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2

Als junger Knabe hatte Hans Horsten sich in einer Kunst versucht, wozu er etwas Talent mitgebracht hatte; es war auf Anregung eines Malers geschehen, der in die Giebelstube seines Vaters zur Sommerfrische gekommen war. Nur ein Bild war übrig geblieben, die Zeichnung von dem Odem des allmächtigen Gottes, dieselbe, die in der Stube, die Johann Hell verlassen hatte, vergilbt und verstockt über der Schatulle hing.

Hans Horsten blieb sinnend zurück und seine Augen ruhten auf dem Bild. Die Zeichnung war ihm lieb geworden und lieb geblieben, vielleicht auch deshalb, weil darin noch ein Körnchen seines Knabenhumors, wovon er so wenig ins Leben hinübergerettet hatte, zum Ausdruck gekommen war.

Man sah das Haus seiner Geburt, ein mäßig großes Hallighaus. Rechts und links Weiden mit grasenden Kühen und am Horizont eine glatt und fließend hingelagerte Dünenkette, darüber hinaus die Kimmung der Nordsee. Und hoch am Himmel über Weiden und Dünen und Meer runde hochgetürmte, marmorne Wolken. An der Längswand des Hauses sind Bäume – das heißt eigentlich nur Strünke wie sie der Boden einer Sand- und Düneninsel, wo der Wind selten schweigt, hervorbringt. Man sieht, wie die armseligen Wipfel sich unter dem Winddruck beugen. Auf den marmornen Wolken der Urheber der Windsbraut: bäuchlings hingestreckt ein lockiger, netter Engel, ein Geflügelter; durch eine Riesentuba bläst er nach dem Haus und nach den Bäumen hin.

Erst hatte Hans Horsten auch den lieben Gott selbst gezeichnet – in Seiner Allmacht, im langen Faltenhemd, einen großen bärtigen Mann mit einem krummen Mosesstab in der Hand, womit er den Bläser in den Weichen kitzelte. Der hatte vor Lachen kaum noch blasen können, wenigstens sollte es mit dem krausen Gesichtchen des Engels angedeutet sein. Die krause Miene ließ er, den lieben Gott strich er aber weg, aus Ehrfurcht, aus Herzensscheu – schob eine dunkle Wolke herauf; man sah nur noch das Fluidum des Kitzels strahlenförmig aus dem Stabende strömen.

Unter den Bäumen an der Hauswand stand auch der Künstler selbst ... ein kleiner, rockloser Bauernjunge in Holzpantoffeln. Das Angesicht sah man nicht, es war dem Winde zugekehrt, aber aus beiden Händen hob der Junge die Ohrmuscheln dem Hauch des Ewigen entgegen. Er wußte daß es Gottes Odem war, der über die Insel daherfuhr ... Und noch immer sah er sich gern in dieser Haltung, mit beiden Händen die Ohrmuscheln heben, damit er um so deutlicher des Ewigen Stimme vernehme.

Hans Horsten hatte kein ausgesprochenes Talent für Musik, liebte aber sanfte, weiche Melodien. Und er erinnerte sich aus seiner Jugend gern der süßklagenden, melancholischen Töne der Harmonika, wie sie nach Feierabend von den Fischerkaten seiner Insel zu ihm herüberschwammen. Er selbst hatte das Ding auch schlecht und recht gespielt; dann fehlte aber der Zauber und die Verklärung der Ferne, da mußte sein Ohr alles Scharfe und Unreine mitnehmen. Ganz anders das, was, von der Küste kam, wenn Tag und Abend erstarben. Der Nebel hatte alles zugedeckt, grau und groß und faltig kam er vom Wattenmeer, das leise und sanft und gurgelnd an den weichen Ufern fraß.

Eine wunderbare Sehnsucht quoll dann zu ihm herauf, Verlangen und Sehnsucht nach dem, in dessen Hand er sich beschlossen fühlte, nach dem Urquell aller Dinge, nach dem großen, dem ewigen Gott. Ein heißes Verlangen ergriff ihn, dem Ursprung der Töne nachzugehen, mit heißem Durst die Lebenswasser zu trinken, die ihm entgegensprudelten, wunschlos in der ihn umfließenden Schönheit zu vergehen.

Er wußte, wer da spielte. Momme Petersen, der an der Düne wohnte, konnte es am besten – den groben Baß greifen mit der Linken und die Tonleiter der Noten mit der Rechten bis zum zweimal gestrichenen C.

Durch zwei mit Bronzeknöpfen versehene Stangen konnte man die Leistung des Instruments steigern. Wenn man die erste zog, sang es doppelstimmig, kam die zweite hinzu, so brummte an passenden Stellen sonstiges Effektvolles hinein. Mommes Häuschen kannte er genau, konnte es bei stockfinsterer Nacht finden. Dann aber, wenn die Ziehharmonika rief, wollte er es nicht wissen und wußte es auch wirklich nicht. Wenn sie Töne zu ihm schickte, die durch die Ferne und durch den Nebel gereinigt waren, dann sollte auch die Quelle der Sehnsucht unerreichbar sein, wie Gott. So wollte er es.

Zuweilen halfen sogar die Umstände bei dem Aufbau dieser Phantasie. Wenn die Ziehharmonika nicht in einer Fischerkate gespielt wurde, die Töne vielmehr durch die Nebel über den Wassern aus unbekannten Barken herüberklagten, die Quelle also nicht nur in der Vorstellung, sondern wirklich unauffindbar und unerreichbar war.

Das und andere Erinnerungen flogen durch seinen Sinn, als der gottesleugnerische Knecht ihn verlassen hatte ...

Wiederum ein Beispiel, welch ein wunderliches Ding das menschliche Herz ist. Gute Werke und Gottesglaube, jene nur die Frucht des Glaubens an Gott und des Lebens in ihm, so war ihn gelehrt worden. Keine guten Taten ohne Gott. Und nun kommen zwei Ungläubige, Johann und sein Doktor, weisen ihr Herz auf und – siehe da! es sind gute Herzen, voller Menschenliebe.

Wieder saß er vor der Schatulle und vor dem darüber hängenden Bild. Er war ein Gottesfürchtiger und ein Gläubiger. Was aber hatte er an Taten aufzuweisen?

Und die Tage der Vergangenheit zogen an ihm vorüber.

*

Von klein auf wollte er ein Diener des Herrn und ein Verkünder seines Wortes werden. Das war sein Wunsch, und die Eltern waren damit zufrieden. So besuchte er, als er heranwuchs, die zunächst belegene Gelehrtenschule des Festlandes.

Anfechtungen fehlten nicht, und nicht die Versuche, seinen Glauben zu lockern. Und nicht immer war er gewappnet gewesen, alles stahlhart von sich abzuweisen. Es waren Stunden gekommen, wo er sich, wie es die meisten seiner Mitschüler taten, fragte, wer denn die Richtigkeit der angeblichen Offenbarung verbürge, ob sie vielleicht doch nicht Täuschung oder gar Menschentrug sei, wie so vieles andere. So war er ein Wankender geworden, kein Gefallener, ein Wankender auf nur kurze Zeit. Denn wie Wegstaub hatte er es für immer von sich abgeschüttelt, sobald sein Fuß zum ersten mal wieder den Boden der Inselheimat berührt hatte.

Bis zur Primareife hatte er es gebracht, naher kam das so heiß ersehnte Ziel, da verloren seine bis dahin in mäßigem Wohlstande lebenden Eltern ihr Vermögen, an die Fortsetzung seiner Studien war nicht zu denken. Er nahm es als eine Schickung des Höchsten hin und unterwarf sich ohne Groll und ohne Bitterkeit.

Ein in den Marschen der Elbe lebender Verwandter nahm ihn auf. Dort erlernte er die Landwirtschaft mit dem ihm eigenen brütenden Ernst, mit dem Fleiß und mit der Stetigkeit, womit er alles betrieb, was er als seine Lebensaufgabe erkannt hatte. In seiner äußeren Erscheinung von der Natur nicht schlecht behandelt, blieb er, wenn die Väter guter Töchter den Kreis der Eidame musterten, nicht unbeachtet. Zugleich erlangte er den Ruf eines in seinem Wandel und Tun wunderlich streng gesitteten jungen Mannes.

Auf der Kanzlei wohnte ein begüterter Mann, ein Witwer; er hatte keine männlichen Erben, eine einzige Tochter. Er war häuslich und fromm, die Tochter war es auch. So kam es, daß der mittellose junge Friese Gnade vor ihren Augen fand. Der Alte hätte sicherlich sein Jawort gegeben, verunglückte aber bei einer Wagenfahrt, wie die jungen Leute sich einig geworden waren. Nach angemessener Trauerzeit freite Hans Horsten, obgleich er nicht viel mehr war als ein Bauernknecht, da heiratete Hans Horsten die reiche Erbin.

Was werden die von Grund aus umgewandelten Lebensbedingungen, was wird die Ehe aus ihm machen? Wie wird sich seine Ehe gestalten?

Die letzte Frage schnitt schon das erste Jahr seines Lebens ab. Die Frau starb, als sie seinem Harro (den Namen erhielt der Junge nach seinem friesischen Großvater) das Leben geschenkt hatte. Ein harter Schlag. Vielleicht hätte Hans Horsten an der Seite seiner Frau doch noch für gewisse, wenn auch in Gottesfurcht gesammelte Lebensfreude gewonnen werden können, nun aber überwucherte sein Leben ein strenger Ernst, mehr noch als seine Naturanlage an sich gebot. Freilich nicht der Geist der Verbitterung. Dazu hatte er viel zu viel vom Hiob an sich; denn was auch kommen mochte, der Name des immerdar, auch dann, wenn er die Zuchtrute schwang, des immerdar liebenden Herrn war zu loben. Was ihn so ernst und sorgenvoll machte, war hauptsächlich eine Art Angst, den schmalen Weg durch die enge Pforte zu verfehlen. Er trug sie aber nicht nur für seine Person, sondern mehr noch für die, die ihm nahestanden, die er liebte.

Er verheiratete sich nicht wieder. ›Heiraten ist gut‹, sagt der Apostel,›nicht heiraten ist besser.‹ Für die Zukunft wollte er das bessere Teil erwählen, glaubte es auch dem Andenken der Verblichenen schuldig zu sein. Es begann die Zeit der Haushaltung mit Mietlingen als Vorstand des weiblichen Teils, und der entbehrte bald mehr, bald weniger der Ordnung, der Fürsorge und fast immer der eigentlichen Behaglichkeit. Eine gewisse Änderung zum Guten trat indessen ein, als Henriette Dahm, eine Witwe aus der Verwandtschaft seiner verstorbenen Frau, die Leitung übernahm. Soweit die nach dem Rechten sehende Hausfrau zu ersetzen war, tat sie es, ihr Wirken färbte ab auf alles, worüber sich ihre Hand reckte. Es beschränkte sich aber auf die wirtschaftliche Seite der Kanzlei. Die den weichen, sorgenden Frauenhänden eigentümliche Gabe, den Dingen um sie her einen Abglanz gütiger Herzenswärme mitzuteilen, war ihr versagt. Daher lag nach wie vor auf der Kanzlei ein starrer Hauch der sich sogar dem Hause und den Ställen und Scheuern mitteilte. Firste und Kanten waren sorgsam mit Pappe bedeckt, was ihnen ein schroffes, akkurates, eben deshalb aber auch hartes Aussehen gab. Das trat sogar in mond- und sternenhellen Nächten hervor, und immer lag die Kanzlei wie ein den Spaß und Frohsinn bedräuender Koloß im weiten Blachfeld der Marsch.


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