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Die Teiche

Weit vor der Stadt, zwischen Hügeln verborgen, liegen zwei Teiche. Kein Reiseführer nennt sie, keine Karte führt sie an, und so flutet der Strom der Ausflügler an ihnen vorüber. Nur einige wenige Naturfreunde suchen dort seltene Blumen und stellen den Käfern und Schmetterlingen nach, ab und zu verirrt sich ein Maler dorthin, und wenn nicht die Jungens aus dem nächsten Dorfe einen Ausflug dahin machen, um trotz der halbverwitterten Warnungstafel in dem flachen, klaren Wasser zu baden, dann ist es außer der Bestell- und Erntezeit dort still und ruhig, und höchstens ein Jäger pürscht den Holzrand ab.

Zweimal war ich dort gewesen, einmal im Spätsommer, als die Raine bunt waren von hohen Blumen, und später im ersten Frühling, als die blaßgelben Schlüsselblumen den knospenden Wald mit ihrem feinen Pfirsichduft erfüllten und die hellblauen Waldveilchen aus dem braunen Falllaube brachen. Als ich neulich der Stadt müde war, da fielen mir die Teiche ein und zogen mich zu sich.

Der Tag war heiß und durstig. In ländlichem Wirtshausgarten saß ich unter weißblühendem Strauche und hörte dem Mönch zu, der ununterbrochen aus den fruchtschweren Walnußbäumen sein silberhelles Liedchen bald laut, bald leise sang, und dem Esel, der seiner Freude über den schönen Tag Ausdruck gab auf seine Art. Und als die Sonne nicht mehr ganz so heiß schien, da ging ich durch die Felder den Bergen zu.

An einer unendlichen Weizenbreite, deren sattgrüngelbe, in der Spätnachmittagssonne glitzernde, leicht im Winde fließende Fläche nur sparsam mit rotem Mohn, hellblauen Kornblumen und dunklerem Rittersporn durchwirkt war, zog sich der graublaue, staubige Weg lange hin, bis am Kamme des Anberges die goldig leuchtende Fläche halbreifer Sommergerste sichtbar wurde, und dann führte eine dürre Trift aus dem Felde zum Berge.

Buschwald deckt den Hang, ein niedriges, dichtes Durcheinander von Hainbuche und Rotbuche, Hasel und Eiche, Maßholder und Kornelkirsche. Am Wege leuchtet ein hoher, hellblauer Ehrenpreis, blaue Glockenblumen nicken, gelbweiße Sternblumen erheben ihre breiten Schirme. Über den Boden kriecht das wilde Süßholz, an den Rosenbüschen schimmern die letzten Blüten, hier und da erhebt ein rosenrotes Knabenkraut seine duftenden Rispen. Durch die Ackerfurchen, in die das Regenwasser Ähren und Halme fest hineingewalzt hatte, suchte ich mir den Weg nach dem feuchten Wiesental, und als ich höher stieg, sah ich das Wahrzeichen der Teiche, die hohen Pyramidenpappeln, hinter dem Rücken des Hügels auftauchen.

Sie sind keine große landschaftliche Sehenswürdigkeit im landläufigen Sinne, die beiden Teiche. Zwei flache Wasser, von Rohr umrahmt, zwischen kahlen oder mit Getreide bestandenen, nach der einen Seite bewaldeten Hügeln liegend, mögen sie viele Leute kalt lassen. Ich aber liebe sie. In ihrer Weltabgeschiedenheit liegt ihr Zauber. Vor dem Holze, unter den niedrigen, geköpften Hainbuchen und den hohen, raschelnden Eschen muß man stehen und nach dem Einschnitt sehen, durch den der Weg an den strengen, herben, hohen Pappeln vorbeischleicht. Die Sonne muß hinter dem Walde stehen und auf dem Wasser liegen, das die zarten, braungrünen Töne der Hügel angenommen hat. Ein leiser Wind muß wehen, daß das Rohr rauscht, und daß seine vorjährigen Blütenrispen schwanken.

So traf ich es. Hinter mir gurrten die Turteltauben, sangen die Goldammern, schmetterten die Baumpieper. Das Rohr glitzerte in der Sonne, die hohen Binsenhalme neigten sich in ihrer ernsten, gemessenen Weise. Dann erklang der rauhe, schrille Ruf des Wasserhuhns, der Teichrohrsänger sang sein seltsames Lied, der Drosselrohrsänger griff die Weise auf und verstärkte sie auf den doppelten Umfang, ein alter, dicker, braunschwarzer Frosch, dessen Rücken ein schmaler gelber Strich zierte, gab, wie ein Vorbeter, dreimal das Zeichen, und aus dem Rohr, aus den Pumpkeulen fiel die ganze Froschgemeinde im Chor ein.

Allein der Drosselrohrsänger ist mir schon Fahrt und Weg wert. »Karl, Karl, kiek!« so singt er. Das quietscht und quarrt gellend und grell, aber es paßt wunderschön zu dem Rauschen des Rohrs, dem Plärren der Frösche, dem Schrei des Wasserhuhns. Alle Rohrsängerarten haben diese Töne als Grundlage ihres Gesanges, aber die im Weidengebüsch des Ufers, am Waldrand und im feuchten Feld leben, die stimmen es in die Umgebung hinein. Der Drosselrohrsänger aber, der nur im großen Rohrwald lebt, verzichtet aus alles liebliche und gefällige Beiwerk.

Über das freie Wasser jagen einzelne große Jungfern mit blaubereiften Hinterleibern. Das Volk gab ihnen einen hübschen Namen; aber es sind böse Räuber. Pfeilschnell schießen sie hin und her; ihre ungeheuren, halbkugeligen, gläsernen Augen spähen nach einer harmlosen Fliege. Wie Falken stoßen sie darauf zu, fassen sie und zermalmen sie zwischen den schrecklichen Kiefern.

Verwandte davon, winzige, fadendünne, himmelblaue Jüngferchen, flirren zu Hunderten am Strande herum und bedecken jeden Binsenhalm mit langen, hellblauen Auswüchsen. Auch diese zierlichen Geschöpfe, die aussehen, als lebten sie von Tau und Blumennektar, sind Räuber. Die dicken Schleie aber, die, langsam mit den rotgeränderten Flossen rudernd, unter ihnen durch das Wasser ziehen, sind, so gefräßig sie aussehen, harmlose Tiere, die vorlieb mit allem nehmen, was am Boden fault.

Auf dem Kalkschotter des Uferrandes ist ein schwärzliches Gewimmel. Hunderte und Hunderte von eben entwickelten Fröschchen hüpfen da durcheinander. Hunderttausende von Eiern schwammen im Frühling hier. Viele verfaulten, wurden von Pilzen verdorben. Von den Hunderttausenden von Kaulquappen schluckten Tausende Molch und Hecht. Und von den Tausenden von Fröschchen, die auskamen, werden mehr als drei Viertel noch vor dem Herbst zugrunde gehen, die wenigsten werden groß werden und an schönen Abenden hier quaken mit ihren Eltern und Urgroßeltern.

Es ist überall gleich in der Natur und bei den Menschen. Der Anfang, das ist das Schwerste; nachher geht es schon. Das winzige Rosensträuchlein hier am Wege kann nicht aufkommen. Immer wieder treten es die Schafe in den Grund. Dem großen Strauch daneben, der ganz voll rosiger Blüten hängt, kommen die Hufe und Mäuler nicht nahe. Er weiß sich zu wehren. In seiner Jugend lernte er es, und jetzt ist er stachliger als jeder andere Rosenstrauch.

Hinter dem Holze stieg eine schiefergraue Wetterwand hoch, schob sich vor die Sonne und wuchs bis in die Mitte des Himmelsgewölbes hinein. Der Wind frischte auf, fuhr in hastigen Böen durch die Kronen und über das Röhricht. Aus dem klaren, stillen Teich wurde ein schwarzes, wildes Wasser. In einzelnen rotglühenden Fetzen brannte die Sonne durch die schwarze Wolke, die Pappeln bogen sich ächzend, Staubwirbel tanzten über die Abhänge, im Rohr siedete und kochte es, und die Wellen klatschten mit hartem Schlag an das Ufer.

Die stille träumerische Ruhe der Landschaft war mit einem Ruck vorbei. Keine Lerche sang mehr in der Luft, kein Ammer im Rosendorn. Die Fische waren verschwunden, die Frösche hörten auf zu grölen. Der Rohrsänger ganz allein kümmerte sich nicht um Sturm und Gewitterdrohen; dicht am Wasserrande saß er hoch oben auf schwankendem Halm und rief sein hartes Lied laut und schrill, als wäre das Pfeifen des Sturmes, des Rohres Rauschen und des Wassers Klatschen nur die Begleitung dazu.

Als der Sturm sich erhob und die Pappeln sich bogen, da hatte ich mich innerlich ein bißchen geduckt. Aber der kleine Vogel beschämte mich, ich sah voll Verachtung nach den beiden Tauben, die angstvoll zu Holze flogen, und ging langsam meinen Weg entlang, das kecke Rohrsängerlied im Herzen.

Einmal hörte ich es noch hinter mir herrufen: »Kiek, kiek!« Und als ich mich umsah, da hatte die Sonne ein großes Loch durch die Wolken gebrannt, große rote und goldene Lichter auf das Wasser geworfen, den roten Ackerhang vergoldet und Rohr und Risch mit Flittern und Flimmern besät.

Und solange sie schien, blieb ich stehen unter den Pappeln. Als sie aber hinter dem Walde verschwand und die bleierne Wolke ihr Andenken auslöschte, verließ ich die düsteren Teiche.


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