu dem Fremden: »Mein Herr! Sie haben hier mit Ihrem Erscheinen eine ganze Revolution hervorgerufen. Darf ich Ihren Namen wissen?«
»Mein Name ist Iwan Berend,« sprach der Fremde, mit der Schulter an den Pfeiler gelehnt.
»Ah!« sagte Waldemar, den Hut plötzlich herabnehmend und sich ironisch verbeugend; »ich habe die Ehre, Sie dem Ruf nach zu kennen. Sind Sie der berühmte Pistolenschütze, der einem die Zigarre aus dem Mund schießt? Dann bin ich niemand; sonst aber wäre mein Name Fürst Waldemar Sondershain. Doch so wie Sie kann ich nicht schießen. Sprechen wir daher vernünftig miteinander. Sie kaufen Bondavárer Aktien al pari. Haben Sie einen ostindischen Nabob beerbt, der an die Erbschaft die Bedingung knüpfte, daß Sie dafür Bondavárer Aktien al pari kaufen sollen?«
»Nein! Ich kaufe sie, weil sie so viel wert sind.«
»Die Bondavárer Grube brennt doch.«
»Das weiß ich, die meinige befindet sich daneben.«
»Dann brennen Sie dabei doppelt ab.«
»Nein, denn ich lösche den Brand binnen zwei Wochen.«
Auf dieses Wort steigerte sich der Lärm ins Ungeheuerliche; die Aktionäre drückten Iwan beinahe tot.
»Der Mann ist da, der die Grube löscht! Das Gewerk ist wiederhergestellt! Bondavár steht wieder al pari!«
Die Kontermine purzelte wieder zu Boden, die jauchzenden Aktionäre nahmen Iwan auf die Arme und schleppten ihn so auf der Börse herum. Und noch für denselben Abend wurde eine Generalversammlung einberufen, in der Iwan vor dem Publikum des zum Ersticken vollen Saales vortrug, daß er einen unfehlbaren Plan habe, den Bondavárer Grubenbrand binnen zwei Wochen zu löschen; zugleich lud er jedermann ein, dem morgen im Freien anzustellenden Versuch mit dem von ihm eben erfundenen Feuerlöschmittel beizuwohnen und sich zu überzeugen, daß, was er versprochen, keine eitle Prahlerei sei.
Am andern Morgen machte er vor einer großen Menge das Experiment, das überraschend gelang; ein Scheiterhaufen aus Kohlen und Torf, mit Petroleum übergossen und von allen Seiten angezündet, wurde mitten im lebhaftesten Brennen binnen wenigen Minuten durch die Wirksamkeit einer einzigen Handspritze gelöscht.
Das jauchzende Publikum begleitete Iwan im Triumph zurück in die Stadt, und in der fortgesetzten Generalversammlung der Aktionäre wurde beschlossen, Iwan, wenn er den Grubenbrand löscht und das Bergwerk wieder in brauchbaren Zustand herstellt, eine Remuneration von sechsmalhunderttausend Gulden zu geben.
Es fehlte jedoch auch nicht an Widersprüchen. Da war Fürst Waldemar einer derjenigen, welche die meisten Aktien besaßen und den größten Widerstand leisteten; er gab sich alle mögliche Mühe, um Iwans wissenschaftliche Voraussetzung zu widerlegen.
»Ich gebe zu,« sagte er zu Iwan, »daß Sie mit einem Eimer Flüssigkeit sechs Kubikklafter glühende Kohlen löschen können. Aber bedenken Sie, daß in der Bondavárer Grube, von der Stelle der Explosion bis zum Schloß gerechnet, wenigstens sechzigtausend Kubikklafter Kohlen brennen müssen; darauf müßten Sie zehntausend Eimer Flüssigkeit schütten, noch dazu auf einmal und direkt auf die Stelle, wo das Feuer tätig ist. Mit was für einer Maschine glauben Sie diese Operation ausführen zu können?«
»Ich habe nicht vergessen, diese Operation in meinen Plan aufzunehmen,« antwortete Iwan.
»Nun, vorausgesetzt, daß es Ihnen gelingt, dieses große Quantum Flüssigkeit auf einmal auf die brennende Masse zu schütten, so würde dies im Bergwerk auf einmal eine so ungeheure Menge Gas entwickeln, daß in der ganzen Grube das unterste nach oben gekehrt würde und eine neue, noch furchtbarere Explosion unvermeidlich wäre.«
»Alles dies habe ich voraus bedacht.«
»Und endlich, wenn Sie einen Begriff von Maschinen und Mechanik haben, so müssen Sie einsehen, daß eine Million nicht hinreicht, den Bedarf herzustellen, der nur zum Anstellen des Versuchs unerläßlich ist.«
»Ich habe meinen Kostenüberschlag fertig.«
Die Aktionäre schrien ihm zu, daß sie die Kosten auf sich nehmen, und sollten diese auch eine Million betragen. Und hiermit wurde Iwan die Vollmacht erteilt, im Bondavárer Gewerk zu tun, was er für nötig und nützlich hielte, möge es wieviel Geld immer kosten.
Fürst Sondershain sah ein, daß er die durch Iwan herbeigeführte Wendung vorläufig mit keinerlei Gegenmanöver verhindern könne.
Als die Versammlung der Aktionäre das Protokoll authentizierte, nahm er Iwan beiseite und sagte zu ihm: »Herr Berend! Möge Ihnen jetzt das Unternehmen gelingen oder nicht (ich glaube, daß es nicht gelingt), so haben Sie mir damit jedenfalls eine Million aus meiner Tasche gerissen. Netto eine Million. Außerdem haben Sie darauf von Ihrem eignen Geld hunderttausend Gulden verwendet, die Kosten nicht gerechnet, die dabei noch zu riskieren sind. Aber sei dem wie immer – Sie haben einmal mit diesem Manöver das al pari auf der Börse auf zwei Wochen fixiert. Es wird zwar weder gekauft noch verkauft werden, denn beide Parteien werden zurückhaltend sein; aber der Kurs wird nun einmal al pari verzeichnet bleiben, und ich bin gehalten, die Differenzen der durch mich gemachten Schlüsse nach diesem Kurs zu begleichen. Das kostet mich eine Million. Aber es macht nichts. Ich habe auch schon ein andres Mal eine Million verloren gehen sehen. Sie ist mir wieder zurückgekommen. Man braucht nur Ruhe zum Börsenkampf. Wenn Sie aber zufällig zwei Wochen früher darauf kommen, daß was Sie auf sich genommen unmöglich ist, und Sie es zur öffentlichen Kenntnis bringen, so lege ich eine runde Million direkt in Ihre Hand.«
Iwan antwortete darauf mit wahrer geschäftsmäßiger Ruhe: »Herr Sondershain! Ich weiß recht gut, daß die Börse das eigentümliche Privilegium hat, daß man sich hier Grobheiten sagen kann, ohne üble Folgen befürchten zu müssen. Was man hier sagt, anbietet, ausbedingt – an alles dies wird nicht das Maß der gewöhnlichen gesellschaftlichen Regeln gelegt. Hier darf man jedermann fragen: Wie teuer gibst du deine gesellschaftliche Ehre? – und wenn man darauf die Antwort erhält: Sie ist mir nicht feil – so bescheidet man sich auch damit; hier darf man jeden mit der Aufforderung anreden: Komm, rauben wir jemanden aus! – und der Angeredete ist nicht böse, wenn ihm die Zumutung nicht recht ist; höchstens antwortet er: Ich habe keine Zeit dazu! Wenn man hier jemanden auszankt, wenn man ihn anspeit, ihm den Hut eintreibt, so ist das keine Schande; wem es passiert, der wendet sich ab, als ob er nichts gehört hätte, er wischt sich das Gesicht ab, richtet sich den Hut gerade und setzt ihn wieder auf, und nach einer Stunde geht er mit seinem Feinde Arm in Arm herum. Niemand sagt, daß sie einen Streit miteinander gehabt haben; es war nur eine kleine Differenz zwischen ihnen, die zu einer sehr animierten Szene geführt hat. Darauf, was jetzt der Herr Sondershain, der Börsenmatador, dem Bondataler Steinkohlenhändler gesagt hat, darauf antwortet der Bondataler Steinkohlenkrämer alles in allem: Ich kann Ihren Antrag nicht berücksichtigen. Aber der Fürst Sondershain möge sich hüten, diesen Antrag außerhalb der Börse vor Iwan Berend zu wiederholen!«
Fürst Waldemar lachte.
»Das weiß ich ohnehin. Ich hatte oft die Ehre, Ihren Namen nennen zu hören, und wenn ich Ihnen gut bin, so sollen Sie wissen, daß dies nicht ohne Grund geschieht. Sie haben mich einst bei einer schönen Dame energisch in Schutz genommen. Ich weiß den Grund nicht, weshalb Sie es getan haben, aber Sie haben es getan und das ist mir genug. Die ganze Welt weiß es. Sie haben außerdem auf Ihre eignen Ansprüche verzichtet, zu denen Sie sich jener wunderschönen Dame gegenüber für berechtigt halten konnten. Aber es nützte nichts; zuletzt wurde sie die Frau eines nichtsnutzigen Menschen. Gleichviel! Ihre mir unerklärliche Intervention, die, wenn sie nicht ein Geschäftsmanöver war, nur aus dem echten ursprünglichen Puritanismus entspringen konnte, werde ich Ihnen nie vergessen. Wenn jene schöne Dame Sie damals erhört hätte, so würde man jetzt aus dem Bondavárer Brunnen kein schwefelhaltiges Wasser schöpfen, denn aus dem ganzen Unternehmen wäre nichts geworden. Darum werde ich, wir mögen außerhalb der Börse wie immer miteinander sprechen, mein Angebot in meiner Brieftasche jedenfalls notieren. Wenn es Ihnen gelingt, den Brand zu löschen, so bekommen Sie sechsmalhunderttausend Gulden, wenn nicht, so bekommen Sie eine Million.«
Die Aktionäre bemerkten, daß Waldemar mit Iwan lange spreche und stürzten hin, um ihre Köpfe zwischen die beiden zu stecken.
»Keine Techtelmechtel, Herr Fürst! Lassen Sie unsern Mann in Frieden!«
Sie fürchteten, er werde ihn umstimmen.
»Haben Sie keine Furcht!« rief der Fürst; »wir sprechen von einer schönen Frau, der wir beide den Hof gemacht haben. So soll mir Gott helfen!«
Aber die Aktionäre ließen sich von ihrem Mißtrauen deshalb doch nicht abbringen.
Sie wählten unter sich eine aus drei Mitgliedern bestehende Kommission, die Iwan auf Schritt und Tritt begleiten, ihn nirgends verlassen, mit ihm speisen, auf seiner Schwelle schlafen, unter seinem Fenster Wache halten sollte, damit der Feind nicht in seine Nähe kommen könne. Und alles dies geschah unter dem Vorwande, ihm Beistand zu leisten und für ihn die nötigen Gelder anzuweisen.
Iwan verschaffte sich die nötigen Maschinen und Arbeiter und reiste dann mit diesen und mit seinen drei Begleitern sogleich ins Bondatal zurück.
Die drei Begleiter hatten den Auftrag, jeden Tag über den Fortgang der Arbeit einen Bericht einzusenden.
Unter den drei Begleitern war auch Herr Spitzhase.
Diesen brauchte man dort als den umsichtigsten, verläßlichsten und unverschämtesten Vertreter der Interessen der Aktiengesellschaft.
(Dieses letztere Epitheton haben wir nicht in verächtlichem Sinne hergesetzt. In Geldangelegenheiten ist Bescheidenheit und Verschämtheit ein großer Fehler, und das Gegenteil hiervon eine unschätzbare Eigenschaft. Es war also als Lob gemeint.)
Dieser wird von Iwan einigemal zur Tür hinausgeworfen werden, und ebenso oft wird er durchs Fenster wieder hereinkommen.