Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heidgang

Der Himmel ist dunkelblau und wolkenlos; alle Sterne blitzen, es leuchtet der blanke Mond.

Der leise Wind ist scharf und spitz; er rauscht in den Hofeichen, raunt in den Fuhren an der Brücke, raschelt in den Birken an der Straße.

Durch den schwarzen Wald führt ein schmaler Weg; wie reines Silber leuchtet er im Mondlicht; die dunklen Schatten der Zweige hüpfen auf ihm einen unheimlichen Tanz.

In die dunkle Heide kriecht der weiße Weg, versinkt im nassen Moor und steigt wieder an der dunklen Düne herauf; da liegt ein großer weißer Stein vor einem schwarzen Riesenwacholder. Hier warte ich auf den Tag.

Dunkelheit ist um mich und Schweigen, eine Dunkelheit, verstärkt durch die hellen Lichter am Himmel, ein Schweigen, vermehrt durch der ziehenden Drosseln dünnes Pfeifen.

Ein Stern versinkt im schwarzen Moor; ein Eulenruf verhallt im Raunen der Krüppelfuhren; das fahle Gras im Quellgrunde flüstert ängstlich, der Born singt ein dunkles Lied, ein Lied ohne Worte.

Die Dunkelheit beginnt zu leuchten, und die Stille singt und klingt; vergessene Stimmen reden, begrabene Gesichter tauchen auf, reden mit stummen Lippen und sehen mich mit toten Augen an.

Knaben mit hellem Haar, Greise mit lichten Bärten, Mädchen in silbernen Gewändern und Frauen in Nebelkleidern wallen in langem Zuge an mir vorbei; alle drehen die streng geschnittenen Gesichter nach mir und winken mit weißen Händen langsam und lautlos.

Alle habe ich sie gekannt, alle, alle; sie waren im Moor der Vergessenheit versunken; ich wußte ihre Gesichter nicht mehr und konnte mich auf ihrer Stimmen Klang nicht mehr besinnen alle die hellen Tage meines Lebens.

In dieser Dunkelheit sehe ich sie deutlich, und laut reden sie mir zu in diesem Schweigen, winken und nicken und seufzen und flüstern und sagen, ihre Sehnsucht nach mir sei groß; sie warten auf mich.

Im Ringelreihen wallen sie um mich herum, im Kringelkreis rücken sie näher zu mir, streifen mich mit kühlen Händen, langen nach mir mit feuchten Fingern, küssen mich mit kalten Lippen, flüstern mir tonlose Worte zu.

Wehrlos bin ich auf den Findelstein gebannt; hinter mir sperren des Wacholders Arme mir die Flucht, vor mir wallt die bleiche Schar mit eng verschränkten Händen. Kalt läuft es mir den Rücken herunter.

Ein lauter Ruf hallt durch die Nacht; im Dorfe kräht der erste Hahn. In Nebel zerfließen die Toten, zum Gesurre des Grases wird ihr Geflüster, zum Rauschen der Zweige ihrer Stimmen Geraune; über das Moor kommt langsam der Tag. Kommt mit Drosselpfiff und Lerchenlied, mit Frühwindpfeifen und Astgeknarre; die Sterne erbleichen vor dem Rosenschein über dem Moor, und der Mond verblaßt vor dem goldnen Licht, das hinter dem Walde auftaucht.

Die Dunkelheit flieht, und das Schweigen schwindet; die hohen Birken am Wegrande schütteln den Schlaf aus den Zweigen, die stolzen Wacholderbüsche beugen die steifen Nacken, der Born im Grunde besinnt sich auf ein lustiges Lied.

Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf die abgeblühte Heide und versilbern den Reif, zu dem der Frühwind die Nebelperlen erstarren ließ; die Stämme der Birken blitzen und blinken wie Silber, ihre Kronen leuchten und lodern wie Gold, und zwischen allen Wacholderzweigen zittern diamantene Gewebe.

Drommeten und Fanfaren erschallen im Moor; hundert Kraniche grüßen den goldenen Tag; ein Birkhahn schlägt die Trommel dazu, Meisen klimpern das Triangel, Häher und Krähen quarren dazwischen, und hoch aus der Luft ruft der Rabe.

Über weißen Sand und grüne Fuhren, gelbes Moor und braune Heide gehen meine Augen hin und her, den langsamen Füßen voraus; an Postbrüchen wandern sie vorüber, die in allen Farben glühen, an grünen Schneisen vorbei, von Silbertau funkelnd, an alten Fuhren, deren rauhe Stämme wie frischgetriebenes Kupfer glühen, und bleiben immer wieder auf jedem Heidhügel hängen, dessen warmes Braun zwischen harten blaugrünen Zweigen auftaucht.

Sie folgen dem fahlen Hasen, der über die Heide hoppelt, den grauen Rehen, die über die Wege ziehen, dem kreisenden Bussard über den Kronen und der roten Brust des Gimpels, die aus dem Fichtenhorst leuchtet.

Jeden blanken Stein im Wege finden sie, alle tiefen Fährten im feuchten Sand; des Goldhähnchens feurige Haube entgeht ihnen nicht, nicht des Faulbaums pechschwarze Frucht und des Fliegenpilzes brennendroter Hut. Über alles gehen sie fort und wandern immer weiter, von der Heide zum Holz, vom Holz in die Heide.

Wo der Knüppeldamm blank voller Wasser steht, schlägt ein Zweig klingend an den Büchsenlauf; ich hatte gar nicht mehr an die Büchse gedacht; der helle Klang erinnert mich an sie und die Fährten im schwarzen Boden; hier zogen die Hirsche heute nacht. Gestern wechselten sie am Born vorbei, wo ich vorhin saß, wieder vergebens, wie so oft schon.

Aber kein Ärger kommt in mir hoch; danke ich dem Hirsch doch so manchen goldenen Abend, danke ich ihm doch so manchen silbernen Morgen, Nächte voll Sterne und Tage voller Sonne, heimliche Stunden auf dem rostroten Hau und stille Gänge im graublauen Tannengedämmer, wenn die sinkende Sonne dem einschlafenden Walde goldene Träume gab.

Goldene Träume, an die er denkt beim Erwachen; alles um mich herum loht und lodert und leuchtet im Morgensonnenlicht, die modernden Stämme, die welkenden Farne, die faulen Stümpfe, die toten Äste; alles Leben wird lebendiger im Lichte. Die dunkelen schräghängenden Fichtenzweige sind erfüllt von dem Gepiepe unsichtbarer Goldhähnchen und versteckter Meisen, Specht und Häher schreien und rufen, Drosseln und Amseln locken in allen Winkeln, Eichkatzen schnalzen in den Wipfeln, auf den moosigen Wurzeln singt der Zaunkönig, und über dem Walde jauchzt der Bussard.

Aber schöner noch, als im feuchten, engen Wald, ist es auf dem weiten, breiten Hau; der Herbst, der rote Mörder, ist durch den Adlerfarn gegangen und durch die Eichenjugenden; er segnete ihre Blätter mit seiner Bluthand und benedeite ihr Laub mit seinen Mörderaugen; da verloren sie ihre grüne Kraft und ihr frisches Leben, welkten und verdorrten.

Sie starben einen schönen Tod, einen Tod voller Glanz und Pracht; im lachenden Lenz ihrer Jugend und im prangenden Sommer ihrer Kraft waren sie nicht so herrlich geschmückt, wie in dem Sterbekleide, das der Herbst ihnen gab.

Die Sonnenstrahlen zittern auf dem Farbengewoge, ziehen Wasserdämpfe aus dem feuchten Gebüsch, brechen sich in weich fließenden Nebelschwaden, prallen mit silbernem Gefunkel von den rindenlosen Stümpfen und mit goldenem Geflimmer von den gehauenen Stämmen zurück.

Ein langgezogener, glasglockenklarer Ruf ertönt, ein ganz unirdischer Laut; ein gellendes Teufelsgelächter klingt hinterher. Ein großer Vogel, schwarz wie die Nacht, von seltsamer Gestalt, stiebt mit hartem Flug heran und bleibt an dem silbergrauen Stamm der toten Fichte hängen.

Der Schwarzspecht ist es, der zauberkundige Vogel, der die Springwurz wachsen weiß, die aller Türen Schlösser sprengt und aller Frauen Herzen dem, der sie bei sich trägt. Man sieht es ihm wohl an, daß er eigene Künste kann; umsonst trägt er auf dem Scheitel nicht die rote Flamme.

Dreimal in streng bemessenen Pausen rutscht er rasselnd um den rauhen Stamm, dreimal klopft er laut dagegen; dann läßt er seinen sehnsuchtsvollen Glockenruf erschallen, stößt sein Höllengelächter aus und stiebt in den düsteren Wald hinein.

Ich stehe immer noch und starre auf die Farben der Farne und des Laubes Lichter, sinnend, ich weiß nicht was, träumend, ich weiß nicht wovon, sehe wohl einen grauen Fleck zwischen roten Brombeerranken und hohen Halmen, denke aber nicht an Wild und Weidwerk.

Bis der graue Fleck verschwindet und wieder auftaucht im braunen Kraut, die Zweige zittern und die Büsche beben läßt, und über den Lauschern weißblitzende Enden weist. Da zerfliegt das Sinnen, zerflattert der Traum, ich ziehe die Büchse von der Schulter und den Kolben an den Kopf; das Auge richtet Kimme und Korn, der Büchsenlauf senkt und hebt sich, der Schuß brüllt durch die Morgenstille, der Häher schreit, die Amsel zetert, in die rotgoldene Farbenpracht der sonnigen Rodung kriecht der blaue Pulverdampf.

In langen Streifen zieht er über die dunklen Binsen und die hellen Halme, schleicht über die braunen Farne und die roten Eichen, wirbelt um den Silberstamm der toten Tanne, flattert durch das glitzernde Astgewirr der gehauenen Fuhren und läßt die Blöße wieder flirren und flimmern in Glut und Glanz.

Über Äste und Zweige, Wurzeln und Stämme trete ich von einem Moospolster zum andern, leise und langsam nach Mörderart. Ich wecke den Bock nicht mehr; er hat den Schuß nicht vernommen; er liegt, als schliefe er, den Kopf zwischen den Läufen; rechts und links von ihm funkeln rote Korallen im dunkelgrünen Moose.

Einen Augenblick zürne ich mir selbst, einen kurzen Augenblick nur. Kurz war der Knall und schnell war sein Tod; wohl dem, dem solch Ende beschieden wird: aus der Sonne hinaus den Sprung in die Nacht hinein.


 << zurück weiter >>