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Das taube Tal

Gar nicht weit vor den grünen Wiesen der Aller liegt unweit des Dorfes Winkel zwischen Gifhorn und Brenneckenbrück ein Tal, das ist taub und tot.

Rundumher hält die Heide den Sand fest, und das Moos bändigt ihn; in dem tauben Tale aber liegt er bloß und lose da oder fliegt, wie der Wind es will.

Mehr als einmal hat der Förster Fuhren dort gepflanzt und Birken; es ist nichts davon übriggeblieben. Sie wuchsen ein Weilchen, hungerten und kümmerten, und dann gingen sie aus, wie ein Licht im Luftzuge.

Denn das Tal ist verflucht für immerdar, weil unschuldiges Blut dort floß. Kein Bauer geht um die Ulenflucht gern hier vorbei; gestorbene Gesichter umschweben den Menschen, der da vorübergeht, sehen ihn mit toten Augen an und verfolgen ihn mit schweren Seufzern.

Leute, die sich Wunder wer weiß wie klug dünken und nur das für wirklich halten, das sie mit Händen fassen können, sagen, die weißen Gesichter seien Nebel und die Seufzer bringe die Ohreule hervor, die in den Fuhren unkt; doch nicht um alles Geld in der Welt würden sie die Zeit zwischen dem einen und dem andern Tage in dem tauben Tale zubringen.

Ein Knecht von weit her, der an Gott und den Teufel nicht glaubte und ein heimlicher Freischütz war, paßte in einer hellen Nacht dort auf einen weißen Rehbock, der da seinen Umgang hatte. Das Tier stand ganz dicht vor ihm und der Mann schoß es zweimal auf das Blatt, ohne daß es umfiel. Als er aber wieder geladen hatte und anlegte, sahen ihn zwei Menschenaugen, die vor seinen eigenen standen, so böse an, daß er keine Kraft mehr in den Armen hatte, sein Gewehr fallen ließ und Hals über Kopf fortlief. Als er am anderen Morgen seine Waffe holen wollte, lag sie da und war mittendurch gebrochen.

Wenn es lange gestürmt und geregnet hat, gibt der Sand im Windschatten der vielen hundert kleinen Hügel, die in dem tauben Tale stehen und wie verwahrloste Grabstätten aussehen, schwarze Scherben von Aschenurnen und zerbröckelte Backsteine frei, auch ist da einmal eine vom Roste zerfressene Speerspitze und ein silberner Armring gefunden worden. Ein Gelehrter, der sich auf solche Dinge verstand, hat deswegen einige der Hügel abgraben lassen, aber lange nichts von Bedeutung gefunden, bis er schließlich auf einen Kranz von Steinen stieß. Voller Eifer grub er drauflos, achtete der Zeit nicht und arbeitete bis in die Nacht hinein. Da hörte er es plötzlich hinter sich jämmerlich husten, und als er sich umsah, stand ein uralter, in Lumpen und Lappen gehüllter Mann hinter ihm und bat ihn um einen Zehrpfennig. Der Forscher warf ihm ein Stück Geld in den Hut, aber der Bettler kam ihm so schmierig vor, daß er ihm die Grabscheitkrücke und nicht die Hand reichte, als er sich mit einem Händedruck bedanken wollte. Das war sein Glück, denn der Bettler war nicht von dieser Welt und seine Finger brannten tief in den Spatenstiel hinein.

Noch vor einigen Jahren hat es sich begeben, daß zwei junge Leute, die nachts durch die Heide gingen und vom Wege abkamen, in das taube Tal gerieten, gerade als die Uhr die zwölfte Stunde wies. Es war Mondschein, und so erkannten sie zu ihrem Schrecken, daß sie an dem Ort waren, vor dem sie in Brenneckenbrück gewarnt waren, und der wie ein verlassener Leichenacker anzusehen war. Als sie so dastanden und nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, kam ein Mann angelaufen, der mit den Händen die Raben abwehrte, die nach seinem Kopfe hackten; er lief quer über die Blöße nach dem kleinen See hin, der hinter den Fuhren liegt, und stürzte sich mit einem lauten Schrei in ihn hinein. Zu gleicher Zeit kam ein lautes Hohngelächter aus der Höhe, ein glühendes Rad flog durch die Luft, kreiste über dem Wasser und zersprang zu lauter blauen Flammen, die um die jungen Leute einen Tanz aufführten, und die sich nicht von der Stelle rühren konnten, soviel Mühe sie sich auch gaben. Erst als die schwarze Stunde vorüber war, bekamen sie wieder Gewalt über ihre Glieder und langten mehr tot als lebendig in Gifhorn an.

In dem tauben Tale hat einst ein Bauernhof gestanden. Als im Dreißigjährigen Kriege die Kaiserlichen in der Gegend raubten und brannten, fanden sie zu dem Hofe, der gut versteckt lag, nicht hin, bis er ihnen von einem Knecht verraten wurde, der dort im Dienst war und von der Haustochter abgewiesen war. Die Soldaten brachten alles um, was auf dem Hofe lebte, pochten ihn aus und steckten ihn an. Als der Knecht aber seinen Lohn haben wollte, lachten sie ihn aus und gaben ihm einen alten Strick. Da seine Meintat sich in der Gegend herumgesprochen hatte, wollte ihn kein Mensch wieder in Dienst nehmen, und so ging er unter die Soldaten. Nach vielen Jahren kam er als Krüppel wieder, bettelte eine Zeitlang in Gifhorn herum, bis sich herausstellte, wer er war, und der Büttel ihn aus dem Tore wies. Da ging er nach dem abgebrannten Hofe und ertränkte sich in dem See, der dicht dabei liegt.

Seitdem liegt der Ort wüst. Der Wind hat den losen Sand über die Stätte geweht und ihn so aufgetürmt, daß er wie lauter Grabhügel aussieht. Rundherum wuchert die Heide, grünen die Wiesen, stehen die Fuhren im dichten Moose. Die Stelle aber, auf der der Hof lag, bleibt taub und tot.

Wer des Abends dort vorübergeht und sieht in die Öde hinein, dem friert das Herz, auch wenn er nicht weiß, was sich dort zugetragen hat.


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