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Der Waldrand

Die Sonne bescheint freundlich den Waldrand.

Gestern schien sie heller als heute; dennoch ist die Haubenlerche viel fleißiger. Unaufhörlich läßt sie ihren Lockruf ertönen, und nun fliegt sie sogar auf einen Erdhaufen und singt ihr kleines Lied.

Die Luft ist weich und schmeckt nach warmem Regen. Ein weißer Hauch liegt über dem Felde und nimmt der Sonne Schein und Farbe. Aus den umgestürzten Schollen steigt ein starker Geruch, und alle Zweige und Stämme sehen aus, als dufteten sie nach dem neuen Leben, das in ihnen empordrängt.

Die üppigen Rasen der Vogelmiere auf dem Brachacker hatten jüngst, als der Wind scharf von Morgen kam und der Boden beinhart gefroren war, nicht weniger weiße Blütenstreifen als heute, und das Kreuzkraut ebenso viele goldene Knöpfchen, auch blühten die Maßliebchen gleichfalls am Raine. Damals wirkte das widersinnig, heute aber nicht.

Auf dem Brombeerbusche am Grabenrande sitzt der Goldammerhahn und versucht sein Lied zusammenzubringen; gestern, als die Sonne hell vom hohen Himmel schien, dachte er nicht daran. Auch die Kohlmeise besinnt sich auf ihre Frühlingsweise; da sie aber damit nicht fertig wird, so lockt sie wenigstens dreimal so zärtlich als am gestrigen Tage. Süß und seltsam hört sich das an.

Der Haselbusch am Graben ist gänzlich aufgeblüht; zwischen den goldenen Troddeln glühen purpurne Sternchen. Die Eller ist ihm sogar schon voraus; der Weg ist mit braunen Kätzchen besät. Die silbernen Knospen an den Weiden recken und strecken sich und die der Espen quellen und schwellen. Aus dem Vorjahrslaube drängt sich das junge Gras, überholt von den fetten Blättern des Aronstabes, die Scharfwurz verhüllt den kahlen Boden und lustig wuchert das zierliche Grün des Ruprechtskrautes.

Die Sonne kommt noch einmal am dunstigen Himmel hervor. Überall spielen die Wintermücken, daß es lustig blitzt, und hier und da surrt eine Fliege vorüber. In der alten Samenbuche sitzt eine Krähe und quarrt und schnarrt auf ganz absonderliche Art; das ist ihr Liebeslied. Aus den Fichten kommt ein wunderliches Quietschen und Schnalzen; der Häher gibt seinen zärtlichen Gefühlen Ausdruck. Da hinten auf der grasgrünen Saat maulschellen sich zwei Hasen um die Häsin. Der Frühling kommt.

Ist es auch wahr? Ist es nicht nur ein bloßes Gerücht, eine falsche Verheißung? Zwar wippt da schon ein Bergbachstelzenpaar an dem Graben entlang, hier wühlt ein Maulwurf das knisternde Falllaub auf, sieben Starmätze pfeifen auf dem Hornzacken der Eiche, im Graben plätschert zwitschernd und quitschernd ein Spitzmauspaar umher, fauchend und schnalzend jagt ein Eichkater die Liebste von Ast zu Ast, und ein Goldhähnchen singt schon so gut, wie es das besser nie können wird.

Aber da hinter dem fernen Walde im kalten Moore liegt der Nordostwind und schläft. Vielleicht wacht er über Nacht wieder auf und zu Ende ist es mit Lied und Liebe. Statt der Wintermücken spielen die Schneeflocken, Star und Bachstelze flüchten von dannen, die bunten Bergfinken, die der weiche Wind nach Norden lockte, werden verschwinden, und Amsel, Meise und Goldhähnchen vergessen ihre halb gelernten Lieder wieder. Die Blümchen auf der Brache und die Kätzchen an den Bäumen werden wirken wie unangebrachte Witze.

Die Sonne ist fortgegangen; dichter und unsichtiger wird die Luft. Um so mehr aber leuchten die halb aufgesprungenen Knospen an den grauen Zweigen des Dornbusches und an den schwarzen Ästen der Traubenkirsche hinter dem Grabenbord und im Unterholze des Geißblatts kecke junge Blätter. Ein sachtes Rieseln kommt herunter, unhörbar und leicht. Fröhlich schmettert der Zaunkönig sein Liedchen, lustig trillert die Meise, und selbst der schüchterne Baumläufer erhebt sein dünnes Stimmchen lauter als zuvor.

Der Regen nimmt zu, die Dämmerung geht leise am Waldrande entlang. Da trommelt ein Specht auf einmal los, daß es weithin dröhnt; das ist das Zeichen für alles, was Schnäbel hat. Mit einem Schlage bricht ein vieltöniges Zwitschern und Flöten los, so wirr, so kraus, daß keine einzelne Stimme sich daraus hervorhebt. Ein Viertelstündchen hält es an; dann bleibt davon nur das Gestümper der Amsel übrig und des Rotkehlchens erst halb gelerntes Lied. Auch das verlischt im leisen Regengeriesel, und der ihrem Schlafwalde zuziehenden Krähen rauhes Geplärre gibt dem weichen Tage einen harten Abschluß.

Dunkel wird es im Walde. Keine neue Knospe im Gezweig, nicht ein frisches Blatt am Boden ist mehr zu sehen. Leblos stehen die Stämme da und recken kahle Wipfel in die Luft. Doch immer noch will das Leben, das dieser Tag erweckte, sich nicht zur Ruhe begeben. Vom Felde her schrillt des Rebhahnes herrischer Ruf, und von der Mergelgrube kommt das breite Geschnatter eines arg verliebten Erpels. Wie winzige Gespenster taumeln bleiche Wintermotten auf der Weibchensuche um die Buchen, zwei Fledermäuse zickzacken am Graben auf und ab, und im Gebüsch schnauft ein Igel aufgeregt hinter der Auserwählten her.

Die Nacht kommt näher; tiefer wird der Himmel. Kein einziger Stern steht an ihm. Die letzte Krähe hastet, verlassen schreiend, über die Wipfel hin. Dichter fällt der Regen; lauter tröpfelt er in das tote Laub. Dumpf unkt in den Fichten die Ohreule; hohl heult in den Kiefern der Kauz los.

Zu Ende ist der milde Tag, an dem der Vorfrühling am Waldrande spuken ging.


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