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Das grüne Gespenst

In dem Bache hier wuchert in dichten Polstern ein dunkelgrünes Kraut. Vor zwei Jahren war es noch nicht da. Ein halbes Jahrhundert ist es her, da ertönte ein Schreckensruf durch ganz Deutschland. In Berlin ward er zuerst gehört und pflanzte sich von da fort, mächtig widerhallend, Furcht und Entsetzen überall erweckend, wo er vernommen ward. Von Amerika war ein unheimliches Wesen erschienen, so noch nie erblickt war in deutschen Landen. Es hatte die grüne Farbe des Schlammes, war weich und biegsam und über die Maßen zerbrechlich, und gerade darum so furchtbar.

Dieweil es im Wasser der Flüsse und Seen lebte, erst heimlich auf dem Boden dahinkriechend, sich nährend von Moder und Fäulnis, dann sich reckend und streckend, bis es stark und groß war, den Wasserspiegel erreichte und über die Ufer hinausquoll, faulige Dünste verbreitend, benamsete das baß erschrockene Volk es die Wasserpest.

Das grüne Gespenst war das Pflänzlein, das hier den Bach erfüllt; von Kanada gelangte es um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nach Irland und wurde im botanischen Garten zu Berlin gezogen, bis es ihm da zu langweilig wurde und es einen unbewachten Augenblick benutzte, um sich ein wenig weiter in der Welt umzusehen. Ein kleines Stückchen davon, knapp einen Zoll lang, war es, da es in die Spree gelangte. Da trieb es sich so lange herum, bis es in eine Bucht kam, und begab sich schleunigst daran, aus seinen Gelenken lange, dünne, weiße Würzelchen zu treiben, mit denen es sich im Ufersande verankerte. Und als es mit dieser Arbeit fertig war, lachte das grüne Koboldchen und fing an zu wachsen, daß es schon nicht mehr schön war, und wuchs und wuchs bis an die Grenzen der Unmöglichkeit, bis ihm die Spree zu klein war, und so kam es in die Netze und in die Warthe und in die Oder und in die Weichsel und in die Elbe auch, und in die Weser erst recht und schließlich auch in den Rhein und in die Donau, und es erhub sich überall ein erschreckliches Heulen und Zähnegeklapper, denn der Tag schien nicht mehr fern, da alle Binnengewässer Europas bis zum Rande mit dem Kraute gefüllt waren, so daß kein Schiff mehr fahren, kein Mensch mehr baden, keine Ente mehr gründeln und kein Fisch mehr schwimmen konnte.

Dem war aber nicht so; denn als einige Jahre vergangen waren, da sank das grüne Gespenst bis auf ein bescheidenes Maß in sich zusammen. Es hatte zu gierig die Stoffe, die Wasser und Schlamm ihm boten, aufgezehrt, und nun rächte sich dieser selbstmörderische Raubbau an ihm. Nicht mehr brauchte die Menschheit sich seinetwegen mit Gänsehäuten zu bedecken und sich die Glatzen zu raufen, nicht mehr ihm mit Harken zu Leibe zu gehen, es den Fluten zu entreißen und an das Land zu zerren, auf daß es dort elend verdorre. Nach wie vor fuhren die Schiffe, badeten die Menschen, gründelten die Enten, schwammen die Fische, und als man sich den Schaden mit ruhigerem Gemüte besah, da stellte es sich sogar heraus, daß dort, wo das schreckliche Kraut üppig wucherte, die Fischzucht sich bedeutend gehoben hatte, denn die junge Brut fand in dem dichten Rankengewirre herrlichen Unterschlupf und konnte sich prächtig vor den Raubfischen bergen.

Als das bekannt wurde, beschafften sich alle klugen Fischzüchter eine Handvoll Wasserpest, warfen sie in nahrungsarme und pflanzenleere Teiche und Bäche und stellten in wenigen Jahren fest, daß der Fischbestand sich erfreulich gehoben hatte. Aber wie der Mensch nun einmal ist, es fiel ihm nicht ein, das gute Kraut nun auch wieder ehrlich zu sprechen, es vielleicht Wassersegen zu nennen oder so ähnlich; nach wie vor blieb es die Wasserpest, und heute noch bekommen manche Menschen einen kalten Rücken, wird der Name genannt, heute noch, wo Hunderttausende von Mark mit der Wasserpest verdient werden, denn sie ist eine stark begehrte Aquarienpflanze, von der in den großen Städten, in denen es Menschen gibt, die die Natur nur aus den Schaufenstern und vom zoologischen Garten her kennen, Tag für Tag Bündel um Bündel, drei fingerlange Stengel enthaltend, für einen Groschen und mehr verkauft werden. Viele pflanzenarme Teiche, Seen und Bäche sind durch sie angereichert, viel hagerer Boden ist mit ihr gedüngt, in dürren Jahren auch manches Stück Vieh mit ihr gefüttert, aber darum behält sie doch noch immer den alten Übel-, Ekel- und Schaudernamen, obwohl sie von allen grünen Gespenstern das allerharmloseste ist.

Denn deren gibt es eine ganze Menge. Manche sind ungefährlicher Art, wenn sie auch, als sie zum ersten Male auftauchten, den Menschen ebensosehr in Angst versetzt haben werden wie die arme Wasserpest. So pflanzte sich vor einigen Jahrzehnten ein langes, dürres, erbärmlich blühendes Kraut an unseren Bahndämmen auf, ebenfalls ein Kanadier, das kanadische Flöhkraut, auch Kuhschwanz genannt, und verursachte vielfach erhebliches Erblassen, zumal, als es ruchbar wurde, daß besagte Pflanze in dreißig Jahren rund um die Erde gewandert sei. Aber es tat keinem Menschen wehe, wenn es auch nicht schön zu sehen und lieblich zu riechen war, denn bescheiden hielt es sich an den Bahndämmen, Straßenböschungen und Schuttplätzen und mied die Gefilde gänzlich. Es war nichts Gutes gewöhnt, wie eine Magd, die statt der üblichen Pellkartoffeln nebst Heringsschwanz bei der neuen Herrschaft Braten zu Mittag bekam und darum kündigte, und so macht es das Flöhkraut auch; fettes Leben verträgt es nicht und geht im Bogen um gedüngtes Land und guten Boden herum. Da ist das Franzosenkraut anders; je mehr Mist es vorfindet, um so besser gefällt es ihm in Feld und Garten. Es stammt aus Peru und mogelte sich über Frankreich zu uns ein, wo es sich bald so unbeliebt machte, daß in vielen Gegenden vereidigte Männer zu bestimmten Zeiten von Feld zu Feld gehen und den Grundbesitzer, der das Kraut nicht ausgerodet hat, in schwere Strafe nehmen. Im anderen Jahre ist aber trotzdem das üble Gewächs wieder da, denn es hat in seiner Schlauheit einen Vertrag mit den Spatzen, diesem Unkraut unter den Vögeln, geschlossen, und die säen es auf wenig anständige Weise auf beschotterten Fabrikdächern aus und bringen den reifen Samen auf dieselbe Art wieder in Feld und Garten.

Überhaupt die Spatzen! Der Teufel soll sie schockweise holen und ihretwegen müßte man den Sperber schonen. Da hat so ein Gemüsezüchter seinen Garten im Schweiße seines Rückengelenkes unkrautrein gemacht und denkt nun, das hält vor. Doch nach vier Wochen schießt der Gartenknöterich massenhaft aus der Erde, überall wimmelt es vom gelben Sauerklee, allerorts schießen Schuttmelden und anderes Ungekräut auf, und der jungen Quecken ist kein Ende. Und wer ist schuld daran? Der Spatz, dieser Lump unter dem Federvolk, der Blumen und Nutzpflanzen zerbeißt, um Unkräuter anzupflanzen, denn gleich und gleich gesellt sich gern. Aber der Buchfink hilft ihm wacker dabei, denn böse Beispiele verderben die besten Sitten, und Hänfling, Stieglitz, Ammer und Lerche sind auch nicht so brav, wie sie behaupten, und sorgen reichlich dafür, daß der Landmann und Gärtner einen geschmeidigen Rücken behält. Aber an allem Ärger, den ihm die grünen Kobolde und Gespenster bereiten, sind sie doch nicht schuld.

Da erschien 1828 in der Walachei ein Kraut, dessen sich die ältesten Greise nicht mehr erinnerten, die dornige Spitzklette. Das hatten nicht die Spatzen in ihrem Gedärm, sondern die Kosakenpferde in ihren Schweifen aus Halbasien eingeschleppt, denn es besitzt dornige Früchte, die von rührender Anhänglichkeit sind. Die Botaniker freuten sich über die Bereicherung der Pflanzenwelt, aber aus dem Jubel wurde bald Weheklagen, denn das Schandkraut verbreitete sich von da nach Ungarn und Deutschland, und als es gar nach Australien und Amerika gelangte, da bekam es erst recht Lust und wuchs sich zu einem Schreckgespenst schlimmster Güte aus, zu einer Landplage scheußlicher Art, denn es verdarb mit seinen dornigen Früchten die Schafwolle greulich, und in Chile hingen sie den Pferden in ganzen Klumpen sich in die Schweife und Mähnen, so daß die Tiere elendiglich daran zugrunde gingen. Auch bei uns macht sie sich stellenweise so breit, daß sie hier und da unter Polizeiaufsicht gestellt werden mußte.

Genau so ging es einer anderen Pflanze, der Sommerwucherblume, einem bildschönen Kraut, dessen goldene Blüten der Landschaft zum herrlichen Schmuck gereichen. Aber der Landwirt denkt nicht künstlerisch genug, um sich des holden Anblicks zu erfreuen, und eine Marschall Niel oder La France dünkt ihm, steht sie zwischen seinem Weizen, nicht minder ein Unkraut als Distel und Quecke. Darum schont er der goldnen Blume nicht und rottet sie mit Stumpf und Stiel aus, und ist er zu bequem dazu, so gibt ihm der Landrat einen Wink mit dem Gendarm, und der kostet einige Taler. Ach ja, die Schönheit ist ein sehr persönlicher Begriff! Lieblich ist die Kornblume, hübsch die Rade und schön der wilde Mohn, und wo sie mit blauen, purpurnen und scharlachnen Blüten das Feld schmücken, da verdreht der Städter die Augen vor wonnigem Entzücken und findet den Anblick entzückend. Der Bauer aber pfeift auf die Poesie dieses Anblickes und schreibt seinem Getreidehändler einen sacksiedegroben Brief, weil er Roggen und keinen gemischten Blumensamen für ein buntes Beet bestellt hat, denn anstatt seine Brotfrucht nach der Windmühle vor dem Dorfe fahren zu können, muß er sie an die Dampfmühle verkaufen, die mit Schüttelsieben und Gebläsen den Unkrautsamen von der Brotfrucht zu scheiden weiß, und der Bauer muß seine Brotfrucht selber kaufen, und das tut er nicht gern. Deshalb macht er sich im allgemeinen aus Blumen überhaupt nicht viel, denn er muß immer dabei an allerlei Kraut denken, das reizend aussieht und ihm abscheulich schadet.

Vielleicht hat auch er, als mit dem Roggen Kornblume, Rade und Klatschmohn zuerst aus Asien einwanderten, sich der hübschen Blüten gefreut und sie im Acker geduldet, bis er eines Tages einsah, daß er dabei der Dumme war. Vielleicht hat ihm sogar der goldene Hederich Vergnügen gemacht, als der zuerst auftauchte; aber als schließlich vor lauter Hederich die grüne Saat ein gelbes Blumenbeet wurde, da wurde er fuchsteufelswild und wütete unter den holden Blümelein wie Saul unter den Philistern, ohne daß es ihm sehr viel half, denn die dreimal vermaledeiten Spatzen hielten es natürlich mit dem Hederich und sorgten dafür, daß die eintönig grüne Fläche des Ackers auch im nächsten Jahre wieder durch reichliche Beimengungen von goldenen Blumen reizvoll unterbrochen war. So ist es auch wohl gekommen, daß der Landwirt im Laufe der Jahrtausende eine Hundeangst vor allem Neuen bekam, vor allem dann, wenn es sich in gefälliger Form einführte, denn zu oft war er damit hineingefallen, und wenn er etwas an den Lupinen, der Esparsette, dem Buchweizen, der Serradella, der Luzerne und dem Inkarnatklee auszusetzen hat, so ist es der Umstand, daß diese nützlichen Gewächse schön blühen, ja, es ist Tatsache, daß die Kartoffel sich anfangs nur deshalb so schwer einführte, weil sie dem Landmann wegen ihrer hellen Blüte verdächtig war, wie er denn jetzt auch nur ganz langsam daran gehen mag, die knollige Sonnenblume als Viehfutter zu bauen, denn ihre schönen goldenen Sterne lassen ihn vermuten, daß sie vielleicht versteckte Absichten habe, zumal sie von wer weiß woher ist.

Er hat nicht so unrecht. Vielerlei, das mit bunten Blüten über Land und Meer kommt und um ein Plätzchen bei ihm bittet, hat sich nachher recht undankbar dafür benommen. Zwar gibt es einige bunte Blumen, die von ferne kamen, die sein Vertrauen nicht täuschten, so die himmelblaue Wegewarte, auf deutsch Zichorie genannt, der goldgelbe Frauenflachs, der rote Gauchheil, das feurige Donnerröschen, der sonnenfarbige Rainfarn, aber schon der veilchenblaue Rittersporn und der purpurne Erdrauch machen sich leicht zu breit, duckt der Bauer sie nicht, wo er es kann. Mit der Zeit sah er alles schief an, was nicht sein Urgroßvater schon kannte und duldete, und es war ihm gar nicht recht, daß sich an dem Bahndamme vor dem Dorfe die Nachtkerze ansiedelte und ihre herrlichen, großen, goldenen Blüten entfaltete; »trau, schau, wem,« dachte er und schlug sie mit dem Stocke um. Als Blume gilt ihm nur das, was so gut erzogen ist, daß es hübsch brav da bleibt, wo es hingesetzt wird, im Garten; alles andere ist ihm Unkraut, und wenn es auch in allen Farben des Regenbogens schimmert und nach Myrrhen und Weihrauch duftet, vorausgesetzt, daß es nicht schon von Anbeginn da war und den Beweis erbracht hat, daß er sich darauf verlassen kann. Und weil er mit den bunten Blumen so oft üble Erfahrungen gemacht hat, darum ist er milde gegen solche Kräuter, die nicht mit feuerrotem, himmelblauem und goldgelbem Gepränge daherkommen, sondern ein schlichtes Gewand tragen und keinen knallbunten Schlips vorhaben, wie die Nessel, die Klette, die Melden und der gute Heinerich.

Selbst wenn sie ihm lästig sind, wie Nachtschatten, Wolfsmilch und Haferdistel, sie ärgern ihn nicht so sehr wie das, was da rot und blau und gelb prahlt und prunkt und protzt und dadurch mit ihm anzubinden sucht, daß es künstlerische Wirkungen schindet. Grün ist das Feld, grün ist die Wiese und grün der Wald; darum fürchtet er sich nicht vor dem, was nur grün ist.

Aber der des Grünen entwöhnte Städter erschrak bis in das Mark, als die Wasserpest einwanderte, und sie erschien ihm als ein grünes Gespenst.


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