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Fast genau auf der Mitte zwischen den beiden Dörfern, die zwischen der Heide und dem Bruche liegen, steht an der Stelle, wo der Dietweg von dem Kirchwege geschnitten wird, eine alte Eiche, die von einem Kranze von Machangelbüschen umgeben ist.
Da sie auf offener Heide steht und weithin sichtbar ist, so ist sie ein Wahrbaum für die Gegend geworden, nach dem die Leute sich richten, wenn sie quer über die Heide gehen. Die Bauern nennen sie die Taterneiche, denn es zieht keine Zigeunerbande durch diese Gegend, ohne daß sie nicht unter dem Wahrbaum lagert. Das ist von jeher so gewesen. Alle Zigeuner, die hier vorbeikommen, sehen nach, ob die Banden, die zuletzt durchzogen, hier keine Wahrzeichen, durch die sie ihre Fahrrichtung oder andere Dinge von Wichtigkeit kundgaben, hinterließen, und sie selber lassen hinwiederum Zinken zurück, zwischen Steinen, die den Fuß des Baumes umgeben, unauffällig angebrachte Kreuzchen aus Zweigen, Grasbüschen oder Federn, mit einem farbigen Zwirnsfaden zusammengebunden, auch wohl gewisse mit Kreide gezogene Zeichen.
Es sind immer dieselben Bäume, die sie zu solchen Kundgebungen benutzen, und es sind immer Bäume, die auch für die ganze Gegend durch ihr Alter, durch ihre Größe oder durch die Stelle, an der sie stehen, von Bedeutung sind. Letzteres ist bei der Taterneiche der Fall, denn sicherlich ist die Stelle, auf der sie steht, wichtig, und darum blieb sie, als die andern alten Eichen gehauen wurden, stehen, damit die Wanderer, die den Dietweg entlang zogen oder den Kirchweg fuhren, Schatten vor der Sonnenglut oder Schutz vor einem Regenschauer finden konnten.
Die Stelle ist aber auch wie geschaffen zum Ausrasten. Man sieht von da weit ins Land hinein, über das Bruch mit seinen beiden Einzelhöfen hinweg, über das Moor und bis zu den Heidbergen mit ihren blauen Wäldern, aus denen hier und da ein Hof sichtbar wird, und läßt man die Augen nach rechts und links gehen, so überschaut man die heidwüchsigen, mit vielen Hunderten von Machangelbüschen bestockten Abhänge, einen Teil der Feldmark und der Wiesen, die die Bauern der Heide und dem Bruch abgewonnen haben, das Mühlenholz, aus dessen Eiche das moosige Strohdach der Mühle mit den Pferdeköpfen an den Windbrettern des Giebels hervorsteigt, den Bruchweg, zwei breite, sandige, von Birkenbäumen eingefaßte Triften und allerlei Büsche und Wäldchen, die sich hier ansiedelten, und zwischen denen dort und da ein Stück des lustigen Mühlbaches hervorblitzt.
So wunderschön ist die Aussicht, und so gemütlich sitzt es sich auf der Moosbank, die die Jungen zwischen den knorrigen Tagwurzeln des alten Baumes gebaut haben, daß ich, mag ich nun müden Schrittes von der Balz kommen oder straffen Ganges zur Pirsch wallen, jedesmal erst hier ein Weilchen rasten muß; denn es gibt hier immer allerlei zu sehen, das des Sehens wert ist, entweder den Schnuckenschäfer an der Spitze seiner zweihundertköpfigen, grauen Herde, an deren Flanken seine beiden Hunde, der eine fahl, der andere grau, einherjagen, oder die Hütejungen, die mit hellem Peitschenklappen und lautem Prahlen das schwarzbunte Vieh die Trift entlang treiben, Bauern in blauem, verschossenem Beiderwand, neben dem Wagen einherschreitend, oder ein braunarmiges Mädchen, das, den hellen Fluckerhut um das frische Gesicht, die Brust von dem roten Leibchen umschlossen, vor dem blauen Linnenrock die weiße Schürze, mit der Harke auf der Schulter zum Heumachen geht.
Auch dann, wenn sich kein Mensch blicken läßt, ist genug zu sehen und zu hören. In der Rieselwiese neben dem Mühlbache stelzt der Storch umher, und kaum ist er abgestrichen, da tritt eine Ricke mit ihrem Kitzchen aus dem Busch, oder ein paar Hasen laufen sich in dem weißen Sande trocken. Auf der Schirmkiefer, die bei dem großen, grauen Steine steht und wie segnend ihre Zweige über ihn breitet, läßt sich die Elster nieder, die in der Pappel bei der Mühle ihr Nest hat, und auf dem hohen trockenen Machangelbusche bei der Sandkuhle, dessen gespensterhaftes Gezweig in der Sonne wie altes Silber aussieht, fußt der Raubwürger und lauert auf eine Maus oder eine Eidechse; seine weiße Brust blendet weithin. Über den Wiesen taumeln die Kiebitze; es sieht aus, als wirbelt der Wind ein paar Lappen umher, die zur Hälfte weiß, zur anderen Hälfte schwarz sind, und über der dunklen Wohld kreist ein heller Bussard, während ein Brachvogel, der sich laut flötend in die Höhe schraubt, einen goldenen Halbmond vor dem lichten Himmel bildet. Dann flirren überall rote und gelbe Libellen, grüne und graue Sandkäfer blitzen auf, himmelblaue, graue und bräunliche Falter flattern über dem borstigen Gras, zwischen dem eine Heidlerche umhertrippelt, während eine andere unter den Wolken hängt und ihr süßes Liedchen herunterrieseln läßt. Überall aber in der Runde schlagen die Finken, schmettern die Baumpieper, locken die Meisen und zwitschern die Hänflinge und die Schwalben.
Aber das sind alles nur Kleinigkeiten, sind nur Nebensachen den großen Eindrücken gegenüber, die sich meinen Sinnen aufdrängen. Die Heide blüht; die ganzen Hänge sind rosenrot in allen Abstufungen, verstärkt durch die silbernen Stämme der Birken und die von der Sonne in zwei Farben, leuchtendes Goldgrün und stumpfes Schwarz, gekleideten Machangelbüsche, durch die starren, straffen Ruten des Ginsters und die wirren Klumpen der verkrüppelten Kiefern. Hier und da hebt sich ein grauer Irrstein aus dem rosenroten Untergrund ab, ein schmaler, weißer Weg, gefällig gekrümmt, zeigt sich teilweise, eines Stechpalmenhorstes blankes Blattwerk wirft gleißende Lichter um sich, und überall sprühen die Kiesel, die im Sande liegen, in der Sonne, die den Boden so stark erwärmt, daß ich sehen kann, wie die Luft über dem Heidekraut emert. Ein schwerer Honiggeruch wogt über das ganze Land hin, und das Summen der Bienen klingt wie das Brausen unsichtbarer Wellen.
Die hohe Zeit der Heide ist gekommen, ihre höchste Zeit. Aber auch dann, wenn der Honigbaum nicht blüht, wenn die Heide braun ist, ist es wunderbar schön hier, im Ostermond zumal, wenn das Bruch vom blühenden Porst rot ist, die Birkenbäume über und über mit Smaragden behängt und die Wiesen weiß gestickt und mit goldenen Säumen besetzt sind, oder späterhin, wenn jedes Stück Moorland vom Wollgrase mit Sommerschnee bedeckt ist, oder im Herbste, wenn aus den rosigen Blüten Silberperlen wurden und die Birken sich wie goldene Springbrunnen von der Heide abheben, lustig anzusehen. Aber auch dann, wenn Frostwinde wehen, kalte Nebel vom Moore heraufsteigen und jeden Zweig, jeden Stengel einspinnen, daß am andern Morgen Heide und Bruch ganz und gar versilbert sind, ist es herrlich hier unter dem Wahrbaum, wenn die Moosbank auch nicht mehr zur Rast einladet.
Wenn dann, Unwetter verkündend, die Sonne zwischen schwarzem und blutrotem Gewölk hinter den Heidbergen über dem Moore zu Bette geht, der Sturm die Kiefern antreibt, ihre dunkelsten Lieder zu singen, und die Machangeln so zaust, daß sie sich unwillig schütteln, wenn dann die Nebelhexen über das Bruch jagen, daß die Fetzen ihrer schlampigen Röcke über das fahle Gras hinschludern, die Winterkrähen mit rauhem Rufe dahintaumeln, dann lohnt es sich wohl, einige Zeit unter dem Wahrbaum zu weilen und den seltsamen Runen zu lauschen, die sein krauses Astwerk singt. Weisen aus uralter Zeit sind es, die sie kundgeben, aus den Tagen, da noch der wilde Wisent durch das Bruch zog und der grimme Grauhund seine Fährte in den Sand drückte, da an den Giebeln der Strohdachhäuser die Schädel der Mähren bleichten, die Wodan und Thor zu Ehren in dem heiligen Kreise auf dem Hingstberge, der dort über den anderen Hügeln sein braunes Haupt erhebt, unter dem Steinmesser zusammenbrachen, oder von den fröhlichen Abenden, wenn festumschlungene Paare nach dem Friehdloh, dem Walde der Frigga, zogen und der guten Göttin weiße Blumen streuten, damit sie ihren Bund segne.
Solcherlei Weisen vermag der alte Baum zu singen und auch andere, aus denen es wie Hörnerklang und Kampfruf klingt, wie Siegesjauchzen und Sterbegestöhne. Das Volk, das heute noch hier in der Heide den Acker baut, ist dasselbe, das einst die wilden, gelbgesichtigen Fischer und Jäger vertrieb, das die römischen Kohorten im Moore abwürgte, sich drei Jahrzehnte lang der welschen Völker, die Karl der Franke in das Land einführte, erwehrte, und das sich in Jahrhunderte währenden Kämpfen mit den Wenden katzbalgte. Sie haben viel Böses erlebt, die Heidjer, von der Zeit her, da sie mit Rossen und Wagen und Vieh von Nordland hier eindrangen, den Wald rodeten und die Heide brachen, bis zu der Zeit, da kaiserliche und schwedische Soldknechte hier schlimmer als die Teufel hausten, und so ist es kein Wunder, daß ihre Augen kalt und ihre Lippen schmal wurden.
Wer aber einen Scheffel Salz mit ihnen gegessen hat, der weiß, welche goldenen Herzen sie haben, wieviel Güte und Treue und wieviel Fähigkeit und Kraft aber auch hinter den stillen Gesichtern verborgen liegt. Nur schwer tauen sie auf, nur langsam gehen sie aus sich heraus. Sie sind geartet wie die Eichen, unter denen ihre einsamen Höfe liegen; die lassen ihre Knospen erst aufbrechen, wenn die Birken sich schon längst begrünt haben und die Buchenbäume das volle Laub tragen, aber dann strahlt das junge Blattwerk an den grauen Ästen über dem knorrigen Stamm auch wie lauter Gold.
Deshalb wohl, weil sie ihrem ureigenen Wesen so ähnlich ist, lieben sie die Eiche auch vor allen Bäumen, und darum gilt als Wahrzeichen für den Wanderer fast immer eine Eiche als Wahrbaum.