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5

Die Pferde liefen einen scharfen Trab. Daniel Dark wußte nicht, wie ihm war. In einer so peinlich seligen Lage hatte er sich noch nicht befunden, und so glücklich und unglücklich war er noch nie gewesen. Aber weder brach ihm vor Bange und Andacht das Herz, noch sprang ihm vor Glück eine Ader im Gehirn, er wurde nicht ohnmächtig und auch nicht wahnsinnig, er betrachtete das, was ihm das Schicksal in buchstäblichem Sinne in den Schoß geworfen hatte, als eine Schickung, die (das galt wieder in buchstäblichem Sinne) getragen werden mußte.

Die Schwarzen liefen in scharfem Trab, erst auf der großen Landstraße, dann bogen sie in den Weg der Heide ein und um den Bramberg herum. An der Hügelwand sieht man einen Gedenkstein, der von einem vor Jahrhunderten in der Landesgeschichte stattgehabten Kampf berichtet, doch ist er im Dünensand fast vergraben; es ragte, als der Wagen vorüberkam, nur noch die Spitze hervor. Und so lange man in der Heide fuhr, war der Weg tief und weich, und die Räder mahlten im Sand, Springe fuhr langsamer, zuletzt gingen die Pferde im Schritt.

Eine halbe Stunde und länger hielt Daniel die Geliebte auf dem Schoß und sagte nichts, und noch immer war er bei Vernunft und sein Gehirn in geordnetem Gang. Er sagte nichts, und Lene sagte nichts, und die Tante links und die Tante rechts hatten, damit kein Laut herauskomme, den Mund in Kräuseln gezogen, an festverschnürte, lederne Geldbeutel, wie sie bei Viehhändlern gebräuchlich sind, erinnernd. Einmal sah Lenes Vater hin, schmunzelte und lachte: »Wie das Jungvolk da zusammenhockt!« Ein ander mal wandte sich der Kirchnerjunge mit seinem schmierigen Lachen und Sommersprossengesicht um. Man sah es ihm an, er hätte gern einen Witz gemacht, der nach was klänge, harmlos dahinfliege und doch einen tüchtigen Widerhaken habe. Es fiel ihm aber nichts ein, da blieb es beim Lachen. Und Arnold Springes Gesicht beugte sich wieder herüber: »Daniel, und nachher darfst du mir nicht gleich weglaufen! Ich muß was mit dir reden. Und ich hoffe, es ist was Gutes für uns beide!«

Der Boden wurde fester, üppiger schossen die Hölzer in den Knicken auf, die Schwarzen liefen wieder im Trab. Es ging an einem Gehölz vorbei. Erst kamen Eichen und Buchen, dann ganze Schläge alter Tannen. Daniel ahnte, es sei der Wald von Reiherwisch, der in der Richtung nach Lohe bis Mönckeberg reicht. Und rechts blinkte Wasser, ein Teich blinkte auf, man kann auch sagen: ein kleiner See, durch den hohen Straßendamm, den der Wagen jetzt erreichte, auf langgestrecktem Wiesenland aufgestaut. Eine alte giebellose Kate mit fensterlosem Eulenloch am Weg, dabei eine prächtige Linde, ihre Krone über sie hinbreitend. Arnold Springe hielt die Pferde an und fuhr im Schritt.

»Das ist unsre Eulenkate«, sagte das Schoßkind, »Vater fährt langsam, der alte Jöhnk wohnt darin, ist aber sehr krank. Und wenn er nicht wieder aufkommt, will Vater die Kate abreißen lassen. Sie kostet nur Brandgeld, sagt Vater, und eine Reparatur ist sie nicht mehr wert.«

Und dann rollte man über eine Brücke. Ein starker Strom schäumte über ein Wehr und fiel tief hinab, in der Tiefe alte Baulichkeiten, Überbleibsel der Wassermühle. Das Wasserrad war nicht mehr vorhanden, man sah aber noch das mit Steinen und Zement verklebte Loch in der Wand, durch die seine Achse geführt worden war. Über den Teich hinweg leuchtete das langgestreckte Hauptgebäude, im bäuerischen Stil erbaut, strohgedeckt, Fachwerk, die Ständer der Wände grün gestrichen, dazwischen rote Ziegelsteinwände mit weißen Kalkfugen, die Fenster der Wohnräume der Straße und dem unmittelbar daran stoßenden Walde zugekehrt. Und vor allem das von kleinen Wellen gebrochene Bild von Hof und Wald im Wasserspiegel des Sees.

Nun hielt der Wagen an der Haustür, Mädchen und Knechte flogen heraus. Unversehens verschwanden die Tanten, und auch Lene kam ihrem Liebhaber unter den Händen weg. Wie er seine verschlafenen Beine am Wagentritt zusammensammelte, ging sie in die Tür des Hauses. Aber bevor sie verschwand, machte sie ihm so feine Knixe, wie er noch nie gesehen hatte. »Du Ritter mein, ich dank dir fein«, sagte sie dabei. Auf so viel feines Wesen wußte er nicht zu antworten, er war froh, das eigene Gesicht nicht sehen zu müssen, so dumm fühlte er sich.

Wenn man um die Hausecke ging, stand man auf dem weiten, von einem Kranz Wirtschaftsgebäude und von den Eichen umschlossenen Hof. Arnold Springe und Julius Kirchner begaben sich dahin. »Komm mit«, lud der Hausherr Daniel Dark ein.

Der Hausherr ließ die Peitsche im Kreise herumgehen und redete auf seinen Begleiter ein. »Sieh, Julius, am besten ists, ich zeig dirs gleich.« Daniel wußte nicht, was er mit sich zu machen habe, da sagte Arnold Springe: »Auch dir, Dark. Wenn es so wird, wie ich denke, mußt du auch alles wissen.«

Und er schritt, immer noch den ›Rattensteert‹ in der Hand, hinaus auf den breiten, in einen freien Eichenwald verlaufenden Hofplatz. »Sagt mal, ist hier Platz? Oder ist kein Platz? Ich habe«, wendete er sich wieder an Daniel, »mit Julius besprochen. Ich denke einen kleinen Handel mit künstlichem Dünger und mit Futterstoffen anzufangen. Und dann, wo jetzt der Kartoffelkeller ist – dort unter den alten Eichen, wo das auf die Erde gesetzte Strohdach ist, da ist ein Kartoffelkeller – da, dacht ich, sollte ein Speicher aus werden. Und dann, dacht ich einen Handel mit Rauhfutter und Baumaterialien damit zusammen einrichten. Nicht wahr, Platz ist da, mehr als ich gebrauche?«

»Ja«, erwiderte Daniel Dark, weiter wußte er nichts zu sagen; Julius dagegen stimmte in hoher Stimmlage dem Hausherrn bei und versuchte klug zu sprechen, sowohl über den Handel mit Futterstoffen wie auch über Rauhfutter und Baumaterialien, just als sei er dabei und nicht hinter dem Schenktisch groß geworden.

Springe hörte ihn an, legte aber nicht viel Gewicht auf seine Weisheit. Er wandte sich an Daniel Dark: »Entschuldige, ich sage einfach Daniel und Dark und du. Ist dir das recht?« – Das war Daniel sehr recht, er fühlte sich noch mehr gehoben, als er ohnehin durch die Fahrt in die Höhe geschnellt war. – »Ich sage einfach du«, fuhr Arnold Springe fort, »und das um so mehr, als ich dich gern in meinen Dienst ziehen möchte.« Und nun führte er seinen Plan weiter aus. Bei der großen Wirtschaft und bei dem, was er im Sinne habe, müßte er einen tüchtigen Gehilfen haben, der ihm die Schreibereien und die Bücher abnehme.

»Ja, so gehts. Da ist man vom Stutenbacken satt und wills bequem haben, wird Bauer, und ehe man sichs versieht, ists ärger mit dem Geschäft denn je. Ich muß einen Klugen haben, ich meine nicht geschäftsklug, sondern einen, der Einsicht davon hat, wie man so was anschreibt und wie man Briefe schreibt, und einen, auf den man sich verlassen kann, der nicht allein was versteht, sondern auch ehrlich ist. Und du (brauchst nicht rot zu werden) du, Daniel, bist beides. Deine Familie ist hier bekannt, ein Dark (ich habe mich erkundigt) kann nicht anders als ehrlich sein. Und gescheit bist du auch. Hab dich im Kirchensteig gesehen. Junge, wie kommt das heraus! Die Lene und alle sagens ja, du bist der Klügste im Saal. Und auch sonst, alle Leute loben dich über die Bäume weg.«

So sprach der Herr von Reiherwisch. Dann besann er sich darauf, daß Daniel erst als Kleinknecht eintreten solle, daß das wenigstens sein Plan gewesen sei. Deshalb setzte er hinzu. »Bist ja vom Bauern her, und Bauernarbeit erhält, wie du weißt, Leib und Seele gesund. Da wird es dir ganz recht sein, wenn ich dich erst ein bißchen als Knecht einspanne, und wirst auch später mit zugreifen, wenn Not am Mann ist. Na, was meinst, Daniel?«

Erst allmählich ging es dem Bauernjungen auf, welch einen Weg die Glücksgöttin ihm öffnete. Ja, wenn er nichts in seiner Brust getragen hätte als die Last seiner Liebe ... Tag für Tag in ihrer Nähe, Tag für Tag sie sehen, die Luft atmen, den heiligen Duft ihrer Person ...

Aber ... aber ... er fühlte allerlei, einiges nur dunkel als Schatten zukünftiger Gedanken. Um so klarer sprang das hervor, was dem Plan entgegenstand, vor allen Dingen sein Lebensplan, dessen leuchtendem Endziel er schon einen Teil seiner Jugend geopfert hatte.

Als Springe ihm den Vorschlag machte, wurde er rot und heiß und fing an zu stammeln: »Herr Springe, das wird nicht gehen. Ich soll Pastor werden. Und Pastor Rabe will mir dazu verhelfen«, setzte er hinzu, »und er sagt, es wäre hohe Zeit. Und Pastor Rabe hat gesagt, ich solle künftigen Sonntag zu ihm kommen, und dann wolle er mit mir darüber sprechen.« Und das war richtig, das hatte der Herr der Kirche zu ihm gesagt.

Springe machte ein etwas enttäuschtes Gesicht, blieb aber freundlich. »Willst studieren? Theologie? Pastor werden? Aber Junge, wer hat dir das in den Kopf gesetzt?« Er schüttelte Bart und Haupt. »Aber ich will nichts dazu sagen. Wat den een sin Uhl is, is den annern sin Nachtigall. Das tut mir leid, denn kann ja natürlich nichts daraus werden. Wenn du auf so weiter Fahrt bist, dann mußt du freilich machen, dann darfst dich nicht aufhalten.«

Er streichelte dem Bauernjungen von Lohfelderkamp Backen und Kinn: »Und wenn es auch nichts mit uns wird, ich freue mich doch, den zukünftigen Pastor Dark kennen gelernt zu haben. Sollte aber was dazwischen kommen, dann weißt du Bescheid, dann weißt du, wo ich wohne.« Er reichte ihm die Hand. Damit war Daniel entlassen.

Er und Daniel standen allein auf dem Hofe, Julius hatte sich gedrückt. Wie Arnold Springe den Bauernlümmel von Lohfelderkamp behandelte, das war ihm wider den Strich gegangen.

Daniel entlassen? Noch nicht. Springe hielt noch seine Hand, sagte aber nichts. Man sah es aber seiner Miene an er dachte über irgend etwas nach. Er war wirklich ein herziger Mann, er überlegte, ob er seiner Tochter Partner vom Kirchsteig einladen solle, an dem Festmahl teilzunehmen. Aber er dachte an die Schwarzen, und was die für ein Gesicht aufstellen würden, an den Gastwirtssohn dachte er und an Mutter Dark auf Lohfelderkamp, die sicher auch zum heutigen Tag zugekocht habe und auf ihren Sohn warte. Er ließ dabei die Augen über den Beiderwandsanzug seines jungen Freundes gehen und sah die Unausführbarkeit seines gütigen Vorhabens.

»Jung, Daniel«, brach er schließlich los, »bist hungrig, willst n Butterbrot?«

»Ich danke«, erwiderte der Angeredete, »ich habe mit Trina Mersch gegessen.«

»Aber ein Stückchen?«

»Danke, ich bin nicht hungrig, und Mutter wartet mit dem Mittag.«

Arnold Springe sah, Daniel brannte darauf, zu gehen. Da gab er auch das Butterbrot auf.

»Ja, sieh, Daniel« – und er zeigte mit der Hand – »dann gehst du hier durch den Apfelgarten und dann um den Teich herum, und dann kommst du auf den Steig. Und dann kannst du nach der Schleuse nicht mehr fehl gehen.«

»Wenn ich am Teich bin, weiß ich Bescheid.«

»Wart, Peter soll dich durch den Garten bringen!«

Vor den Eichen sah man einen Knaben, es mochte ein Tagelöhnerkind aus den Katen von Reiherwisch sein. »Peter!« rief der Herr von Haus und Hof, »weise ihm flink den Weg – ich meine durch den Apfelhof, und bring ihn auf den Steig beim Schott – verstanden, Peter?«

»Jau.«

»Nun, denn adjüs, Daniel! Tut mir leid, daß es nicht geht. Und grüß die Mutter von mir, sie soll sich freuen, son klugen Jungen zu haben.«

Er wandte sich zum Gehen, kam aber noch einmal zurück und faßte Daniel unters Kinn. »Mein Jung, ich hab dir viel Lob gesagt, andere Leute tuns vielleicht auch, mehr als gut ist. Hab ein bißchen hoch gesungen. Zieh was ab, Junge, werd nicht eitel, hörst du!«

Nun ging er wirklich, etwas breitbeinig, wie viele Bäcker, die jahrelang am Trog gestanden haben. Aber es fiel kaum auf. Er war zu lange davon weg. Er war ein braver, brauner, breiter Mann, die Finger und Daumen gespreizt, wie noch immer bereit, das kleinste Klümpchen Mehl zu ergreifen und zu zerreiben. Auch das kam vom Trog, das war länger geblieben, weil er viel mit den Händen gestikulierte und redete. An der linken Hand, die die Peitsche lässig wog, machte der Daumen eine mahlende Bewegung.


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