Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Die Steinkohle.

Eveline wollte nicht sterben.

Sie will nicht sterben, trotzdem der Arzt gesagt hat, daß sie nicht weiter leben kann.

Dieser Junge hat ihr viel Wahres gesagt, aber in einem Punkt soll er doch nicht recht haben: Darin, daß, was sein »kann«, auch sein »muß!«

Eveline fühlte in ihrer Seele die Energie, die Widerstandskraft erwachen, sowie sie sah, daß sie in der Welt allein stand.

Vielen Menschen hat schon der Gedanke Kraft gegeben: Wenn ich niemanden habe, so will ich selbst mich besitzen!

Sie nahm sich vor, sich eine Zukunft zu erobern.

Sie wird eine Künstlerin sein!

Sie will der Welt beweisen, daß sie kann, wenn sie will.

Sie wird Mut haben vor den Lampen. Gerade aus dem Umstande, daß man ihr den Mut abspricht, wird sie ihren Mut schöpfen.

Sie wird singen, als ob sie für sich allein sänge. Sie kann es tun, ist doch die ganze Menge vor ihr für sie eine Gesamtheit von »nichts« und »niemand«.

Sie verbrachte die ganze Nacht qualvoll; der Luxus, der in ihren Salons sie umgab, beengte sie und blickte sie vorwurfsvoll an; die Kunstwerke auf ihren Tischen und in ihren Schränken, die kostbaren Vasen, die Becher, die mit Edelsteinen ausgelegten Kelche sagten ihr: Was nützt es daß ich von Gold, von Silber bin, wenn ich kein Becher um fünfzehn Sous bin! Aber der Schlaf übermannte sie zuletzt doch, und des Morgens erwachte sie mit gestähltem Gemüt.

An diesem Tag wurde dieselbe Oper wiederholt, in der sie vorgestern gesungen hatte.

Vormittags war die Probe davon.

Sie wird auf der Probe zeigen, was sie kann. Sie wird die Menschen nicht sehen. Sie wird singen wie eine blinde Nachtigall.

Sie ließ einspannen. Als sie zum Theater gelangt war, ließ sie den Kutscher zurückfahren mit dem Befehl, daß er sie in zwei Stunden abholen komme, bis nämlich die Probe vorüber sein werde.

Als sie jedoch ins Foyer trat, kam ihr der Regisseur entgegen und gab ihr zu wissen, daß ihre Rolle heute von einer anderen Primadonna gegeben würde.

Eveline geriet über diese Worte in Aufregung. Warum hatte man ihr die Rolle weggenommen? Warum hatte man ihr das nicht früher zu wissen getan? Das war ein großer Mangel an Aufmerksamkeit!

Der Regisseur bedauerte, ihr hierüber keine Aufklärung geben zu können. Sie möge sich an den Impresario wenden.

Eveline suchte mit aufgeregtem Gemüt den Impresario auf. Er war nicht in seinem Bureau.

Aber der Sekretär händigte Evelinen mit steifer Höflichkeit einen Brief ein, den er im Auftrag des Impresario eben an sie abzusenden im Begriff war.

Eveline übernahm den Brief, und sowie sie in die Vorhalle gelangt war, erbrach sie ihn und las ihn.

Es war eine Kündigung, eine sofortige Kündigung, mit dem letzten Mißerfolg motiviert.

Wie sie aus der Vorhalle, wie sie auf die Gasse gelangt war, wußte sie selbst nicht. Sie kam erst zu sich, als sie in die Strömung des Gassenpublikums gelangt war, und da fiel es ihr ein, sich über sich selbst zu verwundern.

Wie seltsam ist doch ein Mensch, der nicht mehr lebt und doch noch immer auf der Erde wandelt!

Sie sieht noch die Leute, aber diese sehen sie nicht.

Sie geht noch, sie schreitet noch, aber ihr Geist und ihr Körper wandeln auf verschiedenen Wegen.

Wie seltsam ist es doch, vernichtet zu sein!

Also ist alles wahr, was der grausame Knabe ihr gesagt hat!

Die Vergoldung der Wolken dauert nur so lange, bis die Sonne untergegangen ist!

All ihr Glanz war nur von außen gekommen, von innen nicht.

Die schöne Gestalt war nur ein sündhaftes Spielzeug in noch sündhafteren Händen.

Das närrische Glück dauert nur so lange, als es unglückliche Narren auf der Welt gibt.

Eveline irrte lange umher, bis sie sich nach Hause fand. Ging sie doch zu Fuß.

Sie schämte sich in einen Wagen einzusteigen, oder wagte es nicht einen Fiaker anzurufen, fürchtend, er werde es ihr an den Augen ansehen, daß sie niemand sei, und daß er sie fragen werde: wer zahlt mir dafür, wenn ich Sie irgendwohin führe?

Sie wäre nicht im mindesten darüber verwundert gewesen, wenn man ihr im Tor ihres Hotels gesagt hätte, daß hier keine Frau des Namens wohne, den sie führt. Diese sei längst gestorben, ausgezogen.

Es stand ihr aber noch etwas bevor, was sie aus ihrer Betäubung zum Staunen aufrütteln sollte.

Als sie durch ihre Gemächer gegangen war, fand sie in ihrem innersten Ankleidezimmer einen Mann, der in einem Fauteuil bequem ausgestreckt saß.

Es war Fürst Waldemar.

Es ist Zeit, daß wir diesen unsern viel erwähnten Helden persönlich vorführen.

Er ist ein fehlerlos ausgestatteter Gentleman mit eleganter Turnüre, sorgfältig gepflegtem Haar und blondem Bart in zu beiden Seiten herabhängenden Koteletts, mit gekräuseltem Schnurrbart, runden offenen Augen, aufgeworfenen Lippen. Sein Lächeln ist vornehm und impertinent. Sein Blick freundlich und verletzend.

Eveline rief mit der Wut der Ueberraschung und des Schreckens: »Mein Herr, was suchen Sie hier?«

»Ich warte auf Sie, schöne Frau!« sprach der Fürst vornehm näselnd und erhob sich gar nicht von dem Sitz, auf welchem er so bequem zu faulenzen schien.

»Wer hat Ihnen die Erlaubnis gegeben, hierher zu kommen?« fragte Eveline heftig.

»Ich habe niemanden darum gebeten!«

»Woher nehmen Sie also das Recht, hier zu sein?«

»Daher, Madame!« sprach der Fürst, mit träger Ruhe in die Rocktasche greifend und eine Anzeige herausnehmend, auf der jede Zeile rot unterstrichen war. Er überreichte sie Evelinen. Das Blatt zitterte in ihrer Hand, als sie es las. Erstaunt fragte sie: »Was ist das? Ich verstehe es nicht?«

»Die Sache ist doch leicht verständlich!« sprach Fürst Waldemar, der sich endlich entschloß, sich vom Fauteuil zu erheben. – Die Gläubiger des Herrn Kaulman haben Ihre Mobilien mit Beschlag belegt. Herr Kaulman war unaufmerksam oder zerstreut genug, die Habseligkeiten seiner Gattin als sein Eigentum anzumelden, und jetzt hat man Ihre ganze Habe in Beschlag genommen. Die Gläubiger ließen in Ihrer Abwesenheit Ihre Zimmer gerichtlich öffnen und hefteten die Anzeige ans Thor, in welcher die Kauflustigen eingeladen werden, die zum Verkauf gelangenden Sachen zu besichtigen. Infolge dieser Einladung habe ich die Ehre hier zu sein und mich umzusehen. Wie Sie sehen, ist hier an allen Möbeln das gerichtliche Siegel. Ich bin da – ein Käufer!«

Eveline blickte umher und fand, daß was der Fürst sagte, grausame Wahrheit sei.

»Aber, Herr, das ist unmöglich! Kaulman wußte ja doch, daß hier nichts ist, was sein Eigentum wäre.«

»Das glaube ich auch. Jedenfalls ist es ein Fehler Ihres Notars, daß er Ihnen hierüber keine Sicherheit verschafft hat. So weiß man nur, daß Kaulman alles dies hat hierher bringen lassen, daß er alles dies gekauft, angeschafft habe. Herr Kaulman aber wird leider selbst beim besten Willen nicht für Sie zeugen können; denn es ist ihm das kleine Unglück passiert, daß er, als er auf der Eisenbahn bemerkte, die Polizei sei ihm auf den Fersen, aus dem Waggon sprang und so unglücklich, daß er sofort starb.«

Eveline sank müde auf ein Sofa und stützte ihre Stirn auf die Hand.

»Wenn Sie dem Andenken des Herrn Kaulman ein paar Tränen weihen wollen, Madame, so wende ich mich ab!« sagte Fürst Waldemar mit kalter Höflichkeit.

Eveline erwiderte darauf nichts.

Möge alles zugrunde gehen!

Wenn er gestorben ist, gute Nacht. Wenn der Dieb auf der Flucht ums Leben kommt, so ist es ein Glück für ihn; wenigstens hängt man ihn nicht.

Die Gattin eines Bankrotteurs, der man die Nachricht bringt, daß ihr Mann tot sei, soll Gott danken. Er ist besorgt und aufgehoben.

Der Rasen deckt den Mann und die Schande zu.

An was hätte sie sonst noch denken können?

Sollte sie um das verlorene Vermögen Prozeß führen, zum Gericht gehen, mit kühner Stirn sich vor die Richter stellen? Sollte sie Zeugen stellen, die beweisen, daß dieser und jener Schmuck, diese und jene kostbare Garnitur nicht Eigentum des Gatten war, sondern das Geschenk eines greisen, rechtschaffenen ungarischen Magnaten, der es der Künstlerin, als seiner Adoptivtochter ohne allen Eigennutz, ohne jeden schmählichen Hintergedanken geschenkt hat? Dies sollte sie angesichts der Hohnlachenden beweisen? Sie sollte jemanden suchen, der es ihr glaubt? Den Namen ihres Wohltäters nebst ihrem eignen dem öffentlichen Gelächter preisgeben?

Lieber soll alles verloren gehen!

»Ich weine nicht, mein Herr!« sprach Eveline; »sprechen Sie, was wissen Sie mir noch Gutes zu sagen?«

»Ich weiß noch manches andre!« sprach Waldemar und stützte sich auf den Kamin mit dem silbernen Gitter. »Fürst Theobald, Ihr hoher Gönner, ist durch seine Angehörigen unter gerichtliche Kuratel gestellt und jedes weiteren aktiven Einflusses auf die Ereignisse der Welt beraubt worden.«

»Das weiß ich schon!«

»Und so sind auch die Aktien im Betrag von einer Million, die für Sie hinterlegt waren, gerichtlich in Beschlag genommen worden.«

»Auch davon bin ich bereits in Kenntnis gesetzt.«

»Aber auch dieses Substrat erleidet eine große Alteration; denn die Bondavárer Aktien sind infolge der Explosion und des unlöschbaren Brandes des Bergwerks plötzlich stark gefallen.«

»Was geht das mich an!«

»Was Sie das angeht? Aber gleichzeitig ist auch der Staatsmann in Wien gestürzt worden, der Ihr mächtigster Protektor war.«

»Ich kümmere mich nicht darum.«

»Ich bin noch nicht zu Ende. Der Geistliche, der Ihr guter Freund, war und von einem Bischofssitz träumte, ist in sein Kloster zurückgekehrt.«

»Das weiß ich längst.«

»Wie es scheint, haben wir alles zu gleicher Zeit erfahren. So weiß ich denn auch, daß Ihr Impresario Ihnen, schöne Frau, heute morgen einen Brief geschrieben hat, in dem er Ihnen sofort kündigte.«

»Hier ist der Brief!« sagte Eveline, das zerknitterte Schreiben aus der Tasche nehmend und auf den Tisch werfend.

Und dann sah sie mit trockenen Augen dem Fürsten Waldemar ins Auge.

Die Frau war in diesem Augenblick sehr schön.

»Sind Sie nur deshalb hergekommen, mein Herr, um mir dieses alles zu sagen?« fragte Eveline. Und ihre Augen glänzten dabei, nicht von Tränen, sondern von Feuer.

»Ich bin nicht nur deshalb gekommen!« sprach Waldemar, der auf dem Sofa sitzenden Dame näher tretend, und sich gnädig zu ihr herabbeugend. »Ich bin auch zu dem Zweck gekommen, um mit Ihnen ein aufrichtiges Wort zu sprechen. Sehen Sie, es ist mit allem aus, worauf Ihre goldenen Träume bisher beruhten. Das Bondavárer Bergwerk brennt. Die Aktien fallen so tief als möglich. Der Staatsmann ist gestürzt. Der Fürst ist unter Kuratel. Der Mann ist entflohen und hat sich getötet. Das Palais in der Maximiliangasse in Wien ist sequestriert. Das Vermögen in Paris wird versteigert. Beim Theater hat man Ihnen den Kontrakt gekündigt. Alle fünf Akte dieses Dramas sind zu Ende gespielt. Applaudieren wir, wenn es beliebt, und beginnen wir ein neues! Ich gebe Ihnen Ihre verlorenen Rentenpapiere zurück, ich verschaffe Ihnen wieder das Palais in der Maximiliangasse. Ich kaufe Ihre mit Beschlag belegten Möbel, Ihre Diamanten und Pferde zurück, ich bringe es zustande, daß der Kontrakt beim Theater mit Ihnen aufs neue, unter viel vorteilhafteren Bedingungen als die bisherigen, geschlossen wird. Ich mache Sie zu einer größeren Dame als Sie bisher gewesen sind, und gebe Ihnen einen viel treueren, aufopfernderen, Sie mehr anbetenden Sklaven als Sie bisher besessen haben. Sein Name ist Fürst Waldemar Sondershain.«

Und hiermit verneigte er sich tief vor Evelinen.

Eveline blickte mit finsterer Verachtung auf die Fußspitzen des vor ihr stehenden Mannes.

Waldemar war überzeugt, daß er jetzt Herr der Situation sei.

Und als die Dame lange schwieg, nahm er die Uhr aus der rechten Tasche seines Gilets und drückte sie ihr in die Hand.

»Meine Gnädige! Meine Zeit ist kostbar. Man erwartet mich auf der Börse. Ich gehe die Kaulmanschen Unternehmungen zugrunde richten. Es ist eben zwölf Uhr. Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit zum Ueberlegen. Entscheiden Sie über Ihr Schicksal. Ich werde bis dahin warten. Es ist nur eine kurze Antwort, um die ich Sie bitte. Ja oder nein!«

Eveline gab ihm eine noch kürzere Antwort.

Sie schleuderte den ihr in die Hand gedrückten Chronometer mit solcher Gewalt auf den Boden, daß das zerbrechliche Ding in tausend Trümmern umherflog.

Das war ihre Antwort.

Fürst Waldemar lachte auf und er griff in seine linke Westentasche, nahm eine andre Uhr heraus und sagte spöttisch die Augenlider herabziehend: »Ich war auf diese Antwort vollkommen gefaßt, schöne Frau, und habe daher noch einen andern Chronometer mitgebracht. Ich bitte, werfen Sie auch diesen auf die Erde. Dann gebe ich noch einen dritten her.«

Aber den zweiten Chronometer nahm Eveline nicht in die Hand. Anstatt dessen sprang sie heftig auf von ihrem Sitz und rief Waldemar mit einer abweisenden Handbewegung zu: »Wenn Sie meine Möbel gekauft haben, so lassen Sie sie wegführen! Aber meine Wohnung ist noch mein! Entfernen Sie sich von hier!«

Fürst Waldemar erhob stolz sein ewig lächelndes Gesicht.

»Schöne Frau! Das ist leicht gesagt. Aber bedenken Sie, was Ihrer wartet, wenn Sie mich zurückweisen; Sie haben keinen Ausweg.«

»Ich habe noch eine Zuflucht!« rief die Dame bitter, »zu der ich mich jederzeit wenden kann.«

»Und das ist?«

»Das ist die Steinkohle!«

Fürst Waldemar neigte den Kopf, sprach kein Wort mehr, nahm seinen Hut und entfernte sich.

Ein Weib, das an die Steinkohle appelliert, bedarf keines Menschen Freundschaft mehr.

In der Metropole der Modewelt haben schon viele schöne Frauen bei den Steinkohlen die letzte Zuflucht gefunden.

* * *

Noch an demselben Abend sah Evelinens Juwelier die schöne Frau.

Eveline brachte zu ihm ihre letzten Brillantohrgehänge. Nur diese waren ihr noch geblieben; ihre übrigen Schmuckgegenstände waren alle unter gerichtlichem Beschlag.

Diese Diamanten verkaufte Eveline dem Juwelier. Den Preis ließ sie bei ihm mit der Bitte, daß er für die Interessen das Grab ihres kleinen Bruders im Père la Chaise jedes Jahr zweimal mit frischem Rasen versehen und an jedem Allerseelentag mit Blumen besetzen lasse.

Sie sagte ihm, daß sie weit fortreisen werde.

Es scheint, daß sie auch wirklich weit fortgereist ist!

Am andern Tag, am frühen Morgen fand man am Ufer der Seine in ein Bündel zusammengeknüpft ein Kaschmirkleid, in welchem die Hausleute der verschwundenen Sängerin deren Kleid erkannten.

Fürst Waldemar versprach einen hohen Preis demjenigen, der den Leichnam der schönen Frau finden würde.

Aber wie es scheint, wußte die schöne Frau auch diesen so eifersüchtig zu verbergen, daß man ihn niemals fand.

Das am Ufer der Seine niedergelegte Bündel war nur eine Täuschung von ihr, und während jedermann sie auf dem Grunde des Wassers suchte – hielt sie wirklich ihr Wort und flüchtete sich zur Steinkohle, zu der die Augen der Sterbenden schließenden, sie in die andere Welt expedierenden Steinkohle ...

Fürst Waldemar erfuhr nie etwas von ihr. Und sechs Wochen lang trug sowohl er als auch seine gesamte Dienerschaft Trauer um sie.


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