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Den Philosophen, nach denen die Welt ewig ist, könnte man wohl entgegenhalten, daß, wenn ein so hohes Alter zuträfe, wir vernünftigerweise Nachrichten über 5000 Jahre hinaus haben müßten; allein man sieht, daß das Andenken vergangener Zeiten aus verschiedenen Ursachen erlischt. Sie rühren teils von den Menschen, teils vom Himmel her.
Von den Menschen rührt der Wechsel der Religionen und Sprachen her. Denn entsteht eine neue Sekte, d.h. eine neue Religion, so ist es ihr erstes Bestreben, die alte auszurotten, um sich Ansehen zu verschaffen. Trifft es sich, daß die Stifter der neuen Sekte eine andre Sprache sprechen, so gelingt es ihnen leicht. Das sieht man daraus, wie die christliche Religion mit der heidnischen verfuhr, wie sie alle ihre Einrichtungen und Bräuche abschaffte und jede Erinnerung an die alte Theologie auslöschte. Es gelang ihr allerdings nicht, jede Erinnerung an die Großtaten ihrer ausgezeichneten Männer auszulöschen. Das kam aber daher, daß sie die lateinische Sprache notgedrungen beibehielt, da sie das neue Gesetz in ihr aufschreiben mußte. Hätte man es in einer neuen Sprache schreiben können, so hätte die Verfolgungswut keine Nachricht von der Vorzeit übriggelassen. Wenn man liest, wie der Heilige Gregor Papst Gregor der Große (590-604). und die übrigen Häupter des Christentums verfuhren, so wird man sehen, wie hartnäckig sie alle Erinnerungen an das Altertum verfolgten, wie sie die Werke der Dichter und Geschichtsschreiber verbrannten, die Bildwerke zerschlugen und alles zerstörten, was Zeugnis vom Altertum gab. Wäre zu dieser Verfolgung noch eine neue Sprache gekommen, so wäre in kürzester Zeit alles in Vergessenheit geraten. Es ist daher anzunehmen, daß die heidnische Religion gegen die, die ihr vorherging, genauso verfuhr, wie das Christentum gegen das Heidentum zu verfahren bestrebt war. Da aber die Religionen in 5 bis 6000 Jahren zwei- bis dreimal wechselten, so ging die Erinnerung an das früher Geschehene verloren. Und wenn doch eine Spur davon übrigbleibt, so betrachtet man sie als fabelhaft und glaubt nicht daran. So geht es mit der Geschichte Diodors von Sizilien, die von 40 bis 50 000 Jahren berichtet, was aber, wie ich glaube, mit Recht für lügenhaft gehalten wird.
Die Ursachen, die vom Himmel herrühren, sind Naturereignisse, die das Menschengeschlecht vertilgen und von den Bewohnern eines Weltteils nur wenige übriglassen. Und zwar geschieht das durch Pest, Hungersnot oder Überschwemmungen. Die letzteren sind die wichtigsten, weil sie am ausgedehntesten sind, und auch weil die Davonkommenden lauter Bergbewohner und rohe Leute sind, die selbst nichts vom Altertum wissen und daher auch ihren Nachkommen nichts davon hinterlassen können. Nach Polybios, VI, 5, <sub>5</sub> f. Ist unter den Entkommenen auch einer, der Kenntnis davon hatte, so hält er sie doch geheim, um sich Ansehen und Ruf zu verschaffen, und verdreht sie nach Gutdünken, so daß die Nachkommen weiter nichts erfahren, als was er aufzuschreiben für gut hält.
Daß aber solche Überschwemmungen, Pest und Hungersnot vorkommen, scheint mir nicht zweifelhaft, weil alle Geschichtsbücher voll davon sind, ferner, weil man die Wirkung davon im Vergessen aller Dinge sieht, und schließlich, weil die Sache begründet erscheint. Wie die Natur bei einfachen Körpern, wenn sich viele überflüssige Stoffe darin angesammelt haben, sich oft von selbst rührt und eine dem Körper heilsame Reinigung vornimmt, ebenso geschieht es auch bei dem zusammengesetzten Körper der Menschheit. Wenn alle Länder derart übervölkert sind, daß sie sich nicht mehr ernähren, noch sich durch Auswanderung helfen können, weil alle Teile der Erde besetzt und voll sind, und wenn die menschliche Tücke und Bosheit ihren Gipfel erreicht hat, so muß die Welt sich notwendig auf eine der drei Arten reinigen, damit die Menschen, zusammengeschmolzen und gezüchtigt, bequemer leben und wieder besser werden. So war Etrurien, wie oben gesagt, einst mächtig, voller Religion und Tapferkeit; es hatte seine eignen Sitten, seine eigne Sprache. Alles aber ward von der römischen Macht so völlig vernichtet, daß uns nur die Erinnerung an seinen Namen geblieben ist.