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Heidbrand

In schwarzem Schweigen liegt das Dorf. Lautlos streicht die Schleiereule um die Mährenköpfe der Giebel, leise streicht ein Kater über die graue Straße, unhörbar flattert die Fledermaus um die Hofeichen. Die Hunde, die die ganze Nacht den Mond angeheult haben, sind stumm geworden. Aus dem Bache quollen weiße Nebel, krochen über die Wiesen, das Moor, schwebten über die Heide. Eine Viertelstunde kämpfte der Mond mit ihnen, dann erstickten sie ihn.

Und setzt ist alles grau rundherum. Die Straße, die Wiesen, das Moor, die Heide, sie sind allesamt untergegangen in dem weißgrauen Dunst. Auch die Birken an der Straße lösen sich langsam darin auf. Ein hohler Wind kommt angepustet. Er schüttelt die nassen Birken, daß sie kalte Tränen weinen, weht über die rauhen Föhren, daß sie im Schlaf aufstöhnen, reißt den hohen Wacholdern die Nebellaken ab, daß sie vor Frost zittern. Und dann schweigt er auf einmal, als hätte er nie gesprochen, verstummt, als wäre er gar nicht hier. Nur in dem harten Grase am Wege raschelt er matt und müde, als habe auch ihm der Nebel den Atem genommen.

Eine ängstliche Stille liegt über der grau verschleierten Heide, ab und zu unterbrochen von einem engbrüstigen Aufseufzen, von einem kurzatmigen Stöhnen, von einem fröstelnden Geflüster, so verloren, so unbestimmt, so undeutlich wie die graulichweiße Landschaft. Oben, über den grauen Nebeln, ertönt ein jammervolles, ängstliches Flöten, erst weit, leise, dann näher, lauter, und schließlich sich wieder weiter und heiser verlierend. Ein dünnes, verjagtes Pfeifen taucht auf und verschwindet. Brachvögel und Drosseln auf der Wanderung sind es. Ein Wehklagen klingt aus der Schonung, gepreßt und beklommen. Das ist die Ohreule.

Von dem Anbauernhof in der Heide kommt ein Hahnenschrei. Vom Dorfe kommt ein zweiter ihm entgegen, und ein dritter. Ein Spitz kläfft heiser wie ein Fuchs. Er weckt den Wind wieder auf. Der gähnt, reckt sich, erhebt sich aus dem Heidkraut und geht an sein Tagwerk. Erst fegt er den Heidberg vom Nebel rein, steigt dann in die tiefe Heide und macht die blank, zieht von den Wiesen den weißen Schleier, nimmt die grauen Laken von dem Moor, trocknet alle Büsche und macht die Bahn für die Sonne frei. Blutrot kommt die über die schwarzen Föhren aus einem schmalen Stück hellgrünen Himmels, über dem eine schwere, bleigraue Wolke liegt. Bleichgelbe, unheimliche Strahlen fallen auf die graurote Heide, lassen sie kupferrot aufleuchten, rostrot glühen, geben den fahlen Moorwiesen einen Grünspanton, den Föhren ein böses, blaues Licht. Dann sinkt die bleigraue Wolke tiefer, verdrängt das Stückchen Himmel, läßt von der Sonne nur einen dreieckigen, rotglühenden Punkt übrig, bis auch der erlischt. Lange, graue Stunden folgen. Eintönig pustet der hohle Wind über die grauroten Hügel, stäubt gelben Sand in die rosigen Blütchen, seufzt in den Birken, flüstert im Risch, stöhnt in den Wacholdern. Undurchsichtig blaßgrau, trostlos gleichfarbig ist der Himmel.

Matt schweben vereinzelt kleine blaue Schmetterlinge über die Heide, laurig fliegen die Immen von Blüte zu Blüte, mißmutig brummt die Hummel, die Heidlerche lockt wehmütig, die Krähe krächzt angstvoll; keine behende Eidechse, kein flinker Sandläufer läßt sich sehen.

Da aber kommt der Wind zum drittenmal. Er hat die Nebel von der Erde weggejagt, hat Bäume und Büsche getrocknet, und jetzt geht er auf die Dunstwolken los. Mit gellendem Pfeifen scheucht er sie auseinander, treibt sie nach Nord und West und Süd, hetzt sie über alle Berge und über alle Föhren und schafft der Sonne Bahn. Heiß und goldig bricht sie hervor, färbt die Flanken der Hügel mit Rosenrot, hüllt die Birken in Frühlingsgrün, streut Gold auf die Föhren und Glanz auf die Sandwege, macht die blauen Falter lustig und die braunen Bienen lebendig, lockt die Eidechse aus der Heide und die Laufkäfer aus dem grauen Moos, und stimmt der Krähe grämliches Gequarre zu frohem Schrei um.

Ein Honigduft, stark und betäubend, steigt aus den zahllosen Blüten, unzählige Immen summen im Chor ein brausendes Lied, ein Geflatter blauer Flügelchen ist überall, den ganzen Weg entlang geht ein Geblitze goldener Punkte, und auf die rosenroten Flächen perlen lullende Lerchenlieder herunter.

Auf die langen, grauen Stunden folgen kurze, helle Stunden, kurz, weil sie so schön sind. Sengend prallt die Sonne auf die Heidberge, macht aus den Spinnweben am dürren Föhrenast ein Goldgewebe, aus den Kieseln auf der Sandblöße Diamanten, Rubine, Opale und Amethyste, aus dem düsteren Walde am Heidrand einen lachenden Hain. Überall ist ein Glänzen und Schimmern, ein Leuchten und Flimmern, Strahlen und Prangen. Das Renntiermoos ist reines Silber geworden, die Föhrenstämme blankes Gold, von den fernen Fischteichen im Grunde schießen hellblaue Lichter empor, die Schnuckenherde hat goldene Vliese.

Der lustige, leichtsinnige Wind tanzt bergauf, bergab, dreht sich aus dem Flugsand eine lange, gelbseidene Schleppe, kost mit den krausen Fichten auf dem Berg, mit den Birken an der alten Straße, fiedelt ein Lied auf einem dürren Span und bläst ein Stückchen auf einem bleichen Rehschädel. Dann verschwindet er hinter dem Berg, um sich ein neues Spielzeug zu suchen. Hinter den Föhren auf der Düne hinter dem Moore sitzt er, hat sich die Pfeife angesteckt und pafft und pafft. Erst zieht er dünne, kleine Wölkchen, dann dickere, und schließlich qualmt er, als wenn ein kleiner Bauer backt. Und der Knaster, den er raucht, ist nicht von der besten Sorte: Torf, Risch, Renntiermoos, Heide und Föhrenzweige hat er in die Pfeife gestopft. In allen Dörfern in der Runde lassen die Leute bei der Grummeternte Sensen und Harken sinken, schnüffeln in der Luft, meinen, es komme ein stinkender Nebel aus dem Moor, und schanzen weiter. Aber die Sonne wird immer röter, der Himmel im Osten immer tiefer, die Luft immer dicker. Da sehen sie sich an, schütteln die Köpfe und wundern sich, daß im Westen die Luft hell und klar ist und im Osten so dick und schwer. Und auf einmal ist ein Laufen hin und her, Räder blitzen über die Landstraße, Wagen donnern durch gelben Mulm, und auf den grünen Wiesen und roten Buchweizenfeldern wird es leer und still.

Da aber, wo der Wind saß und rauchte, rund um das Moor, ist ein Gewimmel von weißen Hemdsärmeln, ein Geblitze blanker Schuten. In langen Reihen stehen die Männer da, Qualm im Gesicht, Qualm unter den Füßen, Qualm im Rücken. Vor ihnen ist alles ein dicker, weißblauer Dampf, aus dem ab und zu ein rotes Flämmchen bricht; neben ihnen kohlen schwarze Ringe im Boden, erweitern sich knisternd, rote Zungen lecken am Heidkraut, rote Funken huschen über das dürre Gras. Die Twicken fallen mit hartem Schlag nieder, die Schuten beißen knirschend in den Sand, dumpf poltern die Schollen, Schweißgeruch hüllt die Männer ein. Dann und wann ein langer, tiefer Schluck aus dem Blechtopf, den die Frauen und Kinder heranreichen, ein Strecken des schmerzenden Rückens, ein Recken der müden Arme, ein Streifen der schwarzen Hand über die müde Stirn, und dann hackt die Twicke wieder, knirscht die Schute, poltert die Scholle.

Die Sonne geht unter, unheimlich rot, als ginge sie zur allerletzten Rüste. Die ungeheure blaugraue, weiß durchwirkte, braun überzogene Rauchwolke glüht golden auf, loht feuerrot, leuchtet purpurn. Schwarze, schwere Wolkenballen verhüllen die Sonne, lassen sie wieder einmal auflodern, ersticken sie von neuem. Einmal noch funkelt sie über den Föhren, dann ist sie tot. Die Dämmerung steht über der Heide, eine doppelte, durch Qualm und Rauch verstärkte Dämmerung. Kaum schimmern die weißen Hemdärmel noch hindurch, von den Gesichtern der Männer sieht man nichts mehr; sie sind rußig und schwarz. Die Arme erlahmen, die Rücken brennen, die Knie zittern; aber solange die roten Flammen züngeln, dröhnen die Twicken, knirschen die Schuten rund um Heide und Moor.

Auf den heidwüchsigen Dünen, in den Besamungen der Heidberge, in den Föhrenhorsten der Hügel stehen die Rehe und schnuppern den stinkenden Qualm ein, der aus dem Moore kommt, da liegen die Hasen und das Birkwild, da schnürt unstet der Fuchs. Ihnen allen nahm der große Brand die Heimstatt. Viele von ihnen erstickte der blaue Qualm, tötete die rote Flamme. In dem Dorf vor dem Moor stehen die Frauen, die halbwüchsigen Kinder, die alten Männer in Gruppen auf den Straßen und reden halblaut über den Brand. Fast alle sind zu Schaden gekommen. Der hatte noch Torf draußen, einem anderen ist die gehauene Heidstreu aufgebrannt, dem wieder der Immenzaun mit allen Stöcken, und viel Busch und Holz ging verloren. Und das schlimmste ist, daß die Arbeit auf Feld und Wiese liegen bleiben muß, vielleicht eine Woche lang, wenn kein Regen niedergeht.

Lange Reihen grauer Schatten, halblaut redend und hart auftretend mit den hohen Stiefeln, ziehen in das Dorf. Andere Reihen begegnen ihnen, die Ablösung. Die ganze Nacht muß gewacht und gearbeitet werden, denn der Wind läßt nicht nach und steht steif auf das Holz zu, das zwischen dem Moor und dem Dorf liegt. Die Dorfstraßen sind voll von dem stinkenden Rauch. Die Nacht schlafen nur die Kinder im Dorfe. Gegen elf Uhr aber merken die Männer, die draußen in der Heide arbeiten, daß der Rauch ihnen nicht mehr in die Augen kneift, ihnen nicht mehr den Atem nimmt; der Wind hat sich gedreht, er kommt aus dem Westen. Und dort flammt auch ab und zu ein roter Schein, und bei seinem Leuchten steht da eine schwarze Wetterbank. Froher arbeiten die Leute weiter, denn sie wissen, daß sie Hilfe bekommen. Um Mitternacht poltert der Donner hinter den Heidbergen; einzelne dicke Tropfen fallen. Und dann rauscht es aus den Wolken, es zischt in der brennenden Heide, zischt im glimmenden Moore, langsam läßt der Rauch nach, wird der Qualm kleiner. In der ersten Morgenstunde schultern die Männer ihre Twicken und Schuten und gehen, naß bis auf die Haut, schwarz und schmierig an Händen und Gesichtern, im strömenden Regen heim und schlafen, bis der helle Morgen in die Fenster scheint. Dann gehen sie wieder in die Heide und dämpfen die letzten weiß qualmenden Brandstellen. Über sechshundert Morgen sind ausgebrannt. So weit die Augen reichen, ist alles schwarz und kahl. Hier und da ragen die Trümmer eines Immenzaunes, die schwarzen Gerippe verkohlter Föhren, das unheimliche Skelett eines verbrannten Machangels aus der flachen, düsteren Wüste. Ein Jahr wird wohl noch vorübergehen, ehe hier das Wollgras wieder wimpelt und die Heide wieder blüht, und lange wird es dauern, bis hier wieder Föhren wachsen. Der Buchweizen liegt naß im Felde und das Heu hat durch den Regen viel an Kraft verloren.

Der Bauer aber zuckt die Schultern. Klagen hilft nichts und es hätte schlimmer kommen können mit dem Heidbrand.


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