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Will man einem Staat eine neue Verfassung geben, und soll diese Neuerung angenommen und zur Zufriedenheit eines jeden erhalten werden, so muß man unbedingt einen Schatten der alten Einrichtungen beibehalten, damit die Staatsordnung dem Volk unverändert erscheint, auch wenn sie völlig verändert ist. Denn die Mehrzahl der Menschen läßt sich mit dem Schein so gut abspeisen wie mit der Wirklichkeit, ja oft wird sie mehr durch den Schein als durch die Dinge selbst bewegt. Die Römer erkannten diese Notwendigkeit schon im Beginn ihres Freistaates. Als sie daher an Stelle des Königs zwei Konsuln gesetzt hatten, erlaubten sie diesen nicht mehr als zwölf Liktoren, so viel wie die Könige gehabt hatten. Da ferner in Rom alljährlich ein Opfer stattfand, das nur der König in eigner Person darbringen durfte, und die Römer nicht wollten, daß das Volk einen der alten Bräuche vermißte, ernannten sie für dies Opfer einen besonderen Opferkönig und ordneten ihn dem Oberpriester unter. Damit blieb das Volk im Genuß des Opferfestes und hatte niemals Veranlassung, wegen seines Fehlens die Rückkehr der Könige zu wünschen.
Dies muß man stets beachten, wenn man in einem Staate eine alte Regierungsform abschaffen und dafür eine neue freie Verfassung einführen will. Denn alles Neue erregt die Gemüter der Menschen; man muß also dafür sorgen, daß die Veränderungen soviel wie möglich vom Alten bewahren, und wenn die neue Obrigkeit an Zahl, Gewalt und Amtsdauer von der alten abweicht, wenigstens die Namen beibehalten. Das gilt, wie gesagt, sowohl für die Umwandlung eines Staates in ein Königreich wie in eine Republik. Wer aber eine absolute Monarchie, eine sogenannte Tyrannis aufrichten will, der muß alles verändern, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden soll.