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Das Moor

Öde heißt man das Moor, und traurig und verlassen. Wer es so schimpft, der kennt es nicht. Niemals sah er es um diese Zeit. Sein feinstes Kleid hat es an, ein sammetbraunes, das mit grüner Seide benäht ist, mit weißem Pelz verbrämt, und goldene Spangen funkeln daran. Im Frühherbst, wenn die Heide blüht, dann gewinnt dem Moore jeder Mensch Geschmack ab, und auch im Spätherbst, wenn das Birkenlaub goldgelb leuchtet, findet man es schön; jetzt fährt man an ihm vorüber.

Wen es aber gelüstet, aus dem Lärm der Stadt herauszukommen und einmal allein zu sein, keine Menschen um sich zu sehen, die überall die Wälder füllen, der muß in das Moor hinauswallen. Eine schön gewellte Straße, von hellgrünen, vollaubigen Birken eingefaßt, führt ihn dorthin. Fruchtbare Felder und helle Wiesen läßt er hinter sich, hinter denen blaue Wälder und die hohen Geestrücken dem Blick Halt bieten, und dann nimmt das Moorland ihn auf mit Birkenbüschen und Wollgrasflocken. Aber es ist nicht mehr das echte, große, unzerstörte Moor, das es vor zehn Jahren war; die Bodenbebauung riß große Stücke heraus, Wiesen entstanden in ihm, Obstgärten erwuchsen dort, in denen hübsche grüne Häuschen liegen; erst eine halbe Stunde weiter, rechts von der Straße, beginnt das weite, breite Moor.

Zwischen dichten Birkenbüschen führt der Weg. Erst ist er noch graswüchsig, Faulbaum, Weiden und blühende Ebereschen rahmen ihn ein, bleiben dann zurück, und die Birke allein begleitet ihn. Das grüne Gras auf dem Wege verschwindet, kahl wird der Weg. An den Rändern liegen die alten, gelben Blätter des Pfeifenhalmes, an deren krausem Gewirr sich erst jetzt die frischen Blättchen schieben. Merkwürdig gekrümmte Zweige und Wurzeln von Heide- und Moorbeere, lauernden Schlangen ähnlich, fahlbraun oder silbergrau, bilden am Wegrande wirre Knäuel.

Es ist eine seltsame Welt für sich, dieses Moor, eine Welt, die so gar nicht in unsere Zeit paßt. Willst du Ähnliches finden, so steige auf den Brocken, auf die Schneekoppe; in der Tatra, in den Alpen findest du dieselbe Pflanzenwelt, und im hohen Norden. Eine Moorfahrt ist eine Nordlandsfahrt. Nordisch ist alles, was du um dich her siehst, die Pflanzen, die Tiere, das ganze Bild. Lapplands Moore, die sibirischen Tundren sind kaum anders. Auch hier könnte das Renn leben, auch hier das Moorhuhn fortkommen, auch hier könnten Seidenschwanz und Wacholderdrossel brüten.

Überhöre den Pfiff der Ziegelei, das ferne Gedonner des Eisenbahnzuges, und du bist in der Tundra. Dort wachsen Krüppelbirken wie hier, dort bildet die Moorbeere ebenso dichte Horste, dort kriecht die Moosbeere über die alten Torfmoospolster, dort füllt das Renntiermoos die Zwischenräume zwischen den Heidekrautbüschen aus, dort bilden gelbgrüne Torfmoospolster feuchte Kissen. Dort wird auch, wie hier, jetzt überall das Wollgras seine weißen Seidenbüschel erheben, werden die hellgrünen und rosenroten Glöckchen der Moorbeere von unzähligen Bienen und Fliegen umsummt sein, werden grüne Raubkäfer bei jedem Schritt aufblitzen, rote Wasserjungfern knisternd von Busch zu Busch schießen. Auch dort wird, wie hier, von der Spitze eines Weidenbusches der schwarzköpfige Rohrammerhahn sein kleines Lied zirpen, wird der Pieper singend emporsteigen und trillernd niederwärts schweben, und rund umher wird auch da der Kuckuck läuten.

Es ist heiß, und hier auf dem alten Stumpf einer Eiche, die das Moor einst verschluckte, sitzt es sich gut am Rande des tiefen Torfstiches. Sein tiefbraunes, klares Wasser ist leer von allem Leben; nur einige dünne, langbeinige Wanzen fahren über seinen Spiegel hin und her; aber keine Schnecke, kein Wasserkäfer, kein Fisch, kein Molch, kein Frosch dort. Alles, was dort unten wächst, ist ungenießbar; die algenähnlichen, bleichgrünen, schleimigen Zöpfe des Torfmooses, die starren Binsen auf der verrotteten Zwischenwand, das harte Wollgras auf dem Torfinselchen mag kein Tier. Stumm und tot ist dieses Loch. Selbst die Libelle jagt hier nicht, weil sie keine Beute findet; sie schießt darüber hinweg und jagt dorthin, wo Froschgequak ertönt.

Dort stand der Torf nicht so hoch, dort gruben die Bauern bis auf die Lehmschicht. Hier ist das Wasser nicht so herb, hier faßte das Kolbenrohr Fuß, hier siedelte sich Froschbiß an und Wasserschlauch, süßes Schilf wächst hier und allerlei schmackhaftes Kraut. Und darum ist hier auch Leben und Weben mancherlei Art. Große grüne Frösche liegen faul, alle viere von sich gestreckt, auf dem Wasser. Die Männchen, im hellgelbgrün schimmernden Hochzeitskleid, lassen die weißen Schallblasen aus den Mundwinkeln quellen und singen ihre Liebeslieder. Langsam rudern sie zu den Weibchen, schauen ihnen zärtlich in die Augen, reiben ihre Nasen an ihren und quarren immer zärtlicher; mit neckischem Sprung verschwinden die Schönen dort, wo die goldgelben, rotgetüpfelten Blüten des Wasserschlauches sich erheben.

Es ist ein seltsames Pflänzchen, dieser Wasserschlauch. Sein wirres, zerfasertes Kraut ist mit einer Unmenge Bläschen bedeckt, deren jedes eine winzige Fischreuse darstellt. Was dort hinein gerät, das Würmchen, die Larve, der eben ausgeschlüpfte Molch, das ganz junge Fischchen oder ein kleines Krebstier, es ist verloren; die nach innen gebogenen steifen Haare der Reuse lassen es nicht eher los, als bis es verdaut ist.

Ein Räuber ist diese Pflanze, gerade so einer wie der hübsche Sonnentau, der dort seine roten, wie mit Diamanten besetzten Rosetten über dem grünen Moose erhebt. An seinen glitzernden Drüsenhaaren bleibt allerlei winziges Schwirrvolk hängen, die Haare krümmen sich, überziehen es mit dem zähen Schleim, und das Blatt saugt ihre Weichteile auf. Das Moorwasser und die Moorerde sind arm an Nahrung, darum müssen sich die beiden Kräutchen helfen, so gut es geht.

Nur was sehr genügsam ist, kann hier fortkommen, wie die Heide, deren alter Blüten graue Perlen dem Moore seinen Hauptton geben, von dem sich hier ein gelbblühender Stachelginsterbüschel, dort die rosigen Glöckchen der Rosmarinheide leuchtend abheben. Wo aber die Bauern Sand auf den Damm fuhren, um ihn zu festigen, wo Pferdemist liegen blieb, da siedelt sich gleich allerlei anderes Kraut an, der Heidecker mit seinen goldenen Blüten, eine Miere, ein Knöterich, und sogar ein Wegerich folgt dem Menschen hier. Weißenmannesspur nennen ihn die Indianer Nordamerikas und hassen ihn, denn er zeigt ihnen überall der Bleichgesichter Vordringen.

Der Abend naht heran, vielstimmiger wird das Geläute der Kuckucke, die Turteltauben schnurren im Birkenwald, die Mücken erheben sich aus dem Heidekraut. Wer die nicht vertragen kann, der muß jetzt gehen. Aber die schönste Zeit für den, der gegen sie abgehärtet ist, beginnt erst. Aus den Wiesen steigen die Nebel und ziehen durch die Birkenbüsche. Im hohen Moor faucht und trommelt noch ein Birkhahn, die Nachtschwalbe spult und spinnt, jauchzt gellend und schlägt die Flügel zusammen, im Schilf am Grabenrand vor den Wiesen schwirrt der Heuschreckensänger, mit dumpfem Heulen schwebt der Kauz über den Weg, und wenn das Abendrot hinter dem fernen Wald erloschen ist, meckern die Bekassinen und schnattern die Enten ringsumher, bis auch sie schweigen und nur das Singen der Mücken und das ferne Quarren der Frösche die große heimliche Ruhe des Moores noch mehr verstärkt.

Wer dann durch das Moor geht, lernt es erst recht kennen in seiner erhabenen Ruhe, und fährt er in der Kühle zurück und kommt in die dumpfe, laute Stadt hinein, dann weiß er, wo er sich ausruhen kann, wird ihm des städtischen Lebens bunte Hast einmal zuviel.

Er geht in das Moor.


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