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2

Die Saalwände im Elysium sind nicht gewohnt, Worte und Reden von Gott und Religion und Ewigkeit zu hören und zurückzuwerfen, und sind dessen froh; klingt es doch hart und ernst, so ganz anders als die weiche Tonflut Straußscher Walzer. Denn die sind ihrem Wesen nach Freude und Hingabe und irdische Liebe; die Elysiumswände sind von Weltfreude vollgesogen, sie und ihre rohen Fresken, die ein guter Pinseler hingeklext hat, auch die Säulen, die die Wölbung tragen, haben ihren Anteil daran. Es kleben Dunst und Dampf von heißem Grog und kaltem Bier daran, Holzschlegelklang angesteckter Bierfässer, auch wohl ein derbes Wort, ein roher Fluch – und alles paßt zur Weltfreude, wie man sie im Elysium versteht.

Heute aber steht ein Prophet auf der Bühne, aber auch der beileibe kein Prophet des Glaubens, kein Wegweiser in die von uns über den Sternen erdichtete Welt. Nein: ein Prophet des Unglaubens, einer, der beweist: ›Es gibt keinen Gott!‹

Und er führt ein besonderes, freilich altes Stück auf, dessen Urheber er verschweigt, will er doch selbst dafür gelten; er zahlt kein Aufführungshonorar für die von ihm gestohlene Komödie, die er als Zugabe oder vielmehr als Einleitung zu seiner Rede gibt.

Es ist ein Mann mit goldener Brille und stattlichem braunem Bart. Wenn er. lächelt (und er lächelt öfter, als nötig ist), dann lächelt er das Lächeln der Gutmütigkeit, der Überlegenheit. Wenn er lächelt, dann leuchten tadellose, gewissermaßen auch lachende Zähne über die Versammlung hin.

Es ist eine große goldene Uhr mit großer goldener Kette und schwerem Gebaumel, die er von seiner Weste loshäkelt und auf den Tisch legt.

»Hochgeehrte Versammlung!« spricht er. »Ich beabsichtige zu beweisen: es gibt keinen Gott. Es sind Herrschaften hier im Saal, die an ihn glauben. An euch, ihr Gläubigen, wende ich mich. Eurem Gott will ich ins Gesicht sagen: du bist nicht, bist nichts als ein Fabelwesen, ein Idol, bist nicht mehr brauchbar. Verschwinde! Wir wollen dich in den Ruhestand versetzen.

Gäbe es einen Gott, wäre er wirklich da, gäbe es einen des Alten Testaments oder des Neuen oder einen ganz modernen, den sich jeder nach seinem Gefallen zurecht macht, einerlei – er würde es nicht ertragen, was ich ihm antun werde, würde sichs nicht gefallen lassen, würde mich vernichten, würde mich tot hinstrecken, so wie ich hier stehe. Wozu hätte er sonst seine Allmacht? Eine bessere Gelegenheit, sein Dasein zu beweisen, fände sich nicht. Also! Vernichtet er mich, so habt ihr ein Recht, zu sagen: Seht ihr wohl, er ist noch immer der Allmächtige, er, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der zornige Herr Zebaoth. Tut er es aber nicht, bleibe ich leben, schlägt er mich auch nicht an Haupt und Gliedern, so müßt ihr sagen: der Mann auf der Bühne hat recht, er hat einen Popanz herausgefordert, ein Wesen, das gar kein Dasein hat. Dann, müßt ihr mir zugeben: es gibt keinen Gott!«

Eine Kunstpause ... eine halbe Minute. Auf der Versammlung lagert Stille. Es ist die Stille hier der Erwartung, dort des Entsetzens, in ein paar Ecken der Empörung.

Der Mann auf den Brettern räuspert sich und nimmt die hohe, erprobte Miene der Theaterhelden an. Und er reckt die Rechte gegen den Kulissenhimmel.

»Wohlan, Gott in der Höhe! Du, an den ich nicht glaube! Ich fordere dich auf, zu tun, wie ich sagte. Du bist ja allwissend, hörst also, was ich sage, bist allgegenwärtig, also hier im Saal, bist allmächtig, nun erhebe deine Allmachtshand und strafe den, der dich lästert! Nun zeige, daß du ein eifriger Gott bist, der seiner nicht spotten läßt!

Hier liegt meine Uhr.« Der Redner wies auf sie hin: »Sie zeigt einunddreißig nach acht, – fünf Minuten lasse ich dir, deine Allmacht, deine Gotteshand, dich selbst zu beweisen. Ich denke, für einen Allmächtigen, für einen, der über alle Zeiten in Ewigkeit thront, ist es genug, mich zu strafen. Das Wie überlasse ich deiner Weisheit, deiner Rache, deinem Zorn und deiner Grausamkeit ... Strecke mich tot hin oder gelähmt oder geistesverwirrt, schütte die Flammen deiner Qualen über mich aus, wie dir gefällt! Nicht wahr – bis acht Uhr sechsunddreißig Minuten! ... Fertig! – Und nun greife zum Schwert der Rache, zum Donnerkeil, zum Waffensaal der Hölle – hier stehe ich und lästere dich. Strafe mich!«

Der Redner schweigt. Und sein Gesicht lächelt wieder. Er lächelt über die Versammlung hin. Mit braunem Bart, mit goldener Brille. Und an seiner Uhr zählt er die Minuten ab.

In der Versammlung tiefe Stille – die Stille, die Ruhe des Entsetzens, der Empörung. Hunderte zählen mit dem Redner, die Uhr in der Hand.

Eine Minute ... Der Mann ist unversehrt. Er streicht mit weißer Hand über den braunen Bart. Und wieder gießt er Ruhe und Vertrauen über die Versammlung aus. Der Polizeibeamte, der die Versammlung überwacht, weiß nicht, was er machen soll. Er blättert in einer Taschenausgabe seines Strafgesetzbuches. Ist das, was vor seinen Augen geschieht, Gotteslästerung? Muß er die Versammlung auflösen? Aber er denkt an das Geschrei der Presse, an die Beschwerden, denkt an die Hydra der ihm erwachsenden Scherereien und – unterläßt es.

Zwei Minuten ... Der Held auf den Brettern hat die Uhr hingelegt, er trinkt ein Glas Wasser. Und für und für im Saale tiefes Schweigen.

Drei Minuten ... Ein schwarz gekleideter Herr ist aus der Kulisse zu dem Redner gekommen. Mit dem unterhält er sich ... murmelnd, leise ...

Vier Minuten ... Er steht wieder am Tisch und lacht. Befriedigt die Hände reibend, geht er auf der Bühne auf und ab. Er lächelt nicht, er lacht. Mit vollem Munde, mit Augen und Bart.

Fünf Minuten ... »Eigentlich«, sagt er, »ist die dem Herrgott gesetzte Frist um, aber wir wollen noch eine Minute zugeben. Er kann«, spottet er, »zerstreut oder über Land gewesen sein, wie Gott Baal zu Elias Zeit, oder seine Uhr nicht in Ordnung. Also noch eine Minute.«

»Sechs Minuten ... Es hilft alles nichts«, höhnt der Redner. »Euer lieber Gott hat die Wette verloren. Nicht wahr«, fragt er die Versammlung, »es ist alles recht und in Ordnung zugegangen?«

Vereinzeltes Zischen, aber es kommt nicht zur Entwicklung. »Jawohl«, antwortet es aus hundert Kehlen, donnerndes Bravo durchbraust den Saal des Elysiums.

»Gesund an Haupt und Gliedern stehe ich vor Ihnen ... Also: es gibt keinen Gott!«

Wiederum vereinzeltes Zischen, ein paar Rufe: »Empörend, wo bleibt die Polizei?« Aber das vergräbt der brausende Beifall.

»Wie könnte es auch einen Gott geben?« Bei diesen Worten ist der Sprecher mit dem Einhäkeln der Uhr und ihres Gebaumels fertig geworden. »Wie könnte es auch einen Gott geben? Ich habe dargetan, daß er nicht ist, jetzt will ich beweisen, daß er gar nicht sein kann.«

Harro Horsten saß unten im Saal. Er hatte die freche Komödie mit angehört, hörte nun auch die sogenannten logischen Beweise des Redners mit an. Alte Träume ... alte Irrtümer ... Der Mensch, der oben gestikulierte und sprach, ging in Schuhen, die ein einigermaßen auf die Stimmen der Zeit Hörender längst ausgetreten hatte. Und die rohe Art, wie der Redner in die Innenwelt so manches noch ganz oder halb gläubigen Zuhörers hineingriff, ohne eine Spur von Verständnis für die jedenfalls subjektive Gefühlswahrheit dessen, was er zerstörte, das mußte Grimm und Kummer wecken.

Harro rettete sich auf den Fittichen des Humors, den er glücklicherweise niemals vergebens beschwor, wenn er über die Dinge dieser Welt hinwegkommen wollte. Wohin? ... Zu ihm ... zu dem, dessen Dasein geleugnet wurde. Nicht immer aber gelang der Flug über die Sterne, zuweilen stieß er den Kopf an der blauen Himmelsdecke. In der Regel begnügte er sich, den großen Gott zu bitten, sich zu ihm herabzubemühen, auf einen Augenblick seinesgleichen zu werden.

So tat er auch im Elysium. Oder vielmehr der Nichtauszusprechende kam ohne Zutun seines bewußten Vorsatzes zu ihm und wurde ihm zu Gefallen auf ein Stündchen ein Mensch. Ein Unsichtbarer stand er neben Harro Horsten und nahm ihn bei der Hand. Und für alle Elysiumsbesucher unter einer Tarnkappe verborgen, wandelten sie im Saal umher.

Erst gingen sie hinter der Säulenreihe des Saales auf und ab und hörten dem Redner zu. Dann wurde es dem Herrn der Welt zu langweilig. »Wir fliegen hinauf!« sagte er. Nun saßen sie in einer netten Himmelsloge, lehnten sich über die Brüstung und hörten und sahen hinab, was sich im Elysium weiter begebe.

»Der Grasaff! Beweist, daß ich nicht bin. Habe mal einen Meister in die Welt gesetzt, der konnte Maschinen machen, die räsonierten, nicht viel übler als der Mensch da, der auch mein Werk ist. Und ein von ihm gemachtes Werk hat ein Halbjahr hindurch Vorlesungen darüber gehalten, daß es keine Mechaniker gebe, gar nicht geben könne.«

Bei Nacht und Sternenschein sahen sie durch Dach und Fach in den Saal vom Elysium. Und noch immer stand der Brillenmann mit dem braunen Bart auf der Bühne, triumphierend, handschlagend, den Herrgott mindestens zehnmal totschlagend. Und klar und hart drangen die Worte hinauf.

»Hör mal genau zu«, sprach der Herr. »Da steht er, einen Haufen angelernter, halbwahrer Sätze wie einen Wollknäuel kauend.« Dabei lachte er gutmütig, der Allmächtige. »Aber«, fuhr er fort, »alles nach meinem Plan. Ich habe ihn eigens hingestellt. – Nicht wahr, Horsten, es geht wunderlich zu in meiner Welt? Aber getrost, es kommt alles zurecht – Was sagst du? Was hätte ich tun sollen? Ich hätte dem Mann, der mich lästert, einen Denkzettel geben sollen? Wenn auch nur einen kleinen?

Nein, mein Lieber, meine Weltregierung kann und will ich nicht nach dem Komment der Bierminuten eines Narren einrichten. Ich will es den Menschen auch nicht zu leicht machen, mich zu finden.«

Von unten eine vom Triumph geschwollene Stimme: »Erst habe ich durch die Herausforderung Jehovahs bewiesen, daß er nicht ist, und dann Beweise auf Beweise gehäuft, daß er nicht sein kann. Ich eile zum Schluß.«

»Wär ich nicht der liebe Gott«, warf dieser ein, »ich würde sagen: Gott sei gedankt, daß das Gequatsch ein Ende bekommt. – Nachher kommst du, Harro, hast es mir versprochen.«

»Ich werde mein Versprechen halten.«

»Daß du dich aber nicht unterstehst, zu beweisen, daß ich bin!« ...

Und Harro Horsten sah sich wieder im Saal, er stand auf der Bühne des Tanzsaals vom Elysium.

Und wie er auf der Tribüne stand, tat er nach Gottes Befehl. Er sprach kein Wort, das man als Beweis für Gottes Dasein hätte ansprechen können. Er sprach nur von seiner eigenen Erfahrung, von seinen Erlebnissen. Das heißt, nicht von seinen äußeren, nur von seinen inneren, von seinem Verhältnis zu Gott, von der Entwicklung seines Gottesgefühls. Wie Gott der beste Freund seiner Kindheit, Gegenstand der Liebe, ihm fern und ferner gerückt sei, zuletzt nur noch im Dämmer lyrischer Andachten gefühlt und verehrt. Und wie er ihn zuletzt ganz verloren gehabt. Wie er ihn verloren gehabt, erst verschleiert im Pantheismus mit der Formel: Gott = Natur, dann inmitten einer vollends entgötterten Natur. Der gottverlorenen Öde dieses Tiefstandes widmete er eine eingehende Betrachtung. Und dann der Aufstieg, die Periode des Wiederfindens. Purpurne Morgenröte ... Aufgang der Sonne. Erst im Dämmern des Gefühls, dann in lebendiger Anschauung der Phantasie, endlich in fester Zuversicht eines in Gottes Armen sich geborgen Fühlenden, dem nichts widerfahren könne.

Aber war dies Gefundene ein Wiedergefundenes, war es das dereinst Verlorene? War es der taufrische Glaube der Jugend? Nein, jedenfalls nicht seine Form. Himmel und Hölle? Wer fragt darnach, wer will sich nicht genügen lassen an dem Einssein mit ihm und dem All, das er in sich und außer sich hegt und trägt?

»Hier und da«, fuhr er fort, »mag einer auftreten und das Unglauben schelten, was ich Glauben nenne, mit dem ich lebe und auf den zu sterben ich bereit bin. Er mag mich zu den Lauen zahlen, die der Herr, nach den Worten der Schrift, ausspeit aus seinem Munde als nicht kalt und nicht warm. Solche Worte werden fallen und andere noch, die bitterer schmecken als diese. Aber das wird nicht unsere (ich sage ›unsere‹, denn ich weiß, ich spreche im Namen vieler Tausende), das kann die Festigkeit und Sicherheit unserer Zuversicht nicht erschüttern ... Nicht als ob unser Schauen die nackte, platte Wirklichkeit treffe (in dem Sinn bleibt Gott hienieden für uns immer unerforschlich), nein, nicht das. Unser Ahnen kommt über das Gleichnisartige und Symbolische nimmer hinaus. Also nicht die Zuversicht der Wahrheit im platten Verstande, wohl aber die innere Gewißheit, in solcher Denkrichtung hier auf Erden das erhalten zu haben, was uns im Höchstmaß beschieden sein kann, nämlich hier Seelenfrieden und nach unserem Heimgang Entwicklung zur höheren Tätigkeit.

Weshalb ich das sage? Warum ich der Allgemeinheit preisgebe, was mein Heiligtum hätte bleiben sollen? Weil ich selbst nichts bin als ein Teil des Ganzen, das wir die Menschheit heißen. Weil ich weiß, daß viele die gleiche Bahn durchlaufen, weil ich weiß, daß unter uns hier manche versammelt sind, denen ich das Wort vom Munde nehme, auch solche, die noch mit sich selbst uneins diesen Saal der Gotteslästerung betreten haben. Und zumal für die habe ich gesprochen.

Wenn eine Wage schwankt, wenn es zweifelhaft ist, welche Schale steigen, welche sinken wird, dann kann ein kleines Gewichtchen, ein Lot, ein Gramm den Ausschlag geben. Vielleicht ist mein schwaches Wort für den oder jenen dieses Gramm. Ich nehme an, es ist jemand schwankenden Glaubens gekommen und durch das, was er hier gesehen hat, noch ärmer, um eine Stütze seiner Zuversicht noch ratloser und haltloser geworden. Da mag, wenn er diesen Raum verläßt, das, was ich an eigener Seele erfahren habe, ein Halt sein, ein Stab, worauf er sich stützt, ein Rohr, wenn auch nur ein schwaches.«

So ungefähr sprach Harro Horsten und ging auf seinen Platz zurück.

Tiefe Stille ... lange Zeit ... dann Beifall. Erst schüchtern, dann brausend, voller Selbstvertrauen, die Zischer voll übertönend. Es gab also doch noch Hörer im Elysium, die für Brot und nicht für Steine nahmen, was er geboten hatte.

Aber nun schnellte der mit dem braunen Bart wieder auf die Bühne. Man sah es ihm an, es ging auf des Vorredners Vernichtung. – Gut! – Der wollte lieber in seiner Abwesenheit hingerichtet werden. Er stand auf, drückte sich durch die Bänke und verließ den Saal.


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