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Die Mühlbeeke

Unterhalb der hohen Geest kommt sie aus dem Sande gepoltert, die Beeke, und gleich mit sieben Quellen auf einmal, weshalb die Bauern das Wasser den Siebenspring nennen.

Eine kleine Weile rennen die sieben Springe jeder für sich zwischen Kraut und Moos herum, bis ihnen der Eichenbusch den Weg versperrt und sie zwingt, ihre Wässer zusammenzuschmeißen und gemeinsam weiter zu wandern.

Der eine und der andere versucht es hier oder da, sich abzustehlen und für seinen eigenen Kopf durch die Welt zu kommen, aber wo der Busch aufhört, steht der Müller, jagt sie alle auf einen Haufen zusammen, zwingt sie, das Korn zu mahlen, und sagt ihnen dann, sie möchten machen, daß sie weiter kommen.

Das tun sie dann auch, und zwar Hals über Kopf, denn das Müllergesellenspielen war ihnen durchaus nicht nach der Mütze und deshalb haben sie sich ein ganz tiefes Bett ausgeschachtet, indem sie denken, dann sähe der Müller sie nicht, und darin laufen sie, was sie können, daß es nur so spritzt und sprüht. Aber eine Weile weiter, wo die Mühlwiesen aufhören und der Müller sein Recht verloren hat, verschnaufen sie sich und lassen es langsamer angehen.

Ganz bequem machen sich die sieben Wasser, die nun eins sind, das jetzt, drücken sich nicht mehr aneinander und rennen zwischen Stämmen und Wurzeln dahin, sondern gehen breitspurig daher, als wenn sie sagen wollten: »Was gilt die Welt auf dem heutigen Markte? Wir haben Lust, sie zu kaufen!« Ein bißchen eilig haben sie es aber trotzdem, denn die Geschichte mit der Mühle liegt ihnen immer noch im Sinne, und es paßt ihnen durchaus nicht, daß sie sich bei den Weidekämpen bücken und unter dem Bruchwege durchquetschen müssen, und darum machen sie da, wo sie bei dem Übergang unter den drei dicken Steinen wieder zutage kommen, einen ganz gefährlichen Krach und spucken, daß es nur so spritzt.

Wehe dem Stichling und der Ellritze, die ihnen an dieser Stelle in den Weg kommen! Sie werden kopfoberst, kopfunterst gekegelt und kommen erst eine Weile weiter, wo die wütenden Wasser sich einigermaßen beruhigt haben, wieder zur Besinnung, sind aber dann meist so verdutzt, daß der Eisvogel, der dort gern auf dem großen Heckenrosenbusche lauert, sie spielend leicht erwischen kann. Von hier ab hat die Beeke es eine ganze Weile recht gemütlich und wird an einigen Stellen zuzeiten so übermütig, daß sie den ganzen Steindamm überspült. Dafür bekommt sie weiter unten ihre Strafe, denn ob sie will oder nicht, sie muß wieder unter einem Übergange durch, worüber sie natürlich fuchsteufelswild wird und mit den Stichlingen und Ellritzen von neuem Schindluder spielt.

Von da ab kann sie eine geraume Strecke machen, was sie will, höchstens daß sie ab und zu unter einer Brücke durchkriechen muß, denn weil sie inzwischen von rechts und links mehrere andere Quellbäche aufgenommen hat, ist sie schon so mutig geworden, daß sie sich die engen Durchlässe nicht mehr gefallen läßt. Als der Bauer ihr zumutete, sie solle ihren Weg durch ein Zementbetonrohr nehmen, wurde sie dermaßen falsch, daß sie den Erdboden rechts und links davon mitriß und der Bauer schnell das Rohr fortnahm und eine Brücke an dessen Stelle setzte. Aber den Streich, den sie ihm gespielt hatte, vergaß er ihr nicht, und als er seine neuen Wiesen fertig hatte, zwang er sie, ihm die zu berieseln, was sie denn auch, wenn auch erst nach allerlei Zappeln und Zieren, tat. Doch als er dachte, nun könne er ihr alles bieten und sie in seine Fischteiche hineinnötigen, spielte sie ihm einen ganz groben Schabernack, denn als das große Gewitterschauer kam, brach sie ihm die Deichwände durch und beredete fünfhundert Dutzend Forellen, auszukneifen, und der Bauer stand da und flötete hinter ihnen her. Zuletzt mußte sie aber doch klein beigeben und ihm den Gefallen tun, und als sie erst dahinterkam, daß er ihr das Wasser wiedergab, das er für seine Forellenzucht brauchte, fand sie, daß es eine ganz hübsche Abwechslung in ihrem Dasein sei, die vier Teiche zu durchrinnen, zumal von hier ab ihr Leben etwas langweilig wird.

Je älter sie nämlich wird, um so mehr geht sie in die Breite, wird behäbiger und bequemer, schlägt nicht mehr bei jedem kleinen Hindernis Lärm und nimmt es auch nicht mehr so krumm, muß sie fortwährend für die Kunstwiesen Wasser hergeben. Sie hat ja auch genug davon, mehr als genug. Aus dem Rauksberg springt ihr die mürrische Brummelbeeke bei und vom Barkenbusch der lustige Rinderborn, mit denen sie sich ausnehmend gut verträgt. Hingegen die braune Slieke, die im Dusterbrok entspringt, kann sie auf den Tod nicht ausstehen, und es dauert eine geraume Weile, ehe sie sich mit ihr verträgt. Die Slieke meint es aber nur gut, wenn sie die helle Flut der Mühlbeeke mit ihrem braunen Moorwasser gelb färbt, denn erstens sieht das dann, vorzüglich bei Sonnenschein, ganz großartig aus, zweitens muß die Mühlbeeke, so widerlich ihr das ist, vor der Brandheide die noch viel dunklere Fulbeck mitnehmen und ist nun schon etwas an das schwarze Volk gewöhnt und grault sich nicht mehr so sehr, wenn sich eine halbe Stunde später die beinahe ganze schwarze Schwattbeck zu ihr gesellt, ein ganz stinkfaules Wasser, das so langsam dahinschleicht wie ein Torfwagen und dabei so zähe ist, daß die Mühlbeeke sie mit Gewalt nicht los wird, schließlich ebenso stumpfsinnig dahinschwankt und im Bullenbruche vor lauter Langweiligkeit manchmal kaum von der Stelle kommen kann. Aber das tut sie vielleicht nicht bloß aus Langeweile, sondern am Ende vor Angst, denn eine halbe Stunde weiter unten im Moore lauert die Aue auf sie, und es hilft der Mühlbeeke weder Beten, noch Fluchen; mitgefangen, mitgehangen heißt es, und statt der lustigen Stichlinge, munteren Forellen und fröhlichen Ellritzen hat sie jetzt das Vergnügen, sich mit den stumpfsinnigen Karpfen, langweiligen Quabben und dösigen Aalen abgeben zu müssen, ein Verkehr, der ihr keineswegs standesgemäß vorkommt.

Voller Sehnsucht gedenkt sie dann der vornehmen Kreise, in denen sie früher verkehrte, der gemessen auftretenden Ringeltauben, die sich jeden Tag zweimal am Siebenspring tränken, der zierlichen Bachstelzen, die oberhalb der Mühle so gern an ihren Ufern umhertrippeln, der stolzen Schwäne, die sich in ihr spiegeln, wälzt sie sich durch den Mühlteich, des prunkvoll gekleideten Eisvogels, der sich am liebsten zwischen den beiden Übergängen aufhält, des einfach, aber hochfein angezogenen Reihers, dessen Bekanntschaft sie in den Forellenteichen machte. Von dem Augenblicke aber an, da sie sich mit der Slieke eingelassen hat, ist es aus mit dem feinen Besuch; einer nach dem andern von den besseren Gästen zieht sich von ihr zurück, und schließlich bleiben sie alle aus, und es läßt sich bloß noch allerlei gewöhnliches Volk, albern schnatternde Enten, großmäulige Frösche und dieser rücksichtslose Lümmel von Fischotter sehen, der sich lange nicht so gebildet benimmt, wie weiter oben die Wasserspitzmaus, und die Ufer mit den Resten seiner Mahlzeiten und auch sonst noch so zurichtet, wie sie es bis dahin nicht gewöhnt war, und anstatt daß ihr, wie früher, Heidlerche und Baumpieper, Zaunkönig und Frau Nachtigall ihre schönsten und besten Lieder singen, keift hier der Kiebitz, jammert der Kolüt, kreischt die Weihe und stöhnt die Mooreule, und die Himmelsziege, dieses Ekeltier, macht sich mit ihrem meckerigen Lachen obendrein noch über sie lustig.

Aber schließlich ist das weiter nicht verwunderlich, denn statt des Goldmilzkrautes, des Sonnentaues und des Beinheils, die um den Siebenspring wachsen, und statt der Hülsen, des Liebholzes und des Küssebusches, die sie oberhalb der Mühle begleiten, und statt der Krauseminze, des Königfarns und der Kuckucksblumen, die ihr weiterhin Gesellschaft leisten, drängt sich von der Zeit an, daß sie sich mit der Slieke einließ, lauter minderwertiges Volk an sie heran, Mäuseholz und Knooprisch, roter Hinnerk und Kunigundenkraut, bis zu allerletzt auch die zurückbleiben und nichts als das reine Lumpengesindel bei ihr bleibt, das zu weiter nichts taugt, als daß es die Kühe fressen, sei es grün, sei es als Heu.

Doch was hilft das alles; wie man es treibt, so geht es, und wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Aber trotzdem die Mühlbeeke von der Zeit an, daß sie mit der Aue denselben Weg geht, schwarz wie eine Zigeunerin und ebensowenig wohlriechend ist, so viel Stolz hat sie doch noch behalten, daß sie ihren guten Namen ablegte und sich bloß noch die Beeke nennen läßt und nicht mehr Mühlbeeke.


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