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Der Fichtenwald

Die Morgensonne steigt rund und rot über die verschneiten Kuppen; der Bergwald erwacht.

Lärmend fliegen die Krähen zu Tale, Häher flattern kreischend von Baum zu Baum, Goldfinken flöten im Unterholze, Zeisige zwitschern dahin, überall ertönt das Geklingel der Meise und das Gewisper der Goldhähnchen, zwischendurch auch das schneidende Gezeter der Amsel, die den zu seinem Bau schleichenden Fuchs erspäht hat.

Die Frostnebel weichen von der Bergwand, goldig erglänzen die Schneehänge, rosig färben sich die bereiften Fichten, silbern blitzt unter der Felswand der Wildbach. Da leidet es den Zaunkönig nicht, der im Ufergebüsche umherschlüpft; keck schmettert er sein Liedchen, und auch die Wasseramsel, die mitten im Bache auf einem gischtumrauschten Blocke sitzt, singt fröhlich die Sonne an.

Auf einmal singt es lustig hier aus dem Wipfel, und da und dort, hüben und drüben, nah und fern, laute und leise Locktöne erschallen, helle und tiefe, spitze und runde, und von Fichte zu Fichte fliegen rote und grünlichgelbe Vögel, hängen sich an die Äste, klettern an den Zweigen umher, schlüpfen dahinter, tauchen wieder auf, machen sich an den schimmernden Zapfen zu schaffen, zerklauben die größeren, kneifen die kleineren ab, sind emsig beim Fressen, putzen dazwischen ihr Gefieder, schnäbeln sich ein bißchen, zanken sich ein wenig und haben sich, als wäre es Mai.

Kreuzschnäbel sind es, die seltsamen Vögel, die hier zwischen Eis und Schnee ihre Brut aufziehen. Über hundert Paare haben sich die Wand hier als Brutstätte gewählt. Unstet waren sie in kleineren Trupps seit dem Frühsommer umhergestrichen, hatten bald oben in den Bergen, bald unten im Lande gelebt, bis um die Weihnachtszeit ein Flug die reichtragenden Fichten an dem sonnigen Abhange entdeckte und sich dort ansiedelte. Andere Rotten, die vorüberstrichen, fanden sich dazu, und wenn es auch anfangs ein großes Gezanke um die Weibchen und ein bitteres Gezerre um die Neststände gab, mit der Zeit vertrug man sich hierum und darum.

Schneidend pfiff oft der Wind an dem Hang entlang, wild wirbelte der Schnee und hüllte die Fichten ein; die Kreuzschnäbel kümmerte es wenig. So fest und dick blieb er auf den Zweigen nicht liegen, daß er die Samenzapfen verdeckte, und sobald die Sonne ein wenig schien, sangen die purpurroten Männchen den grünlichgelben Weibchen lustig ihre Lieder vor, und beide brachen dann fleißig dürre Reiserchen, Heidkrautzweige und Grasblätter für die Außenwand des Nestes, das sie dann mit Moos und Flechten auspolsterten, daß es so dick und so fest und so weich und so warm wurde, wie es nötig ist, daß der Frost nicht bis zu den Eiern gelangen konnte.

Gut versteckt waren die Nester auch in den dichten Zweigen, und fest genug hineingebaut. Mochte der Schnee auch noch so hart treiben, er kam höchstens mit einigen feinen Stäubchen bis zu den brütenden Weibchen hin. Und damit die Eier nicht kalt wurden, fütterte jedes Männchen sein Weibchen, so daß es das Nest nicht zu verlassen brauchte, als höchstens dann, wenn die Mittagssonne ganz warm schien und es sich sein Gefieder zurechtzupfte, es vom Harze reinigte und sich ein bißchen Bewegung machte. Während nun rundumher das Land im Schnee begraben lag und außer dem Gebimmel der Meisen und dem Gezirpse der Goldhähnchen oder einem Krähenschrei und einem Häherruf kein Laut zu hören war, entstand in den hundert und mehr verborgenen Nestern neues Leben.

Nun, wo der Winter nachts noch mit voller Macht hier am Berge herrscht, die Sonne aber schon größere Kraft hat und oft genug den Schnee über Mittag zum Tauen und Tröpfeln bringt, verlassen die jungen Kreuzschnäbel die Nester und wagen sich auf die Zweige hinaus, wo sie eng aneinandergedrängt sitzen, bis einer der alten Vögel herannaht und sie gierend und mit den Flügeln zitternd sich ihm entgegendrängen, um sich den Schlund mit angequollenem Fichtensamen vollstopfen zu lassen. Der Frost macht hungrig, und so haben die alten Vögel von Sonnenaufgang bis zum Abend hin genug zu tun, um die drei oder vier immer freßlustigen Jungen sattzumachen.

Jeder von ihnen hat einen Fichtenzapfen vor und zerspellt mit dem sonderbaren Schnabel die harten, festanliegenden Schuppen, löst mit der Zunge das winzige Samenkorn heraus und läßt es in den Kropf rutschen. Hier hängt ein altes Weibchen kopfüber an einem Zapfen und bearbeitet ihn, daß es in einem fort leise knistert und immerzu winzige Teile der Schuppen, wie Goldstaub blitzend, auf den Schnee am Boden wirbeln, der davon und von den abgestreiften Nadeln und Flechten schon ganz buntgefärbt ist. Dort kneift ein purpurrotes Männchen einen kleinen Zapfen ab, trägt ihn mit dem Schnabel nach einem bequemen Ast und leert ihn da aus. Überall gieren die hungrigen Jungen, hier und da und dort zittern sie mit den Flügeln, in einem fort rieseln Nadeln herab, stäubt Schnee herunter, rundumher ertönt das seltsame Locken der alten Vögel und ab und zu das lustige Gezwitscher eines Hahnes, der auf einem Wipfeltriebe sitzt, daß sein rotes Gefieder in der Sonne nur so leuchtet.

Noch eine oder zwei Wochen wird das lustige Treiben und das bunte Leben hier oben in den hohen Wipfeln anhalten. Dann aber, wenn die Sonne den Schnee von der Bergwand vertreibt, wenn der Seidelbast sich mit rosenroten Blütchen schmückt und der Nießwurz seine grünlichen Blumen entfaltet, wenn die Meisen sich auf ihre Lieder besinnen und der Fink zu schlagen beginnt, werden die jungen Kreuzschnäbel flügge sein und mit den Alten von dannen ziehen, irgendwohin, wo die Fichten genügend tragen. Heute werden sie da sein, morgen dort, und um die Zeit, wenn alle anderen Vögel sich seßhaft machen und ihre Brut aufziehen, unstet und flüchtig hin und her wandern, wie die Zigeuner.

Irgendwo werden sie zur Winterszeit sich einen Wald suchen, wo sie Nahrung genug finden, entweder hier oben in den Bergen oder unten im Lande, je nachdem hier oder dort der Fichtensamen gerät. Vielleicht werden sie in eine Gegend verschlagen im flachen Lande, wo sie sonst nicht leben, und wenn sie dort um die Weihnachtszeit einen Wald mit unbekannten Farben und fremden Stimmen beleben, wird das Volk sie mit besorgten Mienen betrachten und meinen, sie brächten Krieg, Seuche und Teuerung.


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