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Peter Saffrans Fluch begann in Erfüllung zu gehen: »Auf diesem Felde soll kein Gras mehr grünen!«
Zwar grünt noch auf dem Felde das Gras, aber man kann nicht wissen, was unten im Schoß der Erde vorgeht.
Die Direktion des Aktienbergwerks glaubte dem Grubenbrand damit Einhalt zu tun, daß sie alle Zugänge, die Oeffnungen der Stollen und Schächte verstopfte; wenn so die äußere Luft zum Feuer keinen Zutritt hat, so meinte man, daß es von selber erlöschen werde.
Daraus entstand aber das Uebel, daß die Kohlenvorräte ausgingen und es an Feuerungsmaterial für die Hütten zu fehlen anfing.
Man versuchte es, mit Holz zu heizen, denn Wälder gab es genug; aber die Heizer konnten damit nicht umgehen, und so wurde viel Eisen verdorben.
Anstatt der Eisenschienen lagen rings um das Hammerwerk ausgestoßene »Bären« in großer Menge herum.
Denn auch für das Hammerwerk hatte man von den ausländischen Gewerken ausgemusterte, nichtsnutzige, verlumpte und ungeschickte Arbeiter zusammengerafft, nur um der Welt und den Aktionären Sand in die Augen zu streuen und zu zeigen, daß das im großen arbeitende Gewerk sich wie auf einen Zauberschlag gehoben habe.
Der Zauberschlag war wirklich da, aber ein gesunder Hammerschlag hätte mehr genützt.
Daran war gar nicht zu denken, daß das Aktiengewerk imstande sein werde, den Eisenbahnunternehmern die kontrahierten Schienen auf den Termin zu liefern. Die Kaution war in Gefahr.
Anderseits schwebte auch die Kaution der Eisenbahnbauunternehmer in großer Gefahr, wenn die Eisenbahn nicht zur bestimmten Zeit dem öffentlichen Verkehr übergeben wird.
Und so kollerten aneinander geklammert die Bergwerksaktiengesellschaft und die Eisenbahnunternehmung auf der gefährlichen abschüssigen Bahn abwärts, wobei bald die eine, bald die andere unten zu liegen kam, doch beide zusammen fortwährend immer tiefer sanken.
Endlich drängte die eine Direktion die andere, die Steinkohlen wo und zu welchem Preise immer zu kaufen. Da sei Iwan Berends Bondataler Grube, da müssen Steinkohlen genug sein, denn er habe schon seit einem Jahre keinen Käufer gehabt; man solle bei ihm die Steinkohlen kaufen. Herr Rauné entschloß sich also, an Iwan zu schreiben und ihn um Kohlen zu bitten. Eine schöne Wirtschaft das – vom Schmied Kohlen zu kaufen!
Die an Iwan gerichteten Briefe hatten aber das eigentümliche Schicksal, daß sie unerbrochen zurückkamen.
Als Herr Rauné dann energischer gedrängt wurde, entschloß er sich endlich, persönlich zu Iwan zu gehen und den Kohlenhandel abzuschließen.
Dieser Besuch fiel aber sehr kurz aus. Herr Rauné war alles in allem zwei Sekunden in Iwans Zimmer, und dann passierte es ihm, daß er früher herauskam als sein Hut, und nach beiden Iwans Worte: »Ich lasse mich mit einem Denunzianten in kein Gespräch mehr ein!«
Ob zu dieser Verabschiedung seitens Iwans noch eine Handgreiflichkeit hinzugekommen war, wissen wir nicht; aber so viel ist gewiß, daß Herr Rauné weder einen Prozeß gegen Iwan einleitete noch Kartellträger zu ihm schickte, sondern anstatt dessen an das Direktorium einen langen Brief schickte, in dem er sagte, daß Berend ein gemeiner, habsüchtiger Mensch sei. Jetzt wolle er das Unglück des Aktienbergwerks benützen und gebe um keinen Preis Kohlen her; anstatt dessen lasse er in einem fort selbst Eisenbahnschienen fabrizieren, indem er darauf spekuliert, daß die Gesellschaft genötigt sein werde, sie ihm um jeden Preis abzukaufen. Dies habe er vor ihm geäußert.
Es ist unbegreiflich, wie er während der zwei Sekunden, in welche das Hineingehen und Herauskommen mit einzurechnen ist (letzteres geschah freilich sehr rasch), diese lange Meinungsäußerung vernehmen konnte.
Aber damit richtete Herr Rauné nichts weiter aus, als daß die Eisenbahndirektion sich direkt an Iwan wandte und ihm auf seine Schienenvorräte ein sehr vorteilhaftes Angebot machte. Und wenn Iwan gesagt hätte, daß er noch um fünfzig Prozent mehr haben wolle, so hätte man ihm auch so viel gegeben.
Einem jeden brannte der Boden unter den Füßen.
Die Tantieme für die Iwan treugebliebenen Arbeiter war also in reichlicher Fülle da. Auch die Abtrünnigen baten wieder aufgenommen zu werden; denn sie hatten keine Arbeit.
Aber jetzt wurden sie im alten Bergwerk sehr wählerisch behandelt.
Die Jury der Treugebliebenen entschied mit Stimmenmehrheit, ob einer der Abtrünnigen oder ein ganz neuer Arbeiter in die Kolonie aufgenommen werden solle.
Ihr »Nein« verbannte den Verurteilten, und selbst Iwan hatte für ihn kein Begnadigungsrecht. Der Aufgenommene aber mußte ein Jahr lang um gewöhnlichen Arbeitslohn im Bergwerk dienen und dann entschied nicht die Jury, sondern das suffrage universel, ob das neue Mitglied verdiene, unter die ständigen Kolonisten aufgenommen und in Zukunft an der Tantieme mitbeteiligt zu werden.
Die Arbeit ging prächtig vor sich; jeder Arbeiter betrachtete das Bergwerk als sein Eigentum. Es geschah weniger Schaden, und die Arbeit hatte ersichtlicheren Erfolg; es wurde weder Zeit noch Kraft verschwendet. Es herrschte Ordnung ohne Kommando.
War aber die Zukunft des Bergwerks durch den Brand der Nachbargrube nicht gefährdet?
Ja.
Aus der Lage des Kohlenflötzes konnte man den Schluß ziehen, daß der Grubenbrand sich nach dem Bondatal hin erstrecken werde. Es gehören freilich Jahre dazu, bis der Grubenbrand dorthin gelangt; aber endlich wird das Bondataler Bergwerk dem Geschick nicht entgehen, mit dem andern zusammen in Asche verwandelt zu werden.
Wie viele Schätze müssen unter der Erde zugrunde gehen!
Aber auch über der Erde ist infolge des Bondavárer Fatums schon viel zugrunde gegangen.
Anfangs verfiel der Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft auf den Gedanken, mit seinem Barkapital die sinkenden Aktien selbst zurückzukaufen und so einen doppelten Nutzen zu erzielen;, erstens, indem er die al pari emittierten Aktien tief unter Pari zurückbekommt, zweitens, indem er dem weiteren Fallen derselben Einhalt gebietet.
Aber der Verwaltungsrat erreichte damit nichts weiter, als daß der Reservefond allmählich aus der Kasse versickerte und zuletzt selbst für die allernötigsten Bedürfnisse kein Geld da war.
Das Sinken der Aktien konnte er nicht verhindern. Kaum waren die armen ins Wasser Gefallenen ein wenig zu Atem gekommen, als die Kontermine ihnen wieder die Köpfe unter das Wasser hinabdrückte.
Auch Fürst Waldemar wußte, wozu die Zeitungen gut sind.
Der Bondavárer Grubenbrand bot in allen möglichen Variationen den Zeitungen unerschöpflichen Stoff zu Feuilletons und kleineren Mitteilungen.
Sie beschrieben wie die Erde sich spaltet und aus den Rissen übelriechende Dämpfe aufsteigen. Diese Dämpfe hätten die wunderbare Wirkung, daß davon alle roten Blumen blau werden.
In einem großen Umkreis verdorre das Gras bis auf die Wurzel, und das Laub ganzer Wälder falle schon im Frühsommer ab.
Der Ackersmann sehe verwundert, wie rot der schöne Lehmboden ist, den er pflügt!
Auf dem Grund der Lehmgruben beginnen sich jaspisartige Massen zu zeigen wie an den verbrannten Ziegeln.
Die Mergel- und Schieferschichten unter dem Rasen fallen ein.
Im Brunnen des Bondavárer Schlosses sei das Wasser erst warm geworden und habe einen Schwefelgeschmack bekommen; dann aber sei es allmählich versiegt und zuletzt ganz verdunstet. Später seien heiße Dämpfe aus dem Brunnen aufgestiegen, und zuletzt hätten sich an die Steine drin Sublimate in neuen unbekannten Kristallformen angelegt.
In den Auslagekästen der Antiquitäten- und Naturalienhändler sind die zu Jaspis gebrannten Tonschollen, die ausgeglühten Erdstücke und die vielerlei Kristallisationen, die vom Bondavárer Grubenbrand Zeugnis geben, zur öffentlichen Besichtigung ausgestellt; und die Gelehrten, die Geologen beweisen, daß dies wirklich Produkte des Grubenbrandes seien.
Vergebens beteuerten die Aktionäre, daß von alledem kein Wort wahr sei. Das Gras, der Wald zu Bondavár seien grün; diese gebrannten Beweisstücke seien aus dem Duttweiler Bergwerk, das seit hundertundzwanzig Jahren brenne, und aus der Planitzer Steinkohlengrube, die bereits ausgebrannt sei; die Kristalle seien vom Epteroder und Biliner Erdbrand stammende Gebilde. Das alles nützte nichts.
Wer einmal vom Schrecken erfaßt ist, glaubt auch das Schlimmste.
Tatsache ist, daß es zu Bondavár unterirdisch brennt.
Wenn auch gerade nicht heute, so wird das dortige Bergwerk später so zerstört, ausgeglüht, verbrannt sein, wie es nach der Behauptung der Zeitungen jetzt sein soll.
Und Fürst Waldemar war stets mit einer neuen Schreckensnachricht bei der Hand.
Er hatte die Aktien schon auf zwanzig, auf dreißig hinabgedrückt, er wollte sie noch weiter hinabdrücken.
Es kam gerade zu der Zeit das Beispiel vor, daß die Aktien eines großen Geldinstituts sogar unter Null hinabgedrückt wurden. Die Eigentümer der Aktien boten dem ein Prozent an, der eine auf seinen Namen übernahm.
Das war ein sauberes Spiel! Tausenden wurde der Bettelstab in die Hand gedrückt.
Die vielen kleinen Leute, die vor einem Jahr herbeiliefen, um mit ihren ersparten paar Gulden das Bondavárer Papier zu kaufen, das so ungeheuren Gewinn versprach – der kleine Beamte, der sein Mietgeld daran setzte; der Greisler, der was er am Käse gewonnen hatte, in einem Papier anlegte, in das er bald wieder Käse einwickeln konnte; der Dienstbote, der hiermit seinen ersparten Lohn gut anzulegen glaubte; die Witwe, die ihre wenig Interessen abwerfenden Papiere gegen die großen Nutzen versprechenden umtauschte; der Kassierer, der das ihm anvertraute Geld gegen diesen sichern Gewinn aufs Spiel zu setzen wagte und jetzt mit dem Geld auch die Ehre verlor: alle, alle waren zu Bettlern gemacht, in Not und Elend geraten und hatten ihr Brot verloren! Solide Gewerbsleute, die das kokette Glück aus ihren Werkstätten herausgeschmeichelt hatte, waren jetzt zugrunde gerichtet! Herren, die sonst in Equipagen fuhren, mußten jetzt zu Fuß gehen.
Weh und Jammer auf allen Seiten!
Aber für die andre Partei, die dadurch emporgekommen, ist es eine schöne Unterhaltung.
Auch jetzt herrscht wieder Lärm auf der Börse, nur daß jetzt die »Baisse« lärmt.
Es naht die Zeit heran, wo Fürst Waldemar vor den runden Schranken erscheinen und rufen wird: »Wer nimmt Bondavár um zehn Gulden! Ich gebe!«
Und nicht bloß die kleinen Leute weinen. Es gibt auch hohe Herren, die der Schlag zu Fall gebracht hat.
Zunächst der Fürst und die Gräfinnen der Familie Bondavári.
Der Schwiegersohn des Fürsten machte die Erfahrung, daß man den Schlußstein eines Gewölbebogens nicht hinausstoßen kann, ohne daß die ganze Wölbung einstürzt. Die über den Fürsten Theobald verhängte Kuratel zog den Konkurs der Gläubiger nach sich.
Und so kamen die riesigen Besitzungen, deren Eigentümer ein größerer Herr war, als viele regierende Fürsten, unter die Verwaltung der Gläubiger.
Da brannte den Besitzern erst recht der Boden unter den Füßen.
Wenn die Wirtschaft der Beamten eine Diebswirtschaft war, so war die Pächterwirtschaft der Gläubiger eine rechte Raubwirtschaft. Sie fällten die prächtigen Urwälder, die Parks, die Wildgärten, sie verschleuderten die Rinderherden, die Gestüte, die Merinoschafe, und bauten Weizen auf jedem kleinen Fleck Boden, der ein Erträgnis versprach. Dafür strafte sie Gott damit, daß er ihnen eine ungeheure Ernte gab, aber keinen Juden, der sie ihnen abkaufte. Die Frucht hatte keinen Preis.
Auch die Bondavárer Herrschaft wurde ins Mitleid gezogen.
Es entstanden darüber zehn Prozesse, in denen jeder einzelne Geklagte zugleich Kläger war; jeder gegen jeden, alle gegen einen. Da waren Testament und Vitalitium, Besitz- und Erbrecht, Avitizität und Majorat, Pachtvertrag und Nutznießungsrecht, Servitut und Bergrecht, Intabulation und Statuten, Investition und Expropriation, Sequester und Prioritätsrecht so untereinander gemengt, durch Advokatenkniffe so verwickelt und verfilzt, daß bis die Gerichte damit fertig werden, die gegenwärtige Generation längst bereits in der andern Welt ist.
Die Folge davon war, daß Gräfin Theudelinde von niemand die bedungenen vierzigtausend Gulden ausgezahlt erhielt.
Und wenn das Geld ausgeht, so pflegt dadurch eine lange Reihe von Familienzerwürfnissen zu entstehen.
Durch Theudelindes Geldverlegenheit hatte Angela am meisten zu leiden.
Marquis Salista lebte nach seiner Verheiratung so verschwenderisch wie einer, der glaubt, daß er zwanzig Millionen Gulden erheiratet habe; und es war schwer ihn zu einer Aenderung dieser seiner Ansicht zu bewegen. Das führte zu scharfen Konflikten zwischen den beiden Eheleuten.
Anderseits bewies Angela durch ihr Benehmen, daß sie ihren Mann nicht aus Achtung, sondern aus Trotz gewählt habe. Das wußte jeder.
Auch Iwan konnte es wissen.
Nur daß er jetzt ganz andere Sorgen hatte.
Brennt uns doch der Boden unter den Füßen.