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Dritter Teil

1

Professor Harro Horsten war auf der Heimkehr.

Eine lange Seefahrt, nun aber winkte der Hafen. Das Weltmeer, der Ärmelkanal, Frankreichs Küste, die belgische, die der Niederlande ... das alles lag hinter der Furche des Schiffskiels. Wohin er auch die Flüge seiner Sehnsucht schickte, gen Süden und ostwärts, überall landeten sie auf deutschem Boden. Und das von schroffen Felszinken umgürtete Eiland, wo die deutschen Farben wehten (als er auszog, warf der Wind noch Wellen in Großbritanniens Flagge), tauchte am Horizonte auf.

In des Reisenden Angesicht ist zwar der Sonnenbrand einer anderen Hemisphäre eingegraben (der gibt drüben selbst dem Stubenmenschen etwas Hageres, Indianerhaftes), nun aber liegt ein weicher Glanz darauf.

Frische Brise, achtbare Wellenberge mit weißen Hauben (das Schiff durchschneidet sie in schräger, schlingernder Lage), schäumende, grünglasige Hügel – aufgereiht, so weit das Auge reicht. Ein pochender Wind in Mast und Tauen und Segeln, ein Singen und Raunen, und unbekümmert die ruhig arbeitende Maschine. Es ist wie überall, und doch anders als an welscher Küste, es klingt wie schaumspritzender Märchengesang guter, deutscher, solider Nymphen.

An welscher Küste hat es geregnet, aber die Sonne ist wieder durchgekommen. Im Norden stand für kurze Zeit eine Wetterwand, drei Regenbogen – übereinander gewölbte, goldene Brücken ... Götterdämmerung? – Immer noch der alte, für und für lebendige Judengott, der nach den großen Wassern den siebenfarbigen Bogen in die Wolken setzte zum Siegel seiner Zusage, die Welt nie mehr durch eine Sintflut zu verderben. – Die Sonne lachte dazu, ihr Gold strich bordseits über die Wellen hin. Und jetzt in deutschen Gewässern versinken Wetterwand und Regenbogen. Die das Schiff umtanzenden Wasserberge erinnern ihn mit ihren sanften Wandungen an die Sandhügel der zwischen Geest und Marsch gelegenen Dünenlandschaft, nicht weit von seines Vaters Hof. Der vom Gipfel herabfließende Sandhafer täuscht wohl Festigkeit vor, auf den Gipfeln kann er aber den bleichen, wehenden Sand nicht verbergen, da gleichen sie den Wasserwogen und ihrem schäumenden Gischt. Und einsam, graugrün liegen sie – hingestreckt in jagenden Reihen, ganz wie die jetzt gegen die Schiffswand stürmende bewegliche Unendlichkeit des Meeres.

Als er, ein junger Mensch, verstoßen, verjagt von seines Vaters Hofstelle ging, sah er sich zweimal um. Das erste mal, als er über die Gartenpforte gestiegen war; sie war verschlossen gewesen, und ihm hatte der Schlüssel gefehlt. Aus der Haustür hatte er nicht gehen wollen, um die Stubenfenster des Alten zu vermeiden.

Er sah nach der Heimstätte zurück, von der er nur ein paar Körner Staub an den Stiefeln mitnahm. Da lag der große, reiche Hof, mit seinen Ställen und Scheunen im Schatten und Schutz der Bäume. Dick und satt und selbstzufrieden lag er da und kümmerte sich nicht um den davongejagten Sohn. Das Wohnhaus, das darangebaute Kuhhaus, das Dielenhaus, wo auch der Pferdestall war, die beiden Heuställe (alles strohgedeckt, die Kanten und Firste von Pappe eingefaßt), daneben das dachziegelrote Backhaus – keines kümmerte sich. Nur eines, die hohe Scheune mit dem blauen Giebel (der Anstreicher hatte die Farben aufgefrischt und das Fenster weiß eingerahmt), nur dies große Zyklopenauge sah nach ihm hin.

Sein Freund stand am Weg. Mit ihm ging er zusammen. Bei Fritz Harbecks Kate biegt die Straße in die Liether Sandberge ein, bei Fritz Harbecks Kate sah er sich zum letzten mal nach dem Blaugestrichenen um. Es war das Letzte; den ruhigen, trostvollen Giebelblick nahm er mit, der hat ihn als Zusage der Wiederkehr in die Fremde geleitet.

Merkwürdigerweise fand er, als sein Fuß die deutsche Erde verließ, eine Art davon in der großen Hafenstadt wieder. Bei dem Fährhaus ein altes, weitläufiges, aus roten Backsteinen aufgeführtes, mit roten Ziegeln gedecktes Haus, in nichts an die strohgedeckte Scheune erinnernd als in dem ihm komischerweise angeklebten blauen Giebel mit dem von weißen Brauen umgebenen Einauge. Und zwischen dem verlorenen Sohn und dem Giebel ging es hin und her, so lange wie sie sich sehen konnten.

›Bin ich so schuldig, wie mein Vater meint?‹

›Schuldig sein und schuldig werden ist des Menschen, Los. Schuldig bist du, aber nicht mehr, als du sein und werden darfst.‹

›Und mein Vater?‹

›Es ist nicht anders bei ihm als bei dir. Er mußte handeln, wie er getan, es mußte kommen, wie es gekommen ist.‹

›Kann noch wieder gut werden, was schlecht geworden ist?‹

›Mein lieber Junge, es kann, und ich hoffe, es wird.‹

›Wirst bleiben, bis ich wiederkomme?‹

›Wie Gott und meine Herren, die Handlung Illies & Co., wollen.‹

Und während solchen stummen Gesprächs hatte sich das Schiff damals langsam in den breiten Strom durch den Hafen geschoben. Der Strom war noch nicht vertieft, wie es später geschehen, große, tiefgehende Schiffe hatten Not, ohne Leichter hinein oder heraus zu kommen.

Der Heimkehrende denkt daran und sieht nach dem Tröster aus. Und sieh, der alte Speicher ist noch da, hat auch noch seinen Giebel, aber der ist jetzt grün und beide sehen alt und verrunzelt aus. Ein paar Bretter sind lose, in dem Auge fehlt ein Eckchen Glas. Er sieht aber unbekümmert und mit pfiffig philosophischer Überlegenheit drein.

›Guten Tag! ‹sagt der Reisende.

›Guten Tag!‹ der Giebel. Und nach einer Weile: ›Na, Junge, bist wieder da?‹

›Jawohl, Alter, und ich denke, nicht zu früh.‹

Aus dem Einauge ein schmunzelnder Blick. ›Tüchtiger Stoß Jahre dahingerollt, seitdem du den Fluß hinunterfuhrst.‹

›Ja, alt geworden, und mehr noch im Herzen als an Jahren.‹ ›Alt? Ich schätze Ende der Dreißiger.‹

›Kann stimmen.‹

›Und da willst von Alter reden?‹

›Wer seine Heimat verloren hat, ist immer alt.‹

›Geh, die große holt dich wieder, die kleine wirst auch finden.‹

»Meinst du?«

Sie tauschten Rede und Gegenrede, als das Schiff langsam vorüberfuhr. Der Landungsplatz war nicht mehr der alte, bis zum neuen war es noch eine kleine Strecke. Beim Anlegen fand Harro Horsten zu seiner Freude sein altes Absteigequartier ›Zur Sonne‹ an der Brücke durch eine bunte Mütze vertreten. Die erhielt seine Koffer. Er selbst wollte zu Fuß gehen. Bekanntes und Unbekanntes grüßen und sich grüßen zu lassen.

Schau, schau ... Rechter Hand, linker Hand, überall neue Häuser, und was für welche! ›Sieh uns doch mal an, Freundchen, es lohnt!‹ Aber er blickte kaum hin. Das hat man überall, und jenseits des großen Teiches wohl mehr noch als hier. Was gingen ihn die Formen an, die Mörtel und Stein angenommen hatten? Das schlug keinen Funken aus seiner Seele.

Das Wetter ist zwar heiter, aber schon etwas hart, härter als sonst, wenn es zu herbsten beginnt. Und nun ist es Abend geworden, die Sonne am Untergehen. Dunst und Nebel erglühen im Weltenbrand. Wolken, zu Palästen getürmt, prächtiger Hochaltar, durchbrochener Säulendom, Springbrunnen von Licht und Farben aus Tor und Fenster, und Rosenschimmer und Goldglanz darüber her.

Goldglanz auch auf seinem Angesicht. Er ist der Andacht voll. Er kann es nicht sagen, kann es nicht in Worten denken, er kann nur fühlen, wie ihm ist. Und die Augen die weichen Gesellen, wollen übergehen. Wenn nur nicht so viel Volk vorüberhastete, wenn er allein wäre, er würde fließen lassen, was rinnen will. So voll ist er der Wehmut und noch mehr des Glückes voll.

Als die Augen sich der Heimatwunder voll gesogen haben, senkt er die Lider. Und vor den geschlossenen steht eine hehre Gestalt, er sieht sie öfters, zumal dann, wenn er fühlt, daß das Glück ihn sucht. Er nennt sie seine gute Fee, seinen Stern. Hinter einem Schleier von Rosenrot und Goldglanz und Licht und Freude. Ihr Fuß berührt die Erde, aber des Himmels höchste Wolken beschatten ihr Haupt. Und ihre Hände segnen. Sie haben nichts anderes gelernt, sie können nur segnen.

Er ging und fragte nach seinem Gasthof, fand sich aber in dem Gassengewirr des Hafenviertels nicht mehr zurecht.

›Holla!‹ rief ihn jemand an. ›Guck doch mal auf!‹

Er war wieder bei Illies Speicher, und das Einauge lachte. ›Das Abendrot hat dich mitgenommen?‹ sagte es.

›Ja‹, entgegnete er, ›ich muß es zugeben.‹

›Ei, ei, so rührsam? Dann bist du auch wohl wieder Freund mit dem lieben Gott?‹

›Ja, ja ...‹

›Denn man hin zu ihm!‹

›Will ich auch ...‹

›Guten Abend!‹

›Guten Abend!‹

Nun nahm er sich vor, acht auf seinen Weg zu geben, und kannte sich denn auch wirklich aus.

Auf dem Roßmarkt schrie ihn ein grellroter Säulenanschlag an:

Gibt es einen Gott?‹ Vortrag, und nach dem Vortrag freie Aussprache.

Ein ihm unbekannter Redner. Im Elysium soll morgen abend festgestellt werden, ob es einen Gott gibt.

Gibt es einen Gott?‹ Das war die Frage, die ihn aus der Heimat vertrieben hatte. Er trat, als er vor der Anschlagsäule stand, fest auf. Er fühlte, daß sein Fuß den Mutterboden seines Wesens berühre.

Gibt es einen Gott?‹ Er wollte hin und seines Herrgotts Rechte wahrnehmen.


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